Kurztest Yamaha XVZ 1300 AT Royal Star Tour Classic

Kurztest Yamaha XVZ 1300 AT Royal Star Tour Classic
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Aufgemöbelt

Vorne ‘ne Scheibe, Chrom allüberall und hinten Lederkoffer unter Sissys Bar - mit gut angelegten Extrapfunden überstrahlt die Yamaha Tour Classic ihre Basis-Version Royal Star.

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Es gibt Leute, denen fehlt einfach Souveränität. Die feilen an ihren Böcken rum, lochen oder fräsen, um schließlich angesichts eines winzigen Häufchens Metallspäne zu behaupten, die weggeputzten 535 Gramm seien handlingmäßig deutlich spürbar. Diesem unsinnigen Treiben mußte Einhalt geboten werden, und zum Glück existiert seit kurzem ein Metall gewordener Gegenbeweis. Der heißt Tour Classic, kommt von Yamaha und führt gewichtig vor, daß derjenige, der an eine 332 Kilogramm schwere Royal Star noch einmal 20 Pfund dranhängt, davon beim Rumkurven gar nichts merkt.
Im Gegenteil, erst sein zusätzliches Gewicht adelt diesen strammen Max zum ernsthaften Motorrad. Wo die Basisversion - beinahe abgemagert wirkt so eine Royal Star im Vergleich - in guten Ansätzen verharrt, beweist die Tour Classic wahres Format. Beispiele gefällig? Also angenommen, der V4 schiebt mit allem, was seine 1300 Kubikzentimeter hergeben, satt blubbernd von der Ampel weg. Fragt sich doch ein normaler Betrachter umgehend: Und was macht der Royal Star-Fahrer bei 140, mit diesem breiten Lenker? Der kuscht gedemütigt. Auf der Tour dürfen«s jedoch dank Scheibe sogar 150 Sachen sein. Oder die Lücken im Chrom: Da spiegelt es wunderbar in den Seitendeckeln des Motors und den vier Schalldämpfern, aber kaum steht einer vor oder hinter seinem Glitzerkrad, da kann er sich nicht mehr selbstbetrachten. Diesen unerträglichen Mißstand behebt die Tour Classic mit fetten Chromblenden an den Enden der Schutzbleche. Das schmeichelt dann dem Narziß im Manne.
Windabweiser an den Gabelrohren, Motorschutzbügel, diverse Schriftzüge und ein Markenemblem auf dem vorderen Kotflügel steigern Wert und Selbstwert ebenfalls, doch Yamaha achtete peinlichst darauf, mit all dem Zierrat nicht den fahrenden, den agierenden Mann zu verdecken. Mehr noch, vom Gehsteig aus betrachtet, partiell gedoppelt, verdrei- oder vierfacht durch gleißende Spiegelungen, enthüllt sich erst, wie sehr er dieses Motorrad schmückt. Und umgekehrt. Nichts verbirgt sein kämpferisches Ringen gegen die Massen und Elemente: Wer eine Tour Classic - höher, breiter, teurer als jede Royal Star - geschickt dirigiert, der hat«s. Diese Aura des gelassenen Maschinisten, der in einem Wust aus Metall stets den richtigen Hebel findet, um Vortrieb zu erzeugen oder abzubremsen.
Letzteres erfordert übrigens enorme Handkräfte, die dann nur moderate Verzögerung erzielen, aber beides gehört irgendwie zum Spiel. Erstens wird ein solches Dickschiff grundsätzlich vorausschauend bewegt, und zweitens macht der herbe Tritt auf das riesige Pedal für die hintere, sehr wirkungsvolle Scheibe einfach mehr her als das beinahe heimliche Gezerre am Handhebel. Weil Straßen bekanntlich meist von zwei Gehsteigen nebst Publikum flankiert werden, lagert als Pendant zum Pedal auf der anderen Motorseite eine armlange Schaltwippe. Dreimal lässig die Hacke niedergedrückt, schon sitzt der vierte Gang, und den verträgt der wassergekühlte Hubraumriese innerorts selbst während der Rush hour.
Er will ein sanfter Riese sein, deshalb sieht nur von fern herbe aus, was eigentlich ganz leicht fällt: seine 74 Pferde zu zügeln. Wer die von rustikaler Beinarbeit geprägten kritischen Phasen - Anhalten, Aufsteigen eines Passagiers, ersten Gang einlegen und Losfahren - hinter sich gelassen hat, der wird sogar dem gesamten Fahrzeug eine gewisse Dynamik zusprechen. Das Tierreich mag dies verdeutlichen: Schon Professor Grzymek lehrte, was abgeht, wenn ein Elefantenbulle durch die Serengeti tobt. Unwiderstehlich, und nur die äußerst geringe Bodenfreiheit, welche die schrabbelnden und funkensprühenden Trittbretter zulassen, gemahnt das zweirädrige Gegenstück zur Mäßigung.
Auch enge Kehren wirken verlangsamend, denn einen Radstand von 1695 Millimetern verleugnet ein Motorrad schwerer als sieben Zentner Gewicht. Eigentlich verleugnet es sie niemals, und das kam in dieser Schärfe auch für MOTORRAD überraschend. So machte sich im Test nach kurzem Sturm und Drang wieder jene Gelassenheit breit, die zu ultra-kommoden und unterdämpften Federelemente paßt und die auch Elefanten gemeinhin eignet. Wie das Rüsseltier Löwen, Gnus und Zebras passiert, so begegnet der Tour Classic-Fahrer Ninjas, Sportstern oder Transalps: freundlich, aber niemals zuerst grüßend.
Soviel Hochmut darf sein bei einem Preis von 27980 Mark. Wer jetzt behauptet, der Aufpreis von knapp drei Riesen gegenüber einer Royal Star sei etwas happig, der vergißt das Beste. Hübsch geschwungen und gediegen gefertigt warten zwei Ledertaschen auf das kleine Gepäck. Einladend rekelt sich die Beifahrerlehne in den Himmel, begrenzt und krönt einen der denkbar bequemsten Sitzplätze. »Komm Sissy, ich zeig dir die Sonne.« Manchmal heißt der Wunschpartner Klaus-Dieter, aber nur manchmal, denn welche Frau braucht schon soviel Glitzerkram.

Zubehör für die Yamaha Royal Star

Im Jahre 1996 kam sie zu uns, die Royal Star. Das Kontingent war begrenzt, die 511 Käufer durften sich glücklich schätzen. Daß der Run anhält, beweisen 113 verkaufte Exemplare in den kühlen Monaten Januar und Februar, und so bedurfte es keiner übertriebenen Risikofreudigkeit seitens des Importeurs, jetzt auch ein umfangreiches Zubehörprogramm zu präsentieren. Sowohl Parts als auch Bikes sollen heuer ausreichend verfügbar sein.Damit sind der ungehemmten Lust am Customizing, die zu Motorrädern à la Royal Star gehört wie das Fahren selbst, kaum noch Grenzen gesetzt. Und die Freaks aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten machen es vor: Dort erlangte der Yamaha-Four Kultstatus, die beiden Fotos zeigen, was drüben geht.Hierzulande ist die Khrome-Auspuffanlage zwar out, weil zu laut, aber mit benieteten Lederteilen für Tank, Sitz und Koffer steigt der Showeffekt ja auch beträchtlich. Lederfreunde können sogar die Griffe einwickeln, und wer auf Metall steht, darf erst recht schwelgen. Grammweise - mit geriffelten Abdeckungen für die Vorderachse - oder im Pfund - mit glatten Abedeckungen für die Bremsscheibe - läßt sich die Royal Star zum Chromjuwel aufpeppen. Das Differential kriegt einen glänzenden Deckel, die Bremszangen ebenfalls, und da will auch der Batteriekasten nicht hintan stehen. Wer mag, kann sich beim Yamaha-Händler auch andere Lenker kaufen, aber die haben, man lese und staune, keinen TÜV-Segen.

Mein Fazit

Auf ihre Weise sehr hochwertig und liebevoll gemacht, verströmt die Tour Classic einen Reiz, dem wohl jeder erliegt. Und dank ihrer praktischen Scheibe verspricht sie im Gegensatz zur Royal Star auch hierzulande ewig anhaltende Reisefreuden. 130, 140 auf der Autobahn werden nur von Tankstopps unterbrochen, dazwischen liegt beinahe träumerisches Dahingleiten, gebettet auf bequemen Sitzen und weichen Federn. Wie lange dieser Reiz anhält, möge aber bitte jeder selber abwägen: Im Alltag nämlich, beim Rangieren allemal, kann dieses Monstrum auch zum Klotz am Bein werden.

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