Ferdinand Piëch gilt als ambitionierter Treiber einer Ducati Desmosedici. Während sich andere zum Geburtstag ein Motorrad kaufen, übernimmt er gleich den Hersteller. Symbolisch soll Piëch den Schlüssel zum Ducati-Werk in -Bologna bereits am 17. April bekommen haben, dem Tag, an dem er seinen 75. Geburtstag feierte. Am 18. April stimmte der VW Aufsichtsrat dem Kauf von Ducati zu, den die VW-Tochter Audi nach wochenlangen Verhandlungen abgeschlossen hatte.
Den unterstellten Zusammenhang dementiert Audi-Vorstand Rupert Stadler energisch: Ducati sei mitnichten ein Geburtstagsgeschenk und die zeitliche Nähe reiner Zufall. Auch über den Kaufpreis, der immerhin bei um die 860 Millionen Euro liegen soll, schweigt Audi eisern. So oder so. Bis Ducati als zwölfte Marke ein Teil des VW-Konzerns wird, muss das Kartellamt noch zustimmen. Bisher hat VW vom Sportwagenhersteller Porsche, dessen Integration holprig verläuft, bis zum Lkw-Bauer MAN ein Unternehmen nach dem anderen im Eiltempo zugekauft. Ein Motoren-Kaiserreich vom Kleinstwagen über Luxuskarossen und Sportflitzer bis zu Lastwagen, das der Patriarch an der Spitze der Familien Piëch und Porsche beherrscht. Mit der Übernahme von Ducati ist das Dutzend voll, mithin der oft geäußerte Wunsch Piëchs nach zwölf Marken unterm Dach von VW erfüllt.
Kritiker sagen, der Kauf von Ducati sei keine rationale Entscheidung; der Motorradmarkt in Europa habe sich binnen weniger Jahre halbiert. Bei der Aktionärsversammlung am 19. April begründete der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn, warum Audi und Ducati ganz prima zusammenpassen: „Beide Unternehmen sind global führende, sportliche Premiummarken und gehören in ihrem jeweiligen Geschäft zu den ertragsstärksten Herstellern.“ Zudem seien beide Technologieführer. Ducati vor allem bei Hochleistungsmotoren, Desmodromik und im Leichtbau. Audi-Boss Stadler fügte hinzu: „Ducati erwirtschaftet Renditen auf Audi-Niveau. Audi und Ducati haben Benzin im Blut. Neben Lamborghini und Italdesign ist Ducati jetzt das dritte Standbein in Norditalien.“
Zudem haben Motorräder bei Audi Tradition: Das Audi-Logo, die vier Ringe, symbolisieren den Zusammenschluss von vier bis dahin unabhängigen Kraftfahrzeugherstellern im Jahr 1932: Audi, DKW, Horch und die Autoabteilung von Wanderer fusionierten zur Auto Union. Damit zählt die Produktion von Motorrädern zu den Wurzeln der Marke Audi, die sich wiederum 1969 mit den NSU Motorenwerken verband. Schließlich änderte die Audi NSU Auto Union 1985 den Namen in Audi AG. Winterkorn: „Audi knüpft an die stolze Motorradtradition der Marken DKW und NSU an und erschließt sich ein wachstumsstarkes, neues Geschäftsfeld. Wir freuen uns darauf, diese stolze italienische Marke in Kürze in unserer Konzernfamilie willkommen zu heißen.“
Bei der Verkündung des Kaufs brandet in Hamburg bei der Aktionärsversammlung jedoch kein Beifall auf, die meisten Zuhörer nehmen ihn gelassen hin. „Ich frage mich, wie das zu VW passt“, sagt der 21-jährige Student Alexander Selker. „Ich glaube, die werden noch weitere Motorradhersteller dazukaufen“, vermutet sein gleichaltriger Freund Henning Kirchberg. Das lässt Audi-Boss Stadler offen: „Wir geben keine Auskünfte über strategische Entwicklungen.“

Der 70-jährige Gerd Glenewinkel, der VW-Aktien besitzt und 15 Jahre lang Motorrad fuhr, findet es gut, dass sich VW breit aufstellt: „Ducati ist eine schöne Marke.“ Das findet auch Aktionär Hartwig Manke, dem eines vollkommen klar ist: „Der Vorstand weiß, was er tut.“ Damit spricht er für viele Kleinaktionäre, die nach Krisenzeiten das beste Jahr in der Geschichte von VW mit Rekordgewinn beklatschen. Wer erfolgreich ist, hat recht. Manke: „Das passt zur Abrundung. Außerdem verkauft BMW auch Motorräder.“
Der Konkurrenzkampf, der zwischen BMW und Audi um die Führung im Premium-Segment tobt, geht in eine neue Runde. Denn jetzt haben beide Unternehmen einen renommierten Motorradhersteller im Portfolio. Was sagt BMW dazu? „Für die BMW Group ändert die Übernahme von Ducati durch Herrn Piëch nichts an der wachstumsorientierten Zwei-Marken-Strategie mit BMW und Husqvarna“, kommentiert Pressesprecher Rudolf-Andreas Probst.
BMW hatte zuvor den Kauf von Ducati kategorisch abgelehnt. Denn: „Das hätte keinen Mehrwert gebracht. Mit den Produkten von BMW Motorrad und Husqvarna Motorcycles decken wir schon heute deutlich mehr Segmente ab, darunter auch die der Marke Ducati.“ Andere Hersteller reagieren harscher: Die sportliche Mercedes-Tochter AMG, die bislang mit Ducati Marketing-Projekte wie die Diavel Special Edition stemmte und sogar im Grand Prix als Sponsor auftrat, kündigte die Zusammenarbeit postwendend auf. Bereits zuvor hatte Audis Konzernmutter VW Ärger mit Suzuki. VW hält seit 2009 knapp 20 Prozent der Aktienanteile von Suzuki. Nach gegenseitigen Vorwürfen der Vertragsbrüchigkeit will Suzuki aussteigen. Derzeit kämpfen die Kontrahenten erbittert vor Gericht.
In Italien zeitigt die Übernahme ebenfalls Reaktionen. Dort geht es um einen angeknacksten Nationalstolz. Schon im Vorfeld des Verkaufs versuchte die Presse, Stimmung zu machen: „Ein italienisches Juwel wie Ducati darf nicht ins Ausland verkauft werden“, lautete der Tenor. Nur vereinzelt waren in diesem Chor Stimmen der Vernunft zu hören, die daran erinnerten, dass Ducati letztmals in den 90er-Jahren italienischen Unternehmern gehört hatte, nämlich den Brüdern Castiglioni. Deren Ära war zwar von emotionalen Modellen wie der 916 und der Monster geprägt, jedoch keineswegs vom wirtschaftlichen Erfolg. 1996 mussten sie - kurz vor der Pleite - an den texanischen Investmentfonds TPG verkaufen, der die traditionsreiche Marke zehn Jahre später seinerseits wieder abgab.
Seither gehörte Ducati zu 70 Prozent dem Finanzfonds Investindustrial, der zwar im Besitz der Mailänder Familie Bonomi ist, seinen Sitz aber in Luxemburg hat. Weitere zehn Prozent an Ducati hielt seit 2006 außerdem ein kanadischer Pensionsfonds - vom „falschen Mythos der italienischen Identität“ schrieb deshalb das angesehene Blatt „Il Fatto Quotidiano“; doch dabei handelte es sich um eine Einzelmeinung. Kaum war der Verkauf an Audi offiziell, liefen Italiens Medien zu neuen Höchstformen auf: „Ausgerechnet die ‚Crauti‘ schnappen uns Ducati weg“, lauteten die Schlagzeilen. In diversen Internetforen kündigten erboste Ducatisti gar an, unter diesen Umständen würden sie auf die Auslieferung ihrer ersehnten Panigale verzichten.
Wesentlich pragmatischer sehen die italienischen Gewerkschaften das Geschehen. Sie begrüßen die Übernahme durch Audi vorbehaltlos. „Ducati hat sich in einer Marktnische halten können, was schon mal eine Leistung ist“, sagt Bruno Papignani von der Metaller-Gewerkschaft CGIL, „aber jetzt braucht die Firma eine weiter gefasste Strategie. Ein Koloss wie Audi kann das garantieren.“ Um weiter wachsen zu können, benötigt Ducati weitreichende Investitionen, die der bisherige Eigner weder tätigen konnte noch wollte.

Zudem haben die italienischen Gewerkschaften bereits gute Erfahrungen mit Audi gemacht, denn Lamborghini im nahen SantAgata Bolognese gehört seit 1998 den Ingolstädtern. „Die Löhne dort sind besser als bei den meisten italienischen Arbeitgebern“, erläutert Papignani. Da in Italien derzeit ein heißer Kampf um das Kündigungsschutzrecht tobt, hoffen er und seine Gewerkschaft auf weitere Schützenhilfe der Deutschen: „Wenn wir die gleichen Konditionen wie in Deutschland bekommen, sind wir mehr als zufrieden.“
Keine offiziellen Äußerungen zum Thema gibt es von den direkt Betroffenen, nämlich von Ducati in Bologna. Noch sei der Verkauf ja nicht abgeschlossen, heißt es. Doch unter der Hand verlautet, dass am Abend des 18. April, als Audi um 18.17 Uhr die offizielle Pressemitteilung zur Übernahme verschickte, in der Via Cavalieri Ducati die Champagnerkorken knallten. Zumal die Audi-Oberen den Managern gute Arbeit bescheinigten und sie erst mal in bewährter Formation weiterwerkeln lassen wollen. Auch Geschäftsführer Gabriele Del Torchio soll bleiben, zumindest für eine Übergangszeit. Als sein möglicher Nachfolger wird bereits Luca De Meo gehandelt, ein ehemaliger Fiat-Manager, heute Marketing-Chef von Volkswagen.
Doch ehe es so weit ist, steht in Bologna wohl erst mal Besuch von höchster Stelle ins Haus: Ducati-Fahrer Ferdinand Piëch hat bereits angekündigt, dass er die neue Panigale ausprobieren will, ganz privat und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur der Kaiser und sein neues Krad.

„Die Leidenschaft spielt mit“
? Wieso fügt Audi seinem Sportpaket jetzt eine Zweiradmarke hinzu? Und warum ausgerechnet Ducati?
! Es gab bereits seit Jahren Kontakte zwischen den Eigentümern von Ducati und Audi, aber Anfang dieses Jahres wurde es dann ernst, und wir traten in Kaufverhandlungen ein. Ducati ist eine faszinierende Marke mit großer technischer Kompetenz, und es gibt wichtige Gemeinsamkeiten beider Marken: zum Beispiel die Sportlichkeit und die technische Begeisterung.
? Wir gehen davon aus, dass die Marke weiter in Bologna bleibt - doch wie selbstständig wird sie agieren können?
! Wenn Sie sich im Volkswagenkonzern umsehen, dann sehen Sie, dass jede Marke selbst für ihre Produktplanung und ihre Ergebnisse verantwortlich ist. Das ist ein wichtiges Prinzip, damit jede Marke und jedes Unternehmen so agieren kann, wie es der Markt erfordert.
? Werden Sie Audi-Manager nach Bologna schicken?
! Das aktuelle Management macht einen ausgezeichneten Job und hat ambitionierte Wachstumspläne, die es auch umsetzen soll.
? Welche langfristigen Ziele verfolgt Audi mit Ducati? Soll die Marke Premium bleiben oder soll sie auch günstigere „Volks“-Motorräder bauen?
! Dazu können wir uns heute mit Blick auf die Prüfung durch die Kartellbehörden noch nicht äußern. Aber der bereits eingeschlagene Weg ist sehr erfolgreich, und es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern.
? Wie weit hat Ferdinand Piëchs persönliche Leidenschaft für Ducati - er fährt ja Desmosedici - die Entscheidung beeinflusst?
! Das hat natürlich eine Rolle gespielt. Es gibt übrigens eine ganze Reihe von begeisterten Ducati-Fahrern bei Audi, bis hinein in den Vorstand.

Volkswagen Konzern
Gründung: 1937
Sitz: Wolfsburg
Unternehmensform: Aktiengesellschaft
Leitung: Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn, Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch
Marken: Audi, Bentley, Bugatti, Ducati*, Lamborghini, MAN, Porsche*, Scania, Seat, Skoda, Volkswagen, Volkswagen Nutzfahrzeuge
Werke: 94 (vor Ducati-Übernahme)
Mitarbeiter: 501956 (am 31.12. 2011)
Umsatzerlöse 2011: 159,3 Milliarden Euro (plus 25,6 Prozent gegenüber 2010), 67,2 Milliarden Euro VW AG
Gewinn 2011: 15,8 Milliarden Euro (3,5 Milliarden Euro VW AG)
Produktion 2011: 8,5 Millionen Pkw
Auslieferung 2011: 8,3 Millionen (plus 14,7 Prozent)
Auslieferung Januar bis März 2012: 2,2 Millionen Pkw und VW-Nutzfahrzeuge (plus 9,6 Prozent), davon 1,36 Millionen VW-Pkw (plus 10,5 Prozent)
Branchen: Automobile, Finanz- und Logistikdienstleistungen
Rennsport: Formel 3, FIA-Rallye-WM

Audi Konzern
Gründung: 1909 in Zwickau, 1969 (Neugründung: Audi NSU Auto Union)
Sitz: Ingolstadt
Unternehmensform: Aktiengesellschaft, seit 1966 100-prozentige Tochter von VW (damals Volkswagenwerk AG)
Leitung: Vorstandsvorsitzender Rupert Stadler
Marken: Audi, Lamborghini
Werke: 8 (Audi), 1 (Lamborghini)
Mitarbeiter: 63 839 (am 31.12. 2011)
Umsatzerlöse 2011: 44,1 Milliarden Euro (plus 24,4 Prozent)
Gewinn 2011: 4,4 Milliarden Euro
Produktion 2011: 1,3 Millionen Audi, 1711 Lamborghini
Auslieferung 2011: 1,3 Millionen (plus 19,2 Prozent)
Auslieferung Januar bis März 2012: 346100 Audi (plus 10,8 Prozent), 500 Lamborghini (plus 72,4 Prozent)
Branche: Automobile
Modelle: A1 (16100 Euro) bis R8 V10 (147100 Euro), Lamborghini Sesto Elemento (2 Millionen Euro)
Rennsport: DTM, FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC), Werkseinsätze mit R8 LMS ultra bei 24-Stunden-Rennen

Ducati
Gründung: 1926, Motorradproduktion seit 1946
Sitz: Bologna/Italien, Stadtteil Borgo Panigale
Bisherige Unternehmensform: Holding
Bisherige Besitzer: die drei Investmentfonds Investindustrial (70 Prozent), BS (20 Prozent), Hospitals of Ontario Pension Plan (sieben Prozent) und ein paar kleinere Beteiligungen
Werke: 2; Bologna, Thailand (reines Montagewerk)
Mitarbeiter: 1100
Umsatz 2011: 480 Millionen Euro
Gewinn: keine Angaben
Produktion 2011: 42 000 Motorräder
Modelle: von 700 cm3/75 PS (Monster) bis 1200 cm3/195 PS (1199 Panigale)
Motorenbauart: luft- und wassergekühlte Zweizylinder
Besonderheit: alle Motoren mit desmodromischer Ventilsteuerung
Preise: von 7990 Euro (Monster) bis 28 995 Euro (1199 Panigale Tricolore) Neuzulassungen Deutschland 2011: 4176
Händler in Deutschland: 78
Erstes Motorradmodell: Cucciolo, 1946
Rennsport: Werksteam im MotoGP, private Teams in der Superbike-WM