Beim Quail Motorcycle Gathering in Carmel/Kalifornien treffen luftig-leicht gekleidete Damen im Sommerdress auf klassische Zweirad-Schönheiten. Und Ex-GP-Stars auf Benzinköpfe jeder Couleur, legendäre Motorradtypen auf skurrilste Bike-Kreationen.
Beim Quail Motorcycle Gathering in Carmel/Kalifornien treffen luftig-leicht gekleidete Damen im Sommerdress auf klassische Zweirad-Schönheiten. Und Ex-GP-Stars auf Benzinköpfe jeder Couleur, legendäre Motorradtypen auf skurrilste Bike-Kreationen.
Der Himmel leuchtet königsblau, die Sonne scheint dottergelb an Kaliforniens Pazifikküste. Doch sattes Grün dominiert an diesem Mai-Samstag: gepflegter englischer Rasen auf dem „Quail Lodge & Golf Club“ in Carmel südlich von San Francisco. Wo sonst eingeputtet wird, stehen adrett aufgereiht Motorräder. Dezente Holzbrettchen unter den Ständern schützen die Maschinen vorm Einsinken auf dem Golfplatz. Stilvoll geht es zu beim fünften jährlichen Quail Motorcycle Gathering („Motorradtreffen“). Bereits draußen am Besucherparkplatz lohnte sich das Schlendern, parkten Hunderte völlig unterschiedliche Motorräder, von Weltkriegs-WL-Harleys bis zu BMW S 1000 RR.
Auf dem „Marktplatz“ vorm Eingang stehen edle und exklusive Maschinen zum Verkauf. Etwa eine Kawasaki Mach 3 und ein Extrem-Chopper mit ultralanger Gabel und Harley-Evo-V2. „Alles, was sie brauchen, um böse zu sein“, steht auf dem Verkaufsschild am Custombike. Für 11500 Dollar eher ein Schnäppchen. Absolut nicht alltäglich: eine „PsyClone“, ein frei interpretierter Nachbau eines Boardtreckers von 1914. Vom historischen Vorbild, der Joerns Cyclone, existieren laut Infotafel weltweit nur noch acht Exemplare. Letzter erzielter Preis bei einer Auktion: satte 530000 US-Dollar.
Die im Infield ausgestellten 236 Motorräder werden dagegen zu reinen Showzwecken präsentiert. Sofern ihre handverlesenen Besitzer Wochen zuvor eine Einladung dafür erhielten. Den Veranstaltern geht es nämlich darum, einen „repräsentativen Querschnitt der Motorradgeschichte fahrbereit zu zeigen“. Klassiker von Ariel bis Zündapp (KS 600 von 1941!) sind meist aufwendig-liebevoll restauriert oder sogar im einstigen Neuzustand. Serienmaschinen mit Blinkern und Nummernschild (Plate) stehen neben potenten Rennmaschinen oder leichtgewichtigen Offroadern. Von fast 110 Jahre alten Maschinen reicht die Spanne bis zur aktuellen Ducati Panigale. Die Maschinen aus Bologna sind gut vertreten. Zehntausend Kilometer von Italien entfernt feiert man in Kalifornien 20 Jahre Monster – Ducatis meistgebaute Baureihe rettete die Marke. Miguel Galluzzi, einer der wichtigsten Motorrad-Designer der Gegenwart, erläutert persönlich, was ihn Anfang der 90er-Jahre beim Erschaffen der Monster antrieb. Der argentinische Hüne gibt geduldig Autogramme, signiert Ducs. Was alle Leute hier eint, ist Enthusiasmus, die Liebe zu Motorrädern.
Zwischen den fein präsentierten Motorradtypen schlendern zahlreiche Männer, nur wenige amitypisch in Shorts und T-Shirts, deutlich mehr in Hemd und Sommer-Sakko. Oft haben sie aparte Begleiterinnen zur Seite: attraktive Damen in luftig-leichten Sommerkleidern auf hohen Schuhen. Eleganz zählt hier etwas. Doch plötzlich haben viele Besucher nur noch Augen, besser gesagt Ohren, für eine englische Lady. Sie hüllt ihren volltönend röchelnden Dreizylinder in einen feuerroten Dress: Brent Lenehan wirft seine „Magni R3“ zum Soundcheck an, bringt sie mit kurzen Gasstößen auf Temperatur. Brent selbst baute die rote Schönheit auf: ein getunter Triple einer BSA Rocket im Magni-Fahrwerk für MV Agusta.
Brent ist Australier, lebt in den USA und pflegt englische Motorräder. Er zeigt geduldig seine Dunstall-Norton 810 („Die war 1972 das Schnellste, was man serienmäßig auf öffentlichen Straßen fahren konnte!“). Daneben parkt Brents BSA Q7 von 1936 als ein absolutes Highlight. Sie sieht aus, als sei sie gerade frisch vom Band gelaufen. Dabei erwarb er sie 1973 als Trümmerhaufen in einem unkonventionellen Tauschgeschäft im australischen Outback – vom Erstbesitzer! Und restaurierte sie mühevoll komplett. Brent erzählt, wie die Teilnehmer des Quail Rides am Tag zuvor drei Runden gemeinsam über die legendäre Rennstrecke von Laguna Seca bretterten.
Es folgt eine akustische Täuschung: Die vier im Quadrat angeordneten Zylinder der 1000er-Ariel Square Four klingen wie ein VW Käfer. „Das ist mein Traktor“, sagt Besitzer Stuart Garison, „perfekt, um den Watsonian-Seitenwagen anzuhängen“. Das feuerrote Exemplar stammt von 1956 – die Square Four wurde 28 Jahre lang, von 1930 bis 1958, gebaut! Sie ist bereits Stuarts fünfte Ariel dieses Typs. 1500 Meilen, rund 2400 Kilometer, waren es von Dallas/Texas bis hierher.
Da der Quail offiziell nur fünfeinhalb Stunden öffnet, blieben rein statistisch weniger als anderthalb Minuten pro Maschine.
Da heißt es, sich auf Wichtiges zu konzentrieren. Dabei lauern hier Kurioses und Kuriositäten an jeder Ecke. Ständig dicht umlagert sind die absolut verrückten fahrenden Aluminium-Kunstwerke von Randy Grubb aus dem US-Staat Oregon. Der Mann ist Handwerker, Tuner und Bildhauer in einer Person, packt Motorrad- und Rollermotoren unter ausladende Aluminium-Vollverkleidungen. Sein „Decopod Bi-Pod” ist um einen Piaggio Fly 150 herumgebaut, der „Decopod Tri-Pod“ um- und verhüllt einen Piaggio MP3. Und unter dem „Decoson“ mit Scheibenvorderrad verbirgt sich eine technisch serienmäßige 1200er-Harley Sportster von 1984.
Der Fahrer verschmilzt förmlich mit dem Motorrad, greift durch Löcher im großflächigen Aluminium zum versteckten, schmalen Lenker. Die in der Sonne funkelnden polierten Vollverschalungen gefährden die Netzhaut. Randy kreierte auch einen passenden Helm, saust als „Metal Man“ über das Grün. Der gebürtige Kalifornier ist ein Meister der Metallbearbeitung. „Solch eine Vollverkleidung anzufertigen, dauert einen Monat“, erklärt er freundlich lächelnd. „Art-déco-Maschinen“ nennt er seine einzigartigen, stromlinienförmigen Motorräder. Technik als Fortsetzung der Kunst. Lust trifft Leidenschaft, auch unter www.randygrubb.com.
Dekorativ, wie es der Name suggeriert: Der „Decoliner“, Randys neun Meter langes „Motorhome“ (Wohnmobil) in fließenden, organisch-eleganten Formen. Es ist im Stil der 50er-Jahre ausgebaut und lässt sich als Clou sogar vom begehbaren Dach aus lenken.
Betörend wirkt auch die Kollektion britischer Scrambler und US-Dirt-Track-Maschinen in leuchtenden Farben und hervorragendem Zustand. Der amerikanische Stardesigner Craig Vetter ist hier, der in den 70er-Jahren die Windjammer-Verkleidungen sowie die stylish gechoppte Triumph X75 Hurricane mit Drei-in-drei-Auspuffanlage gestaltete. Er präsentiert heute „Motorräder der Zukunft“. Etwa Fred Hayes „Diesel Streamliner“, der nur 1,6 Liter Diesel auf 100 Kilometer brauchen soll. Vollkommen abgehoben ist das „fliegende Motorrad“ von Deszo Molnar. Seine „Molnari GT2“ hat neben dem Rollmodus eine Gyrokopter-Funktion mit Rotorblättern.
King Kenny Roberts beehrt die Veranstaltung, der dreifache 500er-Weltmeister hat Zeit für Pläuschchen hier und da. Er verrät im Vertrauen, dass er „nicht gerne Tausende Unterschriften gebe“. Zur „Legende des Sports“ wird der ebenfalls dreifache Weltmeister und aus Kalifornien stammende Wayne Rainey gekürt. Er sitzt ja leider seit seinem schweren Unfall 1983 im Rollstuhl. Beide GP-Recken unterhalten das Publikum im Interview mit Rennfahrer-Anekdoten. „Eigentlich fahre ich nicht gerne alte, unzuverlässige Motorräder“, beichtet Kenny Roberts. Was er denn mag, will ein Journalist wissen: „Nun, moderne Motorräder, die zugleich agil und stabil sind.“
Wayne Raineys Gewinnermotorrad von 1991 ziert das Treffen. Auf dieser Yamaha YZR 500 (OWD3) holte der US-Boy seinen zweiten WM-Titel („Die WM-Titel haben ehrlich gesagt nicht wehgetan“). Aus Dankbarkeit für seine Leistungen schenkte Yamaha Rainey in einer außergewöhnlichen Aktion den Ex-Werksrenner.
Stolz enthüllt die Firma AVA Velocity Works ihr Debüt-Motorrad, eine 250er namens Swift (Segler). Ein stylisher Café Racer mit 17-PS-ohc-Single ist das, „inspiriert von kleinen GP-Rennmaschinen der 60er-Jahre“, wie AVA-Gründer und Designer Adrian Van Anz sagt. Einer der Trends 2013: „Big Trails“, große Reiseenduros mit 45-Grad-V2-Motoren von Harley-Davidson. Patriotische Stollentiere.
Die ausgefallensten Motorräder samt ihrer Besitzer lädt das Organisationskomitee zur Prämierung per Bühnenshow am Nachmittag ein. Dort jagt in diversen Klassen ein Kabinettstückchen das nächste: ein 1967er-Straßenrenner Harley-Davidson KR 750 TT etwa eine 1957er-BSA Gold Star Flattrack. Niedlich und nicht alltäglich: die kaum bekannte Capriolo Corsa 75. Sündhaft teure Preisträger: Vincent Black Shadow Serie C von 1951 und Brough Superior SS 80 von 1936 mit Watsonian-Seitenwagen. Den Innovationspreis holt Randy Grubb mit seiner Harley „Decoson“. Und im Kapitel „Best of Show“ wird Wayne Raineys YZR 500 geehrt. Kompliment und Gratulation – das gilt auch für diese besondere Veranstaltung.