Eine schwüle Nacht. Ich bin todmüde. 14 Stunden Flug, sechs Stunden Zeitverschiebung. 90 Prozent Luftfeuchtigkeit. Der Körper reagiert. Und morgen soll ich Motorrad fahren. 350 Kilometer gleich am ersten Tag, 40 davon off road. Klar heißt das zunächst nicht mehr als »jenseits befestigter Straßen«. Doch genau dieser Begriff läßt mich nicht zur Ruhe kommen. Tiefsand, grober Schotter oder überflutete Bachläufe, 30 Prozent Steigung oder dichtes Unterholz »off road« ist wie ein Zauberwort. Ab morgen werde ich diesen Zauber wieder spüren.Einen Zauber, der schon am Flughafen von São Paulo zu wirken beginnt. Fremde, neue Welt. Kurz vorher beim Landeanflug schwirrten mir noch Geschichten durch den Kopf, von Aids und Armut, von Touristenfallen und den Warnungen in manchen Stadtführern, nach 22 Uhr das Hotel nicht mehr zu verlassen. Doch jetzt winkt hier in diesem Trubel in der Flughalle ein schwarzgelockter Hüne, grinst von einem Ohr zum anderen und fragt in einem sehr nett klingenden Englisch: »Are you Karl from Germany?« Yes. Das bin ich. Er heißt Alberto, schüttelt mir die Hand, sagt: »Welcome to Brasil« und fährt mich mit traumwandlerischer Sicherheit durch das irrwitzige Verkehrschaos ins Hotel. »See you tomorrow.« Okay, Alberto, ich freue mich. Aber jetzt erst einmal ein Bier und eine Dusche und was zu essen und dann schlafen.Alberto hat ganze Arbeit geleistet. Er ist der Chef der Tour. Blitzblank gewienert stehen seine acht Suzuki DR 350 auf dem Parkplatz irgendwo inmitten der wuseligen Stadt. Daneben ein uralter Chevi, vier Liter Hubraum, Baujahr 1959, beladen mit allerlei Werkzeug, Reservereifen, Wasser und ein wenig versteckt, damit nicht gleich jeder einen Schreck bekommt einem größeren Kasten mit Verbandsmaterial sowie diversen Gipsbinden. Letztere nicht unbedingt, um gebrochene Knochen zu schienen. Gipsbinden sind ideal, um einen gebrochenen Ausspuff auf die schnelle zu reparieren.Maschinen starten und ein bißchen warmlaufen lassen. Dann setzt sich der Konvoi in Bewegung. Der Weg raus aus der Stadt gehört trotz festen Untergrunds sicherlich zu den schwierigsten Passagen dieser Reise. Wer nur annähernd »mitteleuropäisch« fährt, ist verloren. Doch Albertos Chevi-Schlachtschiff bahnt unserer Gruppe den Weg durchs Gewühl. Und bald verliert sich die große Stadt am Horizont.Traumhafte Landschaft. Hügelig, mit kräftig grünem Mischwald besetzt, fast wie zu Hause. Nur wärmer ist es hier entlang der Küste an der »Mata Atlantica«. Eigentlich ein Traum für Motorradfahrer. Wäre da nicht der Regen. Plötzlich fängt es an zu gießen, als gäbe es am Himmel einen Wasserrohrbruch. Die Nässe ansich wäre kein Problem bei 35 Grad im Schatten. Nur mischt sich der Regen mit den schmutzig schimmernden Öllachen der Lastwagen und Busse eine höllische Mixtur für Zweiradler. Doch eine gute Gelegenheit, das Handling der Maschine genauer kennenzulernen. Was nicht schlecht ist, denn nun geht es ins Gebüsch.Endlich also off road, schmierige Sandpassagen, dazwischen Geröll. Das kostet Kraft und Nerven. Und wäre fast schon das Ende der Reise gewesen. Denn der Chevy schlingert wild, bricht an einer Steilstrecke fast aus, kommt schließlich zum Stehen und nicht mehr vom Fleck. Mit Müh und Not hievt Alberto die Kiste über den Kamm. Es wird 22 Uhr, bis wir am Übernachtungsort ankommen: Kurz vor dem Ziel dann nochmals ein himmlischer Erguß. Viel zu tun für die Regenmacher.Parati ein reizendes, romantisches Fischerdorf. Der Atlantik ernährt seinen Mann. Kurz geduscht und lange gegessen. Und ein bißchen getrunken. Köstliches Bier hier. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten etliche Deutsche nach Brasilien aus. Da müssen auch ein paar Braumeister darunter gewesen sein.Die Serra da Mantiqueira wird überquert. 230 Kilometer weit sollen wir fahren, 80 davon im Gelände. Wir nutzen einen uralten Trail der Goldsucher. Er führt nach Nordost, rechterhand liegt der Nationalpark der Serra da Bocaina. Zauberhafte Dörfer säumen den Weg: Campo de Cunha, Bairros dos Macacos, Pedra Salada. Überall stehen fein gepflegte Kirchen. Die Portugiesen haben hier früher ganze Arbeit geleistet bei der Glaubensfrage. Wer sich nicht überzeugen ließ vom Heil Christi, wurde exekutiert. Das hat - welch Wunder - gewirkt.Doch die Menschen sind nicht nachtragend. Freundlich winken sie uns Fremdlingen zu, versuchen bei kurzen Stopps mit Händen und Füßen mit uns zu reden. Und von den Laderampen der entgegenkommenden Lastwagen grüßen sie mit nach oben gerecktem Daumen und einem fröhlichen »Tudo bom«. Alles bestens. Freunde, ihr habt ein schönes Land, in dem es heute ausnahmsweise auch nicht regnet. Was es erheblich leichter macht, die Off Road-Strecke zu passieren. Dennoch schmerzen die Muskeln am Abend ganz höllisch. Der Körper verliert jeden Tag an die drei Liter Flüssigkeit. Die Arme sind schwer wie Blei, und die Finger geben nur ungern ihre gekrümmte Haltung auf. Und im Kopf schwirrt die Frage rum, ob das denn nun wirklich sein müsse, so eine Reise. Sie muß.Junge, Junge. Jetzt wirds aber ernst. 130 von den heute geplanten 190 Kilometern im Gelände. Diese verdammte Hitze, sie preßt dir jeden Tropfen Flüssigkeit aus der Haut. Nichts ist mehr mit den sanften Passatwinden von der Küste. Gleißend hell das Licht, flirrend die Luft über dem Kies, fluchend die Fahrer auf ihren Kisten. Gott sei Dank finden wir ab und zu ein Wasserloch. Während Alberto und seine vierköpfige Crew bei der Rast an den Maschinen werkeln, stürzen wir uns ins Naß. Es ist warm, aber eben naß. Und das ist besser als heiß und trocken.Alberto muß die Seinen zur Ordnung rufen. Führen sich auf, wie man sich eben aufführt, wenn am Straßenrand so arg hübsche Mädchen laufen. Hoch das Vorderbein zum »Wheely« und mit Vollgas die Hauptstraße entlang. Jungs, so nicht! Das macht auf unsere Gastgeber keinen guten Eindruck.Heute ist Fototag. 200 Kilometer, knapp die Hälfte davon im Gelände. Brücken werden zu Sprungschanzen. Holzplanken zu Brücken. Norberts Kameraaufhängung vorn an der Maschine bricht. Kurz vor Ende der Etappe dann eine Sekunde Todesangst. Vor mir, bei etwa 30 km/h Fahrt, eine Schlange. Mitten auf der Fahrbahn. Keine Chance mehr zum Ausweichen. Wie dick ist das Leder meiner Stiefel? Augen zu und drüber. Ich halte an, um nachzuschauen. Sieht verdammt aus wie eine Buschmeister. Tödliches Nervengift. Kenner geben dir nach einem Biß noch etwa zehn Minuten. Zuckend verendet die Schlange vor meinem Objektiv. Sorry, Kleine, das habe ich nicht gewollt.Aha, Nova Friburgo. Neu Freiburg. Deutsches Hotel, deutsche Besitzer. Deutsche Gartenzwerge, deutscher Wein, deutsche Lodenweste. Gewöhnungsbedürftig, das Ganze.Heute mit »nur« 50 Kilometern die kürzeste Etappe. Aber auch die härteste. Und hier passiert es. Die Spurrillen sind ausgetrocknet und werden so zur tückischen Falle, wenn das Vorderrad gefangen ist. Rubens, einer unserer brasilianischen Begleiter, verliert kurz vor dem Ziel die Kontrolle über die Maschine, stürzt seitlich, der Rahmen drückt ihm das linke Schienbein ab wie einen trockenen Ast. Jetzt also kommt Albertos Erste-Hilfe-Kasten zum Einsatz. Eine Plastikschiene, ein paar Binden drüber, ein kräftiger Schuß Schnaps in Verbindung mit irgendeinem Teufelszeug von Schmerzmittel, und Rubens übersteht - bleich zwar, doch gefaßt - die letzten Kilometer auf der Rückbank des Chevy.Dann sind wir in der Stadt, einer der schönsten des ganzen Landes. Bekannt ist Buzios aber nicht nur wegen seines traumnhaften Strandes und der wunderbaren Hotels mit Blick auf den Atlantik, sondern auch für seine Nächte. Hier ist die Samba noch nicht zum Exportartikel degradiert, hier lächeln die Brasilianerinnen nicht, um vielleicht einen deutschen Paß zu ergattern. Hier herrscht Lebensfreude, ungetrübt und ohne den harten Lebenskampf von Rio, das nur 200 Kilometer entfernt ist. Und tanzen können die! Da kommt man sich geradezu bewegungsunfähig vor. Rhythmus im Blut hier stimmt das Bild. Tausendprozentig.Keine Spurrillen mehr, kein Schwimmsand, keine Pfützen, keine querliegenden Baumstämme, keine Felsbrocken, keine nennenswerte Steigung. Teerstraßen, dann Autobahn, insgesamt 200 Kilometer. Dennoch ist die letzte Etappe die gefährlichste. Je mehr wir uns der Stadt nähern, desto verrückter wird der Verkehr. Die Polizei kommt uns mit Blaulicht als Geisterfahrer auf der Überholspur entgegen. Fußgänger spazieren seelenruhig quer über den Highway, ein Pferd grast am Grünstreifen und reckt seinen Hintern in die Straße. Ein Fußball springt aus dem Nirgendwo auf die Fahrbahn, zwei Meter vor mir. Ja sind denn hier alle verrückt geworden?Man riecht die Stadt. Den Smog, den verstreuten Müll in den bettelarmen Vorstadtvierteln. Wir fahren über die 16 Kilometer lange »Niterói«-Brücke. Ein grandioser Ausblick. Doch es macht sich Wehmut breit und ein bißchen Sehnsucht nach der Einsamkeit der vergangenen Tage. Wir wohnen an der Copacabana. Viel Trubel am Strand der Strände. Frauen und Männer, die aussehen, als seien sie einem Tourismusprospekt entsprungen. Und schließlich wird´s tatsächlich Zeit, zum Flughafen zu fahren. Halt, Alberto, ein Caipirinha geht noch!
Infos
Brasilien, das größte Land Südamerikas, bietet zwischen Regenwald, Savane und Amazonas besonders für anspruchsvolle Enduristen reichlich Abwechslung.
Anreise: Die meisten großen Fluggesellschaften fliegen praktisch täglich nach São Paulo und Rio de Janeiro. Günstige Tickets sind ab zirka 1000 Mark zu bekommen. Der Reisepaß muß noch mindestens ein halbes Jahr gültig sein. Ein Visum wird nur dann benötigt, wenn man länger als 90 Tage im Land bleiben will. Im Flugzeug wird eine Einreisekarte verteilt, den Durchschlag unbedingt (!) bis zur Ausreise aufbewahren.Reisezeit: Brasiliens Lage auf der Südhalbkugel bedeutet eine Umkehrung der Jahreszeiten. Die heißen Sommermonate liegen zwischen Oktober und März, der milde Südwinter zwischen Juni und September. Bis auf den Süden herrschen ganzjährig angenehm warme Luft- und Wassertemperaturen. In den Urwaldregionen ist es im Sommer allerdings extrem schwül.Organisierte Touren: Der Münchener Veranstalter GS Sportreisen bietet geführte Enduro-Touren in Brasilien an. In elf Tagen geht´s zum Teil auf Urwaldpisten von São Paulo nach Rio oder umgekehrt. Der Spaß kostet inklusive Motorradmiete, Übernachtung, Vollpension, Benzin und Begleitfahrzeug 4790 Mark zuzüglich des Flugtickets. Infos: GS Sportreisen, Telefon 089/27818484; Fax 27818481. Literatur: Die Auswahl an Reiseführern über Brasilien ist groß. Immer noch erste Wahl für Reisen in Südamerika ist allerdings das englischsprachige, aber leicht verständliche »South American Handbook« von der Trade und Travel Publication für 62 Mark. Die Fülle an Infos ist konkurrenzlos, und die Angaben werden jährlich aktualisiert. Da in Brasilien ausnahmslos portugiesisch gesprochen wird, sollte zumindest ein Wörterbuch nicht im Gepäck fehlen. Karte: Zur Übersicht eignet sich die »World Travel Map - Brazil & Bolivia« von Bartholomew im Maßstab von 1:5000000 für 20,80 Mark.Gefahrene Strecke: 1200 KilometerZeitaufwand: sieben Tage