Die Entwicklung der Yamaha YZF-R1
MotoGP-Technik für Normalos

Von den rund 100 Entwicklern der neuen Yamaha YZF-R1 kamen viele direkt vom MotoGP-Team. Hier erfahren Sie alles zur Entwicklung der neuen R1 und R1M.

MotoGP-Technik für Normalos
Foto: Yamaha

Die R1 verstehen heißt Yamaha verstehen. Oder besser: die neue Philosophie der Marke. Noch vor ein paar Jahren hätte niemand in der Konzernzentrale in Iwata ernsthaft über ein Motorrad wie die neue Yamaha YZF-R1 nachgedacht. Zu verankert war das jahrzehntelange Kompromissdenken, gespeist aus der Erkenntnis, dass die Supersport-Fans zwar vor dem Fernseher ihre Idole anhimmeln, auf dem Weg zur Arbeit und am Wochenende aber eher gelassen unterwegs sind. Okay, da gab es mal eine R7 – aber einzig und allein als Basismotorrad für die Superbike-WM. Alle bisherigen R1-Versionen wurden in erster Linie für die Straße entwickelt.

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Die neue Yamaha YZF-R1 hat damit nichts mehr am Hut. Man werde keine Kompromiss-Motorräder mehr bauen, sondern zuspitzen, Ecken und Kanten zeigen – das ist aus der Europa-Zentrale in Amsterdam zu hören, wo man das Ohr naturgemäß nahe am Puls der europäischen Kunden und Hersteller hat. Dass die Benchmark dieses Genres mit der BMW S 1000 RR derzeit aus München kommt, dürfte die Yamaha-Ingenieure mächtig gewurmt haben.

MotoGP-Mannschaft war stets involviert

Der Gegner war also ausgemacht, das Lastenheft kurz und prägnant: „Wir wollen auf der Rennstrecke gewinnen“, stellt Produktplaner Oliver Grill klar. „Nicht nur aus Imagegründen und weil der Rennsport ein ganz wichtiger Teil von Yamaha ist, sondern weil sich der Supersportler-Markt in den letzten Jahren radikal verändert hat. Er ist deutlich kleiner geworden, das Kundenprofil ist ein ganz anderes. Wer sich heute einen 1000er-Supersportler kauft, fährt damit nicht mehr vorrangig zum Brötchenholen, sondern wirklich auf der Rennstrecke.“

Was lag da näher, als den Profis über die Schulter zu schauen? Immerhin hat Yamaha – im Gegensatz zu BMW – ein eigenes MotoGP-Team. Von den rund 100 Entwicklern der der neuen Yamaha YZF-R1 kamen viele direkt von der Rennstrecke, die MotoGP-Mannschaft war stets involviert. Die wichtigsten Ziele waren schnell definiert: Handling, Gewicht und Leistungsentfaltung standen ganz oben auf der Prioritätenliste. Oder, wie es Projektleiter Hideki Fujiwara (siehe Interview) formuliert: „Wir wollten das M1-Gefühl nicht nur zu den Rennteams, sondern auch zum normalen Supersport-Fan bringen.“

Einzigartiges Yamaha-Crossplane-Kurbel­wellenkonzept

Dazu gehört natürlich vor allem eins: das einzigartige Yamaha-Crossplane-Kurbel­wellenkonzept mit ungleichmäßigem Hubzapfenversatz (270 – 180 – 90 – 180 Grad), das dem MotoGP-Motor (da allerdings rückwärts drehend) seinen speziellen V4-Sound gibt. Auch die neue Yamaha YZF-R1 wird also wieder mit dumpfem Donnern statt hochfrequentem Kreischen auf den Zielgeraden dieser Welt unterwegs sein. Aber – so der Yamaha-Plan – am Ende den gierigen Ram-Air-Schlund vorn haben. Man hätte durchaus mehr als die versprochenen 200 PS realisieren können, so Fujiwara. Zugunsten von optimaler Fahrbarkeit und schnellen Rundenzeiten habe man aber einer berechenbaren Leistungsentfaltung den Vorzug gegeben.

Verwandtschaft zum M1-Motor soll bei 80 Prozent liegen

Doch auch für diese 200 PS betrieb Yamaha immensen Aufwand. Der Motor, eine komplette Neuentwicklung, dessen konstruktive Verwandtschaft zum M1-Motor bei 80 Prozent liegen soll, ist vier Kilogramm leichter als der Vorgänger und wiegt unter 60 Kilogramm. Dazu trägt eine Ölwanne aus Magnesium ebenso bei wie die um 20 Prozent reduzierte Kurbelwellen-Schwungmasse, während Titanpleuel und Schmiedekolben eher der Drehzahlfestigkeit und Drehfreude geschuldet sind. Wie übrigens auch der Ventiltrieb über winzige Schlepphebel. In dieser Hinsicht hatten ja die Münchner trefflichen Anschauungsunterricht geliefert, denn auch der S 1000 RR-Gaswechsel wird so gesteuert. Die Bohrung jedoch bleibt auch beim neuen Motor mit 79 Millimetern einen Millimeter unter dem bayerischen Kraftpaket. Allerdings, so betont man bei Yamaha, liefere der neue Crossplane-Motor nur einen Teil des M1-Feelings auf der Yamaha YZF-R1.

Kurven-ABS, Traktionkontrolle, Slide-Control

Mindestens ebenso entscheidend seien die Fahrwerksqualitäten und die praktisch eins zu eins aus dem MotoGP-Bike übernommenen Assistenzsysteme. Darf man das glauben? Beim Rahmen zumindest ist kein signifikanter Unterschied zur M1-Aluminium-Brücke festzustellen. Hier wie dort umgibt das typische, flächig geschlossene Alu-Gebilde den Zylinderkopf und verjüngt sich erst dann zum herkömmlichen Profil. Und die Assistenzsysteme, vom Kurven-ABS über die Traktionkontrolle bis hin zur neuartigen Slide-Control, die ein definiertes Rutschen erlaubt? Sowohl Hardware als auch Software seien im Hause entwickelt, schließlich habe man vom GP-Team das entsprechende Know-how direkt übernehmen können. Außerdem seien zugekaufte Lösungen immer nur ein Kompromiss, weil nicht speziell auf ein Fahrzeug zugeschnitten. Und Kompromisse habe man bei der neuen Yamaha YZF-R1 ja gerade vermeiden wollen. Eine Aussage, die angesichts der Ausstattung, die Yamaha schon der Basis-R1 mit auf den Weg gibt, absolut glaubhaft ist: Magnesium-Räder, Magnesium-Rahmenheck, Alu-Tank, eine Auspuffanlage beinahe komplett aus Titan – auch bei der konventionellen Fahrwerkstechnik und beim Gewichts-Tuning (199 Kilo vollgetankt) hat Yamaha aus dem Vollen geschöpft.

Yamaha R1M auf Preisniveau der S 1000 RR

Um so erstaunlicher ist es, dass die Preise für die neue Yamaha YZF-R1 nicht in MotoGP-mäßige Dimensionen abdriften: 18.495 Euro plus Nebenkosten werden für die Basis-R1 aufgerufen, die limitierte Yamaha R1M (mit Karbon-Verkleidung, elektronischem Öhlins-Fahrwerk und leistungsfähigem, frei programmierbarem Data-Recording-System) schlägt mit 22.995 Euro zu Buche. Das entspricht dem Preisniveau der BMW S 1000 RR, Rennstrecken-Junkies reiben sich schon jetzt die Hände. Aber auch der eine oder andere Sportfahrer, der sich auf seiner Hausstrecke wie Valentino fühlen möchte, könnte ins Grübeln kommen. Verdammt heftig sogar.

Yamaha YZF-R1M

Interview Hideki Fujiwara

Kaschel
Yamaha R1-Projektleiter Hideki Fujiwara.

Yamaha R1-Projektleiter Hideki Fujiwara über die einfach zu fahrende Rossi-M1, den Transfer dieser Eigenschaften in die neue Yamaha YZF-R1 und die komplexen Strukturen moderner Assistenzsysteme.

Herr Fujiwara, was waren die Schwerpunkte bei der R1-Entwicklung?

Das Hauptentwicklungsziel war, auf der Rennstrecke zu gewinnen. Das geht nur über wenig Gewicht, ein tolles Handling und eine perfekte Leistungsentfaltung des Motors.

Und was hat Ihnen dabei die größten Schwierigkeiten gemacht?

Eine Herausforderung ist sicher, Performance und Haltbarkeit unter einen Hut zu bringen. Wir kennen die M1-Maschine wirklich sehr gut, aber den Motor auf die Ansprüche eines Volumenmodells und für die Homologation auf öffentlichen Straßen hinzutrimmen – das war schon eine Aufgabe.

Wie eng ist die Verwandtschaft der Yamaha YZF-R1 zur M1? Was sind die größten Ähnlichkeiten und Unterschiede?

Die Verwandtschaft dürfte so bei 80 Prozent liegen. Die größten Ähnlichkeiten sind sicher das Crossplane-Konzept und die Handling-Eigenschaften. Die größten Unterschiede sind jene R1-Komponenten, die den Zulassungsvorschriften entsprechen müssen und auf eine viel größere Haltbarkeit ausgelegt sind. Glauben Sie mir: Für die R1 gelten bei uns in dieser Hinsicht dieselben Standards wie zum Beispiel für eine FJR 1300. Das war nicht so einfach zu machen. Dasselbe gilt für den Preis. Bei Yamaha wissen wir genau, wie man eine gute Rennstrecken-Performance hinbekommt. Aber zu einem bezahlbaren Preis – das ist nicht so einfach.

Sie haben den Radstand um zehn Millimeter, die Schwinge im Vergleich zur Vorgängerin sogar um 15 Millimeter gekürzt, und das bei deutlich gestiegener Motorleistung. Wie geht das?

Eines unserer großen Ziele war Kompaktheit. Aber das konnte nur dank der elektronischen Unterstützung umgesetzt werden. Ohne wäre das nicht möglich.

Waren auch die Yamaha-Werksfahrer in die Entwicklung involviert?

Ja, Valentino Rossi und Josh Hayes sowie zwei japanische Fahrer. Rossi konnte den Vergleich zur M1 liefern, besonders was das Brems- und Beschleunigungsverhalten angeht. Josh Hayes kennt den aktuellen R1-Renner sehr genau.

Warum haben Sie die R1-Elektronik selbst entwickelt?

Zulieferer kennen ihr System, aber nicht unser Motorrad. Wir kennen beides, das System und das Motorrad. Es ist ein Organismus.

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