Die Abendsonne taucht die Ausläufer der Dolomiten in feuerrotes Licht. Jetzt dort oben auf einem dieser Zacken stehen und das atemberaubende Panorama genießen: Was für ein Traum! Wer das pittoreske Städtchen Asolo an den Südausläufern der Dolomiten besucht, versteht die Sucht der Menschen, diese Gipfel zu stürmen. Doch keine Sucht ohne passendes Werkzeug. Das gab es zum Beispiel eine Ortschaft weiter, in Maser bei Sante Mazzarolo, einem Schuhmacher, der sich auf das Anfertigen robuster Wanderstiefel spezialisiert hatte. Kerniger Name des 1963 gegründeten Familienbetriebs: „Alpine Stars“, der Stern der Alpen, nicht nur den Botanikern hierzulande besser bekannt unter dem Namen „Edelweiß“. Und weil Sante nicht nur mit den Sommerfrischlern Geld verdienen will, schustert er für die Wintersportler gleich robuste Skistiefel mit. Bereits zwei Jahre nach dem Firmenstart weitet Mazzarolo (Jahrgang 1929) das Sortiment um stabile Motocross-Stiefel aus. Der Italiener zeigt sich dabei so kreativ wie innovativ, versieht die Stiefel mit robusten Schien-beinprotektoren, Schnallenverschlüssen und geschmeidigen Sohlen. Als die Ski-indus-trie zunehmend auf Plastikstiefel setzt, konzentriert sich Schuster Mazzarolo voll und ganz auf den Motorradbereich. Schützenhilfe bekommt Sante von Roger DeCoster, einem jungen Motocross-Fahrer aus Belgien, der auf das Alpinestars-Schuhwerk vertraut. DeCoster erweist sich als echter Glückstreffer für Mazzarolo. Nicht nur, dass der Belgier ihm wichtigen Input für die Weiterentwicklung der Crossstiefel liefert. Gleichzeitig ist DeCoster der aufgehende Stern in der Motocross-Szene und damit ein perfekter Botschafter für die junge Marke aus Venetien. Nach dem Aufstieg in die 500er-Königsklasse sackt der Belgier zwischen 1971 und 1976 gleich fünf WM-Titel ein. Sante selbst gewinnt mit seinen Crossstiefeln 1973 den italienischen Design-Oscar - das kreisförmige Logo der Auszeichnung wird prägend für die Alpinestars-Stiefel der 70er-Jahre.
Aber es gibt noch einen zweiten Glückstreffer für den Schustermeister aus Maser: seinen motorrad- wie sportbegeisterten Sohn. Gabriele, Jahrgang 1962, ist seit frühester Jugend bei den spektakulären Rennveranstaltungen mit dabei und wächst begeistert in der Welt auf, die Alpinestars mächtig nach vorne katapultieren wird. So zum Beispiel im Fahrerlager der Straßenweltmeisterschaften. Getreu dem Motto „win on sunday, sell on monday“ baut -Firmenchef Sante das Engagement von Al-pine-stars auch hier aus. Als Erster trägt Kenny Roberts die Marke mit dem Edelweiß am Fuß. Besonders stolz ist man in Asolo auf die Bilanz der MotoGP-Saison 2011: Mit Weltmeister Casey Stoner, Vize Jorge Lorenzo, Andrea Dovizioso, Dani Pedrosa und Ben Spies sind die Top Five des Fahrerfelds geschlossen in Alpinestars unterwegs. Die Präsenz beschränkt sich dabei schon lange nicht mehr auf den Schutz der Füße. In den 80er-Jahren erweitert Alpinestars das Sortiment um Handschuhe, zehn Jahre später kommen die ersten Fahreranzüge aus Textil auf den Markt. Im Jahr 1999 ist der Katalane Carlos Checa als erster Fahrer in der 500er-WM in einem Ledereinteiler von Alpinestars unterwegs, 2011 holt er im Edelweiß-Dress den Titel in der Superbike-WM.

Überhaupt liest sich das Alpinestars-Fahrerfeld wie ein Whos who der Rennsportszene: 2011er-Dakar-Sieger Marc Coma, Trial-Weltmeister Toni Bou, Frauen-Cross-Weltmeisterin Steffi Laier, Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel. Das Auftreten auf dem internationalen Rennparkett prägt auch die Atmosphäre innerhalb der Firma - am alten Stammsitz in Maser, wo heute Rennanzüge gefertigt sowie Stiefel und Handschuhe entwickelt werden -, genauso wie in der modern gestylten Zentrale im Nachbarort Asolo: Die 500 Mitarbeiter von Alpinestars (inklusive des 1986 gegründeten USA-Ablegers) kommen aus 22 Nationen, weshalb Amtssprache Englisch ist. Produziert wird mittlerweile in 13 Ländern, immer noch in Italien, aber auch in China. Pro Jahr werden 400 000 Paar Stiefel gefertigt, das Kerngeschäft ist und bleibt mit 150 000 Paaren der Crossbereich.
1993 verabschiedet sich Sante Mazzarolo aus der schillernden Rennszene und ist seitdem in der Dritten Welt unterwegs, um Jugendlichen in Afrika, Südamerika oder Indien die Kunst des Schuhmachens beizubringen. Die Firma überträgt er an seinen Sohn Gabriele, der bis heute nicht nur alleiniger Eigner, sondern auch wichtiger Testfahrer von Alpinestars ist. Denn als passionierter wie kilometerfressender Motorradfahrer (vom Trialbike Montesa Cota bis hin zum Luxustourer BMW K 1600 GT) versteht er, wo einen der Schuh drücken kann.