Die schönste Rennstrecke der Welt: Bikers Classics in Spa 2012

Die schönste Rennstrecke der Welt: Bikers Classics in Spa 2012 Bikers Classics in Spa 2012

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Das Rezept für ein paar begeisternde Tage? Hunderte fantastische Motorrad-Klassiker sehen und hören, mit legendären Haudegen reden, viele feine Menschen treffen - und natürlich selbst über die schönste Rennstrecke der Welt donnern!

Bikers Classics in Spa 2012 Hecker
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Samstag, 30. Juni 2012. In ein paar Minuten geht es los, beginnt für mich der Höhepunkt des Jahres, dem ich schon monatelang entgegengefiebert habe. Es ist kurz vor halb neun Uhr abends, ein wunderschöner, strahlender Sommerabend in Spa-Francorchamps. Mein Herz schlägt bis zum Hals, angespannt fixiere ich die auf der gegenüber- liegenden Seite im 45-Grad-Winkel zur Boxenmauer aufgereihten Maschinen - gemeinsam mit 68 weiteren kampferprobten Rennveteranen und Langstreckenneulingen, die sich mit mir gleich per Le-Mans-Start auf ihre Motorräder aus den 70er- und frühen 80er-Jahren fürs Vierstunden-Rennen stürzen werden.

Start!
Noch eine Minute. Gespenstische Stille. Klaus, der Chef unseres Teams Bike Side/MOTORRAD Classic, hält das Heck der 1100er-Katana auf Position 34. Punkt 20.30 Uhr fällt die Startflagge, ich hechte mit meinen Mitstreitern über die Bahn, springe auf die Suzuki, drücke den Startknopf und bin mittendrin im hektischen, brüllenden Hornissenschwarm, der in wildem Durcheinander auf die Spitzkehre „La Source“ zusticht. Es wird eng, ganz eng. Bremsen, die Linie finden, dann volle Lotte, vorbei an den gut besetzten Tribünen, hinunter in die Senke von Eau Rouge. Dort weit links, eng an den Curbs bleiben, und die voll durchfedernde Katana im richtigen Moment nach rechts werfen, damit die Linie noch für die anschließende, steil bergauf führende Linkskurve von Raidillon passt. Vierter Gang, fünfter Gang, abtauchen - geht richtig gut, unsere gemachte 1100er, die mit Schmackes die lange Kemmel-Gerade hinaufbrennt. Adrenalin pur, diese Ardennen-Achterbahn, die der Dreiviertelmond am wolkenlosen Himmel in ein fahles Licht taucht.

Scharfes Schwert: Die Suzuki Katana des Teams Bike Side/MOTORRAD Classic. Gut für jede Menge Spaß und einen respektablen 20. Platz.

Volle Konzentration
Wo bin ich? Eine Frage, die du bei voller Fahrt sofort beantworten können musst, selbst wenn die Scheinwerfer - später in der Nacht - wenig Erhellendes über den Streckenverlauf beitragen. Man fährt nach Gefühl, geleitet von der Erinnerung, die man sich während der Trainingsrunden auf der eigenen Festplatte abgespeichert hat. Volle Konzentration, bloß nicht stürzen. Was zählt, ist erst mal Ankommen. Klar, dass man mehr Gegner packen will, als einen selbst überholen. Doch schon in den ersten Runden werden viele gelbe Flaggen geschwenkt, ein paar Übermotivierte hat es schon erwischt, und mit ihnen auch einige der Reflektoren, die bei Dunkelheit den richtigen Weg weisen sollen.

Plötzlich rote Flaggen mit einem weißen Kreuz - brav reiht sich das Feld hinterm Safety Car ein. Zeit, für ein paar Gedanken über die Wechselstrategie. Kein Pilot darf mehr als zwei Drittel des Rennens fahren. Unsere Katana verfeuert rund einen Liter pro Runde à sieben Kilometer. Um auf Nummer sicher zu gehen, wechseln wir uns alle 45 Minuten ab. Viertel nach neun, ich muss an die Box. Remus tankt, wie vorgeschrieben im feuerfesten Anzug, Matthias hält den Feuerlöscher, ein „Pit-Steward“ überwacht alles. Anschließend springt Gabriel in den Sattel, ein Klapps auf die Schulter, und weg ist er.

Der Ex-Endurance-Weltmeister Richard Hubin startete diesmal auf einer Viertakt-Suzuki statt mit einer Zweitakt-Yamaha.

Es läuft, ganz gut sogar
Langsam lässt die Anspannung nach, öffnet den Blick auf diese ganz spezielle Atmosphäre in der Boxengasse. Auf engstem Raum - drei Teams teilen sich eine Box - trifft hektisches Gewusel auf innere Versunkenheit. Nervös sehnen die Fahrer den nächsten Wechsel herbei. Alles gut gegangen, da draußen? Um zehn kommt Gabriel planmäßig rein. Wieder Aufbocken, Tanken, Sichtkontrolle. Dann geht es für mich wieder hinaus in die Nacht. Alles fühlt sich gut an. Mit ihren 130 PS aus 1200 Kubikzentimetern brennt die Katana über die Geraden, als ob ein kleines Teufelchen von hinten mitschiebt. Teuflisch gut auch die Lockheed-Bremsen, die mit den 210 Kilogramm der Suzuki keine Probleme haben, obwohl sie nur mit jeweils zwei Kolben bestückt sind. Mehr erlaubt das Reglement nicht.

Ebenfalls vorgeschrieben: eine geschlossene Ölwanne unterm Motor, das zweite, von der Bordelektrik unabhängige Rücklicht und 18-Zoll-Räder mit einem maximal 150 Millimeter breiten Hinterreifen. Renntauglich machen unsere Suzuki außerdem Öhlins-Federbeine und -Innereien für die Seriengabel sowie die LSL-Lenkerstummel und das spezielle Windschild von MRA. Macht rund 10000 Euro für unseren Lowbudget-Racer. Na ja, dazu kommen noch happige 1200 Euro Startgeld pro Mannschaft.

Hecker
Eine Fee in der Nachbar-Box: Wendy Newton aus Kalifornien schraubt selbst und fährt in den USA Motorrad-Rennen.

Viel Geld, für welches das nächtliche Schauspiel voll entschädigt. Denn das Bild, wie die Vorausfahrenden mit ihren roten Rücklichtern und weißen Lichtkegeln die Eau Rouge illuminieren, wird wohl keiner der Beteiligten je vergessen. Runde um Runde vergeht, nach zwei planmäßigen Wechseln sitze ich für den letzten Turn wieder im Sattel. Jetzt, nach über drei Stunden, kommt so etwas wie Routine ins Spiel. Und Vertrauen, insbesondere auf die famos haftenden Continental-Radialreifen. Die „Road Attack 2CR“ sind eine Wucht, verleihen der Suzuki ein ausgesprochen präzises Fahrverhalten. Leider kein Vorteil für uns, denn auch die meisten Konkurrenten fahren auf die Contis ab.

Begeisternde Technik: MV-Vierzylinder beim Vorstart im freien Fahren, Ex-Renner mit Bewunderern.

Geschafft!
Mittlerweile zeigt die Digitaluhr im Cockpit 0.29 Uhr an. Noch eine Runde. Die längste von allen. Jetzt bloß nicht hinfallen, sonst ist die Arbeit von Monaten dahin! Endlich, um 0.32 Uhr wird die Startnummer 16 abgewunken, wir haben es geschafft! Jubelschreie unterm Helm, applaudierende Zuschauer, mit den Flaggen wedelnde Streckenposten - eine Auslaufrunde, die unter die Haut geht. In der Box dann ein einziger Freudentaumel. Helm runter, die Kumpels umarmen, ein Bierchen zur Belohnung, Momente für die Ewigkeit. Wir sind überglücklich, landen auf dem 20. Platz von insgesamt nur noch 40 gewerteten Teams. Die ganze Nacht wird gefeiert, zusammen mit Belgiern, Engländern, Italienern und Spaniern.

Luigi Taveri dreht hier noch mal ein paar Runden. Doch 2013 will sich der dreifache Weltmeister endgültig ins Privatleben zurückziehen.

Ein Fest für alle Sinne
Das Vierstunden-Rennen ist jedoch nur ein Aspekt, der Spa für mich zum perfekten Wochenende macht. Unglaublich, was an den drei Tagen los ist, von Freitag bis Sonntag erlebt man hier mehr als anderswo in zwei Jahren! Das riesige Fahrerlager mit über 750 Motorrädern, zahlreichen Rennveteranen und engagierten Hobbypiloten macht dich zum Akteur in einem Film über die Motorradgeschichte von 1950 bis 1988. Überall brodelt und vibriert das Leben, röcheln offene Ansaugtrichter um die Wette mit brüllenden Viertaktern und kreischenden Zweitaktern. Hier bebt eine Norton Manx mit dumpfem Grollen, dort röhrt eine Vierzylinder-Benelli-Rennmaschine, und ein paar Meter weiter läuft sich eine Honda CBX mit sonorem Säuseln warm. Ein Fest für alle Sinne, das in diesem Jahr, dem zehnten seit der Premiere der Bikers Classics, mit den Superbikes der 80er-Jahre vom Schlag einer Ducati 888 oder der legendären Honda RC30 eine völlig neue Würze in diese große europäische Klassik-Veranstaltung bringt.

Hecker
Begeisternde Technik - Besucher nehmen die Maschinen genauer unter die Lupe.

Und noch ein Schmankerl feiert 2012 Premiere. Am Samstagabend, um 18 Uhr, dürfen alle angemeldeten Teilnehmer die komplette, 14 Kilometer lange Traditionsstrecke unter die Räder nehmen. In einer gemächlichen Parade rollen Hunderte Motorräder vorbei an Bauernhöfen, Bus-haltestellen, durch kleine Dörfer und über enge Landstraßen. Kaum zu glauben, dass Redman, Read, Taveri & Co in den 60ern und frühen 70ern mit weit über 250 Sachen über diese enge Vollgasstrecke donnerten, die gesäumt war von Bäumen, Begrenzungssteinen oder Telegrafenmasten. Ein großes Erlebnis, wenn Tausende Zuschauer aus nächster Nähe Hunderten Fahrern zuwinken.

Hecker
Champions im Plausch, aber nicht abgeschirmt: Phil Read (links) und Steve Baker.

Read, Redman, Taveri & Co
Was wäre ein gelungenes Wochenende ohne die vielen interessanten Begegnungen? In Spa ergeben sich die praktisch von alleine. Jim Redman besuchen? Kein Problem, er hat Zeit für jeden. Ob der sechsfache Weltmeister, heute 80 Jahre jung, mit einem komischen Gefühl zurückgekommen ist, weil er 1966 hier in Spa so schwer gestürzt war? „Nein, wieso? Der Crash hat meine Karriere beendet - sagen die einen. Heute denke ich jedoch eher, dass er mein Leben gerettet hat.“

Nebenan schreit eine 250er-Honda. Es ist kein Geringerer als Luigi Taveri, der die Vierzylinder-Replika der legendären RC 162 bei 6000 bis 8000 Touren warmlaufen lässt. Als er den Motor wieder abstellt, applaudieren die Zuschauer vor Begeisterung. Im Anschluss findet der 82-Jährige Zeit für Autogramme und einen Plausch, umgeben von seiner charmanten Ehefrau Tilde und Tochter Blanca. Was für ein charismatischer Typ, dieser Luigi Taveri, die Zeit verfliegt nur so im Gespräch mit der lebenden Legende. Ich bin froh, dass ich noch einmal die Gelegenheit dazu hatte, denn im kommenden Jahr will er sich endgültig aufs Altenteil zurückziehen.

Hecker
An historischen Stätten fahren und stehen die Heroen von einst zum Greifen nah.

Wunderbare Wendy
So weit ist Wendy längst noch nicht. Im Gegenteil, im Moment leidet die 46-jährige Kalifornierin, weil sie nichts zum Fahren dabei hat. In den USA fährt sie Rennen, Offroad und auf Asphalt, in ihrer Garage stehen 18 Motorräder. Aber leider keines hier in Spa. Nun, jedes perfekte Wochenende hat seine gute Fee. An diesem ist es Wendy aus der Nachbar-Box, die alle mitreißt mit ihrem Lächeln, ihrer Herzlichkeit. Klar, dass ich ihr meine 900er-Bol d‘Or fürs freie Fahren überlasse. Zwei Turns à 20 Minuten später blicke ich in zwei strahlende Augen, obwohl die zierliche Brünette mit der wabbeligen Honda ziemlich zu kämpfen hatte.

Hecker
Kein Geringerer als Freddie Spencer übergab die Pokale nach dem CSBK-Lauf (links). Gute Geister in der Boxengasse: die multilingualen Belgier Christian und René (rechts).

Nach Spa kam Wendy eigentlich, um für ihre amerikanischen Landsleute Ralph und Gary an deren weiß-blauer Suzuki GS 1000 zu schrauben (mit lackierten Fingernägeln!). Doch im Training sprang ihnen die Steuerkette über, der Motor war Schrott. Und das nach dieser langen Reise! Ein holländisches Team bot den wackeren US-Boys kurzerhand eine Kawasaki Z 1000 an. Noch mit Blinkern und Nummernschild fuhr Gary damit das gezeitete Nachttraining. Ebenso beeindruckend: Die Wade des Vietnam-Veteranen, die nach diversen Schuss- und Sturzverletzungen Ähnlichkeiten mit einer Mehrzylinder-Kurbelwelle hat.

Hecker
Echte Freu(n)de: das Team Bike Side/MOTORRAD Classic.

Sonntagnachmittag. Erst toben wir beim freien Fahren um den Kurs, dann schauen wir den alten Kämpen zu. Freddie Spencer, Steve Baker, Heinz Rosner, Dieter Braun, Luigi Taveri und Phil Read scheuchen ihre einstigen Renngeräte um den Kurs, jeder so schnell er noch mag. Um 18 Uhr sind die Transporter gepackt, die Boxengassen verwaist. Eine fast schon unnatürliche Stille macht sich breit. Und mit ihr die Erkenntnis, dass es schnellere und professionellere Teams gibt. Aber vermutlich kein besseres für ein perfektes Wochenende. Keine Frage, wir werden auch 2013 wieder hier dabei sein.

Infos

Bikers Classics 2013
Im Jahr 2013 startet die Klassiker-Veranstaltung vom 5. bis zum 7. Juli in ihr zweites Jahrzehnt. Weitere Infos gibt es unter
www.bikersclassics.be 

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