Ganz toll. Die Lätta ist alle, das Brot knüppelhart, im WC hakt die Spülung, der Bürotisch quillt über, keine Mark mehr auf der Bank. Ich will rauuuus! Aus meinem Leben. Als Kind hatte ich es viel einfacher. Da gab es die Serie Kung Fu. Der Meister wusste alles: »Du musst Vertrauen gegenüber jemanden haben, der nicht vertrauensvoll ist. Du musst Schwäche zeigen können, um stark zu sein. Du musst den Sinn des Lebens als solchen begreifen.« Wäre ich bloß Meister geworden. Ha! Der Sinn des Lebens? Millionen sind auf der Suche nach ihm. Dabei liegt er irgendwo da draußen auf der Straße. Sagen zumindest die Globetrotter. Viele lassen sich jahrelang über die Kontinente treiben und folgen ihren Gefühlen statt einer Landkarte. Eigentlich keine schlechte Idee. Reisen ohne Ziel. Stressfrei und offen für alles. Aber braucht man dazu Jahre? Vier Tage Urlaub habe ich und meine Moto Guzzi Jackal wartet startklar von der Haustür. Eine Maschine, wie aus Stein gemeißelt. Mit kernigem Charakter, gutem Sound und lebensbejahenden Vibrationen. Ein letzter Kaffee. Ein letzter Blick zurück. Über die vom Morgenrot umschmeichelten Dächer Stuttgarts. Dumpf schlägt die Gepäckrolle hinter mir auf jede Stufe. 104 sind es. Tür auf, dreimal zurren, fertig. Und zum Gleiten bereit. Schloß Solitüde. In weißen Buchstaben prangt der Hinweis auf dem Straßenschild. Die Jackal rollt polternd über das Kopfsteinpflaster den schattigen Weg zum Schloss hinauf. Vergitterte Fenster, geschorener Rasen, Parkbänke. Auf einer sitzt eine junge Frau. »Was ist der Sinn des Lebens?« Gewagte Frage. Ihre Augen schauen von einem Stapel Papier hoch und sezieren mich, ihr Blick ist so fest wie der Griff mit dem man einen Ertrinkenden aus dem Meer zieht. Röte steigt mir ins Gesicht. »Das Leben ist eine Schule, jeder Tag ist ein neuer Lehrer.« Maria, eine Spanierin, büffelt gerade für ihr Examen als Europa-Sekretärin. »Ich will versuchen, allen Situationen das Positive abzugewinnen und meine Lebensziele zu erreichen«, sagt die 24-Jährige mit der Stimme eines Predigers und grinst befreiend über das ganze Gesicht. Elfhundert Kubik schieben ihre markanten Töne durch die verchromten Auspuffrohre und mich mit jedem Hub der Kolben ein Stück vorwärts. In praller Mittagssonne finde ich mich auf dem Marktplatz von Weil der Stadt wieder. Gierig zerren meine Zähne an einem Döner. Ein kleiner Junge kreiselt mit seinem Rad um mich herum. »Was ist ein Jackal?« Ist das nicht ein Wildhund aus Südamerika? Er gibt sich mit meiner Antwort zufrieden. »Mein Papa fährt einen Sharan. Das ist ´ne Echse aus Afrika!« Kinder sind einfach toll. Unvoreingenommen, direkt, unkompliziert. Weitere Fragen hat er nicht. Mit der Ich-hab-keine-Zeit-mehr-Ausrede trollt sich der Kleine. Gut gelaunt spaziere ich durch die Gassen der Stadt. Wer lächelt, bekommt immer ein Lächeln zurück. Vor allem mit 50 Gramm Restzaziki im Mundwinkel.Baustellen-Tragik: Standgasbrummelnd schiebt sich meine Fuhre an der wartenden Autoschlange vorbei. Ganz vorn steht ein Ford Granada mit mindestens genauso viel Musik- wie Motorleistung. Lackierung: Grün-Rot-Gelb. Der Aufkleber RASTAMAN INSIDE prangt unübersehbar auf der Heckscheibe. Zwei dreadlockige Damen sitzen im Wagen und nicken im Marley-Rhythmus. »Wo ist er denn, der Rastaman?« Die Frage trifft sie unvorbereitet. »Daheim, er wartet auf uns.« Klasse. Rastaman müsste man sein. Zwei Frauen für sich arbeiten lassen und ihnen im Gegenzug ein Lebensgefühl vermitteln.Die Sonne hängt schon tief am Horizont, und ich liege unter einem von genau diesen Bäumen, unter denen man Heiratsanträge macht. Dessen unendliche Gabelungen der Äste auf mich wie die Weichen des Lebens wirken. Mit jeder Entscheidung verläuft mein Leben anders, bekommt eine neue Richtung. Sanft streichtelt der Wind durch die goldenen Blätter, weht mir Grashalme ins Gesicht. Ich genieße die Schwerelosigkeit des Seins. »Na, Pause machen?« Ein seitengescheitelter Mittfünfziger stützt sich auf seinen Spazierstock und beäugt kritisch die Maschine, sucht das BMW-Emblem. Lange, glatzenkaschierende Haare wehen ihm über die dicke Brille. »Ich warte hier auf den Sonnenuntergang.« »Der ist aber in Simmersdorf schöner«, sagt er nach kurzem Überlegen. Welch Wink des Schicksals. In Simmersdorf geht die Sonne unter, und ich kann dabei sein. Leise tickernd verharrt die Jackal neben mir. Simmersdorf liegt gleich um die Ecke. Hinter einer Anhöhe verabschiedet sich der glutrote Ball für eine Nacht. Mein Zimmer an diesem Abend ist spartanisch, die Bedienung in der Kneipe netter als erwartet. Michaela und Doris kommen aus Leipzig und Chemnitz, lernen hier, im 430-Seelen-Ort Berneck, vier Jahre lang Hotelfachfrau. Vier Jahre Bier zapfen und was es sonst noch so gibt. »Ein guter Job, das ist das Wichtigste im Leben.« Na dann kann ich beruhigt schlafen. Lethargisches Rockgesäusel von Alannis Morrissette weckt mich am nächsten Morgen. Der Radiowecker hat schon bessere Zeiten erlebt, ich leider auch. Mein Nacken fühlt sich an, als hätten Heinzelmännchen ihn als Sandsack missbraucht. Die Dusche ist an einen Boiler gekoppelt, der mindestens eine Fußball-Halbzeit benötigt, um warmes Wasser zu spenden. Willkommen im Leben. Kurzes Frühstück danach weht mir die Frische des neuen Tags um die Nase. Gierig saugt sich meine Lunge voll damit. Gibt es eigentlich etwas Schöneres, als in einen beginnenden Tag zu starten? Niemand ist ein besserer Maler als die Natur. Nebelschwaden kriechen über die Bäche, Sonnenstrahlen blitzen zögerlich im Tau, bemalen die Wolken, die Vögel besingen das Ende der Dunkelheit. Das Gefühl, beim Erwachen des Tages dabei zu sein, ist unbeschreiblich und nimmt mich gefangen. Die Räder der Jackal folgen den Augen, die Augen der Schönheit der Landschaft. Der Film, in dem ich bin, ist großes Kino. Und verdammt real. Keine Termine, keine Ziele, die Sorgen daheim vergessen. Mit unverhohlenem Bollern wuchtet mich mein treues Gefährt vorwärts und parkt um die Mittagszeit vor einem McDonalds-Restaurant. Die Läden der amerikanische Imbiss-Kette sind ein Phänomen: Niemand geht dort angeblich essen, aber immer ist es brechend voll. Mit einem Blick, als würden sie furchtlos gegen elektrische Weidezäune urinieren, stehen einige Cruiser vor mir und sprühen geradezu vor Heldenprosa. Cruiser besteht ihr Sinn des Lebens aus dicken Auspuffanlagen und Fahrwerk tiefer legen? Ich werde überrascht. »Zeit ist Geld«, posaunt mir ein pomadiger Schlabberhosen-Träger entgegen, der täglich wahrscheinlich 24 Stunden für die Weltmeisterschaft im Baucheinziehen trainiert. Zeit ist Geld. Der Satz lässt mich nicht mehr los. Zeit ist tatsächlich das Kostbarste, was wir zur Verfügung haben. Aber sie ist kostenlos, nicht käuflich. In diesem Satz steckt viel mehr als der Erfolgsschlüssel für die Wall Street. Zeit ist Geld, ist Macht, ist vielleicht der Schlüssel zum Sinn des Lebens. Nur wer kann sich schon sicher sein, ob er noch genug davon hat? Und warum sagen alle, sie hätten keine?Schnaufend kommt die Jackal auf dem Pausenhof der Grundschule in Bonndorf zu stehen. Wer sonst, wenn nicht die Kinder, haben genug Zeit? Rektor Stecher gewährt mir Zutritt zu den Zweitklässlern. Die sind ganz begeistert. Und wissen wie man Zeit gewinnt: »Wenn du mit einem schnellen Motorrad von München nach Hamburg fährst.« »Blödsinn«, sagt der Nächste. »Du musst im Schlafwagenabteil eines Zuges fahren, das spart Zeit.« Ein Blondschopf, der sich bis zum Schluss der Diskussion enthält, hat schließlich die Lösung parat: »Du darfst nicht auf die Uhr schauen. Dann hast Du auch Zeit.« Uhren als Zeitfresser. Kinder an die Macht.Unter mir wummert wieder die Jackal. Die Landschaft fließt an mir vorüber, maximal 80 km/h zeigt der Tacho an. Am Ende einer kleinen Pass-Straße lockt mich herzhafter Geruch in einen Gasthof. Vier total veredelte Harley parken im Hof, die dazugehörigen Fahrer schweigen mich nach der Frage erst mal kurz an. »Der Sinn des Lebens? Schau mal vor die Tür.« Das kann nicht sein. Sollten tatsächlich eine Viertel Million Menschen, Fahrer einer lebenden Legende, jeden Abend glücklich ins Bett fallen? »Alles Quatsch«, sagt der Wirt. »Du merkst erst, wie sinnvoll das Leben ist, wenn du mit dem Tod konfrontiert wirst.« Feuchtigkeit steigt in seine Augenwinkel. »Wenn ich da an Humphrey denke...« Humphrey war sein Hund. Leider etwas zu gewissenhaft und süchtig. Jeden Abend bewachte er die Haustür und ließ die Gäste nur passieren, wenn sie ihm ein Bier ausgegeben hatten. Er starb in einer besonders belebten Nacht an Alkoholvergiftung.Wieder einmal färbt sich der Horizont blutrot. Mein Schiffsdiesel geht auf einem Bauernhof vor Anker. Elfriede Kallenbach ist gerade dabei, die Kühe zu melken. Alles hat die 68-Jährige schon erlebt. Den Krieg, die Amis, aber keinen, der ihr beim Melken solche Fragen stellt. »Wenn man so alt ist wie ich«, sinniert sie, »lebt man jeden Tag, als wäre es der letzte.« Komisch, dasselbe haben sich auch die Surfer weltweit auf die Fahne geschrieben. Vielleicht liegt es bei ihnen am Hobby. Dunkelheit senkt sich über das Städtchen Alpirsbach. Meine Körper hängt lässig in einem Stuhl unter dem Vordach einer Kneipe. Nebenan sitzen zwei Miesepeter, die gerade versuchen, den Boden ihrer Tasse durchzurühren. Lautlos beginnt es zu nieseln. Aus einem kleinen Lautsprecher dringt der berühmte Titelsong eines Monthy-Pyton-Filmes: »Allways look on the bright side of life«. Eine übergewichtige Dame schleift einen Langhaar-Dackel gassi. Vom Regen beschwert, kann dieser kaum noch laufen. Was ist the bright side, die schöne Seite des Lebens, für den Dackel? Ein Barbier und die Freiheit? Wie gut, dass wir Menschen uns die positive Seite vorstellen und darauf hinarbeiten können. Dichter Nebel empfängt mich am nächsten Morgen. In Pan-Tau-Manier wische ich die Tropfen vom Visier, lausche verträumt dem Herzschlag des Motors. Ein Loblied auf die Langsamkeit. Vorsichtig tastet sich das Vorderrad der Jackal über den feuchten Teer und führt mich einem Höhenzug und damit der Sonne entgegen. Der Nebel ist verflogen. Bauer Wilhelm Noring steht neben seinem alten Trecker auf dem Acker und beginnt, Kartoffeln zu ernten. Ich parke die Jackal direkt daneben, will von ihm wissen, wo hier die besten Motorradstrecken sind. »Im Hexenloch.« Wie bitte? »Da hinten neben der dicken schwarzen Wolke gleich rechts.« Sein schwieliger Finger weist nach Süden. Nun ja, Wolken verziehen sich. Das Hexenloch ich habe es nie gefunden. Irgendwann aber ist die Macht des Augenblicks stärker als jedes Ziel, der Genuss des Daseins füllt alles aus. Oft stehen an solchen Wegen Bänke und laden ein zur Pause. Kühn erheben sich die Anhöhen des Schwarzwaldes, vor mir plätschert ein Bach, es riecht nach frischem Gras. Hier wird sich in hundert Jahren nichts verändern. Über mir schwappt die Zufriedenheit wie eine Woge zusammen. Dieses Gefühl einer ziellosen Reise wirkt so belebend, so kräftigend. Eigentlich ist jeder Augenblick der wichtigste Mosaikstein des Lebens. Jeder. Der Sinn des Lebens. Tausende haben Selbstmord begangen, weil sie ihn nicht fanden. Er bedeutet für jeden etwas anderes. Langsam nähert sich ein dick bepackter Fahrradfahrer. Ein Rolling Stone, ein Gammler, ein Taugenichts. Keuchend blickt er auf die Jackal, setzt sich zu mir. Ein nickender Gruß, wir schweigen in die Ferne. Seine Augen schimmern wie glasklare Bergseen in den Höhenzügen seines markanten Gesichts. Ich muss ihn einfach fragen. »Der Sinn des Lebens? Das ist etwas, das du nicht vermisst. Nur wenn du nicht danach suchst, hast du ihn schon gefunden.«
Sinn des Lebens, Tour zur Suche nach dem
Das MotorradSollte den Fahrer auf jeden Fall in Ruhe lassen und in Gelassenheit wiegen. Feilich lässt sich eine zeit- und ziellose Reise auch mit einem vollverkleideten Renner oder einem Oldtimer unternehmen. Aber es ist leichter, stressfrei seinen Gedanken nachhängen zu können, ohne sich von den Eigenheiten eines schwierig zu pilotierenden Zweirad ablenken zu lassen.Die StreckeFührt dorthin, wo man sich treiben lässt. Mit wenig Verkehr und viel Natur. Eine Reise ohne Ziel ist oft ein Selbstreinigungs-Prozess. Die meisten von uns nehmen sich kaum noch Zeit, über Werte und Ziele genau nachzudenken. Das Angebot der Zerstreuung ist riesengroß: Bücher, Fernsehen, Arbeitswelt, Internet. Kaum eine Minute am Tag sind wir nicht abgelenkt, können über uns nachdenken. Das Befahren einer Route nach Gefühl ist ideal für den Stressabbau. Am besten, man lässt Landkarten und Uhr einfach daheim und bucht keine Hotels im voraus.
Buchtipp
Das Buch Hiob, Bibel, Altes TestamentHiobsbotschaft. Wer kennt sie nicht? Ein Mann, sein Leben und abertausend Fettnäpfchen und Katastrophen.Herder Verlag Freiburg, 15,60 MarkWassermusik, T. C. Boyle Dieses Buch macht süchtig nach Abenteuer. Eine bizzar-witzige Droge um zwei Looser. Extrem lebensnah.Rohwohlt Verlag, 711 Seiten, 18 MarkKüsschen Küsschen, Roald Dahl Das Leben ist voller Überraschungen. Dahls rabenschwarze Kurzgeschichten sind es auch.Rohwohlt Verlag, 12,90 MarkMotomania, Band 1-5, Holger Aue Der Comic-Spiegel, in dem sich alle Biker wiederfinden. Schräg, schrill ideal zum Training der Lachmuskeln.Eichborn Verlag, je 24,80 MarkTen Years on two wheels, Helge Petersen 10 Jahre Weltreise. Brillante Hochglanz-Fotos animieren zum sofortigen Start. Englischer Text.Erhältlich bei Touratech, Telefon 07728/97920, 89 MarkDeutschland umsonst, Michael Holzach Zu Fuss und ohne Geld durch ein Wohlstandsland. Ein Spiegel-Reporter macht das Unmögliche möglich.Hoffmann Verlag, 19,90 MarkDas Buch der Ruhe, Paul Wilson Gelassenheit am Arbeitsplatz. Ratgeber für alle, die Hektik aus ihrem Leben verbannen möchten.Heyne Verlag, 16,90 Mark