Zonkos Attacke auf der Triumph Thruxton R

Zonkos Attacke auf der Triumph Thruxton R
Lord Lorbeer

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Zuletzt aktualisiert am 10.05.2016

Ich weiß es nicht genau. Aber ich denke schon, dass Motorräder eine Seele haben. Man darf sie nicht beleidigen oder gar schrotten. Das nehmen sie persönlich. Habe ich schon oft erlebt. Motorräder sind definitiv empfindsame Wesen. Insofern habe ich jetzt echte Schwierigkeiten der alten Thruxton 900 zu erklären, wie ihre Nachfolgerin, die Triumph Thruxton R, so ist. Die ungeschminkte Wahrheit nüchtern vorgetragen könnte bei der 900er eine resignative Trotzreaktion auslösen.

Die zutiefst gekränkte Maschine könnte sich in einen Motorschaden stürzen oder vor Zorn explodieren und ihre Pleuel durch die Garage schleudern. Das will niemand. Aber Fakt ist: Die neue Triumph Thruxton R fährt über die alte fürchterlich drüber. So was ist selten. Normalerweise ist die Nachfolgerin in einigen Details besser, hat etwas mehr Leistung, ein leicht schärferes Handling und dergleichen, aber dass sie gleich mindestens zwei Klassen besser ist – für die 900er ein harter Schlag!

Vergleich ist brutal

Der neue 1200er-Twin der Triumph Thruxton R stampft den alten 900er brutal ein. Legt man die Prüfstandsdaten übereinander, wird offensichtlich, dass der neue von unten bis oben viel besser marschiert, obwohl er weniger hoch dreht. 95 PS bei 6800/min (900er: 70 PS bei 8000/min) und 107 Nm bei 5200/min (71 Nm bei 6400/min) sind jetzt sehr würdige Werte, die den Begriff „sportliche Retro-Maschine“ nicht mehr ad absurdum führen. Und dazu kommen technische Goodies der Jetzt-Zeit wie Ride-by-Wire, drei Fahrmodi, Traktionskontrolle und ein würdiges ABS. Alles tadellos und schon im ersten Ansatz beeindruckend gut erwischt. Bewundernswert.

Ich bin schon drei neue Triumph gefahren (Speed Triple R, Street Twin, Thruxton R) und habe den Eindruck, der britische Hersteller hat einen Lauf, wie man so sagt. A priori bin ich nicht davon ausgegangen, dass der Umstieg auf den elektronischen Gasgriff und die entsprechende Motorsteuerung dermaßen brillant gelingen wird. Aber de facto hängen die drei getesteten neuen Triumph-Triebwerke klasse am Gas und haben ein sehr gutes Ansprechverhalten. Da darf man gratulieren und anerkennend den Helm ziehen. Für die vorige Generation ist es halt weniger lustig. Besonders im Fall der Thruxton. Die neue ist viel fescher, viel stärker und auch im Handling weit vorne. Lediglich beim Gewicht hat sich nicht viel getan: Auf der PS-Waage wurden 222 Kilo für die neue Triumph Thruxton R mit vollem Tank angezeigt. Einigen wir uns hier auf „gerade noch sportlich“.

Die Kilos sitzen richtig

Superleicht ist die Triumph Thruxton R also nicht, aber sie schaut nicht nur schlank aus, sondern fühlt sich auch so an. Vor allem beim Fahren. Insofern darf man ganz salopp sagen, dass die Kilos an den richtigen Stellen sitzen. Das Gefühl der Leichtigkeit, das beim Kurvenräubern entsteht, beruht zu einem großen Teil aber vor allem auf der neuen Geometrie und der 17-Zoll-Felge vorne.

Mit einem relativ kompakten Radstand von 1415 Millimetern und einem steilen Lenkkopfwinkel von 67,2 Grad (nur 92 Millimeter Nachlauf!) ist die Triumph Thruxton R auf der agilen Seite. Entscheidend ist auch das Bekenntnis zu 17 Zoll. Keine Frage, die echten Klassiker sind auf 18 Zoll vorne unterwegs gewesen, aber die damit einhergehende Sturheit im Einlenken hat mich schon immer gestört.

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Und wie ich jetzt mit der neuen Triumph Thruxton R und dem 120/70-17er-Diablo Rosso Corsa durch die Radien des Wienerwalds rabaukte, frohlockte ich: „Genau so muss es sein! 17 Zoll!“ Es war fantastisch. Das Eisen schaut zwar aus wie ein Fossil aus den wilden 60er- Jahren, aber es fährt sich wie ein topmoderner Straßensportler, der hungrig nach Lorbeerkränzen und Pokalen ist. Wobei es – ich komme noch darauf zurück – gegen eine Speed Triple R und andere Power-Nakeds noch immer nichts zu gewinnen gibt.

Also ein gedankenversunkener, schwermütiger Rodler, der mit den Tränen kämpft, weil ihn die Holde verlassen hat, obwohl er ihr einen teuren Arai-Helm geschenkt hat, wird gegen einen motivierten Glückspilz auf einer Triumph Thruxton R auch dann keine Chance haben, wenn er auf einer Tuono sitzt. Aber unter normalen Umständen kann die neue Retro-Triumph in der harten Liga natürlich nicht vollstrecken. Dass die alte Thruxton jetzt so geknickt ist, liegt nicht nur am übermächtigen neuen Twin und an der herbrenntauglichen Geometrie, sondern auch an den edlen Komponenten der R-Version: Big Piston-Showa-Gabel, Öhlins-Federbeine, alles voll einstellbar, und radial aufgenommene Brembo-Zangen auf 310er-Doppelscheiben vorne. Das sind erlesene Goodies, die selbst der Laie erkennt. Passen perfekt ins Bild.

Optik umarmt Klasse – endlich!

Ich habe mich immer gefragt, warum die Hersteller bei Retro-Maschinen und Café Racern minderwertige Komponenten verbauen und so den Fahrspaß und das sportliche Potenzial schmälern. BMW hat dann mit der R nineT richtig Ernst gemacht und die neue Richtung vorgegeben. Auch Ducati hat bei der Scrambler nicht auf ein gescheites Fahrwerk verzichtet, und jetzt hat Triumph die Steilvorlage treffsicher verwandelt. Alle Menschen, die gerne ein klassisch anmutendes Motorrad haben wollen, aber gleichzeitig nicht auf sportliche Performance verzichten können, werden die Triumph Thruxton R lieben.

Dass der Eindruck von mörder Schmalz entsteht, obwohl man de facto „nur“ mit 95 PS unterwegs ist, dürfte daran liegen, dass sich die Leistung nicht viel Zeit nimmt, um sich voll zu entfalten. Reihenvierer und sportliche V2-Motoren wachen bei 6000/min erst richtig auf, wo der Twin der Triumph Thruxton R bereits voll austeilt. Dass er sich dann bei 7300 Touren schon in den Begrenzer stürzt, ist im Sinne des Sports zwar irgendwie eigenartig (erinnert eher an Chopper), doch andererseits ist das nutzbare Drehzahlband angenehm breit, da der Motor schon ab 2000/min ordentlich im Saft steht und bereitwillig Drehmoment und Leistung serviert.

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Diese Charakteristik passt perfekt zum Erscheinungsbild der Triumph Thruxton R. Wie auch das dumpfe Bollern aus den wohlgeformten Auspufftöpfen. In Zeiten von Euro 4 ist das selbstverständlich kein Sound, der die Mittagsschläfer von der Couch reißt, aber im Sattel hört sich das wirklich voll und gut an.

Auch dem weichen und doch kernigen Motorlauf sowie der Gasannahme kann ich nur huldigen. Selbst das Getriebe der Triumph Thruxton R, das nicht immer die Stärke von Triumph war, lässt sich präzise und fast nicht mehr knorrig bedienen, die leichtgängige Kupplung ist Weltklasse.

Rabauking in the Wienerwald

Ich brauchte nicht lange, um es richtig krachen zu lassen. Erst hatte ich befürchtet, dass mich der lange Tank der Triumph Thruxton R etwas „aufspannen“ würde und die tiefen Lenkerstummel unbequem sein könnten, aber Fehlanzeige: Die Sitzposition passt für einen 178er wie mich ausgezeichnet. Schon ein sportlicher Kniewinkel mit der Möglichkeit, Druck auf die Rasten zu geben, und schon eine klare Vorderrad-Orientiertheit, aber keinesfalls extrem. Die Stummel, die mit Gabelklammern sportlich, aber nicht supersportlich positioniert sind, lagen perfekt in den Händen. Ich warf einen letzten bewundernden Blick auf die glänzend polierte Gabelbrücke, legte den Einser ein und bollerte in die Welt.

Die ersten Kilometer durch die Stadt machten deutlich, dass die Triumph Thruxton R trotz ihres nicht unerheblichen Gewichts wieselflink und watscheneinfach zu bewegen ist. Ich fasste sofort Vertrauen. Und obwohl von 3000 bis 6500/min immer mindestens 100 Nm auf den Hinterreifen zugreifen, hatte ich nie das Gefühl, dass der schlanke 160er in Schräglage eine ausgeprägte Lust auf Wanderschaft verspüren würde. Viel Zuversicht, tolles Handling, satter Grip.

Triumph Thruxton R flink im Handling

Natürlich habe ich da die Linkskurve vor der Busstation auf dem Knie genommen. Man muss jene Kinder besonders belohnen, die ihre Aufmerksamkeit nicht dem irren Mikrokosmos im Smartphone opfern, sondern der gegenständlichen Welt. Den Bub mit den weit aufgerissenen Augen habe ich dann mit erhobener Kupplungshand gegrüßt. Schaute locker lässig aus,
und war eine leichte Übung.

Denn die Triumph Thruxton R ist zwar flink im Handling, aber keinesfalls zickig oder nervös, sondern mörder gutmütig. Selbst der Waldi dürfte das erkannt haben. Oder er hat sich einfach nur über das bollernde Eisen gefreut. Jedenfalls kläffte er euphorisch und hing im Strangulations-Modus an der gespannten Leine von Oma Kunz, die ihn mit aller Kraft zurückhielt. Herrlich gute Welt!

Putz doch den Radkasten!

Mit der Stadt im Rücken servierte die Triumph Thruxton R noch eine ordentliche Extraportion Begeisterung auf meinen mentalen Teller. Das war schon schnell! Im Allgemeinen sind Café Racer heutzutage nur ganz selten wirklich kampfstark, weil die Fahrer den Genuss weniger in der extremen Schräglage oder beim kompromisslos späten Ankerwurf suchen, sondern die Optik großartig finden und sich gerne mit der Aura der wilden, alten Zeit umgeben – ohne selbst viel riskieren zu wollen. Aber diese neue Triumph passt nicht nur für den Auftritt vor dem  Kaffeehaus, sondern auch, wenn man sie richtig forsch fährt.

Schon mit dem Serien-Setup des Fahrwerks kam ich zurecht, wenn auch die Gabel von der ganz harten Sorte ist und wild über Unebenheiten trampelt. Zug- und Druck­stufe habe ich für mehr Komfort voll aufgedreht – war immer noch sportlich. Die Brembo-Bremse der Triumph Thruxton R passte in Ansprechverhalten, Dosierbarkeit und Biss. Ein seltener Glücksfall war die zweispurige 270-Grad-Linkskurve nach der Raststation Guntramsdorf in Richtung Ebreichsdorf – wer schon mal dort war, weiß Bescheid. Die Kurve hat guten Grip, einen perfekten Verlauf und außen keine Metallplanken mit scharfkantigen Stehern, sondern sturzfreundliche Betonleitschienen. Da habe ich einfach ein viel besseres Gefühl beim Andrücken. Ganz sicher weiß man ja auf der Straße im „Knocking-on-heaven’s-door“- Modus nie, ob man den Grenzbereich der Reifenhaftung rechtzeitig spürt oder nicht.

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Nun ist die besagte Kurve an sich schon ein herrliches Erlebnis, weil man urlange das Knie schleifen kann, aber wenn dann noch der seltene Fall eintritt, dass sich innen ein relativ engagiert bewegtes, aber unsportliches Auto mit quietschenden Reifen wehrt, ist es wie Weihnachten und Ostern zusammen. Die Triumph Thruxton R erlaubte eine erhebliche Schräglage, hing wirklich feinfühlig am Gas, lieferte mit den ­Pirelli Rosso-Gummis aufbauendes Feedback, und so konnte ich auf gleicher Höhe mit dem Bürgerkäfig den gesamten Radius auskosten, obwohl ich außen selbstverständlich mehr Speed brauchte als er innen. Gute Triumph, herrlicher Bock!

Wie ich mir im feschen Hanging-off einen kurzen, aber tiefen Blick zur Seite gönnte, sah ich, dass der vordere Radkasten des Fiat unglaublich verdreckt war. Der war mit Sicherheit schon jahrelang nicht mehr ausgespritzt worden. In einer komplett vernetzten Welt, wie wir sie vielleicht noch erleben werden, hätte ich freundlich gerufen: „Alter, putz den Radkasten! Der ist ja urgrauslig!“ Aber da er mich in dieser Gegenwart nicht hören konnte, nickte ich am Kurvenausgang anerkennend und dankend für das nette, gemeinsame Erlebnis und ließ den 1200er-Twin der Triumph Thruxton R voll auf die Gerade hinausfeuern. Vierer, Fünfer, Sechser, 220 km/h auf der Uhr. Würdig, sehr würdig.

Ist das echte Augenhöhe?

Triumph hat bei der Thruxton R nichts anbrennen lassen. Doch die Frage, ob sie auf Augenhöhe mit Power-Nakeds wie Tuono 1100 oder 1290 Super Duke R wüten könnte, darf ich auch ohne direkten Vergleich verneinen. Da fehlt ihr einfach eine Schubkarre voll Leistung, die man nur dann wettmachen kann, wenn der Pilot auf dem Power-Naked eine fahrtechnische Null ist. Nichtsdestotrotz ist die Triumph Thruxton R für mich ein fantastisches Eisen.

Optisch erinnert sie an die Zeit, in der Sieger noch mit dicken, geflochtenen Lorbeerkränzen geehrt wurden, technisch ist sie aber ein tolles Landstraßen-Bike von heute, mit dem man es richtig krachen lassen kann. In der Kritik der Urteilskraft sagt Immanuel Kant: „Nicht bloß der Gegenstand, sondern auch die Existenz desselben gefällt.“ Im Falle der Triumph Thruxton R kann ich da voll zustimmen.

Technische Daten Triumph Thruxton R

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Hier sehen Sie einen Auszug der technischen Daten. Wenn Sie die kompletten, von uns ermittelten Messwerte inklusive aller Verbrauchs-, Durchzugs- und Beschleunigungswerte möchten, können Sie den Artikel als PDF zum Download kaufen.

Fazit

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Wenn ich so über die Triumph Thruxton R nachdenke, tut mir die alte 900er-Thruxton irrsinnig leid. Andererseits freue ich mich wie ein Sternsinger, dass Triumph das enorme Potenzial des „Lord Lorbeer“ (keine andere Maschine der Gegenwart weist dermaßen stimmig den Weg in die Zeit, als die Sieger auf dem Podium noch mit Lorbeerkränzen ausgezeichnet wurden) nicht brach liegen ließ, sondern mit vollem Entwicklungsaufwand vorangetrieben hat.

Für mich ist die Triumph Thruxton R die Königin der modernen Café ­Racer und ein weiterer Beweis für die These: „Retro muss nicht Restmüll sein.“ Bei aller Euphorie würde ich aber im Falle einer ernst gemeinten Bergwertung und Hang zur britischen Traditionsmarke doch lieber zur Speed Triple R greifen. Ist einfach ein zu gutes Gefühl, wenn man als Erster oben ankommt.