Müssen Youngtimer und Klassiker immer dem Original entsprechen? Werner Koch sagt: "Nein" – und lässt bei seinem neuen Projekt der Fantasie freien Lauf.
Müssen Youngtimer und Klassiker immer dem Original entsprechen? Werner Koch sagt: "Nein" – und lässt bei seinem neuen Projekt der Fantasie freien Lauf.
Am Anfang war der Blick. Er sah im Fuhrpark des Autors eine Lücke zwischen Hondas Reise-Enduro Africa Twin RD 03 und der aktuellen Yamaha WR 250 R "Crossduro": Für den Ausritt über Schotterpfade fehlte ein robuster Scrambler japanischer Abstammung. So etwas gibt es von Honda zwar fix und fertig als CL-Modelle, leider bleischwer und verschnörkelt. Der Wunschtraum sollte anders aussehen. Eine rohe Skizze sortierte die Gedanken und legte die technischen Eckdaten fest.
In den verstaubten MOTORRAD-Katalogen vom Ende der 70er-Jahre müsste doch die passende Basis zu finden sein: ein luftgekühlter Viertakt-Twin ohne Schnickschnack, dafür mit klaren Linien, nicht zu schwer, nicht zu groß und nicht zu teuer. Der Zuschlag ging an die Suzuki GS 400 E, die mit ihrem schicken dohc-Zylinderkopf und "offen" 34 PS stark ins Schwarze traf. Für 650 Euro in halb zerlegtem, jämmerlichem Zustand plus marodem Ersatzmotor kam das Winterprojekt "Scracer 402" ins Rollen. "Scracer" deshalb, weil der Scrambler-Eigenbau optisch mit einem Schuss amerikanischer Flattrack-Racer abgeschmeckt werden sollte.
Der teilzerlegte Motor machte einerseits neugierig, andererseits mit jeder gelösten Schraube immer trauriger. Gut war wenig, und die jahrelange Erfahrung des Autors als Suzuki-Mechaniker erwies sich als äußerst hilfreich. Schon als der Ölfilter – jedenfalls das, was von ihm übrig war – demontiert auf dem Werkstattboden lag, summten alle Teile deutlich hörbar das Lied vom Totalschaden.
Die Ursache war schnell entdeckt: Bei der Montage des Motors mit dem horizontal geteilten Gehäuse war der Passstift eines Getriebelagers nicht in seiner angestammten Fixierbohrung in Position gekommen. Dass sich die Gehäusehälften nur mit roher Gewalt hatten zusammenschrauben lassen, hatte in dem zuständigen Hobbyschrauber nicht den Verdacht geweckt, dass hier etwas schieflaufen könnte.
Falls es ihn im Nachhinein tröstet: Dieser Montagefehler ist nicht ganz selten. Die fatalen Folgen: Unter dem Druck des gehärteten Metallstifts platzte das Nadellager, worauf sich die betroffene Getriebewelle führungslos und verschränkt drehte und alle Zahnräder asymmetrisch verschlissen. Die Hoffnung auf intakte Teile im zweiten Motor zerschlug sich mit der ersten Sichtprobe. Beim Zusammenbau hatte der Monteur die vordere Führungsschiene der Steuerkette vergessen, die daraufhin den Kettenschacht im Aluminiumzylinder bis zur freien Durchsicht zersägte.
Es blieb also nur, alle Motorteile akribisch zu sortieren, um aus zwei Schrottplätzen einen Arbeitsplatz zusammenzustellen. Zum Glück ist der Antrieb der Suzuki GS 400 E ein standfester Geselle, sodass sich die intakten Bauteile nach einer gründlichen Reinigung wiederverwenden ließen. Die Ventile wurden entkohlt und neu eingeschliffen; ihre Sitze präsentierten sich trotz 50 000 Kilometern Laufleistung in bestem Zustand und in der korrekten Breite. Auch die Spaltmaße der Kompressions- und Ölabstreifringe, die wälzgelagerte Kurbelwelle, die Kolbenbolzen und das Laufspiel wirkten für weitere zigtausend Kilometer gerüstet.
Da eine lange Standzeit Gummi aushärten lässt, erhielt der neue Motor neue Dichtungen an allen Gehäusedeckeln, an Zylinderfuß und -kopf, an Ventilschäften und Wellen. Zur Bestandsaufnahme des Chassis wanderte beim Aussortieren erst einmal eine ganze Menge in die Schrottkiste: Sitzbank, Schwinge und Räder mussten weichen, übrig blieben der Hauptrahmen mit Gabel und ein paar zeitgenössische Attribute, die Baujahr und Abstammung sichtbar machen.
Dann kam die Stunde der rustikalen Schlosserei, bei der der Trennschleifer trennte und schliff, was dem Konzept des sichtbaren Leichtbaus entgegenstand. Von den ursprünglich 172 kg Trockengewicht sollten im zulassungsfähigen Straßentrimm höchstens 150 übrig bleiben, Formen, Linien und Flächen transparent auftreten: Leichtigkeit, die man sieht, Technik, die sich zeigt, und metallische Oberflächen, die das Auge locken.
Um Platz für die Scrambler-typischen, hochgezogenen Schalldämpfer zu schaffen, musste das Rahmenheck komplett neu entstehen. Die Stereo-Federbeine ersetzte ein einzelnes, leicht außermittig positioniertes Exemplar von Wilbers. Während gängige Scrambler ihre Krümmer um den Rahmen herumführen, schlängeln sich am Scracer 402 die aus vorgefertigten Edelstahl-Rohrbögen zurecht gesägten und WIG-verschweißten Rohre zwischen Motor, Vergasern und Federbein durch den Rahmen. Das einzelne Feder-Dämpfer-Element übt ein extremes Biegemoment auf die Schwinge aus, weshalb nun eine umgeschweißte Aluminium-Schwinge der ersten Suzuki GSX-R 750 das 3.50 x 17-Drahtspeichen-Hinterrad führt.
Die hohe dynamische Belastung (bis zu 1000 kg) des direkt angelenkten Federbeins würde auch die 25er-Rahmenrohre zwischen Schwinge und Tank überfordern. Zusätzliche Rohre mit ovalem Querschnitt stabilisieren diese Verbindungen deshalb. Die 33er-Telegabel vorn durfte bleiben. Lediglich ihren Innereien verpassten verkleinerte Ölbohrungen eine stärkere Zug- und Druckstufendämpfung, und sanftes Überdrehen beschnitt die hydraulischen Anschläge in ihrer Wirkung.
Noch ein Stilbruch für heute, dann können die Puristen, die den Text bis hier ausgehalten haben, durchatmen: Am linken Gabelholm umgreift eine Sechskolben-Bremszange die schwimmend gelagerte 320er-Scheibe. Wie das bremst? Wie es mit der Suzuki weitergeht? Mehr zum Scracer 402 erfahren Sie in MOTORRAD CLASSSIC 4/2010.