Alpen-Wintertour

Alpen-Wintertour Winter für Kaltduscher

Wenn die Sonne kurzfristig das Eis von den Straßen leckt, können Abenteuerlustige auf die Idee einer Wintertour kommen. Josef Seitz hat es in den Alpen ausprobiert.

Winter für Kaltduscher Seitz

Die Honda will partout nicht aus dem Winterschlaf erwachen, nörgelt widerwillig auf einem Zylinder herum. Doch mit neuer Batterie als Energiequelle drückt der Anlasser die Kolben so lange geduldig auf und ab, bis dem 750er endlich warm wird. Hüstelnd schüttelt er sich noch ein paar Mal, bis beide Zylinder im vertrauten Paarlauf wieder dem Zweck ihres Daseins folgen. Alle Lampen melden endlich roger, also Koffer ran und los geht’s.

Gleißendes Licht schimmert über der schneebedeckten Landschaft, und je tiefer die Straßen ins Allgäu vordringen, desto höher türmen sich die Schneewächten am Straßenrand. Erste Bergspitzen ragen am Horizont empor, dann schiebt sich die Alpenkette theatralisch über die letzten Hügelkuppen des Voralpenlands. Der Winter funkelt von seiner schönsten Seite und noch spendet die Thermojacke mollige Wärme. In einem Bogen geht es auf trockenen kleinen Straßen um die alte Römerstadt Kempten, Martinszell, Oberdorf. Schließlich taucht der Niedersonthofener See auf, und ich folge dem Wegweiser zum Gasthof Alpenblick. Der macht seinem Namen alle Ehre und bietet eine einmalige Aussicht auf die gezackten Gipfel der Oberstdorfer Bergwelt. Vorsichtig lasse ich die Honda über teils vereiste Straßen wieder zurück ins Tal rollen und versuche jenseits der überlasteten B 19 Richtung Oberstdorf zu gelangen. Was nicht immer à la Karte gelingt. So wurde der kleine Weg von Diepolz hinab zum Alpsee wintersportlich umfunktioniert und auf der Schneedecke kurzerhand eine Loipe gespurt. Allerdings eröffnet der erzwungene Umweg zauberhafte Winterlandschaften. Zeitweise lassen meterhohe Schneewände Gefühle wie in einer Bobbahn aufkommen. In Obermaiselstein folge ich der Ausschilderung zur Breitachklamm. Für die Honda wird’s dort bald eng, der Fahr- verkleinert sich zum Fußweg, drückt sich entlang der Breitach knapp über dem Flussbett immer enger an die Felswand. Eine märchenhafte Szenerie, mächtige Eisschilde bedecken die Schlucht, meterdicke Eiszapfen und gefrorene Wasserfälle formen bizarre Kunstwerke aus Fels, Schnee und Eis.

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Dann geht es rein in den Oberstdorfer Bergkessel, durch Deutschlands bekanntestes Dorf und auf der Ostseite des Tals weiter nach Hindelang. Direkt dahinter macht sich der Oberjochpass an den Anstieg zum Tannheimer Tal. Ich genieße ihn mit Vorsicht. Die Teerdecke ist zwar schneefrei, aber Schmelzwasser hat feinen Staub auf die Straße geschwemmt. Trotzdem ist der Kurvenspaß belebend und löst geradezu sommerliche Gefühle aus. Oberjoch ist Skigebiet, und beim Kaffee an der Talstation ruhen überraschte Blicke auf mir und der Twin. Ob es nicht zu kalt zum Motorradfahren sei? Natürlich ist es zu kalt. Doch auch genial. Nach dem Aufwärmen mummele ich mich wieder bis über die Nasenspitze ein und wechsle durch ein schmales Tal zwischen Grän und Pfronten wieder an den Rand des Gebirgszugs.

Seitz
Glücksfall im Januar: trockene Straße beim Speicher Längental.

Hinter dem zugefrorenen Weißensee erreiche ich in Füssen die Lieblingsregion des Kini, von 1864 bis 1886 König Ludwig II. von Bayern. Seine Schlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein strahlen nach einer grundlegenden Renovierung in neuem Glanz. Nach Neuschwanstein führt ein steiler Fußweg durch den Wald, der mein Konditionsdefizit gnadenlos offen legt. Im tiefen Schnee rutsche ich mit jedem Schritt vorwärts wieder einen halben zurück. Aber, frei nach Altkanzler Schröder, ich will da rauf. Außer Atem erreiche ich die Teerstraße, auf der gerade ein mit Japanern besetztes Pferdegespann zum Schloss hinanschaukelt. Leichte Verwunderung in der Kutsche, als ich mit hochrotem Kopf und um Atem ringend am Straßenrand auftauche. Ich will aber noch weiter, hinauf zur 90 Meter hohen und abenteuerlich über die Pöllatschlucht gespannten Marienbrücke. Mit Ausblick auf Ludwigs Lieblingsschloss. Kini und die Extravaganz.

Bestens aufgewärmt, bummle ich zurück nach Füssen, um dort auf die alte Grenzstraße nach Österreich abzubiegen. Ein kurzes Stück begleitet mich der grüne Lech, aber schon in Reutte weicht meine Route zum Plansee ab. Die Strecke war bis gestern noch wegen Lawinengefahr gesperrt, jetzt ist das Warnschild von einer roten Latte durchkreuzt. Auf dem zugefrorenen Plansee türmt sich rau der Schnee, auf der Uferstraße zentimeterdick der Splitt. Aus Umweltgründen werden in Österreich viele Straßen nicht gesalzen, sondern lediglich geräumt und gestreut. Am Ammer Sattel nehmen entsprechend ganze Eisplatten die Straße ein und kosten bei der Abfahrt einiges an Nerven. Die Ostseite des Passes verbirgt sich im Bergschatten, wodurch die Temperatur prompt um mehrere Grade sinkt. Beißend macht sich sofort die Kälte an den Händen und unter der Jacke breit.

Schloss Linderhof taucht auf. Ja, ja, der Kini hat Schlösser gebaut wie andere Leute Hundehütten. Mir ist nun allerdings definitiv zu kalt für königliches Gemäuer. In einem alten Bauernhaus finde ich freundliches Logis und sitze bald mit der Großmutter am bullernden Kachelofen. Sie erzählt Geschichten von früher, als der Hof verkauft worden war und wie sie ihn später aus königlichem Besitz zurückerwarben. Schildert die Zeiten ohne Schneepflug, als das ganze Anwesen mit der Schippe freigeschaufelt werden musste. Bald kenne ich die halbe Familienhistorie, erfahre vom arbeitsreichen Leben auf dem Hof, früher ohne Traktoren, heute mit – und mit neuen Sorgen. Meine Vorstellungen von der guten alten Zeit zerbröckeln etwas, die Idylle des alten Holzhauses bekommt einen Kratzer. Dennoch scheint das Leben der drei Generationen hier unterm Dach noch Hand und Fuß zu haben.

Alpen-Wintertour (2)

Seitz
Blick von der Marienbrücke auf Schloss Neuschwanstein.

Nachts schlägt das Wetter um. Und die traumhaften Föhntage wechseln ins feuchte Grau. Immerhin steigt die Temperatur über null. Schemenhaft taucht die mächtige Kuppel des Ettaler Klosters über einer Nebelbank auf, und allmählich einsetzender Regen lässt die Garmischer Lüftlmalereien durchs nasse Visier wie Aquarelle schimmern. Der Nebel wird dichter, die Berge sind schon lange verschwunden, und ich suche verzweifelt die Abzweigung nach Leutasch. Die Strecke soll wegen Lawinengefahr zeitweise gesperrt sein, versuchen will ich es trotzdem. Ich habe Glück, die Lawinenschranke ist offen und steinharte, heckenhohe Schneewände geleiten mich nach oben.

Langsam schält sich die Bergwelt aus dem Nebel, und als ich den Motor für kurze Zeit abstelle, ist es mucksmäuschenstill. Plötzlich dröhnt ein Donner durch das Tal, als würde ein Sprengkörper gezündet. Das zumindest ist mein erster Gedanke. Nur scheint das Donnern nicht mehr enden zu wollen. Erst jetzt erkenne ich, wie direkt vor der gegenüberliegenden Bergwand riesige Schneemassen herunterkrachen. Eine Schneelawine schießt über eine Felskante, stürzt im freien Fall fast bis zum Fuß des Bergs. Aus der Ferne sieht es aus, als tose ein Wasserfall zu Tal. Dieses Krachen werde ich heute noch mehrmals zu hören bekommen, denn der Regen hat den Schnee schwer gemacht. In einer Gastwirtschaft in Leutasch höre ich, dass Lawinenwarnstufe vier ausgegeben wurde. Fünf gibt es insgesamt. Und am nächsten Morgen werde ich erfahren, dass hier oben in den Bergen an dieser Straße ein Jäger aus Mieming sein Leben in den Lawinen verloren hat.

Mir bereiten Lawinen offen gestanden weniger Sorgen als vereiste Straßen. Was, wenn es heute Nacht richtig kalt wird? Egal, wohin ich mich von Leutasch aus bewege, es geht stets kräftig den Berg runter. Zu Hause hatte ich eine dünne Kette bereitgelegt, um sie im Notfall um die Reifen wickeln zu können. Vergessen! Nun, ich bleibe trotzdem, das kleine Leutasch gefällt mir. An Zimmern besteht freie Auswahl. Meine Befürchtung, die Skifahrer könnten alles belegen, bestätigt sich in keiner Weise. Im Gegenteil, die Hauswirtin erzählt, dass diese Zeiten längst vorbei seien. Sie bittet mich, Leutasch unbedingt in meinem Reisebericht zu erwähnen. Seit der Eingemeindung zu Seefeld erscheine ihr Dorf nämlich nur noch unter „ferner liefen“.

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Das gilt im Prinzip für die gesamte vorgestellte Strecke.

Am nächsten Morgen wabert die Nebelsuppe derart dick, dass sich nicht mal ein Ansatz von Bergen abzeichnet. Dafür ist die Straße eisfrei. Ich schleiche im Blindflug hinunter nach Telfs, überquere den Inn und wähle ein kurzes Stück Ötztal bis zum Abzweig Kühtai. Nach dem Motto „die Hoffnung stirbt zuletzt“. Diesmal stirbt sie nicht. Auf etwa 1500 Meter Höhe verdünnisiert sich der Nebel schlagartig, und die Sonne knallt auf ein verschneites Bergpanorama, bei dessen Gestaltung sich der Herrgott besonders angestrengt haben muss. Glasklare Luft und trockene Straße – der Winter präsentiert seine schönste Seite, während ich Kurve um Kurve genieße bis hinauf auf 2017 Meter. Wo ich auf dem Kühtaier Sattel mit mindestens tausend Skifahrern zusammentreffe. Auf der Ostseite wartet der Nebel, das Dörfchen Sellrain, auf halber Passhöhe zwischen den steilen Talflanken klemmend, steckt schon drin.

Innsbruck ist schnell durchquert, am Inntal-Südhang rolle ich östlich weiter ins Zillertal. Eingerahmt von mächtigen Zweieinhalbtausendern hat es einen teils mehrere Kilometer breiten, fast topfebenen Talboden, der erst nach und nach ansteigt. Und eher an das Schwemmland einer gewaltigen Flussmündung erinnert als an ein Alpental. Erst ab Mayerhofen wird es enger und hügeliger. Der Weg zum Schlegeisspeicher steigt hart an der Felswand wenige Meter über der Ziller nach Süden auf, um dann den Fluss auf einer steinernen Bogenbrücke nach Ginzling zu überqueren. Wenige Kilometer später versperrt erneut ein Lawinenwarnschild die Weiterfahrt. Ich überquere die Ziller noch einmal, versuche auf der Westseite des Tals voranzukommen. Umsonst. Der Weg endet ein Stück weiter oben an einem alten Bauernhaus. Vorsichtig wende ich und kann nur mühevoll die Fuhre mit rutschenden Stiefeln auf der Eisdecke in der Spur halten.

Bei Zell erkundige ich mich in der kleinen Schaukäserei hinter Hainzenberg, ob die Strecke zum Gerlospass frei ist. Ja, der Pass sei praktisch immer offen. Sobald ein paar Zentimeter Schnee fallen, rücken die Räum- und Streufahrzeuge aus. Die Skiregionen können sich Ausfälle nicht leisten. Um keine Wintersportler zu vergraulen, sei sogar die Gerlos-Straße im Winter mautfrei, erfahre ich. Soso. Sehr überraschend, wenn man bedenkt, wo im Sommer überall abkassiert wird. Egal, jetzt profitiere ich davon und rolle auf der kurvenreichen Abfahrt von Gerlos in den Nationalpark Hohe Tauern, der hier mit einem seiner spektakulärsten Naturschauspiele aufwartet, den Krimmler Wasserfällen. Aus mehreren Wasserabstürzen übereinander bestehend, bilden sie, sofern man die einzelnen Höhenstufen zusammenzählt, den fünfthöchsten Wasserfall der Erde. Obwohl diese rechnerische Größe nicht direkt zu sehen ist, beeindruckt das ohrenbetäubende Getöse des untersten und größten Falls jährlich bis zu 400000 Besucher. Da hat ein Besuch im Winter seine Vorteile. Während sich im Sommer die Touristen hier gegenseitig auf die Füße treten, gehört mir heute der Wasservorhang ganz allein.

Alpen-Wintertour (Infos)

Seitz
Seltener Anblick: Winterfahrer auf österreichischer Skipiste.

Eine Alpentour im Winter? Per Motorrad? Verrückt? Ja, irgendwo schon, aber auch ein Erlebnis der besonderen Art. Intensiver lässt sich die kalte Jahreszeit kaum erfahren.

Übernachten
Ein angenehmes Thema in den winterlichen Alpen, denn warme Unterkünfte gibt es praktisch an jeder Straßenecke. Je nach Geschmack und Geldbörse kann zwischen Privatzimmern, Pensionen, Gastwirtschaften oder Hotels gewählt werden. Die Preise für Privatübernachtungen inklusive Frühstück beginnen bei 20 Euro pro Person, Gasthöfe und Hotels verlangen ab 27 Euro. Nur während der Ferienzeiten kann in ausgesprochenen Skigebieten das Bettenangebot knapp werden.

Strecke
Die Route führt über einige Passstrecken, die zeitweise wegen Lawinengefahr gesperrt sein können. Dazu gehört die Straße entlang des Plansees sowie die Auffahrt von Mittenwald nach Leutasch. Bei entsprechender Schneelage treten solchen Sperrungen unter Umständen sehr kurzfristig in Kraft.

Karte: Maucher
Zeitaufwand: zwei Tage; Streckenlänge: 650 Kilometer.

Sehenswert
Was im Sommer eventuell als langweilig empfunden wird, kann im Winter hochattraktiv sein. Beispielsweise die Breitachklamm bei Oberstdorf und die Partnachklamm bei Garmisch-Partenkirchen. Wenn gegen Ende des Winters die mächtigen Eisschilde abzubrechen drohen, werden die Schluchten jedoch geschlossen. Ob die Partnachklamm begehbar ist, weiß der Klammwart unter Telefon 08821/3167. Infos über die Breitachklamm gibt es im Internet unter www.breitachklamm.com. An der Strecke liegen drei Schlösser König Ludwigs, Neuschwanstein, Hohen- schwangau und Linderhof. Infos unter www.schloesser.bayern.de. Ebenfalls einen eigenen winterlichen Reiz verströmen die Krimmler Wasserfälle am Ostende des Gerlospasses im Nationalpark Hohe Tauern. Alles zum Thema Käse bietet die Erlebnis-Sennerei Zillertal in 6290 Mayerhofen/Hollenzen, Telefon 0043/(0)5285/62713. Kunst und Mystik vereinen sich in den Swarovski Kristallwelten in 6112 Wattens, Kristallweltenstraße 1, Telefon 0043/(0)5224/51080, an deren Verwirklichung André Heller mitgewirkt hat.

Motorradfahren im Winter
Der Mensch: Moderne Materialien helfen sehr gut im Kampf gegen die Kälte. Trotzdem sollte explizit darauf geachtet werden, dass die Kleidung besonders an Hals und Handgelenken abdichtet, denn der größte Wärmeverlust findet meist dort statt. Optimalen Schutz bieten per Klettverschluss anpassbare Halskrausen, die zusätzlich Brust- und Nackenbereich abdecken. Sind die Handschuhe an den Fingern zu eng, wird die Durchblutung gehemmt und die Kälte hat schnellsten Zugriff. Besser um die Finger ein kleines Luftpolster entstehen lassen. Außerdem müssen die Handschuhe winddicht und an den Stulpen gut verschließbar sein. Bei Ledermodellen unbedingt die Nähte vor allem an den Fingerkuppen reichlich einfetten. Wer zusätzlich noch eine Griffheizung einbaut, ist gut gerüstet.

Die Maschine:
Nach der Fahrt baldmöglichst vom aggressiven Streusalz befreien und intensiv reinigen. Beim Entsalzen per Hochdruckreiniger dringend Abstand zu den Lagern an Lenkkopf, Rädern und Schwinge halten. Während im Sommer eindringendes Wasser meist bald wieder verdunstet, setzt es sich im Winter in den Lagern fest und beschleunigt den Verschleiß enorm. Eventuelle Lackschäden vor der Fahrt ausbessern und die Kette dick einfetten, damit Salzwasser gar nicht erst angreifen kann. Um am nächsten schönen Wintermorgen startklar zu sein, rechtzeitig die Batterie checken: Zeigte sie im Sommer schon Schwächen, gibt sie bei Kälte mit Sicherheit den Geist auf. Vorsicht in Sachen Reifenhaftung: Durch die niedrigen Temperaturen finden Gummi und Asphalt auch bei trockener Straße nicht zur gewohnten Verzahnung, und der Grip kann unerwartet abreißen.

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