Raus, nix wie weg. Hurtig den kleinen Rucksack geschnürt, den alten Motocross-Jethelm übergestülpt, rein in die antiquierten Enduro-Lederstiefel und das 20 Liter-Spritfass gefüllt bis zum Rand. Autobahn Richtung München, verhasst, aber jetzt der beste, weil schnellste Weg. Nach 30 Kilometern grüßt rechts bereits Burg Teck. Noch ein paar Minuten durchhalten zwischen fetten Trucks und eiligen Vertretern, die auf der linken Spur in ihrer Luxuslimousine mit Vollgas versuchen, heute noch das Geschäft der Geschäfte zu machen.
Ausfahrt Weilheim unter Teck, eine Ampel, ein kurzer Stau. Ufff, geschafft. Die Honda klettert von Hepsisau im flachen, umtriebigen Neckarland den steilen, kurvigen Albtrauf rauf auf die rauen Hügel und nach einer kurzen, düsteren Schlucht der Sonne entgegen. Am Randecker Maar, einem vulkanisch geprägten, kraterähnlichen Kessel mit traumhafter Fernsicht, erst mal innehalten. So viel Zeit muss sein. Außerdem eine gute Gelegenheit, den Rucksack mit Vesper aus feinem Albkäse und duftendem Bauernbrot aus dem versteckt gelegenen Dorflädle zu füllen. Außenrum blöcken die Lieferanten für den Schafskäse um die Wette.
Blick zurück. Auf der Suche nach kurvigem Geläuf entdeckte die Motorrad-Clique vor gut 30 Jahren die Schwäbische Alb als Alternative zum touristisch überlaufenen Schwarzwald. Allein das karge Verkehrsaufkommen machte früher selbst sonnige Sonntagstouren zum kurventechnischen Leckerbissen. Und das gilt auch noch heute – vorausgesetzt, man weiß wo. Beliebte Ausflugsziele wie Burgen und Schlösser gilt es zu meiden, Bundesstraßen ebenso. Wer aber mit Gespür und Geduld auf der Landkarte sein Revier absteckt, hat auf der Alb die besten Karten. Was natürlich dazu führt, dass die Hausstrecke keiner strengen Richtung folgt, sondern die schönste Landschaft mit den kurvigsten Straßen scheinbar ziellos durchkreuzt. Was den ortsunkundigen Kradfahrer vor eine nicht unerhebliche navigatorische Aufgabe stellt. Doch so ist das nun mal im Leben: Die schönsten Dinge muss man sich erarbeiten.

Das passende Gerät für die Expedition im Kalkstein-Mittelgebirge: meine Africa Twin 650, Typ RD 03, erstes Baujahr, 71000 Kilometer jung und für mich DIE Reisetante schlechthin. Warum? Weil für mich nach dem ersten Vergleichstest mit der BMW R 80 G/S (MOTORRAD Heft 13/1988) feststand: So ein Affen-Twin muss her – früher oder später zumindest. Als beruhigender Ausgleich zu meinen brüllenden Rennsemmeln und derben Cross-Geräten genau das richtige Vehikel, um die Seele baumeln zu lassen.
Zumal legale und halblegale Schotterpisten auf der Alb keine Seltenheit sind, der fette Tank die komplette Runde abdeckt und die mit reichlich Kurven garnierte Strecke eine Africa Twin nicht aus der Ruhe bringt.
Denn wer glaubt, die Albhochfläche sei tatsächlich ein Fläche, also eben, wird sich wundern. Auf lang gezogenen, buckeligen Kurven segelt die 650er über die Hügelketten, auf deren Kuppen man für einen kurzen Moment einen Blick in weite Ferne erhascht, bevor die Hausstrecke noch einmal tief in die karstigen Täler nach Seeburg abtaucht.
Glucksend gurgelt die Erms unter den hölzernen Brücken in Richtung Neckartal, ich schwinge mich mit der Honda dagegen auf die Höhenzüge bei Münsingen, schlage einen Haken Richtung Osten und lande nach kurvigem Sinkflug durchs Mühltal in Sondernach.
Ein kleiner Flecken im feucht-schattigen Schmiechtal, dem geologisch ursprünglichen Donautal. Eigentlich nichts Besonderes. Oder doch? Was weder bei Wikipedia noch in der offiziellen Dorfchronik vermerkt ist: Die Sondernacher haben einen schweren Stand unter den von Schelklingen eingemeindeten Dörfern. Gibt’s im benachbarten Hütten eine Kirmes oder sonstige Festlichkeiten, müssen die Sondernacher auf der Hut sein. »Freilich kennet d’Sondernacher komme – ko aber halt sei, dass se uff d’Gosch nuff krieget«, prahlt ein halbstarker Mopedfahrer im Gasthof Bären in Hütten. Der eitle Zwist zwischen den Dörfern hat Tradition: Während alle Schelklinger Gemeinden inklusive Hütten grundkatholisch beherrscht sind, steht in Sondernach nur eine evangelische Kirche. Glaubenskrieg im Jahr 2007 nach Jesus Christus – wer hätt’s gedacht. Aber auf der Alb gehen die Uhren eben anders.
Raus aus dem Feindesland, erklimmt die Africa Twin die Lutherischen Berge, kreuzt auf einem schmalen Asphaltband die Bundesstraße 312 und kurvt über Granheim nach Indelhausen im Lautertal. An sonnigen Wochenenden wird hier geradelt, gepaddelt und gegrillt, dass es nur so raucht. Tübinger, Reutlinger und Stuttgarter Stadtpomeranzen in Hülle und Fülle und nicht weniger Kradfahrer, die das kurvige Tal leider zu oft mit der Nürburgring-Nordschleife verwechseln und sich dabei häufig ins Gebüsch hauen. Weshalb zur Warnung ein Foto aus MOTORRAD als Straßenplakat dient: "Die Straße ist keine Rennstrecke." Kuriosität am Rande: Der flotte Kawasaki-Fahrer darauf bin ich.
Die Hausstrecke trägt einen über Erbstetten nach Mundingen, um ein paar Kilometer weiter in steilem Gefälle nach Lauterach an der Donau zu stürzen. Quiiiietsch. Wer den Blick vom Waldesrand über die Zwiebeltürme von Obermarchtal und das oberschwäbische Land versäumt, ist selber schuld und sollte es nachholen.

Am besten auf dem 767 Meter hohen Bussen, der Schwaben heiligem Berg. Der Fußweg zur Wallfahrtskirche St. Johann Baptist lohnt allemal, da bei guter Fernsicht der Blick über den Federsee, die Allgäuer Berge bis zur weiß gezuckerten Alpenkette reicht. Hunger? Hunger! Na dann, ab zum Blank. Über Buchay, Dietelhofen und Datthausen kreuze ich die Donau und lehne in Zwiefaltendorf bei der Brauerei Blank die alte Honda an den Gartenzaun. Feinste schwäbische Küche für Fortgeschrittene. Leider ist das Beste bei Blanks heute tabu: leckeres, naturtrübes Bier aus der eigenen Familienbrauerei. Weshalb eine Übernachtung im Gasthof mit Freunden zum alljährlichen Ritual gehört. Prosit.
Mit einem "Behüt’ Euch Gott" der Wirtsleute zum Abschied entschwinde ich bei Zwiefalten ins enge Tal der gleichnamigen Aach, streife die Wimsener Höhle und hangel mich durch ein paar verflixt enge Kehren über die Dörfer Gauingen, Upflamör und Ittenhausen auf kleinsten Pfaden in Richtung Westen nach Inneringen.
Menschenleer, mit kargen, steinigen Böden trifft der Begriff von der rauen Alb hier den Nagel auf den Kopf. Was noch nicht vor allzu langer Zeit dazu führte, dass die Bewohner durch bitteren Frost und Hungersnöte in alle Welt zerstreut ihr Glück suchten. Erst mit der industriellen Ansiedlung vieler Maschinen- und Textilfabriken in den unzähligen Tälern besserten sich die Lebensverhältnisse für die bruddeligen, aber ehrlichen und bodenständigen Älbler.
Wer der Lust an felsigen Schluchten und steinernen Zinnen frönt, kommt ab sofort auf seine Kosten. Über enge Serpentinen trudel ich nach Hettingen, nehme dort Richtung Sigmaringen noch die schönsten Kurvenschwünge entlang der glasklaren Lauchert bis Veringenstadt mit und wechsle über Harthausen, Benzingen und Blättringen ins enge Tal der Schmeie nach Storzingen. Als kleines Seitental des wilden Donaudurchbruchs verkannt, windet sich das frisch asphaltierte Asphaltband Richtung Süden und mündet kurz vor Dietfurth an der Donau. Flussaufwärts geht’s durch felsige Durchbrüche bis Thiergarten. Dort rechts ab nach Stetten am kalten Markt, stellt sich eine kurventechnische Herausforderung erster Güte. Viel Spaß.
Womit die Hausstrecke ihre Wende Richtung Norden nimmt und zielstrebig, aber stets auf kleinen, kurvigen Pfaden zurück zum Ausgangspunkt steuert. Letzter alpiner Höhepunkt: der Abstieg von der Nebelhöhle nach Unterhausen bei Reutlingen auf einem abgelegenen und kaum befahrenen Bergsträßchen.
Ach so, wo die abenteuerlichen Schotterstrecken abgeblieben sind, möchten Sie wissen? Sorry, das verrat’ ich nicht. Doch wer die Landkarte genau unter die Lupe nimmt, ist ganz dicht dran.
Infos
In loser Reihenfolge stellen MOTORRAD-Redakteure ihre Hausstrecke vor. In diesem Teil entführt sie Werner »Mini« Koch auf die westliche Schwäbische Alb.

Die Strecke
Hausstrecke ist in diesem Fall nicht ganz korrekt, denn für den Autor ist die Route nur Ausgangspunkt, um immer wieder neue, versteckte Straßen und Pfade zu entdecken. Dass hier und da auch unbefestigte Passagen unter die Stollenreifen genommen werden, hat seine Ursache darin, dass der Autor das Mittelgebirge südlich von Stuttgart auch mit dem Mountainbike erkundet und so auf Wege stößt, die man im ländlichen Raum gerne als Promillesträßchen bezeichnet, auf denen sich die einheimische Bevölkerung unbemerkt von der Polizei vom Kneipenbesuch heimwärts schmuggeln kann.
Bedingt durch die verzwickte Streckenführung ist die Hausstrecke zwischen Neckar und Donau eine stramme Tagesetappe von rund 300 Kilometern. Die reine Fahrzeit beträgt etwa sieben Stunden. Nicht vergessen: Die Schwäbische Alb liegt zwischen 700 und 1000 Meter über null und ist bekannt für ihr raues, sprich kühles Klima. Deshalb auch im Sommer bei wechselhaftem Wetter warme, wasserdichte Kleidung einpacken.
Die Höhe(n)punkte
Auch wenn die Tourismusschwerpunkte an Wochenenden und Feiertagen oft überlaufen sind, lohnend ist ein Besuch in den oft altertümlichen Altstadtvierteln mit rustikalen Kirchen, Abteien und Klöstern der vielen kleinen Städte und Dörfer auf der Alb allemal (Obermarchtal, Zwiefalten, Trochtelfingen). Zudem findet man auf der Alb unzählige Burgen, Ruinen und Aussichttürme, die meist auf exponierten Felsen oder Bergrücken eine traumhafte Aussicht garantieren: Römerstein Turm bei Donnstetten, Ruine Hohen Gundelfingen/Lautertal, Offingen/Bussen, Ruinen und Höhlen über Veringenstadt, Roßbergturm bei Genkingen (Zufahrt nur an Werktagen erlaubt), Schloss Lichtenstein bei Reutlingen.

Essen, Trinken, Schlafen
Wer die Hausstrecke zwischen Neckar und Donau zu einem zweitägigen Ausflug ausbauen möchte, dem empfehlen sich einfache, aber solide schwäbische Landgasthöfe mit freundlichen Übernachtungspreisen ab 22 Euro pro Person.
Gasthof Brücke in Rechtenstein/Donau bei Obermarchtal,
Telefon 07375/257
Gasthof Rössle Blankbräu/Zwiefaltendorf,
Telefon 07373/322
Gasthof Adler Inneringen,
Telefon 07577/546
Gasthof Hirsch in Indelhausen/Lautertal,
Telefon 07386/97780
Gasthaus Donauperle/Gutstein/Donau,
Telefon 07570/9513-88
Gestütsgasthof Marbach/Lautertal,
Telefon 07385/719
Landkarten
Die MOTORRAD-Generalkarten von Mairs Geographischer Verlag, Blatt 15/16 und 18, decken die komplette Strecke im Maßstab 1:200000 ab und sind im Detail so genau, dass sich auch die kleinen Verbindungsstraßen ausfindig machen lassen. Erhältlich im Buchhandel, an Tankstellen oder beim MOTORRAD action team, Telefon 0711/182-1229. Wer es noch exakter haben möchte, besorgt sich die jeweiligen Radwanderkarten des Landesvermessungsamtes Baden-Württemberg (Telefon 0711/123-2831, www.lv-bw.de) im Maßstab 1:50000 oder von GeoMap (Telefon 0711/7813696, www.geomap-medienagentur.de) das Blatt »Geopark Schwäbische Westalb«, Maßstab 1:75000.
Roadbook
Autobahn A 8, Ausfahrt Weilheim/Teck, Hepsisau, Ochsenwang, Schopfloch, Böhringen, Hengen, Seeburg, Trailfingen, Münsingen, Böttingen, Springen, Sondernach, Granheim, Indelhausen, Anhausen, Erbstetten, über Parkplatz am Wolfstal nach Mund-ingen, Untermarchtal, Reutlingendorf, Dietelhofen, Offingen/Bussen, zurück über Buchay, Datthausen nach Zwiefaltendorf, Zwiefalten, Gossenzugen, Wimsener Höhle, Huldstetten, Geisingen, Upflamör, durchs Waldstetter Tal nach Ohnhülben, Dürrenwaldstetten, Ittenhausen, Inneringen, Hettingen/Lauchertal, Veringenstadt, Harthausen a. d. Scheer, kleine Straße links ab nach Benzingen, Blättringen, Storzingen, dort vor dem Ortsausgang letzte Straße links nach Oberschmeien, Unterschmeien, dort rechts Richtung Ortsmitte, links runter, entlang der Schmeie bis ins Donautal, rechts nach Thiergarten, dort rechts Stetten a. k. M., Frohnstetten, Straßberg, Hauptstraße Richtung Winterlingen, nach etwa 200 Metern links ab über kleine Straße nach Bitz, Burladingen, Stetten, Erpfingen, Undingen, Genkingen, Nebelhöhle, Unterhausen, Holzelfingen, Ohnastetten, Bleichstetten, Bad Urach, Grabenstetten, Gutenberg, Schopfloch, Hepsisau, Weilheim/Teck.