Zuverlässige Technik, märchenhafte Verkaufszahlen, glanzvolle Sport-Erfolge: Seit einem Jahrzehnt zählt die CBR 600 zu den Topstars der Motorrad-Szene.
Sie arrangierten sich mit dem Wind und ernteten Sturm. Honda sprach von einer Revolution, die Szene von einem visuellen Desaster. »Dynamik durch Aerodynamik«, lautete die Schlagzeile in der Fachpresse, »Joghurt-Becher«, spottete Volkes Stimme.
IFMA, Herbst 1986: Die Wellen schlagen hoch. Honda rückt mit den futuristisch anmutenden CBR-Modellen in Köln an. So viel Plastik hatte die Welt an Großserien-Motorrädern bis dato nicht gesehen. Am schwer umlagerten Messestand branden heftige Diskussionen auf. Den rechten Gefallen will man an den vollverschalten Sportlern nicht finden.
Doch die Joghurt-Becher setzten sich durch - nicht nur im Sprachgebrauch. Insbesondere die CBR 600 F . Stand der kleine Vierzylinder bei seiner Premiere noch im Schatten der imposanten CBR 1000 F, mauserte er sich über die Jahre zum Topstar. Seit Markteinführung im Frühling 1987 wurde der Mittelkläßler allein in Deutschland knapp 27700 mal verkauft. Im internationalen Verkehrs-Netz tummeln sich über 200000 seiner Sorte, und auf den Rennstrecken der Welt hat diese Maschine alles erreicht, was eine 600er erreichen kann. Dabei fiel ihr Stapellauf buchstäblich ins Wasser.
November 1986: 13 amerikanische Journalisten - darunter MOTORRAD-Korrespondent Jim Miller - sind zu ersten Probefahrten nach Japan geladen. Hochspannung auf der Teststrecke von Tochigi. Dunkle Wolken darüber. Motoren an - Schleusen auf: Es kübelt wie aus Eimern. Miller bringt quasi nichts anderes mit nach Hause als die Botschaft: »Sie läuft.« Immerhin ist der Redaktion diese Meldung ganze zwei Seiten wert.
Wenige Wochen später kommt ein euphorischer Michael Griep - damals Tester, heute Abenteurer - aus Suzuka zurück und weiß: »Die CBR 600 ist einfach die Fahrmaschine schlechthin. Mit ihren 85 PS kann sie sich locker im Windschatten der 100 PS starken CBR 1000 halten, um schon in der ersten Kurve uneinholbar an ihr vorüberzuziehen.«
85 PS aus 600 Kubikzentimetern Hubraum - darüber freute man sich vor zehn Jahren noch ein Loch in den Bauch. Begeisternd auch die Art und Weise, wie sich der extrem kurzhubig ausgelegte Vierventiler in Szene setzte: drehfreudig, vergleichsweise durchzugsstark, seidenweich - toll. Den Gipfel aber markierte das stabile Fahrverhalten in Verbindung mit diesem unbeschwerten Handling. Nicht zuletzt ein Verdienst der extravaganten Radgrößen: 17 Zoll vorn und hinten. Ein Novum, das zunächst widerwillig als »bester Kompromiß für die Zukunft« eingestuft wurde. Handlichkeit unterschrieb derzeit mit 16 Zoll, Stabilität mit 18. »Daß die CBR 600 mit ihren Talenten Furore machen wird«, stand für Griep zweifelsfrei fest.
Und sie sorgte für Aufregung. Vor allem in den Entwicklungs-Abteilungen der Konkurrenz, denn fortan gewann dieses agile »Windei« einen Vergleichstest nach dem anderen: »In der Mittelklasse hat Honda neue Maßstäbe gesetzt. Die CBR distanziert die Konkurrenz auf der Rennstrecke und schafft Rundenzeiten, die selbst 750er nicht unterbieten.« ... »Trotz der nicht tourengerechten Verkleidung und der verbesserungswürdigen Sozius-Sitzgelegenheit gebührt der ausgewogenen CBR 600 F auch in der Alltagswertung der erste Rang.« Zitate aus den ersten Begegnungen mit den Mitbewerbern.
Dennoch verkaufte sich der 10240 Mark teure Genius schlechter als die zehn PS schwächere Kawasaki GPZ 600 R. Wohl wegen der revolutionären äußeren Erscheinung. Bei Kawasaki traute man diesem Frieden indessen nicht und lancierte die GPX 600 R: ebenfalls sehr vollverkleidet, ebenfalls 85 PS stark, ebenfalls kaum schwerer als 200 Kilogramm. Suzuki zog mit der 86 PS starken GSX 600 F nach, die allerdings leicht übergewichtig daherkam. In MOTORRAD 4/1988 traten die drei zum ersten Mal gegeneinander an: The winner was ... CBR 600 F.
Honda allerdings erkannte die Zeichen der Zeit. Der Vorsprung war deutlich geschrumpft, und die Ankündigung der völlig neuen, 91 PS starken Yamaha FZR 600 rief die Entwicklungsabteilung auf den Plan. Anfang 1989 stand das Ergebnis im Handel: Typbezeichnung PC 23, Leistung 93 PS. Yamaha konnte kommen.
Die FZR 600 kam - die CBR 600 siegte. Im 39 Positionen umfassenden Kriterienkatalog des damaligen Vergleichstests geriet die Honda lediglich in vier Punkten ins Hintertreffen: Durchzug, Handlichkeit, Windschutz und Schräglagenfreiheit. Ein enormer Erfolg, der jedoch kurze Zeit später von einer Rückrufaktion getrübt wurde. Achtung: Feuergefahr. An manchen Modellen des Typs PC 23 war der Entlüftungsschlauch des Tanks falsch verlegt worden, was zum Brand führen konnte. Und die Konkurrenz scharrte auch schon wieder mit den Hufen.
1990: Kawasaki galoppiert mit der ZZ-R 600 auf. 98 PS! Uff. Das war´s dann wohl. Ade CBR ... Von wegen: Wieder wehrt der Routinier einen Angriff ab. Wieder ist es seine bestechende Ausgewogenheit, die ihm den Thron in der 600er Klasse sicherte. Bei Honda herrscht dennoch Alarmstimmung. Jetzt muß es passieren: 100 PS müssen her.
Anfang 1991 standen sie parat, und mit ihnen eine komplett überarbeitete CBR 600 F, Typ PC 25. Aus dem alten Motor waren beim besten Willen keine zusätzlichen Pferdestärken mehr herauszuholen. Also schufen die Techniker ein völlig neues Triebwerk: kurzhubiger ausgelegt, kompakter gebaut. Das Fahrwerk geriet gleichfalls eine Spur sportlicher: neuer Rahmen mit kürzerem Nachlauf und steilerem Lenkkopfwinkel, bessere Federelemente mit mehr Verstellmöglichkeiten, breitere Reifen.
Die Konkurrenz hielt den Atem an - die CBR brillierte. Nicht nur auf der Rennstrecke, auch im Alltag. Ungeachtet der sportlicheren Ausrichtung. Testredakteur Werner Koch über das Gesamtkunstwerk PC 25: »Die Honda läßt dem Kritiker keine Chance. So mustergültig wie das Fahrwerk gibt sich auch der Motor. Ab 1500/min nimmt er Gas an, ohne zu ruckeln, und zieht dann kraftvoll und mit deutlich weniger Vibrationen als bislang durch. Gerade von einem Hochleistungsmotor hätte man solch lobenswerte Tugenden nicht erwartet.« Allerdings wurde das neue Modell von Lastwechselreaktionen geplagt.
Als Koch die CBR mit reinen Sportreifen bestückt um die Rennstrecke drosch, fand er ein weiteres Haar in der Suppe: Dank des verbesserten Fahrwerks mit atemberaubenden Schräglagen unterwegs, verschraddelte er den linksseitig aus der Verkleidung lugenden Lichtmaschinendeckel. Die Verkleidung selbst war auch nicht unbedingt nach dem Geschmack des begeisterten Schraubers, da der spröde Kunststoff an den Laschen und Haltestiften reißen konnte. Und für die nackte CBR fand er die Worte: »Dem Edelschrauber dreht´s den Magen um. Unter der eleganten Verkleidung ähnelt die Honda eher einem Waschvollautomaten als einem Supersportmotorrad.«
Nichtsdestotrotz bügelte die Waschmaschine ihre Rivalen bis 1994 nach Strich und Faden ab. Selbst der 50000-Kilometer-Langstreckentest bei MOTORRAD war für die Honda nichts weiter als ein Spaziergang: Außer eines defekten Steuerkettenspanners (beim Typ PC 25 häufiger vorgekommen) nichts gewesen. Animiert durch den beachtlichen Bestand, wählte die Redaktion den Bestseller im Jahr 1993 schließlich auch als Reifentest-Motorrad aus: Bridgestone BT 50 SS, Metzeler ME Z1 und Pirelli MTR 01/02 Dragon hießen die ersten Garnituren für dieses Modell.
Das Unfaßbare geschah 1995: Trotz weiterer Verbesserungsmaßnahmen wie Zwangsbeatmungssystem und Kennfeldzündung purzelte die CBR 600 vom Thron. Kawasakis brandneue ZX-6R hatte zugeschlagen. Konsequent auf Sport getrimmt, lieferte sie auf der Rennstrecke eine fabelhafte Vorstellung ab, während sich die Honda im Asphalt verhakte: Auspuff, Fußrasten und Seitenständer. Mit immer besseren Reifen bestückt, setzte die Maschine bei der immer schnelleren, schrägeren Jagd nach Sekunden gnadenlos auf. Im Alltag zählte die CBR zwar weiterhin zur ersten Wahl, doch damit wollte sich Honda nicht begnügen.
Ohne großen Wirbel trainierte man dem erfolgsverwöhnten Sportler für die Saison 1997 neue Stärken an. Überarbeitete Ansaugsystem und Zündung abermals, nahm hier ein bißchen weg, gab dort ein bißchen zu und ... hatte die ZX-6R im Sack. Zehn Millimeter mehr Federweg am Heck und eine insgesamt straffere Fahrwerksabstimmung brachten endlich die gewünschte Schräglagenfreiheit, die Modifikationen an Bremsen und Motor den nötigen Biß.
Im Rennsport mischt die CBR dieser Tage wieder kräftig mit. Und von der Straße wird das Goldstück wohl auch die nächsten zehn Jahre nicht wegzudenken sein.
Biographische Eckdaten - Politik der kleinen Schritte
Präsentation auf der IFMA 1986. Seit 1987 im Handel. 1989 Leistungserhöhung von 85 auf 93 PS bei 11000/min: Verdichtung 11,3:1 (vorher: 11,0), Vergaserdurchlaß 30,4 statt 29,3 mm, geänderte Ventilsteuerzeiten. Typ PC 23. 1991 Leistungserhöhung auf 100 PS bei 12000/min. Komplett neues Triebwerk. Motorgehäuse und Zylinder aus einem Stück gefertigt, Nockenwellenantrieb seitlich angebracht: Bohrung/Hub 65 x 45,2 Millimeter (vorher: 63 x 48), Verdichtung 11,6:1, größere Ventile, Tassenstößel statt Schlepphebel, 34er Gleichdruckvergaser mit Flachschiebern, Ölkühler. Fahrwerksänderungen: neuer Rahmen, Lenkkopfwinkel 65 statt 64 Grad, Nachlauf von 104 auf 94 Millimeter verkürzt, Reifengrößen 120/60 vorn, 160-60 hinten (früher: 110/80, 130/80), Telegabel mit 41er statt 37er Standrohren, Federbein mit verstellbarer Zugstufendämpfung, neue Verkleidung. Typ PC 25. 1995 dritte Modellpflege: Verdichtung auf 12:1 erhöht, Vergaserdurchlaß 36 Millimeter, Direkt-Air-Induction-Ansaugsystem, digitale Kennfeldzündung, modifizierte Schaltung, neue Auspuffanlage. Modifikationen am Fahrwerk: progressiver wirkende Umlenkhebelei am straffer abgestimmten Federbein, verbessertes Dämpfersystem an der Telegabel, schwimmend gelagerte 300er Bremsscheiben vorn, Hinterradfelge 5,0 Zoll (vorher: 4,5), Tankinhalt 17 statt 16 Liter, neue Verkleidung. Typ PC 31.1997 Leistungserhöhung auf 105 PS: modifiziertes Ansaugsystem, Dual-Independent-Zündung, größere Ölwanne, überarbeitetes Getriebe. Fahrwerk: geänderte Telegabelabstimmung, neues Federbein, Federweg 120 statt 110 mm, Vorderradbremse mit dickeren Bremsscheiben, neue Verkleidungsteile.
Sportliche Erfolge - Sie kam, sah und siegte - die Honda CBR 600 F, Typ PC 25: erste 600er mit 100 PS
1991 bis 1994 fuhren sämtliche Supersport 600-Europameister Honda: der Spanier Luis dAntin, Stefan Scheschowitsch aus dem schwäbischen Reutlingen, Michael Paquay aus Belgien und der Schweizer Yves Briguet. Auch in der DM räumte die CBR ab. War 1991 Scheschowitsch noch Sieger des Supersport 600-Cup, gab es 1992 den ersten DM-Titel für die CBR und MOTORRAD-Redakteur Gerhard Lindner. 1993 wurde der im Vorjahr knapp geschlagene Europameister Scheschowitsch doch noch deutscher Meister.Allerdings hatte die Konkurrenz aufgeholt. 1994 ging der DM-Titel an Yamaha-Fahrer Herbert Kaufmann. Ralph Stelzer auf der CBR wurde Vize. In den folgenden beiden Jahren riß Hondas Anschluß zur Spitze schließlich ab. Michael Paquay wurde 1995 zwar wieder Europameister, aber wie Fabrizio Pirovano 1996 auf Ducati. Auch die DM-Titel dieser Jahre gingen mit Thomas Körner und Bernhard Schick an die durch das Reglement bevorzugten Ducati-V2.Nicht ohne Überraschung mußte die Fachwelt feststellen, daß 1997 sowohl in der EM - mit dem zu Honda zurückgekehrten Paquay - als auch in der DM - mit Stelzer CBR-Reiter die Tabellen anführen. Die Leistungssteigerung der 1997er Serienmaschine hat offenbar Auswirkungen auf den Rennsport. Michael Rohrer
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