Vergleichstest: KTM 990 Super Duke R, MV Agusta Brutale 1078 RR

Vergleichstest: KTM 990 Super Duke R, MV Agusta Brutale 1078 RR
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Nachtschwärmer

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Stuttgart, Samstagnacht. Inmitten paarungswilliger Menschenkinder rüsten sich zwei scharf gestylte Power-Nakeds zum Kräftemessen und ziehen die Blicke der Vergnügungssüchtigen auf sich. Welche der beiden wird neben einer coolen Show die bessere Performance bieten?

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Nachtschwärmer

Für gewöhnlich beginnt der Kampf an den Wochenenden nicht vor 22 Uhr. Aufgebrezelte Mädels ziehen los, um sich von mehr oder weniger coolen Jungs aushalten zu lassen. Noch mehr Klischee gefällig? Bitte. Je schärfer die Bräute aussehen, desto größer ist ihre Chance, zum Ziel zu kommen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass extrem attraktive Frauen häufig nicht frei von Macken oder, sagen wir, Besonderheiten sind. Seltsamerweise verhält es sich bei extrem gierig gestylten Motorrädern wie der anwesenden KTM 990 Super Duke R und der MV Agusta Brutale 1078 RR exakt genauso. Faszinierend anzusehen wecken sie das Bedürfnis, sie zu besitzen, und lassen das Pilotenherz wild pochen, sobald man den Zündschlüssel in der Hand hält. Andererseits wird schon nach der ersten Minute im Sattel der beiden klar, dass die Beziehung eine ganz besondere – mit viel Freude, aber auch Leid – sein wird. Es beginnt schon mit dem Aufsitzen. Sowohl MV als auch KTM betten ihren Piloten auf extrem harte Sitzpölsterchen. In Kombination mit straff abgestimmten Federelementen sind also ordentlich Nehmerqualitäten am Popometer angesagt. Belässt es die KTM wenigstens bei dieser unheilvollen Kombination, geht die Brutale noch ein Stückchen weiter und fixiert den Piloten in einer Art Sitzmulde, die nur eine einzige Position zulässt. Er hat keine Chance, auch nur einen Millimeter nach vorne oder hinten zu rücken, und ist so komplett in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt.

Doch Schluss mit der Jammerei: Schließlich wird keiner, wenn er schon kurz davor ist, mit Kate Moss ins Bett zu steigen, über ihre zu kleinen Brüste meckern. Ausstattungstechnisch gibt es weder an der Österreicherin noch an der Italienerin etwas herumzunölen. Die KTM zum Beispiel ist serienmäßig mit einem Akrapovič-Krümmer ausgestattet, passende und sehr leichte Slip-on-Endtöpfe aus demselben Hause werden als Powerparts angeboten. Die Brutale schmückt sich dagegen mit leichten Schmiederädern. Das Duell auf der Waage geht dennoch an die KTM. Mit 203 Kilogramm ist sie sieben Kilo leichter, was die MV aber nicht wirklich interessiert. Die ist mit 140 PS am Hinterrad ganze 16 PS stärker und bei der Durchzugsmessung von 50 auf 150 km/h ganze 2,6 Sekunden schneller als der Twin. Ein Blick auf das Leistungsdiagramm zeigt die aus KTM-Sicht bittere Wahrheit: Der fast 1100 Kubik große Vierzylinder ist dem Twin immer und überall um Welten voraus. Ab 6000/min stehen der MV bei gleicher Drehzahl fast permanent 20 PS mehr zur Verfügung als der Super Duke R. Doch verstecken muss sich der Twin deswegen noch lange nicht. Seine Laufkultur ist vom Feinsten und der kleine Leistungskick kurz vorm Begrenzer zwar nicht Twin-typisch, aber zum sportlichen Charakter der R passend. Grundsätzlich überfordert der Zweizylinder nie. Er bietet immer genug Saft, um mit der Brutale mithalten zu können. Erst im ganz schnellen Geläuf zieht die Italienerin etwas davon.

Schattenspiele

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Der R-Motor ist 12 PS stärker als der Standard-Twin, zur MV fehlen aber 15 PS.

Doch wo Licht ist, gibt's auch Schatten. Der MV-Antrieb verfügt zwar über massig Druck im Kessel, doch um seine Manieren ist es nicht gut bestellt. Insgesamt läuft er sehr rau, vibriert vor allem im Schiebebetrieb hart und lässt Gangwechsel im knorrigen Getriebe nur mit Kraft zu. Dies wäre alles tolerierbar, wenn da nicht noch eine ultraharte Gasannahme und die damit einhergehenden Lastwechselreaktionen wären. Die 1078 RR springt genauso hart ans Gas wie vor fünf Jahren die erste, schmalbrüstige 750er-Brutale. Da darf also ruhig mal die Frage nach dem Fortschritt gestellt werden. Diese Macke macht es auf engen Streckenabschnitten oder zum Beispiel in Kehren sehr schwierig, den bereits ab 3000/min bullig anschiebenden Vierzylinder zu kontrollieren. Wer nun sicherheitshalber auf die KTM umsteigt, wird erstaunt sein. Denn selbst die Super Duke R nervt mit einer sehr harten Gasannahme und geht mit einer Spontanität ans Werk, die im legalen Geschwindigkeitsbereich keinen Spaß mehr macht. Im herbstlichen Stadtverkehr mit feuchten Straßen ist sehr häufig Schleifkupplung angesagt, um nicht dem Vordermann den Stoßfänger zu ruinieren. Ein geschmeidiges Dahinrollen ist mit der R nicht möglich, höhere Drehzahlen sorgen beim Gasanlegen bis in den zweiten Gang nur für kleine Power-Wheelies.

Wir lernen also Folgendes: Ähnlich einem Ferrari brauchen sowohl die MV als auch die Super Duke R freies Geläuf, um richtig Spaß zu machen. Auch wenn einen da weniger Leute sehen als beim Flanieren in der Stadt. Je schneller, desto besser, sagt sich die MV. Die kompakte Italienerin winkelt blitzschnell ab und zirkelt sehr zielgenau durch schnelle Ecken. Ihr knackiges Feedback und die lasergleiche Präzision können wahrlich begeistern. Mit weit geöffneten Dämpfungsventilen lassen sich sogar schlechte Straßen gut überleben. Unverzeihlich ist allerdings der fehlende Lenkungsdämpfer, denn die steife Brutale hat eine starke Tendenz zum Kickback. Frei von diesem Übel geigt die KTM auf, ihr können Straßen gar nicht eng und hubbelig genug sein. Erstaunlich an der R sind allerdings zwei Dinge: Eine in PS 8/08 getestete Super Duke R fiel vor allem dadurch auf, dass ihre bockelharten Federelemente sehr schlecht ansprachen. Das jetztige Testexemplar dagegen punktet in dieser Disziplin voll. Feines Ansprechen paart sie mit großen Reserven und gutem Feedback. Erklärung von KTM in Österreich: „Es wurde nichts am Setup geändert, lediglich die Produktion der WP-Gabeln und Federbeine von Holland nach Mattighofen verlegt.“ Ziel des Standortwechsels war es, eine höhere Produktqualität zu erreichen. Zumindest an dieser Super Duke R ist das gelungen.

Die zweite Überraschung der KTM: Bei der ersten Testfahrt lenkte sie sehr unberechenbar ein, hielt die Linie in Schräglage nicht und taumelte um die Längsachse. Das Problem konnte durch einen neuen Satz Reifen behoben werden. Ein genauer Blick auf den alten, angefahrenen Vorderreifen brachte folgendes zu Tage: Während der neue Pirelli Diablo Corsa III an Flanke und Reifenmitte jeweils 4,0 mm Profil besitzt, waren es bei seinem baugleichen Vorgänger an der linken Flanke 3,0 mm, in der Mitte 3,3 mm und auf der rechten Flanke immer noch 2,0 mm Profil übrig (was auf Rennstreckeneinsatz hindeutet). Dass ein derart angefahrener Reifen das Fahrverhalten der Super Duke R so gravierend verschlechtert, war für die Tester neu und sollte den KTM-Konstrukteuren zu denken geben. Ob da jemand in Sachen Geometrie ein Stück zu weit gegangen ist? Schließlich steckt im Wort Fahrspaß die Silbe Spaß. Und der geht bei einem so empfindlichen Fahrverhalten ganz schnell flöten – auch wenn der Ofen umwerfend aussieht.

Fazit

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Showgirls der Extra-Klasse: MV Agusta Brutale 1078 RR trifft auf KTM 990 Super Duke R.

Die These scheint bestätigt: Wer extrem gut aussieht, hat auch einen extremen Charakter. Die Brutale ist mit dem 1078er-Motor endlich die Power-Naked geworden, die sie schon immer sein sollte. Stark und mit fetter Wheelie-Neigung gewinnt sie diesen Vergleichstest mit dünnem Vorsprung vor einer KTM, die sich sehr zickig präsentiert. Vor allem das Thema Reifen kostet die entscheidenden Punkte. Grundsätzlich gilt aber für beide Motorräder gleichermaßen: Einfach zu fahren sind sie nicht. Dies ist aber Teil ihrer extremen, faszinierenden Charaktere.

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