Entlang der Lahn

Entlang der Lahn Die Chance nutzen

Die letzte Runde des Jahres kann zugleich die schönste sein. Weil alle Sinne auf Empfang stehen, jeder Gasstoß für das berühmte Kribbeln im Bauch sorgt und jede Kurve für doppelt so viel Spaß.

Die Chance nutzen Deleker

Seit Jahren herrscht bei uns wie bei vielen anderen Bikern die Tradition, Ende Oktober mit Freunden die letzte Ausfahrt der Saison anzutreten. Aber diesmal scheint das herbstliche Endspiel ins Wasser zu fallen. Es gießt wie aus Kübeln, Sturm biegt die Bäume und wirbelt buntes Laub von den Ästen.

Das müssen wir uns nun wirklich nicht geben. Warmduscher? Weicheier? Egal, die Motoren bleiben kalt. Stattdessen wird der Ofen angefeuert und Doppelkopf als Alternativprogramm gestartet. Auch spannend, streng genommen jedoch nur ein schwacher Ersatz für die entgangenen Schräglagenwechsel.

Der Herbststurm nimmt den Weg aller Stürme, verliert nach einigen Tagen seine Gewalt, und pünktlich zum ersten Novemberwochenende verspricht der Wetterbericht perfekte Bedingungen für die finale Runde: wolkenlos und warm bis 15 Grad. Schade nur, dass unsere Saisonkennzeichen-gehandicapten Freunde passen müssen. Allein Birgit und ich bleiben übrig.

Samstag früh, der Wetterfrosch hat nicht gelogen. Die Ducati steht vor der Tür und fängt bereits die ersten Sonnenstrahlen ein. Widerwillig rumpelnd nimmt der dicke V2 seine Arbeit auf, braucht ein paar Umdrehungen, bis die Kälte aus Lagern und Kolben geschüttelt ist. Er hatte wohl nicht mehr mit Auslauf gerechnet, sich mental schon auf den Winterschlaf vorbereitet. Also lassen wir es gemächlich angehen, rollen durch Köln und nehmen Kurs auf Siegen.

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Deleker
Straße mit Tradition: Bogenbrücke in Runkel

Als wir dort die Autobahn verlassen, wärmt die Sonne schon spürbar auf der schwarzen Lederhose, auch die Öltemperatur der Multistrada hat sich im Wohlfühlbereich eingependelt. Aber zu früh gefreut. Die schmale, holprige Straße hinauf zur Lahnquelle versteckt sich im dichten Fichtenwald, der die Sonnenstrahlen ratzeputz verschluckt. Auf dem braunen Gras am Straßenrand glitzert Raureif, und oben, an der 610 Meter hoch entspringenden Quelle, scheint der Herbst längst vorbei. Kein einziges Blatt hängt mehr an den Bäumen, es riecht nach Winter. Aus dem kreisrunden Quelltümpel rinnt ein dürftiges Wässerchen, plätschert über eine handbreite, steinerne Treppe und versickert gleich darauf im Gras. Wie unspektakulär. Allerdings beginnen selbst berühmteste Flüsse ähnlich harmlos.

Nur ein paar Kilometer weiter entspringen Sieg und Eder, aber auch deren Quellen geben sich wenig sensationell. Viel toller sind die vielen kleinen Straßen, die sich durch die Südausläufer des Rothaargebirges schlängeln. Im Sommer ein Paradies für Kurvensüchtige, doch jetzt ist es uns zu kalt, und der dunkel glitzernde Teer ist arg suspekt. Ist er überfroren oder nur nass? Keine Lust auf dieses Vabanquespiel. Lieber etwas tiefer abseilen, in risikoärmere Höhen. Außerdem wollen wir ja der Lahn von der Quelle bis zur Mündung folgen. Wir machen uns auf die Suche nach der Stelle, wo die Kleine ihre Wiese verlässt.

Entlang der Lahn (Infos)

Den Rhein kennt jeder. Aber seinen Nebenfluss Lahn? Auf zur Entdeckungstour zwischen mittelalterlichen Orten und feinsten Sträßchen.

Anreise
Der Einstieg zur Lahnquelle liegt östlich von Siegen, das von Norden und Süden über die A 45 zu erreichen ist, und von Westen über die A 4.

Reisezeit
In den Höhenzügen des Rothaargebirges rund um die Lahnquelle beginnt der Herbst oft bereits Mitte Oktober. Am Unterlauf und am Rhein dagegen kann es fast drei Wochen länger dauern, bis die Wälder den Höhepunkt ihres Farbenspiels erreicht haben. Die buntesten Tage fallen dort meist in die erste Novemberwoche.

Unterkunft
Vom einfachen Campingplatz für sieben Euro bis zum Fünf-Sterne-Hotel ist alles zu haben. Das weitaus größte Angebot stellen private Pensionen und Gasthäuser. Außerhalb der Hochsaison ist die spontane Zimmersuche unproblematisch. Reservieren empfiehlt sich lediglich im Hochsommer oder an langen Wochenenden wie Ostern und Pfingsten. Fast jeder Ort entlang der Lahn hat seinen eigenen Verkehrsverein, der Infos bereithält.

Sehenswert
Die Quelle der Lahn gehört genauso zu dieser Tour wie ihre Mündung in den Rhein – selbst wenn die beiden Spots etwas unscheinbar sind. Auffälliger ist da schon die Sackpfeife, mit 674 Metern der höchste Berg auf dieser Flussreise. Der schönste Teil der Lahn beginnt westlich von Wetzlar. Die Altstädte von Marburg und Wetzlar lohnen zwar einen Besuch, spektakulärer sind jedoch die mittelalterlichen Orte Braunfels, Runkel sowie Weilburg mit seinem Schiffstunnel. Fans von Burgen und Schlössern kommen in der gewaltigen Schaumburg und dem Märchenschloss Stolzenfels auf ihre Kosten.

Literatur
Spezielle Lahnreiseführer für Motorradfahrer gibt es nicht. Fast alle Bücher sind auf Fahrrad- oder Kanutouren zugeschnit-ten. Wir hatten »Das neue Lahnbuch« von Elisabeth Regge im Tankrucksack, das gute Informationen liefert. Allerdings fehlen praktische Tipps, beispielsweise zu Übernachtungen, Infobüros oder Fahrtrouten. Zur Orientierung eignen sich die beiden Großblätter 4 und 5 der Mairs Generalkarte im Maßstab 1:200000.

Entlang der Lahn (2)

Deleker
Fahren und Pausieren im Herbst: ein Fest für die Sinne.

Gar nicht so einfach, den Bach zu finden. Irgendwie scheint ihn keiner zu mögen. Die Zentren der Orte liegen abgewandt, weit vom Ufer entfernt, an dem stattdessen Baumärkte, Autohäuser und Recyclingbetriebe gedeihen. Bevor der Lahnfrust aufkommt, entdeckt Birgit zum Glück die Sackpfeife, mit 674 Meter, der höchste Berg entlang des Flusses, gewissermaßen der Lahn-Mount Everest. Anders als beim Giganten des Himalaja indes führt auf die Sackpfeife eine Straße. Eins zu null für die Pfeife. 15 Kurven und 20 Minuten später parken wir die Multistrada auf dem Berg. Kein Mensch weit und breit. Wolkenloser Himmel, windstill und endlich richtig warm. Herrlich. Die Fernsicht ist grenzenlos, in alle Richtungen hügeln sich die bunten Berge des Sauerlands bis zum Horizont. Der Zweiventiler der Ducati knistert leise vor sich hin, scheint auf mehr zu warten. Kann er haben. Allerdings nicht im Lahntal, denn die dicht befahrene
B 62 verspricht wenig Fahrspaß. Auf der Karte fingern wir mögliche Alternativstrecken ab. Caldern–Dagobertshausen–Elnhausen– Haddamshausen–Friedbertshausen. Das
sieht gut aus.

Ciao Sackpfeife. Die ausgesuchte Strecke erweist sich als Volltreffer. Kleine Straßen, fast kein Verkehr, unterschiedliche Kurvenradien. Malerische Fachwerkhäuser und kaum noch Wald, der uns die Sonne stehlen kann. Sanft moduliert das warme Herbstlicht die wellige Landschaft, verleiht ihr plastische Konturen. Eigentlich viel schöner als die grelle Sommersonne. Eine Reihe leuchtend gelber Birken wischt vorbei, kurz tauchen wir in das tiefe Orange eines Buchenhains, dann wieder wölbt sich der blaue Himmel über uns. Der Herbst von seiner schönsten Seite. Breites Dauergrinsen hinterm Visier. Motorrad fahren im November – ein Fest der Sinne, intensiver als jede Sommerausfahrt. Es könnte schließlich die letzte Tour des Jahres sein. Dieses Bewusstsein vertieft die Emotionen, jede Kurve fühlt sich doppelt gut an, und jeder Gasstoß erzeugt Kribbeln im Bauch.

Karte: Renate Maucher
Zeitaufwand: zwei Tage, Streckenlänge: 400 Kilometer.

Schade nur, dass es so früh dunkel wird. Zeitumstellung am letzten Wochenende, völlig vergessen. So suchen wir im Stockfinsteren nach einer Unterkunft, die wir vor Gießen endlich finden. Über Nacht bildet sich dichter Nebel im Tal, der den Fluss bis zum Morgen komplett verschluckt hat. Kalt, feucht und fies. Gute Gründe, das Frühstück zu verlängern. Nach dem dritten Kaffee brodelt die Ungeduld jedoch stärker als das Unbehagen vor dem neblig-kalten Blindflug. Zudem sind im Herbst oftmals nur die Täler vernebelt, während oben in den Bergen die Sonne scheint. Also los!

Zwischen Marburg, Gießen und Wetzlar gibt es entlang der Lahn selbst ohne grauen Dunst nicht allzu viel zu sehen. Erst danach folgt der schönste Teil der Flussreise. In Wetzlar haben wir genug vom stumpfsinnigen Herumgestocher in der kalten Suppe, suchen uns einen Weg aus dem Tal. Zumindest wird der Nebel nach kurzer Zeit etwas heller, wechselt seine Farbe von graublau in graugelb. Ein gutes Zeichen. Und plötzlich rauschen wir in gleißendes Licht. Vor uns blauer Himmel, hinter uns, wie abgeschnitten, die Nebelwand. Na, wer sagt’s denn. Wir brauchen eine Weile, um die Reizüberflutung zu verarbeiten und die Wärme zu spüren. Die nassen Jacken dampfen in der Sonne.

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