Das Rennen der Zweizylinder: Guzzi, Laverda und Ducati im Vergleich
Moto Guzzi 750 S, Laverda 750 SF und Ducati 750 Sport punkteten Mitte der 1970er-Jahre mit charismatischen Zweizylindermotoren und spurstabilen Fahrwerken.
Es ist einfach blöd, den Markt alles regeln zu lassen. Wer das am Beispiel von Wassergeld oder Wohnungsmieten noch nicht begriffen hat, den mag der traurige Umstand überzeugen, dass gewisse italienische Motorräder heute viel zu selten sind. Dabei war vor 40 Jahren durchaus bekannt, wie gern bei Moto Guzzi, Laverda und Ducati getestet und getüftelt wurde und wie unbeliebt dort Nebensächliches wie Logistik, Verkauf und Ersatzteilversorgung war. Aber statt helfend einzugreifen, schaute man (die italienische Regierung, die EU, der Papst, der Motorradgott...) den Ingegneri untätig zu, während am anderen Ende der Welt gleich vier alles verschlingende Motorrad-Imperien entstanden. Die schmissen mit Vierzylindern nur so um sich, installierten an jeder Ecke einen Händler und lockten mit Niedrigpreisen.
Anders dagegen die Italiener, sie produzierten oft rote Zahlen und selten große Mengen. Weshalb ein Tag wie dieser zu den ganz erlesenen eines Motorradfahrerlebens zählt: Es ist fünf Uhr abends, eine Ducati 750 Sport , eine Laverda 750 SF und eine Moto Guzzi 750 S knistern während der letzten Rast eines erbaulichen Ganztagesausflugs vor sich hin, jeder dieser Klassiker durfte nicht nur bewegt, sondern auch gefordert werden. Zwar ist das Revier rund um Dorsten nicht unbedingt für seine Spitzkehren berühmt, aber normale Kurven - allemal schnelle - und heikle Straßenverhältnisse gibt es auch zwischen Niederrhein und Münsterland. Genug jedenfalls, um mit bestürzender Eindringlichkeit zu erfassen, wie viel stabiler und zielgenauer die Fahrwerke italienischer Motorräder waren. Hätte man wissen sollen, damals. Blöder Markt.
Laverda 750 SF
Die Laverda 750 SF definiert Sport eher auf die britische Art, aber mit einem solide gemachten ohc-Twin.
Aber genug der systemkritischen Gedanken, wir müssen eben damit leben, dass nur rund 1000 Moto Guzzi 750 S und keine 3000 Ducati 750 Sport gebaut wurden. Mit insgesamt über 10000 Einheiten kommt die Laverda 750 SF fast schon rüber wie ein Volumenmodell, was freilich auch am langen Produktionszeitraum liegt. Von 1970 bis 1975 lief sie als sportlicher Ableger der weniger populären Touring-Variante in Breganze vom Band, ihre Wurzeln reichen bis in die Mitte der 60er-Jahre zurück. Damals trieb den jungen Massimo Laverda eine Vision um die Welt: In den USA hatte er die Erfolge der Japaner bewundert, gerade auch mit großen Motorrädern. Und der Trend ging zu immer mehr Hubraum. Eine 650er, so sein Plan, sollte dem kleinen italienischen Familienbetrieb einen Teil vom Kuchen bescheren, bereits 1966 wurde in London präsentiert.
Das 305-cm³-Triebwerk der Honda CB 77 diente der Laverda 750 SF als Blaupause, das hat Laverda niemals bestritten; ein gegenläufiger ohc-Paralleltwin also. Die Laverda-Interpretation weist ein horizontal geteiltes Gehäuse auf, der Primärtrieb zum Fünfganggetriebe erfolgt über eine Triplexkette, vor dem Kurbelgehäuse sitzt eine per Keilriemen angetriebene Lichtmaschine, hinter der Zylinderbank ein elektrischer Anlasser. Das Triebwerk hängt mittragend in einem Brückenrahmen aus Stahlrohr, was ihm zu erhöhter Position verhilft und den Schwerpunkt spürbar nach oben treibt. Das ganze Motorrad wirkt sehr gediegen und profitiert von der bekannt hohen Handwerkskunst und der großen Fertigungstiefe des Hauses.
Massimo Laverda galt als umtriebiger Geist, ständig sann der im Oktober 2005 verstorbene Enthusiast auf Verbesserung seiner geliebten Motorräder. So musste sich die 650er schon vor Beginn ihrer Karriere einer radikalen Operation unterziehen, die ihren Motor vom Gegen- zum Gleichläufer machte. Damit entspricht seine Charakteristik jener der großen Briten-Twins, dank seiner steifen und gleich fünffach gelagerten Kurbelwelle übertrumpft er die Alteisen von der Insel allerdings in Haltbarkeit und Schwingungsverhalten deutlich.
Hleichzeitig erkannte Laverda, dass Hubraum zum wichtigsten Verkaufsargument wurde und brachte eine 750er-Version ins Laufen. Beide gingen 1968 parallel in Produktion, ab 1969 gab‘s nur noch die 750er, mit einer sportlichen 750 S zur Seite. Aus dieser wiederum leitete Laverda ein Jahr später die erste SF ab, die Super Freni. Mit Superbremse also, und die hat Firmenpatron Francesco beigesteuert. Obwohl Massimos Vater sich gegen den Bau eines derart großen Motorrads ausgesprochen hatte, konnte er wohl nicht länger mit ansehen, wie Lieferschwierigkeiten den - vor allem auch in den USA - überraschenden Erfolg des Twins immer wieder behinderten. Also ersetzte seine Super Freni den bisherigen Grimeca-Stopper. Ihren Namen behielt die SF auch, als sie 1973 endlich von Trommel- auf Brembo-Scheibenbremsen umgerüstet wurde.
Die Bremsanlage überzeugt noch immer mit guter Dosierbarkeit und beruhigender Verzögerung, ist unauffälliger Teil eines insgesamt sehr überzeugenden und punktuell sensationellen Auftritts. Der fängt mit dem zuverlässigen Kaltstart an. Per Knopfdruck - einen Kickstarter trägt die 750er nicht. Nachträglich montierte offene Lufttrichter lassen schon erwarten, dass die SF böser klingt, als sie aussieht. Aber dann das, diese lupenreine Gleichläufer-Melodie, so selbstverständlich brutal vorgetragen, dass einem fast Angst wird. Englische Crosser mit Triumph-Twin lassen grüßen, aber wo diese oben raus giftig bellen, da tönt die Laverda höchstens eine Spur heller. Unwiderstehlich, durch nichts zu erschüttern. Schon deutlich unter 2000/min geht der von 36er-Dellortos gefütterte Motor sauber ans Gas, kurz darüber legt er richtig zu. Wer über 5500/min dreht, gewinnt wenig Zeit, verschenkt viel Klangfülle und erntet dann doch deutliche Kribbelei in Lenkerenden und Fußrasten. Das knackig-präzise Getriebe assistiert bestens, aber wer mag, kann auf der Landstraße fast alles in den beiden letzten Gängen erledigen.
Jedenfalls rund um Dorsten. Dort fallen auch die vielen Pfunde der SF weniger auf, welche sich zwar offensichtlich in hoher Solidität auszahlen, das Handling - namentlich beim Umlegen in Wechselkurven - jedoch beeinträchtigen. Die Verantwortlichen müssen davon gewusst haben, warum sonst trägt ihr sportliches Modell einen derart breiten Serienlenker? Aber natürlich schockt auch die Laverda nur während der Gewöhnungsphase, irgendwann wird einfach so heftig gedrückt, bis die Richtung stimmt. Immer im Vertrauen auf das brettharte, aber spurstabile und verwindungsfreie Fahrwerk sowie die Haftfähigkeit heutiger Reifen.
Moto Guzzi 750 S
Von der Gabel bis zum Kardan wirkt alles sehr robust und Vertrauen einflößend. Auch so was kann schnell machen.
Noch harmonischer verläuft die Kontaktaufnahme mit der Moto Guzzi 750 S. Wie von selbst fallen die Hände auf die beiden Hälften des verstellbaren Schwanenhalslenkers, auch die unteren Extremitäten werden nicht übertrieben sportlich untergebracht. Den Kipp-Choke umgelegt, aufs Knöpfchen gedrückt - schon hämmert der längs verbaute V2 los. Dieser hier hat über 80000 Kilometer auf der Uhr und wurde gerade wieder komplett frisch gemacht. Für die nächsten 80000, das verströmt die Sport mit jeder Lebensäußerung. Ohne übertriebene Eile rackert sie sich durchs Drehzahlband, ist deutlich länger übersetzt als die Laverda, legt dafür aber auch oberhalb von 5500 Touren noch gewinnbringend zu. Und zack, schon schrammt man den illegalen Bereich - sonore Klangkulisse und souveräne Straßenlage lassen Zeit, Raum und Tempo vergessen.
Was bloß hat Firmenlenker Alessandro de Tomaso damals geritten, als er dieses herrliche Motorrad beinahe zum Aussterben verurteilte? Innerhalb seines Motorradimperiums flossen die meisten Entwicklungsgelder zu Benelli, wo gerade die 750er-Sei und deren vierzylindrige Schwestermodelle ins Laufen kamen. Am Comer See dagegen biss Lino Tonti ins Zeichenbrett, statt seine V7 Sport weiterentwickeln zu dürfen. Dann endlich kam die Genehmigung. Aber halbherzig: Nicht der bereits fertige 850er durfte im unverändert von der V7 Sport übernommenen Rahmen einziehen, nein, es sollte weiterhin beim 750er bleiben. Resteverwertung? Teilnahmslosigkeit? Man weiß nicht, was de Tomaso zu diesen Vorgaben für die Moto Guzzi 750 S bewogen hat. Tonti jedenfalls war sicher, dass sein Chef sportliche Guzzis nicht leiden konnte.
Auf der anderen Seite muss man auch den Firmenlenker verstehen: Stoßstangengesteuerten Zweizylindern schien damals definitiv keine sportliche Zukunft mehr zu winken, das zeigte auch der Sport mit Serienmotorrädern. Die erstaunlichen, aber kaum weltbewegenden Pistenerfolge der V7 Sport lagen schon einige Jahre zurück und ließen sich nicht länger vermarkten, fast alle Kunden orientierten sich bei der Kaufentscheidung an den Leistungen japanischer Vierzylinder. Die Zeit war einfach noch nicht reif für bewussten PS-Verzicht zugunsten kultivierter Landstraßenfreuden. Viel eher konnten derart simple, aber wartungsfreundliche Konstruktionen als Reisebegleiter punkten, und tatsächlich dürfen die ab 1974 verkauften T3 und T3 California im Guzzi-Maßstab als Erfolgsmodelle gelten.
Nur 700 Kunden ließen sich 1974, im ersten Verkaufsjahr, von einer Moto Guzzi 750 S beglücken, die meisten in den traditionellen europäischen Abnahmeländern Italien, Holland, Deutschland und Großbritannien. Die Amis zögerten, wollten lieber weiter die V7 Sport haben, weshalb schließlich die dorthin exportierten S umbenannt wurden. Das war kein wirklicher Etikettenschwindel, denn bis auf ein verbessertes Getriebe und ein paar andere lebensverlängernde Maßnahmen entsprachen sich die beiden Motorräder technisch. Sogar die doppelte Scheibenbremse hatte es bei einigen späten V7 Sport schon gegeben. Dann noch geänderte Instrumentenkonsolen dran, schwarzen Lack auf die beiden Silentium-Endtöpfe und ein paar stilbildende Eigenheiten verteilt. Erstens nämlich eine Sitzbank für 1,5 Personen; folgerichtig hat die S Soziusrasten. Außerdem die beiden markanten Farbstreifen in Rot, Grün oder Orange auf den grundsätzlich schwarzen Tank sowie die Seitendeckel lackiert.
Wieder mal hatten italienische Designer mit leichter Hand klassische Formen geschaffen, begünstigt freilich durch die Fokussierung von de Tomaso auf Benelli. Dort setzte er mit aller Macht auf Ecken und Kanten, große Guzzi dagegen durften bis zur Le Mans völlig rund bleiben und wurden später von Moto Guzzi selbst gern als Stilvorlagen verwendet: die V7 Sport bei einigen V11 der 90er-Jahre, die T3 California bei der aktuellen Cali und die 750 S bei der 1990 vom deutschen Importeur in Auftrag gegebenen 1000 S. Doch Formen allein machen noch keinen Klassiker. Die sportlichen Guzzi stehen vielmehr für einen ehrlichen und wackeren Sportsgeist, geprägt vom robusten Motor und einem Fahrwerk, das zu den allerbesten der damaligen Zeit gehörte. Es fällt nicht von allein in Schräglage, aber es braucht nur leichte Hilfen, um sehr berechenbar und weich einzulenken und dann unbeirrbar Kurs zu halten. Die Guzzi-eigene Kartuschengabel funktioniert ordentlich, vor allem steckt sie auch auf schlechtem Belag einiges weg, ohne gleich zu trampeln oder gar zu versetzen. Hinten steht nur ein recht kurzer Federweg zur Verfügung, aber die Federbeine machen das Beste draus; eine ebenfalls Kardan-bestückte BMW ist zwar deutlich komfortabler, aber die mitreisende Ketten-Laverda deutlich härter.
Die Twins von Laverda und BMW dienen auch als Vergleich, wenn es um die Qualitäten des 750er-Guzzi-Motors geht. Eine gute BMW R 75/7, von einer 60 PS starken R 100 ganz zu schweigen, kann auf normalen Landstraßen locker mithalten, auch die nur nominell 60 PS starke Laverda 750 SF hat keine Not. Wo satter Durchzug zählt, muss die Moto Guzzi 750 S nämlich klein beigeben. Zwar kommt sie mit einer Geräuschentwicklung, die von Rappeln und Schlürfen bis Bollern reicht, noch ganz gut aus den Puschen, verlässt aber in höheren Gängen nur zäh die Drehzahlmitte. Erst deutlich oberhalb von 5000/min erwacht im Vierten oder Fünften ihr Sportsgeist wieder, sie will also aufmerksam mit dem richtigen Gang bedient werden. Noch anlässlich des Tests der 750 S3, des Nachfolgemodells also mit demselben Motor bemerkte MOTORRAD in Heft 5/1976, dass die Drehmomententwicklung gegenüber der V7 Sport deutlich gelitten habe. Aufgrund schärferer Lärmgesetze habe Guzzi einen Hänger zwischen 3500 und 4500/min akzeptieren müssen, um am Ende ungefähr 62 PS bei 6900 Touren zu erzielen. Die Erklärung scheint plausibel, auf jeden Fall müssen diese 62 Cavalli allesamt angaloppiert sein, als die S3 auf dem Hockenheimring mit 205,7 km/h durch die Lichtschranke donnerte.
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Ducati 750 Sport
Die Seitendeckel des Motors sowie die Gehäuse von Königswellen und Kegelrädern schimmern bei der Sport in mattem Schwarz.
Weniger Kompromisse als der Kollege vom Comer See musste Fabio Taglioni eingehen, als er seine Vorstellungen von einem sportlichen Zweizylinder in Form der Ducati 750 Sport umsetzen durfte. Erstens galten die strengeren Grenzwerte Anfang der 70er-Jahre noch nicht, zweitens gehen die Phon-Messgeräte in Bologna wohl bis heute anders als überall sonst auf der Welt. Jedenfalls entströmt den Conti-Tüten schon im Leerlauf ein ungeniert tiefes Bollern, während sich die 4,5 Liter Öl langsam warm machen, um alsbald bis hinein ins Dachgeschoss dieser heiligen Konstruktion Reibungen zu minimieren.
Praktisch parallel zu den Rennern, mit denen Paul Smart und Bruno Spaggiari 1972 einen ebenso überraschenden wie überlegenen Doppelsieg bei den 200 Meilen von Imola hinlegten, entstand die S als Ableger der touristischen GT. Wie jene besitzt sie keine Desmodromik - die von Taglioni so geliebte Zwangssteuerung der Ventile war ihm für die Serie zunächst aus Kostengründen verweigert worden. Smart und die anderen hatten sie natürlich, mit der 750 SS - zunächst nur als Kleinstserie in Erinnerung an den Imola-Triumph geplant - zog sie denn ja auch in die Serie der Zweizylinder ein.
Doch zurück zur Ducati 750 Sport. Ducati war sich vor gut 40 Jahren des eigenen sportlichen Rufs nicht wirklich sicher. Das mag heute verwundern, aber wer auf die damalige Modellpalette und die sportlichen Aktivitäten schaut, findet durchaus eine Erklärung: Mit hübschen und tapferen Einzylindern kämpfte man gegen die Japaner an, der große Straßenrennsport fand ohne Ducati statt. Folglich führte man den neuen Zweizylinder mit der Touringvariante ein, um gleich ins international wichtigste Segment vorzudringen. Doch die GT weckte mit ihrem kräftigen Motor und vor allem dem handlichen, stabilen Fahrwerk bei sportlichen Fahrern Begehrlichkeiten, die damals kein anderes Motorrad erfüllen konnte. Die Jungs warteten auf die S, die tapferen Händler erst recht.
Natürlich hätte es dem Anspruch Taglionis niemals entsprochen, einfach Lenkerstummel anzuklemmen und S auf den Tank zu malen. Nein, mal abgesehen von schmalem Tank und schlanker Höckersitzbank ließ er kürzere und leichtere Kolben verbauen, die Pleuel polieren und die Kurbelwelle erleichtern. Die Verdichtung stieg von 8,5 auf 9,2 zu eins, die Airbox entfiel und die Vergaser wuchsen - statt 30er-Amal kamen 32er-Dellortos dran. Damit stieg die Leistung um fünf auf 60 PS, und wieder mag die MOTORRAD-Messung als Beleg herhalten: Mit ihrer im Vergleich zur Guzzi deutlich kürzeren Gesamtübersetzung zischte die 750 S mit 187,5 km/h durch die Lichtschranke, was für höchstens 60 PS spricht.
Aber auch egal ist, allemal heute. Denn heute war nichts als Landstraße, und dort überzeugt das leichteste Motorrad des Italo-Terzetts mit dem kräftigsten Durchzug. Ganz frisch aufgebaut ist sie, beim Spezialisten Italomotos aus - na klar - Dorsten-Wulfen. Mechaniker Michael Scheidner durfte bis eben die Früchte seiner Arbeit genießen und sieht verdammt zufrieden aus. Jetzt muss er Platz machen. Weit hinten und ziemlich hoch - die zurückverlegten Rasten liegen irgendwo dort, wo bei der Guzzi die Soziusfüße ruhen. Auch der Oberkörper muss etwas mehr gebeugt werden, damit die Hände an die Lenkerhälften kommen. Erster Gang - rechter Fuß nach oben. Das dritte Schaltschema an diesem Tag. Also dann: Die Kupplung geht viel leichter als bei der Laverda, rückt sogar noch sanfter ein als bei der Guzzi. Brav, sehr brav sogar geht der V-Twin ans Gas. Schon die ersten Meter machen klar, wie viel leichter die Duc ist als ihre beiden Begleiterinnen und wie geschickt sie ihre wenigen Pfunde verteilt hat. Während die Laverda gewuchtet werden möchte und die Moto Guzzi gesteuert, kann die 750 S Gedanken lesen, so leicht fällt sie in Schräglage.
Leichte Motorräder wirken schnell kippelig, allemal wenn sie nur einen schmalen Lenker tragen. Nicht so die Ducati, die in wenigen Kurven Vertrauen aufbaut. Unabhängig von Bodenwellen oder Asphaltaufbrüchen folgt sie der gewählten Linie, reagiert dennoch spontan auf Korrekturen, lässt sich locker in Kurven hineinbremsen, richtet sich beim Gasanlegen rasch, aber nicht überhastet wieder auf. Und ist handlich, so handlich wie nach ihr wohl nie wieder eine sportliche Duc. Und das, obwohl die Gabel des Fotomodells die Radachse zentral aufnimmt und nicht, wie bei der S üblich, in vor den Holmen gelegenen Aufnahmen. Trotz des daraus resultierenden längeren Nachlaufs geraten selbst enge Wechselkurven zum Kinderspiel. Es dauert ein paar Kilometer, um diese überzeugende Vorstellung angemessen zu würdigen.
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Fahreigenschaften der drei Zweizylinder
Früher endeten Ausflüge mit diesen Italo-Sportlern meist am Nürburgring. Heute darf‘s auch mal ein Schlösschen sein.
Dann kommt man zum Eigentlichen.
Zum Motor. Zur Königswelle. Das ist mechanische Poesie, so herrlich sinnlos und so herrlich schön. Neun seiner heiß geliebten Kegelräder musste der Dottore Taglioni verbauen, bis er die beiden obenliegenden Nockenwellen mittels Zwischenwelle und je einer Königswelle in Schwung gebracht hatte. Das mahlt und surrt höchst befremdlich, das könnte Unerfahrene glatt beunruhigen, aber momentan fährt der kundige Mechaniker ja hinterher. Auf der Guzzi nämlich und macht Druck. Nicht mehr lange, denn vor allem im mittleren Drehzahlbereich ist die Duc deutlich überlegen. So oft kann der Guzzi-Pilot gar nicht runterschalten, um dranzubleiben, wenn der Ducatista nur mal eben den Hahn aufreißt. Der Motor giert dann deutlich hörbar und - sagen wir es ruhig so - fast unflätig nach Luft, gibt sehr direkt Mehrleistung ab, schiebt vibrationslos an und hoch. Der beinahe noch jungfräuliche Zustand des Neuaufbaus verbietet Drehzahlorgien, aber auch bis gut 6000/min liefert dieser 40 Jahre alte Twin eine mehr als beeindruckende Vorstellung ab.
Auf dem letzten Teilstück zurück gehen die Kurven endgültig aus. Man kann am Gas spielen und phantastische Töne erzeugen. Man kann auch nachdenken: Es hat damals sowohl von der GT wie von der Sport begeisternde Tests in MOTORRAD gegeben. Auch 750 S und 750 SF kamen sehr gut weg, und aus der historischen Distanz wissen wir, dass die Kollegen recht hatten. Manches Detail wurde kritisiert. Schalter oder Kontrollleuchten, Lichtausbeute oder Lenkerkröpfung. Das Große und Ganze aber überzeugte, alle drei Italo-Sportler zählen zu den besten ihrer Zeit. Einer Zeit, in der die japanischen Fahrwerksbauer noch in die Lehre gingen und Nippons Motorenkonstrukteure sich nicht trauten, das ganze Potenzial ihrer Mehrzylinder zu entfachen.
Hinter der Italomotos-Werkstatt kühlen drei Motorräder aus. Ikonen der frühen 70er-Jahre, weil sie als italienische Davids gegen japanische Goliaths ihre historisch einmalige Chance genutzt und bewiesen haben, wie blöd der Markt manchmal ist. Das Bessere ist des Guten Feind? Von wegen! Alles Geschwafel. Genau das macht diese Motorräder so wertvoll: Es ist leicht und billig, sich immer auf die Seite Davids zu stellen, aber hier gibt es mal drei wahrlich gute Gründe. Laverda 750 SF, Ducati 750 Sport und Moto Guzzi 750 S markieren zum letzten Mal die Überlegenheit italienischen Fahrwerksbaus, nie wieder hat es ein Trio vom Apennin so weit nach vorn gebracht. Was hätte man aus diesem Vorsprung alles machen können? Musste Laverda eingehen? Warum gibt es keine echten Guzzi-Sportler mehr? Michael Nitzsche, der Besitzer von Italomotos, schiebt eine Maschine nach der anderen in seine Halle. Der Mechanikermeister hat sich diese Fragen schon hundertmal gestellt. Seine Antwort macht Mut, und sie verhöhnt den Markt: Jeder findet, was er sucht. Der Mann handelt mit italienischen Klassikern, er muss es wissen. Die Duc kostet etwas mehr und geht bald nach Italien, die Laverda wandert für schlankes Geld ins Umland, die Guzzi wäre noch zu haben.
Technische Daten
Das Triebwerk ist die schiere mechanische Poesie - genial.
Laverda 750 SF | Moto Guzzi 750 S | Ducati 750 Sport | Motor | Luftgekühlter Zweizylinder-Reihenmotor, eine obenliegende Nockenwelle, je zwei Ventile, über Kipphebel betätigt | Luftgekühlter Zweizylinder-90-Grad-V-Motor, eine untenliegende Nockenwelle, je zwei Ventile, über Stoßstangen und Kipphebel betätigt | Luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt- 90-Grad-V-Motor, je eine obenliegende Nockenwelle, je zwei Ventile, über Kipphebel betätigt |
Bohrung x Hub | 80,0 x 74,0 mm | 82,5 x 70,0 mm | 80,0 x 74,4 mm | Hubraum | 744 cm3 | 748 cm3 | 748 cm3 |
Leistung | zirka 44 kW (60 PS) bei 7000/min | zirka 46 kW (62 PS) bei 6900/min | zirka 44 kW (60 PS) bei 7500/min | Drehmoment | 61 Nm bei 6500/min | 55 Nm bei 5500/min | 65 Nm bei 5500/min |
Kraftübertragung | Primärantrieb über Triplexkette, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kette | Primärantrieb über Zahnräder, Zweischeiben-Trockenkupplung, Fünfganggetriebe, Kardan | Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kette | Fahrwerk | Rückgratrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Ø 38 mm, Zweiarmschwinge, Drahtspeichenräder mit Leichtmetallfelgen, Reifen 3.50 H 18 vorn, 4.00 H 18 hinten, Scheibenbremse vorn, Ø 280 mm, Trommelbremse hinten, Ø 200 mm | Doppelschleifenrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Ø 35 mm, Zweiarmschwinge, Drahtspeichenräder mit Leichtmetallfelgen, Reifen 3.25 H 18 vorn, 3.50 H 18 hinten, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Scheibe hinten, Ø 240 mm | Rückgratrahmen aus Stahlrohr, Telegabel, Ø 38 mm, Zweiarmschwinge, Drahtspeichenräder mit Leichtmetallfelgen, Reifen 3.25 H 19 vorn, 3.50 H 18 hinten, Scheibenbremse vorn, Ø 260 mm, Trommelbremse hinten, Ø 210 mm |
Gewicht vollgetankt | 236 kg | 240 kg | 200 kg | Höchstgeschwindigkeit | zirka 180 km/h | zirka 200 km/h | 188 km/h |
Bauzeit | 1970-1975 | 1974-1975 | 1972-1975 |
Meinungen
Michael Nitzsche (links) betreibt in Dorsten-Wulfen ein Motorradgeschäft (www.italomotos.de), in dem er sich seit Jahren auch italienischen Klassikern und Youngtimern widmet.
Michael Nitzsche
Manchmal glaube ich, schon als Guzzi-Fan auf die Welt gekommen zu sein. Doch dann schleicht sich ab und zu eine dieser schönen Laverdas in meinen Laden und erwartet sehnsüchtig, von mir gefahren zu werden. Das Fahrerlebnis auf diesem Gleichläufer ist einfach klasse. Eher zum Genießen als zum Sporteln, aber die SF ist bestimmt keine Schlaftablette, sie gefällt mir rundum. Zu spät, schon verkauft. Immerhin wieder zu kriegen, und das beruhigt mich bei der Italo-Szene: Wer sich nicht auf eine Ducati 750 SS oder eine MV Agusta 750 S festlegt, der kommt ohne lange Wartezeit zum Zug. Und gute Mechaniker kriegen längst alle Macken in den Griff, an denen die Kunden vor 40 Jahren zugegebenermaßen oft verzweifelten.
Fred Siemer
Ich komm nicht vom Land, liebe es aber trotzdem reell. Da passt die Guzzi natürlich perfekt. Das solide Triebwerk, die menschenfreundlichen Dimensionen, der herrliche, aber nicht aggressive Klang... Ich könnte ewig weitere persönliche Pluspunkte aufzählen. Muss aber jetzt ein Manko benennen. Etwas mehr Druck hatte ich von der 750er erwartet, und genau deshalb konnten mich auch Ducati und Laverda in ihren Bann ziehen. Die SF mit ihrer fröhlichen Trecker-Charakteristik, die Sport wegen ihres leichtfüßigen Antritts. Und dann ist da noch diese Ausstrahlung: Ich hätte nie geglaubt, wie mächtig der Königswellen-Mythos auf so einer alten V2-Duc wirkt. Bloß nichts falsch machen, sonst schimpft Dottore Taglioni.
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