Treffpunkt Rasthof Schönbuch. Der erste auf der A 81 südlich von Stuttgart. Kollege Oliver Ebner pünktlich um acht, ich mit fast 30 Minuten Verspätung. Trotz dieses Handicaps gesteht mir Oli einen schnellen Kaffee zu – die Zeit ist knapp, denn der Blick auf die Italienkarte hat unseren sportlichen Ehrgeiz mächtig angeheizt. Vom Fährhafen Piombino trennen uns rund 900 Kilometer; wenn wir bis 22 Uhr dort sind, könnten wir die letzte Fähre hinüber nach Elba erwischen. Unsere Zuversicht ist grenzenlos. Und die Bedingungen für so einen Ritt über die Alpen und hinunter zur Küste sind Anfang März zudem absolut genial: garantiert kein Ferienverkehr und Sonne satt. Obwohl – der Wind bei Tempo 160 hat was Arktisches. Die GS punktet bei Oli wegen der Griffheizung; ich habe mich zusätzlich in ein zweites Innenfutter aus einer ausgemusterten Motorradjacke gemummelt. Mal eben zum Baden nach Elba düsen – warum Männern nach ein paar Bier solcher Quatsch einfällt, wird für immer ein Rätsel bleiben.
Kilometer 157. Schaffhausen. Weil wir wegen der Vignette ohnehin halten müssen, tanken wir gleich auf. Zeit sparen. Oli erinnert mich an die rigorosen Strafen für Temposünder in der Schweiz, dann drängeln wir uns auch schon durch das vom Fernverkehr arg geplagte Zürich, gelangen an den Vierwaldstätter See. Unmöglich, bei diesem Wetter einfach daran vorbeizublasen. Und ein paar Kurven würden Kopf und Körper gut tun. Küssnacht, Schwyz, Altdorf.Traumhaft, die Strecke am Ostufer des Sees. Funkelndes Wasser, glitzernde Berggipfel. Einfach toll.
Kilometer 280. Kurz vor dem St.-Gotthard-Tunnel. Wir blechen unverschämte 12,80 Franken für eine lauwarme Miniportion Spaghetti, fädeln uns mit verstimmtem Magen in die 17 Kilometer lange Röhre ein. Gegenverkehr und schier unerträgliche Abgase. Einziger Vorteil: In der Mitte des Tunnels ist es angenehm warm.
Kilometer 461: Como. Endlich im Land von Espresso, Pizza und Dolce Vita. Der Tankwart wünscht sich ausdrücklich Bargeld, das sofort in seiner Hosentasche verschwindet. Als Beleg erhalten wir handschriftliche Fantasiezahlen. Vielleicht einen Stempel? Mama mia – Tedesci! – diese deutschen Pedanten! Die verschneiten Alpen verschwinden allmählich aus den Rückspiegeln von KTM und BMW.

Kurz darauf Mailand. Statt auf der Westumfahrung landen wir beinahe im Zentrum. Müssen irgendwo ein Schild übersehen haben, kämpfen zudem gegen den toten Punkt. Kostbare Minuten verrinnen, bis wir im elendigen Berufsverkehr dieser Metropole wieder den richtigen Kurs finden: die Strecke über die A 1 in Richtung Parma und dann über die A 15 hinunter nach La Spezia. Also Hahn auf. Wir müssen Zeit gutmachen, linke Spur, fliegen förmlich über die bolzgerade Autobahntrasse durch die eintönige Po-Ebene. Fahren wie im Rausch – fast hätten wir nach 100 Kilometern den Abzweig in Richtung La Spezia verpasst. Endlich ein paar Kurven in den ligurischen Bergen. Wir riechen bereits das Meer, fahren förmlich in den Sonnenuntergang hinein, nicken uns gegenseitig zu. Mensch und Maschine sind zu einer Einheit verwachsen. Unglaublich, wie lange man es auf diesen Böcken im Sattel aushält, ohne dass der Körper nach einer Pause schreit. Aber irgendwann fallen die Augen zu.
Kilometer 760. La Spezia. Oli und ich gestehen uns ein, dass wir hundemüde sind. Knapp 130 noch, dann wären wir am Ziel. Uns ist jedoch nach Pasta, Bier und einem Bett. Im mondänen Seebad Lerici, das just aus dem Winterschlaf zu erwachen scheint, lässt es sich zumindest in dieser Jahreszeit gut einen Abend lang aushalten – auch wenn allein für das Gedeck („Coperto“) pro Person 2,10 Euro berechnet werden.
Schwere Regenwolken streicheln am Morgen das Hoteldach, Meer und Himmel haben sich zu einer einzigen grauen Suppe vereinigt. Der erste Tiefschlag. Krisensitzung beim Frühstück. Leider einem italienischen. Pechschwarzer Kaffee und ein eingeschweißtes, mit Orangenmarmelade gefülltes Hörnchen. Immerhin ist die Straße noch trocken. Missmutig pfeilen wir über die Bahn weiter nach Süden. Auf der Höhe von Pisa prasseln erste Regentropfen gegen das Visier.
Per Handy rufe ich Kollegin Annette Johann an und bitte um einen Blick ins Internet. Die Antwort ist eindeutig: Sämtliche Online-Wetterdienste sehen für diesen Teil der Welt erst wieder am Donnerstag Licht am Himmel. Heißt übermorgen, dem Tag unserer Rückfahrt. „Viel Glück, Jungs!“ Irgendwie hatten wir uns den Elba-Trip anders vorgestellt.
Elba (2)

Kilometer 890. Piombino. Wäre da nicht der Hafen für die Fähren nach Elba – kein Mensch würde freiwillig in dieses Nest kommen. Petrochemie. Es stinkt erbärmlich aus den unzähligen Feuer und Rauch speienden Schloten. Zum Glück gehen die Fähren im Stundentakt nach Elba. Die Crew vom Parkdeck stellt sich beim Vertauen der Bikes recht ungeschickt an – so, als ob wir die ersten Motorradfahrer überhaupt sind, die auf die Insel übersetzen. Dann teilen wir uns eine Stunde lang den miefigen Aufenthaltsraum der Fähre mit zwei Schulklassen. Ruhe kehrt erst ein, als die unzähligen Handys auf hoher See für einige Minuten keinen Empfang mehr haben.
Portoferraio. Trotz Regen haben wir keine Lust, uns bereits um 14 Uhr in ein Hotel zu verkriechen, peilen den Westen der Insel an. Tolle Kurvenarrangements gleich hinter der Inselmetropole. Und megarutschiger Asphalt. Wir schleichen in den ersten drei Gängen vorbei an sicherlich traumhaft schönen Badebuchten bis Marciana Marina. Links von uns müsste der 1018 Meter hohe Monte Capanne aufragen, auf dessen spitzen Gipfel eine Seilbahn führt. Sieht auf Postkarten alles fantastisch aus. Manches Strandbild könnte sogar in der Karibik aufgenommen worden sein. Wir fühlen uns dagegen auf der hoch über dem Meer in den Fels gesprengten Straße nach Chiessi eher auf die Färöer Inseln versetzt. In Marina di Campo beziehen wir schließlich Quartier – und kommen im Ristorante L’Aragosta auf andere Gedanken: Das Tiramisu, das uns die Mutter des Wirts in Schürze und Hausschuhen serviert, ist schlichtweg überirdisch. Wir verdrücken drei Portionen, quasseln bei Bier, Schnaps und Espresso über den Sinn des Lebens. Allmählich stellt sich unsere gute Laune wieder ein.
Ein Strahl Sonne – der Tag beginnt besser, als gestern in den Nachrichten angekündigt. Die Minibrötchen zum Frühstück sind schnell verspeist (siehe oben), und wir wollen zum Bergnest Capoliveri fahren, haben auf der Wanderkarte im Maßstab 1:30000 eine Hand voll Wege entdeckt, die von dort aus rund um den Monte Calamita führen. Kein anspruchsvolles Terrain, aber immerhin kein Asphalt. Auf jeden Fall kommt auf der breiten Piste, die knapp 200 Meter hoch über dem Meer verläuft, für ein paar Kilometer ein wenig Schwung in die Sache. Hier ein kleiner Drift, da ein kurzer Sprung über eine Bodenwelle – Heidewitzka! –, und schon läuft im Kopf dieser „Bei-der-nächsten-Dakar-bin-ich-endlich-dabei“-Film ab. Die Spielerei auf dem losen Grund lässt den Frust von gestern vollends vergessen. Staub auf den Klamotten – gehört schließlich zum Urlaub dazu. Und sieht verdammt gut aus.

Gegen Mittag rollen wir durch Porto Azzurro – auf Elba anscheinend der Heilige Gral für jeden Postkartenfotografen: Das Bild von den terracottafarbenen Häusern rund um das Hafenbecken haben wir, obwohl erst seit wenigen Stunden auf der Insel, bereits zigmal gesehen. Es schmückt sogar den Umschlag meiner Wanderkarte. Doch außer uns hat in dieser Jahreszeit praktisch niemand den Weg dorthin gefunden. Die vielen Bars und Restaurants entlang der breiten Flaniermeile lassen jedoch nur einen Gedanken zu: Im Sommer brennt hier richtig die Luft. Garantiert. Momentan hat nicht einmal ein Kiosk geöffnet, und Oli wird langsam nervös, weil ihm die Zigaretten ausgehen.
Inzwischen ist klar, dass Kachelmann und Co mit ihren Vorhersagen mal wieder danebenlagen – das Wetter entwickelt sich prächtig. Wir kramen die Sonnenbrillen hervor, touren quer über die Insel zurück nach Marciana Marina. Und tatsächlich – Badebuchten wie in der Karibik. Na ja, so ungefähr zumindest. Und der Weg hoch in die Berge über Poggio nach Marciana erweist sich bei trockener Strecke wie vermutet als Gedicht. Kehre um Kehre zwirbeln wir uns durch Wald und über Fels rauf zu den beiden uralten Orten, die wie Adlerhorste in den Bergen hängen, flankiert von den höchsten Gipfeln der Insel, Capanne und Giove. Lediglich das Meer, das je nach Fahrtrichtung kurz zu sehen ist, erinnert daran, dass man nicht aus Versehen mitten in den Alpen gelandet ist.
Elba (Info)
Anreise
Fähren nach Elba gehen ausschließlich von Piombino. Wer durch die Schweiz anreist, nimmt die mautpflichtige Autobahn über Mailand–Genua–Livorno beziehungsweise über Mailand–Parma–La Spezia–Livorno unter die Räder. Bei der Anfahrt über den Brenner hält man sich ab Verona in Richtung Modena, Bologna, Firenze und Lucca, um dann entlang der Küste weiter über Livorno nach Piombino zu gelangen. Fähren nach Elba verkehren im Stundentakt, Tickets gibt es direkt am Hafen. Die Überfahrt dauert eine Stunde, und eine Passage kostet einfach pro Motorrad und Person ab 26 Euro. In den Sommermonaten unbedingt reservieren! Infos und Buchung: Moby Lines, Telefon 0611/14020; www.mobylines.de.
Unterkunft
Elba ist eine Touristeninsel – wer im Juli oder August hier her kommt und kein Zimmer reserviert hat, wird nur sehr schwer eine Unterkunft auftreiben. Außerhalb der Saison hat man dagegen vielerorts freie Wahl. Ein Tipp: Hotel Thomas in Marina di Campo, gemütlich, große neue Zimmer, sicherer Parkplatz, 100 Meter zum Strand (siehe Foto Seite 52), deutschsprachig. Doppelzimmer (Halbpension in der Saison obligatorisch) ab 70 Euro pro Person – ansonsten lässt der Chef mit sich reden. Telefon 0039/0565/976320.
Literatur
Es gibt Unmengen an Reiseführern über Elba beziehungsweise die Toskana. Sehr gut und dennoch vom Format her »tankrucksackgerecht«: »Elba« aus der Reihe »Merian Live« für 7,95 Euro. Wer sich die Anreise ein wenig attraktiver gestalten möchte, dem seien aus der gleichen Reihe »Cinque Terre/Ligurien« empfohlen, ebenfalls 7,95 Euro. Ins Gepäck gehört weiterhin eine Alpenkarte (für die Anfahrt), eine Italienkarte (für den Überblick) sowie die Blätter »5« (Ligurien) und »7« (Toskana) der Generalkarte im Maßstab 1:200000 von Mairs Geographischer Verlag für je 7,50 Euro. Wer’s ganz genau wissen will, besorgt sich die entsprechende Kompass-Wanderkarte im Maßstab von 1:30000 für 6,95 Euro. Viele gute Infos über Elba findet man im Internet unter: www.infoelba.net sowie unter www.elbaforum.it.