Vom Rest der Welt nahezu isoliert, hat sich das buddhistische Königreich Bhutan im Himalaja seinen einzigartigen Charme erhalten können. Ein Motorradtrip mit Seltenheitswert.
Vom Rest der Welt nahezu isoliert, hat sich das buddhistische Königreich Bhutan im Himalaja seinen einzigartigen Charme erhalten können. Ein Motorradtrip mit Seltenheitswert.
Welcome Sir„, kräht eine helle Kinderstimme aus einer Fensterluke, als Jürgen und ich vor einem Laden in Thimphu auf unseren Freund und Begleiter Kinley warten. “Where are you from?„ möchte der Sprössling weiter wissen. Meine Antwort versetzt ihn offensichtlich in Erstaunen. “Europe, that is a long journey”, erwidert er. Verblüffend, wie vertraut der Knirps mit der englischen Sprache ist und sogar weiß, dass Deutschland ein Staat im fernen Europa ist. Nach unseren ersten Eindrücken von Thimphu, der Hauptstadt des kleinen buddhistischen Königreichs an der Südflanke des östlichen Himalaja, hätte ich das nicht erwartet. Vielmehr fühle ich mich zurückversetzt in eine andere Epoche. Selbst in der Metropole findet sich keine einzige Ampel, und das Zentrum besteht aus kleinen, eher schmuddeligen Krämerläden. Den in bunte Gewänder gehüllten Menschen scheint Hektik zudem völlig fremd.
Mit den Motorrädern auf 3.200 Meter Höhe
Es ist Ende November, die angenehm wärmende Sonne spiegelt sich in den Tanks mehrerer KTM 640 Adventure, die Kinley für unsere Gruppe startklar gemacht hat. Gleich darauf zieht der Tross von Thimphu in Richtung Osten hinauf zum Dochu La-Pass los, der laut Reiseführer 76 Kilometer entfernt liegt. Was zu Hause weniger als eine Stunde dauern würde, benötigt in Bhutan fast einen halben Tag. Schlaglöcher, Wellen und Buckel verunstalten den Asphalt des kurvigen Sträßchens, das durch dichte Kiefernwälder stetig bergauf führt. Mit jedem Kilometer wird es frischer. Mein Höhenmesser zeigt knapp 3200 Meter an, als wir die Passhöhe erreichen, auf der ein kleiner Tempel thront.
Diese so genannten Chorten oder Stupas finden sich überall im Land und sollen an die Verstorbenen erinnern. Unzählige bunte Gebetsfahnen – entweder auf hoch in den Himmel ragenden Pfählen befestigt oder quer über die Straße gespannt – flattern im Wind. Abgelenkt von diesem Szenario entgeht uns zunächst das Panorama. Im Norden strahlt die schneebedeckte Kette des Himalaja, überragt nur vom Kula Kangri. Der noch unbestiegene Riese erhebt sich stattliche 7554 Meter.
Unten im Tal angelangt, besuchen wir den farbenprächtigen Dzong von Punakha, eine im 15. Jahrhundert errichtete Klosterburg mit mehreren Tempeln. Dieses Wunderwerk der bhutanischen Baukunst dient gleichzeitig als Sitz der Distrikt-Verwaltung sowie als religiöses Zentrum. Vor dem Einlass tauscht Kinley die Motorradkluft gegen seinen Gho, das traditionelle Gewand der Bhutaner, das er im Koffer mitgeführt hat. Bei Touristen müssen nur die Schuhe – in unserem Fall die Motorradstiefel – vor der Tür bleiben. Die Farbenpracht der Tempel sowie die überdimensionalen Buddha-Figuren im Inneren sind atemberaubend. In anderen Ländern wären solche Orte von einer Touristenflut überschwemmt, hier sind wir die einzigen Ausländer.
Zum Abschluss des Tages möchte Kinley uns seine Verwandten vorstellen, die einige Kilometer nördlich von Punakha leben. Der Weg dorthin führt über eine etwa 100 Meter lange Hängebrücke. Angesichts der vielen losen Bretter hoch über dem tosenden Phochu-Fluss breitet sich ein überaus flaues Gefühl in der Magengegend aus. Je weiter ich auf der KTM in die Mitte der Brücke gelange, desto mehr fängt das zu Gebilde schaukeln an, zu allem Überfluss herrscht heftiger Seitenwind. Ein paar heftige Gasstöße helfen, die Enduro einigermaßen auf Kurs zu halten.
Auf rutschigem Lehm geht es zunächst in einen tiefen Taleinschnitt hinein, von dem aus wir die Motorräder schließlich steil zu einem kleinen Dorf hinaufquälen. Ohne Schieben ist der halsbrecherische Eselspfad nicht zu bewätigen. Uns wird heiß. Am Haus von Kinleys Onkel angelangt, werden wir für alle Strapazen grandios belohnt: selbst gebrautes Bier. Welch ein Genuss! Während wir den ersten Durst löschen, hat sich das ganze Dorf versammelt. Die außerordentlich freundlichen Bewohner bestaunen ehrfürchtig die hochbeinigen Enduros. Den meisten reicht die Sitzbank fast bis zur Brust.
Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind Fremdwörter
In dem kleinen Ort lernen wir aus nächster Nähe das Leben auf dem Land kennen. Die ganze Familie wohnt unter einem Dach, vom Säugling bis zur Großmutter – in Bhutan scheint das Sozialsystem noch intakt. Wie über 80 Prozent der Bevölkerung betreibt auch unsere Gastfamilie ausschließlich Ackerbau und Viehzucht. Maschinen gibt es keine – die schmalen Reisterrassen im Hang werden mit Ochsengespannen gepflügt. Beeren, Früchte und Pilze aus dem Wald verkaufen sie – nach einem langen Fußmarsch – am Wochenmarkt in der Stadt. Obwohl Bhutan zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, leidet niemand Hunger. Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind ebenfalls Fremdwörter in einem Land, in dem, so der König, „das Pro-Kopf-Einkommen der Bürger nie schneller wachsen soll als das Pro-Kopf-Glück“. Die Politik des überaus beliebten Monarchen sieht vor, den Tourismus so weit wie möglich zu begrenzen – die Sorgen Nepals, das vom Fremdenverkehr förmlich überrannt wurde, schrecken ab.
Am nächsten Morgen brechen wir zeitig auf, um nicht zu spät den nächsten Pass zu erreichen. Oft bilden sich im Laufe des Tages Wolken, die sich an den hohen Bergspitzen festsetzen und beißende Kälte mitbringen. In einer scheinbar nicht enden wollenden Folge von Kurven schlängeln wir uns auf dem Pele-La-Pass in die Black Mountains hinauf. Fast könnte man einen Drehwurm bekommen. Der Wald wird immer dichter. Von den knorrigen, hoch aufragenden Nadelbäumen hängen lange Moosfetzen herunter, die wie zerfranste Mäntel wirken. Dazwischen üppige Rhododendren-Wälder, durchsetzt von Bambus und Farnen. Direkt an der Passhöhe zwingt uns ein eigenartiges zotteliges Rindvieh mit mächtigen Hörnern zum Anhalten – ein Yak. „Diese Tiere haben sich perfekt der rauen, hoch gelegenen Umgebung angepasst“, klärt uns Kinley auf. Das gewaltige Urvieh hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.
In Trongsa sind wir in einer kleinen Lodge einquartiert und lauschen interessiert den Geschichten von Namgay, dem Hausherrn, der zugleich königlicher Umweltbeauftragter ist. Das weitgehend unerschlossene Bhutan, erzählt er, sei zu gut 70 Prozent mit Wald bedeckt, der nicht abgeholzt werden dürfte. Somit seien Überschwemmungskatastrophen oder Murenabgänge im Königreich gänzlich unbekannt. Eine überaus lobenswerte Politik.
Szenenwechsel: Wir fahren durch „Little Switzerland“, wie der Distrikt Bumthang auch genannt wird. Breite Täler mit Weiden, Almhütten und Rindern, umrahmt von hohen Bergen, deren Hänge von dichten Kiefern- und Lärchenwälder überzogen sind. Zeit für eine kleine Trekking-Tour. Ausgangspunkt ist das „Swiss Guest House“, das seit vielen Jahren von einem Schweizer Auswanderer betrieben wird. Kunstvolle Schnitzereien zieren das mächtige, im alpenländischen Stil erbaute Anwesen. Wir fühlen uns wie daheim.
Ziel der Tour ist ein entlegenes Kloster in den Bergen. Markierungen gäbe es keine, wir sollten einen der unzähligen Hunde mitnehmen, rät die Hausherrin, der kenne den Weg. Nach mehr als drei Stunden mühseliger Kraxelei erreichen wir das reich verzierte Kloster. Schon aus einiger Entfernung sind ungewohnte Klänge und Gesänge zu hören. „Eine Puja“, erklärt uns Kinley ehrfürchtig und beschreibt das Instrument als eine Mischung aus Trompete und Alpenhorn. Oben angekommen, tritt ein alter Mönch aus der Pforte und heißt uns herzlich willkommen. In Bhutan leben etwa 4000 Mönche, von denen die meisten Laienbrüder sind. Ihr Zeichen ist die rotbraune Kutte.
Wieder erfahren wir eine unglaubliche Gastfreundschaft, bekommen Tee und Kekse serviert. Und sollen unbedingt ein wohlschmeckendes, apfelweinartiges Getränk kosten, das uns nach mehrmaligem Nachschenken ganz ordentlich in den Kopf steigt. Später müssen wir auch noch Arra, einen lokalen Schnaps, probieren. Erst dann kommen wir zum Eigentlichen und dürfen einer Zeremonie im obersten Altar beiwohnen. Mönche – eingehüllt in Schwaden von Räucherstäbchen – lesen bei mystischen Klängen von den langen Blashörnern und Trommeln buddhistische Gebete.
Uns zieht es weiter Richtung Osten zum höchsten Pass dieser Reise. Verglichen mit europäischen Bergstraßen scheint der Aufstieg kein Ende zu nehmen. Die längste Gerade ist garantiert keine 100 Meter, den vierten und fünften Gang könnte man sich in diesem Land getrost sparen, reiner Luxus. Die erste Straße Bhutans wurde vor nicht einmal 40 Jahren gebaut, und die, auf der wir uns bewegen, erweckt den Eindruck, als habe man einen Eselspfad einfach mit Teer überzogen. In unseren Breiten würde eine solche Verbindung wegen Unpassierbarkeit gesperrt. In dem kleinen Königreich gilt die Straße als „Highway“ – wohl wegen der Höhe.
Wer in das kleine, an China grenzende Königreich Bhutan reist, fühlt sich garantiert in eine andere Welt versetzt. Allerdings gelingt eine solche Reise nur wenigen – der Monarch hat den Tourismus streng reglementiert.
Anreise
In das schwer zugängliche Bhutan gelangt man am einfachsten mit der staatlichen bhutanischen Fluggesellschaft Druk Air, die ihre Passagiere in Delhi, Katmandu oder Bangkok an Bord nimmt. Die Anreise über Land von Indien oder Nepal aus gestaltet sich aufgrund schlechter Straßen und unzuverlässiger Transportmittel als sehr umständlich.
Reisezeit
Im Oktober und November sind die Tage in der Regel sehr sonnig und klar (gute Fernsicht auf die Bergwelt), die Nächte können dagegen empfindlich kalt sein. Im Frühjahr gelten die Wetterbedingungen als nicht ganz so stabil, dafür präsentiert sich die Pflanzenwelt in voller Blüte. Während der Sommermonate herrschen monsunartige Niederschläge, und der Winter kommt wegen der Kälte ebenfalls kaum für eine Reise in Frage.
Dokumente
Als Individualtourist hat man derzeit keine Chance, nach Bhutan zu gelangen. Die einzige Möglichkeit ist eine organisierte Reise, die von einem autorisierten Reiseveranstalter durchgeführt wird. Pro Tag muss man mit etwa 200 bis 230 US-Dollar (150 bis 170 Euro) an Reisekosten (Führer, Unterkunft und Verpflegung) rechnen, und erst nach erfolgter Überweisung der Tagessätze kann durch den Reiseveranstalter das Visum beantragt werden. Aufgrund der hohen Kosten beschränkt sich die Besucherzahl auf zirka 4000 bis 5000 Touristen pro Jahr, die überwiegend aus den USA kommen.
Gesundheit
Impfungen gegen Hepatitis A und B sowie gegen Tetanus sind empfehlenswert. Die Desinfektion von Trinkwasser ist unbedingt angeraten, als unbedenklich für die Gesundheit gelten dagegen Mineralwasser, Soft-drinks und das lokale Bier.
Literatur
Ein guter Tipp ist »Bhutan« von Lonely Planet, ISBN 1-86450-145-6. Gibt es allerdings nur in Englisch. Preis: 27,80 Euro. Auf deutsch ist in der Edition Erde »Bhutan« von Frangoise Pommaret erschienen, 22.50 Euro. Die Himalaja-Karte aus dem Verlag Nelles Maps im Maßstab von 1:500000 für 7,90 Euro reicht für eine entsprechende Tour völlig aus.
Organisierte Reisen
Bei der Reportage handelt es sich um eine Tour von Himalayan Adventures. Der einzige bhutanische Veranstalter von Motorradreisen hat sieben KTM 640 LC4 Adventure und bietet auch Touren nach Tibet und Sikkim an. Die Preise für Bhutan-Reisen beginnen bei 2900 Euro, dazu kommt der Flug von Deutschland nach Delhi (ab etwa 600 Euro). Alle Infos finden sich auf der deutschsprachigen Internetseite www.himalayan-adventures.com.
Einzig KTM scheint die elementaren Wünsche der Fernreisefraktion erkannt zu haben: eine LC4 Adventure bringt vollgetankt nur 185 Kilo auf die Waage, rollt auf einem Fahrwerk der Extraklasse, verfügt über einen 25,5 Liter fassenden Kunststofftank und – falls einmal die Batterie schlapp machen sollte – über einen Kickstarter. Weiter wurde diesem Motorrad eine CDI-Einheit spendiert, die zusätzlich auf den Betrieb mit minderwertigem Kraftstoff abgestimmt ist. Schaut man in die Preislisten der Firmen, die entsprechendes Zubehör für nahezu jede gängige Enduro anbieten, erscheinen die 8560 Euro für die Adventure als äußerst moderat. Wer sofort auf große Reise gehen will, ordert seine 640 LC4 gleich ab Werk mit dem stabilen Trägersystem (241,60 Euro) inklusive der äußerst robusten Alukoffer, die entweder 35 Liter oder 41 Liter fassen (je 260,10 Euro). Fertig ist eine Reiseenduro, die besonders Groben ihre Talente ausspielt.
Umso verwunderlicher erscheint es, dass KTM in der Fernreiseszene nach wie vor ein Exot ist. Könnte am Image liegen. Zum einen haben die Österreicher noch immer nicht den allerbesten Ruf in Sachen Zuverlässigkeit. Zum anderen möchten viele Globetrotter tatsächlich nur ungerne mit der immer schrilleren Rallyeszene in Zusammenhang gebracht werden. Was wohl wäre, wenn auf den Tankflanken Yamaha, Honda oder Suzuki stehen würde...