Hillclimbing, Desert Racing, Baja 1000 Zauberwörter, die mir seit dem nächtelangen Studium von Brad Lackeys »Motocross« im Kopf herumspukten. Die Offroad-Bibel des ersten amerikanischen Cross-Weltmeisters hatte mich infiziert. Hochgradig. Ich musste dorthin, in den Westen der USA, musste Kontakt zur kalifornischen Dirt-Bike-Szene knüpfen. Ende der 80er Jahre hatte ich es glücklich geschafft, während eines Praktikums beim amerikanischen Geländemotorrad-Hersteller ATK. Mojave Desert: endlose Wüstenetappen, Enduro fahren pur mit völlig durchgeknallten Offroad-Freaks.Gut zehn Jahre später stehe ich wieder im Jawbone Canyon, eine Open Riding Area, rund 250 Kilometer nördlich von Los Angeles. Weit weg von Silicon Valley und den Einflüssen der Virtual Reality. Hier wird live gesurft! Auf Fels, Sand und Geröll. Es ist Wochenende, das Wetter perfekt. Man trifft sich mit Freunden, baut Wagenburgen um die Lagerfeuer, zelebriert das Crosser-Leben bei Bier und Biker-Latein. Genau wie damals. Nur dass die Motorhomes größer, die Bäuche etwas runder und die Familien vierköpfig geworden sind. Die mitgeschleppten Fuhrparks wuchsen freilich mit unter sechs Fahrzeugen rückt eine Dirt-Bike-Family nicht an: Pick-up-Truck, Anhänger, minimum ein Bike pro Nase. XR 80 für die Kids, ne leichte 250er für Mum und ein Macho-Viertakter für Daddy.Auch ich vertraue auf einen Viertakter, eine zehn Jahre alte 600er-ATK mit luftgekühltem Rotax-Motor. Robust, unkompliziert und trotzdem stark. Nach einer eiskalten Wüstennacht reihe ich mich damit unter 15 hochmotivierte Fahrer ein. In der Früh sind ein paar Grünschnäbel aufgetaucht, die auf ihren brandneuen 250er-Crossern den Veteranen mal so richtig um die Ohren rasen wollen. Und selbiges auch großmäulig verkünden. Ein klarer Fall für Dan »the bombardier, der als Trail-Boss vorneweg fährt die alte Leidenschaft in den Augen.Traumhafte Single-Trails wechseln mit leichteren Hillclimbs ab. Mit Vollgas blasen wir die Sandhügel hinauf in den strahlend blauen Morgenhimmel. Allerdings ist die Stimmung alles andere als entspannt, denn das Gerangel um die vorderen Plätze läuft bereits auf Hochtouren. Der aufwirbelnde Staub ist für die Hinterherfahrenden eine gefährliche Sache die Sicht gleich null. Jeder kämpft gegen jeden, versucht, wenigstens eine Position gutzumachen. Volle Rennatmosphäre wabert über der Desert.Zum Ausfiltern der jungen Heißsporne hat Dan »the ditch of doom«, den Graben der Verdammnis, in den Trail eingebaut. Nach einer haarsträubenden Abfahrt über Sand und loses Geröll landet man in einem etwa fünf Meter breiten ausgetrockneten Bachbett, das mit Felsbrocken übersät ist. Aus diesem Graben gibt es nur einen Ausweg: fünf Meter Anlauf, dann geradewegs die Wand hoch. 45 Grad Steigungswinkel auf 200 Meter Länge. Die Experten nehmen die Auffahrt ohne Umschweife, stellen oben ihre Motorräder ab und genießen das nun folgende Spektakel. Es spielen sich dramatische Szenen ab, bei denen die Kids die Alurahmen ihrer schicken Crosser verkratzen und ihre hyperpoppigen Klamotten an den Felsen abschrammen. Nach fünf bis sechs Versuchen gehen den Ersten die Nerven durch, und sie versuchen eine neue Spur einzufahren ohne Erfolg. Die Hillclimbs enden mit ausbrechenden Hinterrädern, Wheelie-provozierten Überschlägen oder Schwächeanfällen.Die Zeit drängt, weil die Sonne in Kürze parallel zur Steigung stehen wird, und dann ists mit der Sicht nach oben vorbei. Ich schaffe es gerade noch so bis zum »she way, einer Art Notausgang auf rund zwei Dritteln Höhe, für die »Mädchen unter den harten Jungs. Klar, dass ich damit für den Rest des Tages dem Gespött meiner Kumpels ausgesetzt bin.Mit dezimierter Besetzung geht der Ride durch eine raue, aber vielfältige Landschaft weiter. Die Farben der Felsen reichen von tiefem Rot bis Dunkelgrün. Darüber der noch immer stahlblaue Himmel. Den finalen Pinselstrich setzen die schneebedeckten Dreitausender der Sierra Nevada am Horizont. Ein Bild wie gemalt. An Joshua Trees vorbei zieht sich die Sandspur des Trails, von dem man auf der einen Seite hinab in die 500 bis 800 Meter tiefer gelegene Mojave Desert und auf der anderen Seite hinauf in die Berge schaut. Doch bevor es zu idyllisch wird, führt uns Dan zu »oh shit«. Ein technisch höchst anspruchsvoller Climb, der zunächst bergab gemeistert werden muss. Sein Name geht auf den Ausruf eines Freundes zurück, der Angstzustände bekam, als er vom Gipfel aus das Ende der Steilabfahrt nicht sehen konnte. Bergauf ist »oh shit« heute unbezwingbar. Es hat seit Wochen nicht geregnet, und der tiefe Sand ist selbst für die 60 PS der 600er-Viertakter zu kräftezehrend.Nach gut 80 Kilometern Trailride kommen wir ins Basiscamp zurück, wo sich die Unermüdlichen bis zum Einbruch der Dunkelheit an »the wall versuchen, einem rund 300 Meter hohen Felsen. Wer ihn bezwingen will, muss am Fuß des Berges mindestens 70, 80 Sachen drauf haben. Ein besonderes Erlebnis ist dabei der Übergang in die Steigung, wenn das Motorrad voll in die Federung geht und im nächsten Moment das Gefühl einsetzt, als würde man von einem Fahrstuhl hoch gezogen. Goldene Regel: niemals vom Gas gehen! Wer überhaupt oben ankommt, ist der Größte und darf später am Lagerfeuer die meisten Revolverstories erzählen, von Bezwingern der schwierigsten Hillclimbs Kaliforniens und einer heilen Wochenendwelt abseits der Megalopolis L.A.
Info
Jawbone Canyon, eine 125 Quadratkilometer große Open Riding Area, liegt rund 250 Kilometer nördlich von Los Angeles. Anfahrt über den 14er-Highway. Zugelassen sind Offroad-Fahrzeuge aller Art. Man braucht lediglich einen so genannten »Green Sticker«, ein spezielles Nummernschild für 20 Dollar, die ans US-Forstministerium gehen zum Erhalt der Riding-Parks. Überdies müssen Motorräder mit einem Endschalldämpfer »Sparkarrestor« versehen werden, damit keine Ölkohlepartikel austreten können. Eine spezielle Karte über das Gebiet gibts von der Western Map Company, 1370 N. Brea Blvd., Suite 140, Fullerton, CA USA 92835. E-mail: jawbone@ccis.com. Titel: Friends of Jawbone Map.