Hier wohnt er also, der Weihnachtsmann. In Rovaniemi. In Form einer überdimensionalen Statue, die bereits beim Landeanflug zu sehen war, überwacht er eine kolossale Anzahl von Souvenir-
buden. Santa-Kaffeetassen, Santa-T-Shirts, Santa-Jacken, Santa-was-du-willst.
Sozusagen der Weihnachts-Overkill und
die Geschäfte gehen das ganze Jahr
über. Jeder, der auf der Suche nach Ruhe und Freiheit durch die nordeuropäische Waldeinsamkeit streift, landet früher oder
später hier: Rovaniemi gilt als das Tor in die Weite Lapplands. Und die E 75, die durch das Gehölz grob in Richtung Nordkap führt, könnte mit ein wenig Fantasie als das Äquivalent zum kanadischen Dempster Highway durchgehen.
Zwei Stunden dauert die Fahrt vom Flughafen bis zum Motorradstützpunkt in Luosto. Eric, französischer Offroad-Fan, und ich lauschen Jukka, unserem Tourguide für die nächsten drei Tage, der von seinem Leben im Busch erzählt. Lachse fangen, Bären jagen, per Snowmobil im tiefsten Winter mal eben zum Nordkap und zurück pflügen. Bei minus 30 Grad. Klingt aus seinem Mund nicht anders, als wenn mein Nachbar von seiner Rosenzucht im Garten erzählt. Die Straße schneidet sich durch den dichten Wald, die Sonne hängt wie festgenagelt am Himmel. Mittag oder Mitternacht so einfach lässt sich das in diesen Breiten während des Sommers nicht bestimmen. Ein Umstand, den mein Körper mit ungewohnter Ruhelosigkeit quittiert.
Tag eins. Drei blitzblanke 250er-KTM stürmen los. Die erste Piste, die
ersten Meter im Wald und das Öl in den Triebwerken der kleinen Viertakter ist noch nicht richtig warm die erste von 16 respektablen Flussdurchquerungen.
Allein heute. Fünf Meter sind es bis zur gegenüberliegenden, recht steilen Uferböschung. Wobei sich Wassertiefe und eventuelle Hindernisse in der dunklen
Brühe nicht ausmachen lassen. Mit einem langen Stock tastet Jukka den Grund ab, erforscht einen möglichen Kurs über die rutschigen Steine und prescht schließlich recht gekonnt durch die Suppe. Der Tanz ist somit eröffnet, und irgendwie ist es wie damals, als ich zum ersten Mal auf einem Zehner stand. Augen zu zumindest
symbolisch , Backen zusammengekniffen und hoffen, dass es vor versammelter Mannschaft keinen Bauchklatscher gibt. Der bleibt heute zum Glück aus. Mein Fahrstil in dem etwa halben Meter tiefen Bach ist dagegen stark verbesserungsbedürftig.
Weiter durch den Busch. Zuerst ein Stück auf einer Forststraße. Tiefe, von schweren Holztransportern in den Boden gefräste Fahrspuren. Durchsetzt von Wurzeln, Steinen und quer liegenden Baumstämmen. Abwechselnd erster und zweiter, gelegentlich auch der dritte Gang. Volle Konzentration ist angesagt, keine Zeit
zum Nachdenken. Zum Beispiel darüber, dass grob geschätzt ein Liter Wasser in den Stiefeln schwappt und ich morgen früh vom stundenlangen Fahren im Stehen garantiert tierisch Muskelkater haben
werde. So allmählich fängt die Sache an, Spaß zu machen.
Drei Bäche weiter erweist sich der Weg als Sackgasse. Wir verschwinden mit behördlicher Genehmigung im Busch. Nicht auf einem Pfad, sondern dort, wo der Hobel zwischen den Bäumen gerade noch durch passt. Der Blick reicht im
grünen Dickicht maximal fünf Meter weit, Äste peitschen gegen Helm und Oberkörper, und der Zickzackkurs ist nur mit voll eingeschlagenem Lenker zu meistern. Sumpflöcher, Findlinge, Baumstümpfe. Springende Räder, durchdrehende Räder, festgefahrene Räder. Das ganze Programm. Kilometerweit. Irre, wie Jukka dennoch auf Kurs in Richtung Nuttio bleibt. Technische Hilfsmittel? Für einen Waldmenschen wie ihn tabu. Ehrensache.
Irgendwann am späten Nachmittag. Wir stehen am Rand einer Wiese, die sich bei genauer Betrachtung als Sumpfland entpuppt, um das es einfach keinen Weg herum gibt. Also ab durch die Mitte
mit viel Gas sollten die etwa 300 Meter quasi im Handumdrehen zu meistern sein.
Hoffen wir zumindest. Das Drama in Kurzform: Jukka kommt noch am weitesten, eine meterhohe Fontäne hinter sich herschleudernd. Eric versackt irgendwo in der Mitte, ich klebe schon nach 50 Metern bis zum Tankansatz praktisch unverrückbar
im Morast und jeder Gasstoß lässt meine Enduro weiter absaufen. Also schieben, ziehen, zerren. Zentimeter um Zentimeter durch den Sumpf. Einer hart am Gas, einer am Vorderrad, einer hinten, und alle liegen abwechselnd der Länge nach in der zähen Pampe. Hauptsache, der Bock bewegt sich. Nebenbei treiben uns Millionen von Mücken endgültig in den Wahnsinn. Zwei Stunden lang. So etwas schweißt zusammen, formt aus Fremden eine Gemeinschaft, die, endlich in der Hütte bei Nuttio angelangt, mit viel Bier zwischen den obligatorischen Saunagängen besiegelt wird.
Tag zwei. Die Stiefel sind über Nacht nicht getrocknet, ich komme vor lauter Muskelkater kaum auf die KTM, und die Anzahl sumpfiger Wiesen und Mückenattacken nimmt schlagartig zu. Die Stimmung ist trotzdem genial. Auf jeden Fall treiben wir die Enduros deutlich souve-
räner als gestern durch den Matsch.
Am Nachmittag erwischt es mich allerdings richtig. Mit Pauken und Trompeten gehe ich im wahrsten Sinne des Wortes unter. In der starken Strömung eines Bachs bin ich vom Kurs abgekommen und habe dabei ein etwa
ein Meter tiefes Loch übersehen. So was schadet nicht nur dem Ego, sondern auch der Technik: Das Triebwerk hat jede Menge Wasser gezogen. Keine Chance, es hier
im Busch wieder zum Laufen zu bringen. Jukka macht sich auf die Suche nach
einem Funknetz, und kaum zwei Stunden später wir haben inzwischen unsere
Klamotten an einem veritablen Lagerfeuer getrocknet, nebenbei Kaffee und Tee gekocht bricht ein schwerer Geländewagen samt Anhänger und Ersatzmotorrad durch den Wald. Wir können weiter, peilen eine Hütte (natürlich mit Sauna) am Ufer des riesigen Lokka-Stausees an. Das Bier geht heute Abend auf meine Rechnung.
Dritter Tag. Die Landschaft präsentiert sich unverändert. An die Stille, die über diesem Teil Europas liegt, könnte ich mich gewöhnen. Eine Weile könnte ich sicherlich auch die Einsamkeit ertragen, durch die uns Jukka langsam wieder zurück in Richtung Luosto treibt. Nach zweieinhalb Tagen in der flachen Pampa erscheint
uns der 514 Meter Hausberg des Ferienorts steil und unbezwingbar wie die Eiger-Nordwand. Schon von weitem ist der
mit diversen Skiliften (!) versehene Hügel zu sehen. Klar, dass wir da rauf müssen,
was nur über einen grob geschotterten Versorgungsweg geht, der fast schon
alpinen Charakter besitzt. Die zwei Hand voll Spitzkehren im Hang sorgen für eine
unerwartete Zugabe in Sachen Fahrspaß. Und für ein recht ansehnliches Rundumpanorama: grenzenloser Wald, ein paar weitere Hügel und einige silbrig glänzende Seen. Doch zugegeben, ein wenig freuen Eric und ich uns schon auf etwas Rummel im nahen Rovaniemi.
Infos - Enduro fahren in Lappland
Offroad in Lappland? Am
besten im Rahmen einer
geführten Tour. Nur so lässt sich maximaler Fahrspaß
mit den strengen Naturschutzgesetzen vereinbaren.
D Anreise
Der Weg in den Norden Finnlands ist weit vermutlich zu weit, um im Sattel einer kleinen Enduro dorthin zu fahren. Flug und eine geführte Tour sind daher eine Überlegung wert. Mit Finnair gelangt man von allen größeren Flughäfen nach Helsinki, von wo aus mehrmals täglich Rovaniemi angeflogen wird.
Ein Ticket (hin und zurück) schlägt mit etwa 400 Euro zu Buche. Infos: www.finnair.com.
D Organisierte
Touren
Der finnische Veranstalter Snow Games in
Luosto bei Rovaniemi entführt seine abenteuerlustigen Kunden vornehmlich im Winter in
die nordische Welt. Zum Beispiel per Snowmobil. Enduro-Fans bleibt nur der kurze Sommer zwischen Juli und September, um sich vor Ort auszutoben, und für die hält Snow
Games hervoragend gewartete KTM 250 EXC Racing bereit. Wer an einem fünftägigen Trip teilnehmen möchte, sollte allerdings über ein gewisses Maß an Offroad-Erfahrung verfügen: Das Terrain ist anspruchsvoller, als der erste Blick vermuten lässt. Der Gepäcktransport
erfolgt im Begleitfahrzeug, und geschlafen wird in urigen Hütten, von denen sich einige weitab jeglicher Zivilisation befinden.
Eine finnische Sauna ist überall vorhanden.
Im Preis von 853 Euro sind Motorradmiete,
Benzin, Schutzkleidung sowie die Verpflegung enthalten. Die Tourguides sprechen Englisch.
Infos: www.snowgames.fi.