Warum ist es am Rhein so schön?« Während Klaus und ich gemächlich stromaufwärts in Richtung Eltville touren, versuche ich eine Antwort darauf zu finden, warum alljählich Abermillionen Touristen aus aller Welt an diesen berühmten Wasserlauf zwischen Mainz und Koblenz pilgern. Weil dieser legendäre Strom ein altehrwürdiger Mythos ist? Weil der heldenhafte Siegfried an seinem Ufer gegen wilde Drachen kämpfte und »Vater Rhein« noch immer den sagenhaften Schatz der Nibelungen hütet? Weil eine blondgelockte Sirene arglose Flußschiffer ins feuchte Grab lockte und auf fast jeder schroffen Felswand eine martialische Raubritterburg sitzt? Weil in beschaulichen Weinbergen hervorragende Weine reifen? Oder weil all dies einst die Dichter, Denker und Maler der Romantik inspirierte? »Na, weil in den unzähligen kleinen Wirtschaften noch jeder jeden kennt.« Verschmitzt strahlt mich der sympathische Herr am Nachbartisch an.Er muß es wissen. Er lebt hier. Außerdem sei es wirklich idyllisch - wie hier in Eltville, der ältesten Stadt im Rheingau. Stimmt.
Von der Terrasse der Rheinhallen, einem zum Restaurant umfunktionierten ehemaligen Fahrkartenhäuschen der Köln-Düsseldorfer Rheinschiffahrtslinie, beobachte ich an der leicht abgeschabten Brüstung die fast glatte Wasseroberfläche. Das lange, rostrote Schiff mit dem äußerst sachlichen Schriftzug »VTG-GAS 70«, das einsam in der Mitte des Wasserlaufs flußabwärts stampft, schlägt nur leichte Bugwellen, und in der sanft ans Ufer rollenden Brandung stolziert elegant ein schwarzer Schwan, als sei es seine natürliche Bestimmung, den leuchtend weißen Wohnturm der einst stolzen erzbischöflichen Burg zu kontrastieren.
Sanft schaukeln die beiden Motorräder auf den Wellen des mittelalterlichen Kopfsteinpflasters, als wir, vorbei an windschiefen, zuweilen mit roten, weißen und lachsfarbenen Rosenstöcken verzierten Fachwerkhäusern, aus Eltville und damit auch aus der der Heimat des bekennenden Hochstablers Felix Krull auslaufen. Kaum im hügeligen Hinterland des Rheinufers, steuern wir ab Kiedrich auf einer einsamen, waldgesäumten Straße zu dem ehemaligen Zisterzienserkloster Eberbach, das nicht nur als historisches Baudenkmal, sondern vor allem wegen seiner diversen Funktionen als Psychiatrische Anstalt, Drehort für den Film »Der Name der Rose« und heute als Staatlich Hessisches Weingut berühmt ist. Aber tapfer entsagen wir einer Weinprobe in sakraler Atmosphäre.Statt dessen machen wir die Pferde ein wenig trunken und kurven durch den Rhein-Taunus. In unzähligen Windungen schlängelt sich eine schmale Straße durch das enge, felsige Wispertal. Nach einem kurzen Schauer glänzt der Asphalt lackschwarz, und die Sonnenstrahlen tanzen auf den feuchten, dunkelgrünen Blättern. Wie in einem mystischen Zauberwald greifen die Verästelungen der Bäume und Sträucher ineinander. Kurz bevor das märchenhafte Seitental des Rheins bei Lorch wieder in die Uferstraße fließt, tauchen wir gen Presberg und Stephanshausen noch einmal tiefer ins Rheingau-Gebirge ein.Plötzlich lichtet sich der Wald, gibt den Blick frei auf die in warmen Farben schimmernden Südhänge des Taunus. In diesen sonnendurchfluteten Weinbergen also reift der helle Rheingau-Riesling - im Volksmund ein Synonym für den Rheinwein schlechthin. Genüßlich lustwandeln Zephyr und TDM wie einst die Dichter Clemens Brentano und Achim von Arnim auf den verschlungenen »Sehnsuchtspfaden der Romantik« durch die üppigen Weingärten. Graue Steinmauern, immer wieder durchbrochen von kleinen Treppen, separieren die Parzellen der Rebhänge. Wir lassen uns am Rande eines Wingerts auf dem trockenen Geröllboden nieder und schauen durch die von den dicht umrankten Rebstöcken gebildeten engen Gassen in das weite, dunstige Rheintal. Versteckt in einer Talsenke, lehnt sich das sandfarbene Schloß Vollrads mit seinem wuchtigen Wehrturm an die leicht gewellte Hügelkette des Rheingau-Taunus. Fürwahr ein uraltes gräfliches Traditionsweingut, aber dennoch längst nicht so legendär wie der unweit entfernte und inmitten der Weingärten weithin sichtbare Johannisberg, zuweilen überschwenglich als Olymp des Rheingau-Weinbaus gepriesen. Die ersten Trauben wurden hier von den Mönchen des im Mitelalter erbauten Benediktinerklosters gepflantzt. Heute residiert in der zum Schloß umgebauten ehemaligen Abtei das berühmte Schaumwein-Geschlecht der Fürsten von Metternich. Nach einem Genuß des wahrhaft göttlichen Traubensaftes zieht es uns dorthin, wo am rechten Rheinufer der einzige rote Tropfen gedeiht: auf den Höllenberg des Rotweindorfes Aßmannsmannshausen, einem Stadtteil von Rüdesheim. Dort eingetroffen, fahren wir entlang des Lethe direkt hinab in die Drosselgasse oder auch »an die längste Weintheke der Welt«.Allerorten mit Blasmusik beschallt, kämpfen wir uns tapfer durch die Menschenflut, die rund um die Drosselgasse in und aus Schnitzel-Schänken, Fast-Food-Buden und Andenkenläden geschwemmt wird. Doch mit echtem Rheinwasser scheint Rüdesheim nicht gewaschen zu sein. Denn all die feilgebotenen Kuckucksuhren, Nußknacker, Räuchermännchen und Schneekugeln gibt´s auch in anderen deutschen Landen - nur, daß sie dort tatsächlich typisch sind.Völlig verkatert krieche ich am nächsten Morgen aus einem riesigen hölzernen Weinfaß. Mein »Katerloch« ist eines der komfortabel zum Zimmer umgebauten Weinfässer im Hotel Lindenwirt. Trotz all der Bierkrüge mit Rheinlauf-, Loreley- oder Burgenmotiv, die Regal für Regal ganze Ladenlokale bis zur Decke füllen, kürt auch Rüdesheim alljährlich eine Weinkönigin. »Das zu werden war schon immer ein Traum von mir«, gesteht mir die amtierende Hoheit Andrea I. strahlend, während sie gerade hochoffiziell ein Faß mit Federweißem ansticht. Aber 50 bis 60 Veranstaltungen pro Saison, erzählt die 19jährige Winzertochter, seien zuweilen doch sehr anstrengend.Dichte Nebelschwaden verschlucken den Klang der Motoren, als wir Zephyr und TDM langsam unter der Germania ausrollen lassen. Doch noch ist sie nicht zu sehen. Zu Fuß machen wir uns auf den Weg. Dann endlich zeichnen sich ganz leicht die Körperkonturen des stattlichen Machtweibs ab. Unwirklich und unheimlich zugleich beherrscht die Silhouette der kolossalen bronzenen Walküre den diffusen, milchigen Raum. Irgendwo zweihundert Meter unter uns tönt das gedämpfte Pfeifen eines Zuges aus dem weißen Nichts. Germania, die mit dem Reichsschwert und der Kaiserkrone bewehrte monumentale Traumgestalt, hält hoch oben im Niederwald noch immer die Wacht am Rhein, obwohl es selbst bei klarer Sicht nichts mehr zu bewachen gibt. Denn der einst so hart umkämpfte Grenzfluß ist längst ein europäischer Strom.Dunkelblau flimmern die sanft gewellten Bergkuppen in dem seltsamen Licht aus Sonne und Nebel, als wir auf der breiten Uferstraße ruhig und gleichmäßig flußabwärts treiben. Rechts über mir verhängen Nebelschleier die glaslosen Fenster der Burgruine Ehrenfels, und auf der linken Rheinseite thronen dicht an dicht die Burgen Rheinstein, Reichenstein, Sooneck und Stahleck auf gezackten Felsvorsprüngen. Doch diese mächtigen Schutz- und Trutzbauten markieren nur den Anfang jener sechzig Kilometer langen Strecke bis Koblenz mit ihren legendären 31 Burgen, dem der Strom seinen nicht minder legendären Ruf als »romantischer Rhein« verdankt. Nirgendwo sonst auf der Welt existieren so viele Burgen auf so engem Raum.Als »ein steinernes Schiff, ewig auf dem Rheine schwimmend, ewig vor Anker liegend« beschrieb der französische Romancier Victor Hugo die Wasserburg Pfalz. Und tatsächlich taucht nach einer langgestreckten Flußbiegung bei Kaub aus den Fluten eine in Schiffsform erbaute Inselfestung auf. Aber weil der bonbonfarbene Bug der Pfalz doch arg an Zuckerbäckerromantik erinnert, preschen wir temperamentvoll weiter in Richtung der Hochburg Gutenfels, schließlich durch den Wingert ins Hinterland. Dann endet die schmale, kurvige Strecke nahe Dörscheid auf einem weiten Hochplateau. Hier erwartet uns pünktlich zum einsetzenden Regen ein überdachtes Aussichtsrondell, das direkt am Rand des steilen, felsigen Abhangs steht. Ein guter Platz, um auf besseres Wetter zu warten. Unsere Blicke schweifen über die Berge bis zur gewaltigen Schönburg, dahinter die Wehrtürme der mittelalterlichen Ringmauer von Oberwesel am linken Rheinufer.»Die Loreley, bekannt als Fee und Felsen, ist jener Fleck am Rhein, nicht weit von Bingen, wo früher Schiffer mit verdrehten Hälsen und von blonden Haaren schwärmend, untergingen. Wir wandeln uns. Die Schiffer inbegriffen. Der Rhein ist reguliert und eingedämmt. Die Zeit vergeht. Man stirbt nicht mehr beim Schiffen, bloß weil ein blondes Weib sich dauernd kämmt.« So persiflierte Erich Kästner das Wahrzeichen der Rheinromantik und damit gleichsam die poetischen Visionen von Clemens Brentano oder Heinrich Heine, und das, obwohl noch im 19. Jahrhundert die Schiffsmannschaften durch drei Glockenschläge zum Gebet aufgefordert wurden, kurz bevor sie das mörderische Kliff passierten, das vielen Schiffern zum Verhängnis wurde. Heutzutage hat die Loreley ihre anziehende Zauberkraft keineswegs eingebüßt, wohl aber stark verändert: Die sagenhafte Hexe zieht keine Rheinschiffer mehr in die Tiefe, dafür aber um so mehr Rheintouristen an.Einige Kehren weiter, in einem dunklen Tonnengewölbe in St. Goarshausen, fließen die »Tränen der Loreley« in Strömen. Vorsichtig nippe ich an dem kleinen Glas. Aber kein salziges Tränenwasser, sondern ein mittelrheinischer Aperitif rinnt meine Kehle hinunter. Im »Secthaus Delicat« stellen die Inhaber Anke und Klaus Delicat - nomen est omen - einen prickelnden Schaumwein her. Und die beiden schrecken auch nicht vor Experimenten zurück: »Ebbelschämp« heißt der Apfel-Champagner - exklusiv für den hessischen Connaisseur.Bald haben wir oberhalb der Loreleystadt St. Goarshausen anstelle des Katers im Kopf die Katz vor Augen. Stolz thront auf einem schmalen Felsen die klotzige Wehrburg Katz der ausgestorbenen Grafen von Katzenelnbogen und start gierigen Blickes auf den benachbarten Rittersitz: die kleine, einst feindliche Festung Maus. Soll sich die »Katz« die »Maus« ruhig einverleiben. Burg Maus führt längst ein Doppelleben. Japaner haben das geschichtsträchtige Gemäuer gekauft, vermessen und maßstabgetreu auf einer Nachbarinsel von Okinawa rekonstruiert, so wie die Briten im letzten Jahrhundert die geheimnisumwitterten Rhein-Ruinen auf ihrer Insel nachbauten.Amüsiert schaue ich viele Kurven später noch einmal vom linken Rheinufer auf den mächtigen Bergfried der Marksburg. Was ist schon das feingetäfelte, opulente Interieur in dem neugotischen Schloß Stolzenfels, das vorhin fast gegenüber der Lahnmündung aus den Baumkronen blitzte, gegen das zünftige Ambiente in einem derben Raubritternest.»Der Rhein ist durchschnittlich 180 bis 300 Meter breit und drei Meter tief.« Die Stimme des Kapitäns schräbbelt aus dem weißen Lautsprecher über das Deck der Felix. Dann wieder Musik. Zufrieden greife ich nach der obligatorischen Weinkaraffe vor mir auf dem Tisch. In St. Goar haben wir erfolgreich einen Ausflugsdampfer der Rheinschiffahrt Goar geentert. Normalerweise regelt dieser Schiffahrtsfamilienbetrieb seit über zweihundert Jahren den Fährverkehr zwischen St. Goar und St. Goarshausen - einem zentralen Verkehrsknotenpunkt, denn bis heute existiert zwischen Mainz und Koblenz keine Brücke. Jetzt aber stampft der kleine Vergnügungsdampfer stromabwärts in Richtung Bacharach. Flankiert von den steilen, zerklüfteten Felswänden erscheint mir das Rheintal auf dem Wasser viel enger als vom Ufer aus. Wie mit Diamantenstaub bedeckt glitzern die Wogen des Stromes, während die Sonne langsam hinter den Schatten der Burgen versinkt.Nur schwach erleuchtet der gelbliche Schein der alten, gußeisernen Laterne die stockdunkle, ungemein schmale Gasse, als wir uns hintereinander zwischen den schiefen, leicht verfallenen Fachwerkhäusern durchtasten. Schweigend spazieren wir durch das nächtliche Bacharach. Die Weinberge und der Turm der alten Stadtmauer zeichnen sich im fahlen Mondlicht nurmehr schattenhaft ab. Irgendwo schreit ein Käuzchen. Warum es am Rhein so schön ist? Weil die Romantik hier so wunderbar kitschig ist.
Infos
Der sagenumwobene Strom, Raubritterburgen, schroffe Felswände, Weinberge und deren süffige Produkte locken unzählige Touristen an den Mittelrhein zwischen Koblenz und Mainz. Aber dennoch: Jenseits von Loreley und überfüllten Ausflugsdampfern bietet die Region wunderbare Motorradstrecken.
Anreise: Um die großstädtischen Ballungsgebiete zu umgehen, nähert man sich dem Gebiet am besten über die A 61 - entweder von Norden kommend mit dem Ziel Koblenz oder von Süden über Bingen.Reisezeit: Ein Tour entlang am Rhein lohnt sich bereits im Frühjahr und natürlich in den Sommermonaten. Die beste Reisezeit ist jedoch der Herbst: zur Weinernte ab September bis Mitte Oktober.Übernachten: Nächtelang in einem echten Weinfaß versinken kann man in dem Rüdesheimer »Hotel Lindenwirt«. Das Doppelzimmer-Weinfaß kostet 104 Mark pro Nacht, Telefon 06722/1031. Rustikal geht´s im Familienbetrieb »Rhein-Hotel-Bacharach« her, ab 95 Mark gibt´s hier das Doppelzimmer, Telefon 06743/1243. Einfach, günstig und mit leckerem Frühstück übernachtet man in St. Goar im »Hotel Germania«. Pro Person sind 35 bis 50 Mark je Nacht zu zahlen, Telefon 06741/1610. Ab 235 Mark gibt es ein Doppelzimmer Schloßhotel Burg Gutenfels bei Kaub, Telefon 06774/220. Etwas bescheidener übernachtet man im »Hotel Burg Liebenstein«, Doppelzimmer ab 100 Mark, Telefon 06773/251. Weitere Infos hat die Touristikgemeinschaft »Im Tal der Loreley«, Heerstraße 86, 56326 St. Goar, Telefon 06741/ 1300; Fax 06741/7209.Gastronomie: Um regionale Spezialitäten wie »Handkäs mit Musik« (magerer Käse, der mit Zwiebelringen, Essig, Öl und Pfeffer eingelegt wird) zu probieren, sollte man nach einer Straußwirtschaft Ausschau halten. Neben den obligatorischen Weinproben beim Winzer empfiehlt sich eine Sektprobe im »Secthaus Delicat« in St. Goarshausen.Sehenswert: Lohnend ist ein Besuch der mittelalterlichen Marksburg oberhalb von Braubach. Gruseliges gibt es im »Mittelalterlichen Foltermuseum« in Rüdesheim zu entdecken. Ganz auf rollende Räder haben sich die beiden Museen in dem kleinen Weinort Assmannshausen spezialisiert.· Veranstaltungen: Wenn tausend Lichter auf den dunklen Wellen, ein sprühendes Feuerwerk am schwarzen Nachthimmel und bengalische Lichter in den Straßenwinkeln das Rheintal zauberhaft illuminieren, dann steht der »Rhein in Flammen«. Diese legendäre Veranstaltung findet dreimal im Jahr statt: am ersten Samstag im Juli im Bingener Loch, am zweiten Samstag im August zwischen Braubach und Koblenz und am dritten Samstag im September bei St. Goar und St. Goarshausen.· Literatur: Zahlreiche Reiseführer beschäftigen sich mit der Gegend rund um Rhein. Aus dem RV-Verlag kommt der APA Guide »Der Rhein« für 39,80 Mark. Wer sich für alte Gemäuer interessiert, dem sei das Buch »Burgen am Rhein« von Walter Ottendorff-Simrock (Hrsg.) empfohlen. Aus dem Stollfuß Verlag für 10,80 Mark.· Gutes Kartenmaterial bietet »Der Rhein zwischen Koblenz und Bingen - Gute Reise Journal Atlas« bestehnd aus Falk-Karten und Atlanten aus dem Falk-Verlag für 14,80 Mark.· · Zeitaufwand: drei Tage· Gefahrene Strecke: 400 Kilometer