Vor jedem Rasthaus und auf jeder Höhe stehen sie. Zischen als bunte Farbkleckse zu Tal, bollern in die Spitzkehren, feiern bergauf Triumphe und passieren die Autos gleich reihenweise: Zu Sommerzeiten gehören Motorradfahrer in die Alpen wie Edelweiß und Enzian.Doch eigentlich vollzog sich die touristische Eroberung dieser Gebirgskette eher zögernd: von Hannibal bis Goethe - jahrhundertelang nichts als Meckereien über beschwerliche Reisen. Und daran änderte sich - Heidi hin, Luis Trenker her - bis in die Neuzeit wenig. Sogar die ersten Kohorten motorisierter Urlauber trachteten beinahe ausschließlich danach, möglichst rasch und pannenfrei das gelobte Ziel zu erreichen. Italien, weil dort die Zitronen blühen. Wohlverdienter Rastplatz nach einer Expedition, deren Strapazen noch bis weit in die fünfziger Jahre an Granada-Dakar heranreichten - nur ohne Satelliten-Navigation. Schon damals, in den fünfziger Jahren, verdienten die Motorradfahrer besonderen Respekt. Dosendeckelbremsen und Starrahmen, Leistungen zwischen 10 und maximal 30 PS: Ängstlich lauschten die Altvorderen, ob ihre luftgekühlten Motoren klingelten. Sie klingelten bei jeder Steigung, also stiegen sie ab und schoben unter kultischen Flüchen den Zündzeitpunkt zurück. Hustend und sprotzend markierte das Aggregat zuverlässig jede Baumgrenze, und so griffen sie erneut zum Werkzeug, um auch noch die obligatorisch mitgeführte Kerze niederen Wärmewerts zu installieren. Endlich - kaum befreit vom mechanischen Survival-Training der Auffahrten - knatterten sie zu Tal, Fading als ständigen Begleiter.Dennoch kehrten einige immer wieder um. Pfiffen auf dolce vita und Zitroneneis. Teilten die Almen mit Rindviechern und die Felsen mit Ziegen. Wurden zu Pionieren einer Urlaubsform, die Entdecken als Erholung begriff. Allein, fern der Menschen, stürmten sie von einer göttlichen Aussicht zur nächsten, voller Vertrauen in die Kraft ihrer Maschine und die eigene Stärke. Die Alpen verwandelten sich vom Hindernis zur Kulisse.Dieses berauschende Gefühl, alles im Griff zu haben. Im rechten. Neue Wege suchen. Daheim über die geheimsten Pässe orakeln. Von Schotterauffahrten und Saumpfaden. Am Stammtisch noch einmal in die Kehren legen. Mit Prozenten protzen. »Und die Karre hat immer mitgespielt.« Kennen wir, kennen wir doch alle. Trotz ADAC-Schutzbrief und elektronischem Motormanagement: Das Alpen-Virus darf mittlerweile als vollkommen resistent gegen jede Form touristischer Einheitsmedizin gelten. Sollte es je aussterben, würde damit der Niedergang des Motorradfahrens eingeläutet.Doch das Alpenfieber bricht in unterschiedlichen Intensitäten aus. Die allerschlimmsten Fälle betreut das ACTION TEAM von MOTORRAD: Alpen-Classic nennt sich eine Veranstaltung, die alljährlich zwei, drei Handvoll Kradler veranlaßt, ihren Spleen so authentisch wie möglich auszuleben. Auf alten Motorrädern nämlich, über möglichst schwierige Pässe.Treffpunkt war im vergangenen Jahr Goms. Das klang geheim genug, um BMW R 62, Gilera Saturno und Horex Imperator abzustauben. Ganz im Nordosten des Kanton Wallis, wo die Rhone ihrem Gletscher Ade sagt und die Reise zum Mittelmeer antritt, schmiegt sich das muntere Tal zwischen die umliegenden Dreitausender. In aller Frühe ist fröhliches Anlassen. Es knallt und pufft, irgendeiner kommt tiefgefroren von ausgedehnten Einstellfahrten zurück, ein anderer verstaut die Würstl im Tankrucksack.Die Finger sind noch klamm, aber der Anblick wärmt enorm: An Heustadeln und Geranienkübeln vorbei tuckert die Oldie-Prozession aus Gluringen hinaus. Schnurrt durchs nahe Münster, nimmt die bewaldete Rampe zum Grimselpaß in Angriff. Ab Grimseln gilt«s, weit ausgebaute Kurven, neu asphaltiert. Zwei TL 1000-Fahrer schießen im Formationsflug vorbei. Eine Demonstration purer Lust, aber auch purer Macht: Die besseren Stilnoten gehen ganz klar ans Veteranenvölkchen. An Mathies Stüdemann beispielsweise, der die Handschaltung seiner BMW so flink bedient, als sei die immer noch Stand der Technik. An Joachim Horstmann, der den tiefen Baß seiner Aermacchi nie sterben läßt. »Immer den Schwung mitnehmen, bloß nicht bange werden und vom Gas gehen.« Bergab wird daraus ein zeitlos sicheres Erfolgsrezept, allemal wenn ein alter Bahnfahrer im Sattel sitzt.Dichter Nebel wabert über die Paßhöhe, verschluckt Hospiz samt Aussicht. Sechs Volt funzeln durchs Grau, vorsichtig tastet sich die Karawane der deutlich schmaleren Abfahrt entgegen. Unverzagt, denn wer die Alpen erkundet, weiß zu hoffen. »Wird schon«, brummelt Mathies und fährt natürlich weiterhin ohne Handschuhe. Weiterhin abgeschirmt von seiner ewig fröhlichen Ingrid, die vergnügt auf dem Schwingsattel wippt. Allen Sozias zur Mahnung und der rotgefrorenen Nase zum Trotz.Bis Kerns schnurrt es nur so. Laufen lassen eben, den Motoren eine Ruhepause gönnen, ihre Verfassung abhorchen. Dann in den Wald hoch. Waren da nicht blaue Himmelslöcher über den Buchen? Keine Zeit für blaue Wunder, erstmal diesen Schotterpaß hoch, und Udo Tallarek läßt die Emme samt Beiwagen richtig fliegen. Driften macht nämlich auch gute Laune. Am Waldausgang wartet schon Sigi Naumann, lehnt über den Lenker seiner RT 125. Und staunt, denn dafür sind die Alpen eigentlich da. Blinzelt ins grünste Almengrün, zwinkert dem Vierwaldstätter See entgegen und murmelt: »Noch zwei Kurven, da gibt«s Brotzeit. Ich komm dann nach.«Sigi staunt noch ne Weile, und Horst Scherer kommt sowieso später. Der Moto Guzzi GTS 500 von anno vor dem Krieg ward«s zu heiß. Weil er immer so kräftig am Gas dreht. »Dann fahr doch langsamer.« »Wie geht das?« hat Horst gefragt, und darüber lacht der ganze Verein noch beim Nachtisch. Doch glaube keiner, daß Kaffee und Kirschkuchen gegen das Virus helfen: Die an sich erbauliche Passage über den Vierwaldstätter See mit blendenden Aussichten auf Engelberg und Glarner Alpen zehrt ganz schön an der Geduld, die Auffahrt nach Andermatt erfolgt im Sauseschritt. »Immer den Schwung mitnehmen.« Wer hier nicht Herz zeigt, den verläßt später der Mut.In Andermatt rechts ab. Aber dann nicht links zum Gotthard hoch, der kommt erst morgen dran, sondern geradewegs auf den Furkapaß. Dammastock, Winterstock und Galenstock drohen von der einen, Mutterhorn und Rotondo von der anderen Seite. Alle über 3000 Meter hoch. Ob 125 Kubik reichen? Ob die GTS 500 endgültig schlapp macht? Die Simson heißt zwar Sport, wird aber dennoch fürsorglich von ihrer Sozia befreit. Umquartierung. Norbert Kappes, der Tourguide, knattert auf seiner orangefarbenen MZ vorneweg. Wie ein Signal. Zweiter Gang, erster Gang.Es läuft wieder, die Anspannung steigert das Vergnügen. Ein Blick zurück auf den rührend bemühten und röchelnden Lindwurm, der sich da durch die Kehren schlängelt. Dann wieder voraus. Enges Geschlängel, schlechter Belag, kalter Wind im Gesicht, nachlassende Motorleistung. Endlich: 2431 Meter sind bezwungen. Gipfelsturm und Spitzenfeeling. »Jetzt nen Kaffee.« »Aber dann aber schnell weiter.
Infos - Alpen-Classic Schweiz
Ganz in der Nähe von Gotthard, Grimsel- und Furkapaß gelegen, eignet sich das Goms perfekt für einen kürzeren oder längeren Motorradurlaub in den Alpen. Es besteht im wesentlichen aus dem oberen Rhonetal und den umliegenden Bergriesen.
AnreiseVom Bodensee ists eigentlich nur ein Katzensprung bis ins Wallis, dessen nordöstlichen Zipfel das Goms bildet: Von Konstanz oder Bregenz über Wattwil nach Glarus und Altdorf. Dann über Andermatt dem Furkapaß entgegen. Die Passage am Rhonegletscher vorbei leitet den Abschluß einer erbaulichen, knappen Tagestour ein. Einer preiswerten obendrein, denn die Kosten für die Autobahnplakette bleiben gespart. Wers eiliger hat, muß halt zahlen und nähert sich via Chur (von Osten) oder Schwyz (Westen) dem Zielgebiet.UnterkunftAb Ulrichen, dort beginnt die Anfahrt zum Nufenenpaß, wimmelt es im Goms nur so von Hotels und Pensionen. Bei über 2500 Betten und noch einmal 4000 Ferienwohnungen sollte auch im Hochsommer kein Mangel auftreten. Das ACTION TEAM von MOTORRAD logierte während der Alpen-Classic im Jungbrunnen zu Gluringen (Telefon 0041-27/97415000, Fax 9741501), in dem Motorradfahrer ganz besonders gern gesehen sind: Der Wirt fährt selbst, kennt Dutzende von Tourentips, vermietet zu reellen Preisen und weiß obendrein den Kalorienbedarf nach anstrengender Tour richtig einzuschätzen. Campingplätze hat das Goms vier an der Zahl, nähere Infos erteilt Schweiz Tourismus unter Telefon 069/256001-0.Zeitaufwand 3 Tage Gefahrene Strecke zirka 600 Kilometer((MOTORRAD ACTION TEAM))Elf Classic-Touren hat das ACTION TEAM bereits organisiert, und an der zwölften wird natürlich schon heftig gebastelt: Vom 5. (Anreisetag) bis 11. (Abreise) September soll es heuer nach Kärnten gehen. Die Motorräder der Teilnehmer sollten mindestens 20 Jahre alt sein. Vorkriegsmodelle und Gespanne sind besonders gern gesehen, und weil es wieder drei bis vier leistungsbezogene Gruppen gibt, muß niemand Angst haben, nicht mitzukommen. Jede Gruppe wird von einem Tourguide geführt und von einem Transporter als Lumpensammler begleitet. Nähere Informationen erteilt das ACTION TEAM ab Ende April unter der Rufnummer 0711/182-1977 oder auf Fax-Anfrage unter 182- 2017.