Sie haben die Supersport-Szene mit der messerscharfen Daytona 675 gehörig aufgemischt. Sie haben bei den Allroundern mit der knackigen Street Triple für reichlich Furore gesorgt. Und nun feuern die Briten die nächste Breitseite ab. Und zwar in Form der Tiger 800, einer Mittelklasse-Enduro, deren Herzstück eben jener famose kleine Dreizylinder aus den beiden erfolgreichen Schwestermodellen bildet.
Den Westentaschen-Tiger wird es als Adventure-Enduro in zwei Versionen geben, nämlich die straßenorientierte Tiger 800 mit 19-Zoll-Vorderrad sowie die on- wie offroad-taugliche Variante mit dem Zusatz XC und 21-Zöllern vorn. Abgesehen von der Bereifung unterscheiden sich die beiden Modelle ein wenig in der Ausstattung sowie bei den Fahrwerkskomponenten.
Identisch ist jedoch der Antriebsstrang. Es handelt sich prinzipiell um eine vergrößerte Version des 675er-Dreizylinders, doch wurden mehr als 90 Prozent der Teile des 800ers neu konstruiert. Überraschenderweise zählen die Kolben zu den wenigen Gleichteilen, denn aufgebohrt wurde der 675er nicht. Das Hubraumplus bringt allein der verlängerte Hub. Als das Projekt im Frühjahr 2007 aus der Taufe gehoben wurde, sollte der Daytona/Street Triple-Antrieb zunächst unverändert bleiben. Doch das Marktumfeld und die Anforderungen ließen den 675er zunächst auf 770, dann auf volle 800 cm3 anwachsen.
Mehr Hubraum heißt im Grundsatz weniger Drehzahl, was aber zum Charakter einer Enduro ohnehin besser passt. Schließlich ging es den Konstrukteuren auch darum, den in der Daytona 125 PS, in der Street Triple 106 PS leistenden Dreizylinder zu höherem Drehmoment bei leicht gekappter Spitzenleistung zu verhelfen. Künftige europäische Führerscheinregelungen fixierten das Leistungsmaximum auf 95 PS, die bei 9300/min erreicht werden. Ventile, Steuerzeiten, Brennräume und Kanäle wurden dem Anforderungsprofil angepasst.
Klar, dass eine Enduro auch ein völlig anderes Chassis braucht. Triumph entschied sich bereits früh in der Entwicklung für einen Stahlrahmen, dessen Rohre doppelreihig in den triumph-typisch geschwungenen Bögen verlaufen. Stahl ist nicht unbedingt wesentlich billiger in der Fertigung als Gussrahmen aus Aluminium, doch erheblich widerstandsfähiger bei den harten Belastungen im Gelände. Und auch wenn die kleine Tiger keine Sportenduro ist, sollte sie selbst bei grober Behandlung nicht gleich die Grätsche machen.
Weil hohe Offroad-Tauglichkeit und optimales Handling auf der Straße in Kontrast zueinander stehen, splittete Triumph das Modell in zwei Varianten. Die XC-Version ist härter belastbar, verfügt abgesehen vom vorderen 21-Zoll-Speichenrad über längere Federwege, eine dickere Gabel, ein Federbein mit Ausgleichsbehälter, einen kräftigen Unterbodenschutz, ein Schutzgitter vor dem Kühler, einen "Entenschnabel" im BMW-Look und Handprotektoren.
Die Straßenvariante ist dank reduzierter Federwege niedriger. Wie bei der XC kann der Sitz zweifach verstellt werden - der Lenker übrigens auch -, zusätzlich gibt es als Zubehör noch ein weitere zwei Zentimeter flacheres Polster. Davon abgesehen bringt die verringerte Fahrzeughöhe ein besseres Handling, die reduzierten Federwege stabilisieren das Fahrwerk. 210 Kilogramm bringt das Kätzchen laut Triumph mit randvoll gefülltem 19-Liter-Tank auf die Waage. Das liegt im Bereich der mit rund 220 Kilogramm (mit ABS und Zusatzausstattung) gemessenen BMW F 800 GS.
Fakten und Daten, die heiß machen auf den ersten Test. Der muss noch bis zum Jahreswechsel warten, aber Triumph genehmigte MOTORRAD die exklusive Möglichkeit, vor dem Werksgelände in Hinckley einige Kilometer mit einem Vorserienexemplar der Tiger 800 zu fahren. Ein kurzer Eindruck, der aber bereits die Qualitäten des 800er-Tigers offenbart. Schon beim ersten Spurt begeistert der Dreizylinder nicht nur mit dem unnachahmlich heiseren Sound des Dreizylinders, sondern auch mit seinem unnachgiebigen Schub aus tiefsten Drehzahlen. Schon knapp über Standgas liefert der 800er jede Menge Drehmoment, um dann völlig linear und ohne den geringsten Einbruch hoch zu drehen.
Ähnliche Qualitäten zeigte ja bereits die Street Triple, nur legt die 800er im Drehmoment noch mal einen gehörigen Batzen drauf. Dank der spontanen Gasannahme kann man ein Wheelie leicht vermeiden. Muss es aber nicht, der kilometerlange Tanz auf dem Hinterrad wird zum Kinderspiel. Oben heraus wirkt der 800er keineswegs abgeschnürt, wenn auch rund 2000 Umdrehungen gegenüber der in der Spitze etwas stärkeren 675er-Street Triple fehlen. Erst kurz vor dem Drehzahllimit bei rund 10000 Umdrehungen klappt die Leistungskurve ein wenig ab, der 800er-Triple wirkt nicht ganz so spritzig wie der 675er.

Doch dort oben hält sich der Tiger-Fahrer ohnehin kaum auf, nutzt lieber die satte Mitte und den gleichmäßigen Schub aus tiefsten Regionen. Vibrationen kennt der Dreizylinder kaum, da hat er den konkurrierenden Twins - vor allem der BMW - auf jeden Fall schon mal einiges voraus.
Fahrwerksmäßig muss er sich vor denen auch nicht verstecken. Äußerst leichtfüßig wieselt die Tiger durch den dichten englischen Linksverkehr. Straßenbauliche Herausforderungen enthielt die kurze Teststrecke zwar nicht, doch deutet sich ein stabiles, neutrales Fahrverhalten gepaart mit einer sauber ansprechenden Federung an. Dazu gesellt sich eine gut dosierbare, kraftvoll zupackende Bremse dank standfester Doppelscheibe vorn.
Über ein ABS verfügte die Testmaschine noch nicht, in der Serie bietet es Triumph selbstverständlich für beide Versionen als Option an. Für harte Geländeeinsätze wird es abschaltbar sein. Dass der Spaß mit dem Kätzchen sozialverträglich taxiert wird, ist bei Triumph ohnehin selbstverständlich. Die Tiger XC soll unterhalb der BMW F 800 GS positioniert werden, der Straßen-Tiger wird etwas oberhalb der karg ausgestatteten und gedrosselten F 650 GS liegen. Optional will Triumph vom Start weg eine Menge Zubehör anbieten, um die Basismaschine individuell aufzurüsten, vom Gepäcksystem bis zum Zusatzscheinwerfer.
Doch bereits im Serientrimm vermisst man kaum etwas. Das multifunktionale Cockpit-Display informiert über Verbrauch und Reichweite. Sogar eine Reifendruckanzeige ist schon vorbereitet, der Kunde muss nur die Sensoren nachrüsten. Nach dem ersten Kontakt steht auf jeden Fall fest: Der kleine Tiger kann nicht nur bissig fauchen, sondern auch scharfe Krallen ausfahren.
Technische Daten

Motor:
Wassergekühlter Dreizylinder-Viertakt-Reihenmotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, geregelter Katalysator, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, X-Ring-Kette.
Bohrung x Hub 74,0 x 61,9 mm
Hubraum 799 cm³
Nennleistung 70,0 kW (95 PS) bei 9300/min
Max. Drehmoment 79 Nm bei 7850/min
Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 43 (45) mm, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis (verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung), Doppelscheibenbremse vorn, Ø 308 mm, Doppelkolben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 255 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS.
Alu-Gussräder 2.50 x 19 (2.50 x 21); 4.25 x 17
Reifen 110/80 ZR 19 (90/90 ZR 21); 150/70 ZR 17
Maße und Gewichte:
Radstand 1555 (1568) mm, Lenkkopfwinkel 66,3 (66,9) Grad, Nachlauf 86 (91) mm, Federweg v/h 180/170 (220/215) mm, Sitzhöhe 810-830 (845-865) mm, Gewicht vollgetankt 210 (215) kg, Tankinhalt 19 Liter.
Garantie zwei Jahre
Preis k. A.
Interview mit dem Produkt-Manager

? Wenn Sie die Tiger 800 heute anschauen, ist sie so geworden, wie sie 2007 geplant war?
! Definitiv! Wir sind zufrieden, dass wir keinerlei ernste Probleme während der Entwicklung bekamen, sodass wir keine großen Eingriffe in das Konzept hatten.
? Der 675er ist ein fantastischer Motor. Warum musste der kleine Dreizylinder größer werden?
! Als Sportmotor ist der 675er wirklich fantastisch. Doch für eine Adventure-Enduro braucht man einen komplett anderen Charakter. Der Motor sollte nicht nur mehr Drehmoment bieten, sondern vor allem möglichst zivilisiert, kontrolliert wirken, um ein sanftes, geschmeidiges Fahrverhalten zu bekommen. Zudem zeichnete sich bereits früh die BMW F 800 GS ab, daher wollten wir uns keinen Wettbewerbsnachteil erlauben.
? Mehr als 90 Prozent Neuteile im Motor sind teuer, war das nötig?
! Als wir uns für einen längeren Hub entschieden hatten, war das unumgänglich. Alles andere wäre halbherzig gewesen. Weil der 675er so kompakt konstruiert ist, brauchten wir zum Beispiel ein neues Kurbelgehäuse. Es war eine schwierige Entscheidung. Aber hätten wir das nicht gemacht, wäre das Ergebnis nicht so gut, wie es heute ist.
? Warum gibt es zwei Modelle?
! Die Tiger 800 ist ein Bike für alles, ob Wochenendtrip, täglicher Gebrauch, große Entfernungen. Die niedrige Sitzhöhe vergrößert den Kreis potenzieller Käufer. Die Tiger 800 XC ist das Abenteuer-Bike für Leute, die neue Herausforderungen suchen.
? Triumph steht bislang nicht unbedingt für Offroad-Erfahrung. War es eine Herausforderung, eine geländetaugliche Enduro zu entwickeln?
! Das war sicher ein Lernprozess. Wir haben zwar über 20 Jahre sehr viel Know-how angesammelt, mussten jedoch neue Testverfahren und Entwicklungsprozesse hinzufügen. Aber glücklicherweise hatten wir bereits Tester und Techniker mit Offroad-Affinität.
? Waren die Kosten ausschlaggebend für den Stahlrahmen?
! Kosten sind immer ein Faktor. Ausschlaggebend war aber die Belastbarkeit, außerdem sind Defekte unterwegs leichter reparabel.
? Was sind die Zielmärkte für die Tiger 800?
! Italien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die USA, in dieser Reihenfolge. Die anderen Märkte sind erheblich kleiner.
? Wie viele Einheiten streben Sie 2011 an?
! Wir peilen im Geschäftsjahr 2011 etwa 7500 Einheiten weltweit an, davon rund 1000 in Deutschland.