Vor zwanzig Jahren: BMW baut den Windbrecher K1, die Japaner die ersten Alurahmenfahrwerke, und die Italiener versuchen, aus der langanhaltenden Krise zu fahren. Alle Italiener? Nein! Ein winziges kleines Fabrikchen im Hinterland des mondänen Adria-Badeorts Rimini trumpft auf. Bimota nennt sich die feine Adresse. Ihren Namen entwickelte sie aus den Anfangsbuchstaben ihrer Gründer Bianchi, Morri und Tamburini – genau – jenem Massimo Tamburini, der später die Ducati 916 und die MV Agusta F4 entwerfen sollte. 1988 hatte er Bimota bereits verlassen, und so sah das Erstlingswerk eines gewissen Federico Martini das Licht der Öffentlichkeit, die Bimota YB4 E.I..
Optisch war die YB4 ein Hammer. Noch nie war es einem Designer bis dahin gelungen, eine vollverkleidete Maschine so schlank, so kompakt und so klar zu gestalten. Martini genügten dazu zwei Kunststoffteile. Zum einen die Verkleidung, die den Motor vollkommen verdeckt und direkt am Rahmen befestigt ist, zum anderen das Monocoque, eine teilweise tragende Sitzbank-Tankhaube, die über Ansaugkasten, Tank und Zentralelektronik gestülpt wurde. Beide großflächigen Kunststoffteile waren aufwendig handlaminiert und noch aufwendiger lackiert. Ein Verfahren, das man an-sonsten nur noch bei der Honda RC 30 anwendete, war es doch für größere Serien schlicht viel zu teuer.
Spezialität und in seiner Bauart ziemlich einzigartig bis dahin war der Rahmen. Zwei mächtige Aluminium-Profile verbinden den Lenkkopf mit der Schwingenlagerung, deren Aufnahmen zwei hübsch aus dem Vollen gefräste Aluminiumkörper darstellen. Ganz außergewöhnlich gelang den Italienern die Dimensionierung dieser Bauteile. Noch nie gab es bis dahin einen solch raumgreifenden Fahrwerksentwurf. Dass dennoch die ganze Maschine enorm kompakt und zierlich geriet, zeugt von der großen Ingenieurskunst der Rimineser Edelschmiede in jener Zeit.
Als Antrieb diente der YB4 E.I. Yamahas modernster Motor: der Fünfventil-Vierzylinder aus der FZ 750, ein drehmomentstarker Sportmotor, der sein Großserienleben in einem schnöden Stahl-rahmen fristete. Bimota versteckte ihn zwar vollständig, fütterte ihn aber durch eine weitere Spezialität, eine Einspritzung. Mit einem ziemlich offenen Vier-in-eins-Auspuff und eigenem Luftfilterkasten zauberten die Italiener die Leistung von ursprünglich 100 auf 120 PS, zumindest stand das in den Papieren. Auf dem MOTORRAD-Prüfstand waren es höchstens 106 Pferde, die ihre Kraft dank nicht ganz optimaler Abstimmung zudem noch ziemlich unharmonisch und wild abgaben.
Gerade aus heutiger Sicht wirkt eine YB4 E.I. unendlich klein und zierlich. Und vor allem unendlich schlicht und edel. Unendlich hart gelang die Sitzgelegenheit: Gerade mal 20 Milimeter Moosgummi mussten dem Bimota-Treiber reichen. Für ein paar schnelle Runden auf der Rennstrecke kein Problem, nach zwanzig Kilometern Hoppelstrecke eine Folter. Also nichts wie auf die Rennstrecke damit! Bimota-Warmlaufenlassen ist Kunst. Mitten in der Gabelbrücke versteckt sich der Choke-Zugknopf. Ihn voll ziehen bedeutet schreiende und gleitlagermordende 6000/min. Ihn wieder etwas reinschieben spontanes Absterben. Irgendwann klappt es dann, und man darf dem heiseren Röhren des reichlich offenen Vierzylinders lauschen. Schon die ersten Meter auf der mit 220 Kilogramm nicht gerade leichten Maschine zaubern ein großes „Aha“ in die Windungen des Bikerhirns. So einfach kann ein Motorrad fahren, wenn es ausgewogen dimensioniert ist. Da passt eigentlich alles. Einlenken in Schräglage, Geradeauslaufstabilität, Handlichkeit, Rangieren, man versteht, warum Bimota einen solch legendären Ruf genoss. Die wirklich straffe Hinterradfederung sorgt allerdings für wenig Freude. Jede noch so kleine Bodenwelle wird direkt ans Fahrer-steißbein weitergeleitet. „Rückmeldung deutlich“ würde man heute dazu sagen. Oder besser Rückschlagung...
Tatsache ist, dass auch heute noch eine YB4 niemals aufsetzt. Selbst mit den besten Reifen gelingt das nur mit der ganzen Verkleidungsseite. Bodenfreiheit hatten ihr ihre Schöpfer wirklich genügend mitgegeben. Der Grund: Die Bimota war gleichzeitig das Homologationsmodell für die 1988 erstmals ausgetragene Superbike-Weltmeisterschaft. Jeweils 200 Einheiten mussten die Hersteller damals bauen, um in der Rennserie mitmischen zu dürfen, und das schenkte dem geneigten Supersportfan doch einige sensationelle Maschinen.Honda VFR 750 R, Yamaha FZR 750 R, Ducati 851 und Suzuki GSX-R 750 R kämpften mit der Bimota um die WM-Krone. Rennfahrer wie Fred Merkel, Raymond Roche, Marco Lucchinelli begründeten in der Superbike-Weltmeisterschaft ihren heute noch legendären Ruf. Und wer fuhr Bimota? Gleich das allererste Rennen in Donington Park gewann ein gewisser Davide Tardozzi. Den Herrn sieht man gerne mal im Fernsehen, ist er doch heute Teamchef des Ducati-Werksteams und sagt Noriyuki Haga wo es langgeht. Für das kleine Rimineser Werk war es natürlich ein unglaublicher Erfolg. Und die Bimota YB4 E.I. somit für jeden Sportfahrer eine wirkliche Option in dieser Zeit.
Zumal die Bimota eines wie keine andere Maschine verkörperte: Sie war ein wirklicher Production-Racer für die Straße. Die Rennmaschinen glichen der käuflichen Version wie ein Ei dem anderen. Scheinwerfer und Blinker weg, Motor natürlich leistungsgesteigert – und schon konnte es losgehen.
Tardozzi beendete die Saison als Dritter, ganz knapp vor seinem Teamkollegen Stephane Mertens, die YB4 E.I. wurde zweite in der Kontstruktions-Weltmeisterschaft gegen Honda, Yamaha und Co.
Wer heute eine solche Bimota besitzt, kann stolz sein. Nicht nur, weil sie einen ordentlichen Sammlerwert hat, sondern auch, weil sie die Ur-Idee Superbike wie keine Zweite verkörpert. Schon bald schob Bimota mit der YB6 und YB8 Versionen mit 1000er-Vierzylinder nach. Ein ganz heißes Eisen war beispielsweise die Tuatara, ein 1000er-Einspritzer in den Dimensionen der YB4 E.I.. Ein Konzept, mit dem heute alle großen Hersteller ihre Supersportler anbieten, selbst BMW. Bimota war seiner Zeit weit voraus.