Szene: Großrollertreffen im Ruhrgebiet

Szene Großrollertreffen im Ruhrgebiet

Sie haben alle einen Motorradführerschein, tragen Motorradkleidung und bezahlen Motorradpreise. Trotzdem sind die rund 1000 Teilnehmer (!) am Großrollertreffen in Marl absolute Überzeugungstäter, die gar nichts anderes wollen, als Roller zu fahren. MOTORRAD lauschte ihren Argumenten.

Großrollertreffen im Ruhrgebiet Schmieder

Es hat etwas von einem Kuriositäten-Kabinett, Deutschlands größtes Großrollertreffen. Willkommen in einer Welt, in der 55-Liter-Staufächer einfach nicht genug sind. Das zeigen Roller mit Topcase und Gepäckreling oben drauf, mit Seitenkoffern und Beiwagen. Selbst mit Anhänger. Rund 1000 Menschen aus 80 Rollerclubs sind an diesem Juni-Wochenende der Einladung des Forums "Halterner Großrollerfreunde" (www.hgfler.de) gefolgt, nach Marl, in den Kreis Recklinghausen. Dort, wo sich Ruhrgebiet und Münsterland durchdringen.

Rollerfahrer aus der gesamten Republik und bis zum fernen Ungarn begegnen sich beim bekannten Bikertreff Vogel. Im Schatten eines riesigen Chemiewerks und einer der wenigen verbliebenen Zechen des Ruhrpotts. Der jüngste Fahrer ist gerade mal 16, der älteste 82. Friedbert Nitsche aus Kerpen, Jahrgang 1927, kämpfte noch als junger Soldat 1945 beim Häuserkampf in Wien, fuhr in den Fünfzigern Lambretta. Er krabbelt fröhlich aus seinem Zelt. Der alte Hercules-Wahlspruch ("Auf zwei Rädern bleibt man jung") scheint auch für ihn und seinen Piaggio XEvo 400 zu gelten.

Bekommt man bei so vielen Rollern als Motorradfahrer Beklemmungen? Iwo. Auch hier wird Benzin geredet, werden Tipps und Erfahrungen ausgetauscht. Etwa, dass Heidenau aus Sachsen die haftfreudigsten Rollerreifen backt. Oder auf welchem Modell ein Zwei-Meter-Mann besonders gut seine "Haxen unterbringen" kann (Aprilia Atlantic 500). Warum Belgier und Holländer Xenon-Licht montieren dürfen, Deutsche aber nicht (ABE erlischt).

"Wir haben zwei Räder, Gas ist rechts und wenn's rutschig ist, wird's gefährlich": Treff-Organisatorin Ulrike Oldenburg (47) nennt als weitere Gemeinsamkeit der beiden Zweiradfraktionen den Spaß an der Freude. Nur dass Marke und Typ bei Rollerfahrern viel weniger zählen als unter Motorradfahrern. Sie selber hat einen Honda Helix 250, das Urbild aller Sofa-Roller.

"Uns ist egal, womit die Leute kommen", sagt sie. Weshalb dann ein Treffen für Roller ab 100 cm3? Ganz einfach: um die gemeinsamen Ausfahrten autobahntauglich zu machen. "Leute die 125er mit Auto-Führerschein bewegen, sind hier absolut vollwertige Teilnehmer." Jugendliche "Fuffi-Fahrer" bevorzugen dagegen mit ihren frisierten Zwieback-Sägen andere Arten von Treffen, mit Tuningshows und Sprintrennen.

Der Hauptunterschied zu Motorradtreffen? Mehr Leute im gesetzten Alter, weniger Party und Rockmusik, keine Strip-Show. Was die weit angereisten Polen zunächst nicht glauben wollen. Nun, sie haben ja hübsche Frauen dabei, sind im Durchschnitt gerade mal 30 bis 35 Jahre jung. "Bei uns ist ein großer Roller oft der erste Schritt in Richtung auf ein großes Motorrad", sagt Maciej.

In Deutschland dagegen scheinen eher ältere Fahrer trotz Motorradführerscheins echte Überzeugungstäter zu sein. Ihnen geht es um Bequemlichkeit (Kniewinkel in Fahrt variabel), einfache Bedienung (nicht schalten müssen), Wind- und Wetterschutz. Und um Stauraum.

"Bei uns wollen die Leute nur gemütlich quatschen", sagt Fritz. Und in der Regel auch so fahren. Tempo 80 bis 100 reiche aus, schneller führen viele Rollerfahrer nicht. "Wir müssen nicht auf den Rasten schleifend um die Ecken wetzen." Immer wieder erlebe er es, dass entgegenkommende Motorradfahrer die linke Hand zum Gruß erheben, dann zögern und schließlich schnell zurück ziehen. Oder ausschütteln. Weil es ja doch "nur" ein Roller sei. Solche Verwechslungen sind leicht möglich, so motorradartig wirken Vectrix, Malaguti & Co. von vorn. Sie können auch für eine FJR oder Pan European gehalten werden.

Immerhin, Rollerfahrer grüßen sich untereinander. "Abgesehen von vielen 125er-Fahrern, die sind es einfach nicht gewohnt" (Ulrike). Holger Klein aus Grevenbroich dreht mit seinem 400er-Burgman den Spieß um: "Ich grüße, wenn ich grüßen will, ganz bewusst." Jeden Tag fährt er 22 Kilometer zur Arbeit mit dem Roller, bei Wind und Wetter. "Mit dem Laptop unterm Sitz." So etwas machte die GS 400, die er vorher besaß, einfach nicht mit. Das Motorrad aber war ihm bei Touren in der kurvigen Eifel lieber. "Da konnte man einfach nur tack-tack ein, zwei Gänge runterschalten."

Das erlaubt auch der 650er-Suzuki Burgman, wie ihn Roman aus Braunschweig fährt. Der 39-Jährige erlebt eine Gemischt-ehe: "Ich bin mit einer Motorradfahrerin verheiratet, die Roller uncool findet." Roman fuhr früher Motorrad, eine Kawasaki ZX-10, gedrosselt auf 98 PS. Aber das war zu viel. "Die Freunde mit Transalp und Ducati Monster sind Kreise um mich gefahren." Einmal habe er eine Rechtskurve nicht mehr gekriegt. "Da hat es Klick in meinem Kopf gemacht, ich merkte plötzlich, ich sitze auf dem falschen Moped." Durch Zufall legte er sich einen Aprilia Leonardo 125 zu, mittlerweile hat er einen 650er-Burgman, durchzugs- wie alltagsstark. Und seine Frau eine Hornet 600. Wer flotter ist auf den Tagestouren im Harz? "Innerorts mit großem Abstand ich, außerorts mit kleinem Abstand sie."

Stefan Schüller aus Meerbusch ist einer der wenigen hier, die den umgekehrten Weg gingen, vom Roller aufs Motorrad. Ans Schalten gewöhne man sich schließlich... Seine "fahrende Eisdiele", eine 800er-Honda Pacific Coast hat halt keine Automatik.

Für Ansgar hingegen, einen "bekennenden Blümchen-Pflücker", käme kein Motorrad mehr in Frage. Nein, er bleibt beim Suzuki Burgman 650, hat ihn mit Heizgriffen, Navi, Sitzheizung und komplettem Wilbers-Fahrwerk zu 800 Euro aufgewertet. Die Gold Wing des kleinen Mannes. Ansgar und seine Dagmar hintendrauf fahren stets mit Gegensprechanlage. Der guten, von Baehr. "Ist doch schön", findet Dagmar, "sich bei 300 Kilometern am Tag unterwegs unterhalten zu können."

Echte Vielfahrer sind in Marl vertreten. So wie Jaap Schokker aus Holland, der in zweieinhalb Jahren 51000 Kilometer auf seinen Honda Silver Wing 600 gespult hat. Er nutzt ihn für komplette Einkäufe, bei denen er mal eben 50 Liter Getränke holt. Dazu mache der Roller auch Spaß, wenn man bloß 120 oder 130 führe. "Ein Motorrad aber zwingt dich, schnell zu fahren."

Auch Jörg, ein Aufsteiger vom 50er-Roller, nicht Umsteiger vom Motorrad, nutzt seinen Großroller als Zweitwagenersatz. Er fährt viele Touren, hat schon 21 Alpenpässe in 21 Tagen abgespult. Warum fährt er dann nicht gleich ein großes Touren-Motorrad? "Weil ich faul bin: Ich will nicht schalten." Da ist es wieder, das Thema Komfort in allen Spielarten: Wind- und Wetterschutz, Helmfach, Beine ausstrecken können und bequeme Bedienung. Vielleicht stimmt der Wahlspruch der Rollerfahrer ja doch: "Nichts ist toller als ein Roller."

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