Die Tiefgarage hat drei Kurven, und damit fängt es an. Drei Kurven - und noch 997 vor uns. Sieben Uhr morgens. Ein Sommertag, Wettervorhersage: bis zu 30 Grad im Schatten, kein Wind, trocken. Spätestens zehn Stunden später sollen 1000 Kurven auf der Uhr stehen. Eine Wette sozusagen. Oder nennen wir es einen wissenschaftlichen Versuch; denn es stellte sich die Frage, wie viel es braucht, bis einem die gebogenen Dinger aus dem Hals raushängen. Geht das überhaupt? - Noch eine Kurve, der Herr? - Nein, danke, ich hatte schon. Nee, das passt nicht, schließlich sind Kurven nicht nur das Salz, sondern auch das Fleisch und das Brot und die Herrlichkeit für jeden Motorradfahrer.
Karsten sagt auch: "Davon kann man nie genug von kriegen." Als Top-Tester von MOTORRAD wirbelt er tagaus, tagein um Pylonen, auf Rennstrecken, Alpenpässen und Straßen mit allen erdenklichen Kurvenradien. Der Mann muss es wissen, nimmt aber gerne am motorisierten Feldversuch in freier Wildbahn teil. Das Labor stellt die passenden Instrumente zur Verfügung: eine KTM 990 SMR und eine Triumph Street Triple als veritable Kurvenfeilen sowie je einen analogen Handzähler, angebracht in Reichweite von Gas- und Bremshand.
Klick, klick, klick, Kurve eins, zwei und drei sind eingebongt. Das Tiefgaragentor öffnet sich. Die Neue Weinsteige, eine munter ansteigende Ausfallstraße raus aus dem Stuttgarter Kessel, bietet 20 weitere Gelegenheiten, den Kurventicker zu betätigen. Doch wann darf man eigentlich drücken? Wann ist eine Kurve eine Kurve? In der Mathematik ist eine Kurve ein zwei-dimensionales Objekt, das im Allgemeinen eine Krümmung besitzt. Hilft im Moment nicht wirklich weiter. Zählt es, wenn mehr als 15 Grad Schräglage anstehen. Oder 25, oder 35? Alles Quatsch, als Versuchsleiter definiere ich hochoffiziell: Beim Motorradfahren spricht man dann von einer Kurve, wenn Popometer und Bauch-Seismograph deutliche Ausschläge verzeichnen. Kurz gesagt, wenn es Laune macht.
Auf der A8 Richtung Pforzheim macht es keine Laune. Erst nerviger Berufsverkehr, dann sture Geradeausfahrt. Okay, bei Tempo 200 ließe sich die sanft nach links gekrümmte Fahrbahn unter Umständen als Kurve bezeichnen. Aber lassen wir das. Der Handzähler wird erst nach der Ausfahrt Heims-heim wieder gedrückt, wo hügelige Ausläufer des Schwarzwalds - unser angepeiltes Kurvenrevier - dem Asphaltband die nötige Biegung verpassen. Ab Neuenbürg geht‘s rauf zum Dobel. Da sind vor ein paar Jahren die Tour de France-Profis hochgestrampelt, wir erwarten dementsprechend Serpentinen à la Alpe d‘Huez. Uns aber erwarten nur ein paar müde Kürvchen. Also schnell weiter. Im Kurort Bad Herrenalb stehen historische Fachwerkhäuser. Schön anzusehen und außerdem nett platziert an einem Kreisverkehr. Also gleich noch einmal durch den Kreisel. Und nochmal. Klick, klick.
Schon zwei Stunden unterwegs? und noch nicht mal 200 Kurven. Langsam werden wir etwas ungeduldig, zusätzlich blockiert ein Holzlaster aus Frankreich die Bahn. Im Rumeier-Tempo ist keine Schräglage, ergo keine Kurve zu gewinnen. Mist! Doch bei Loffenau löst sich unser Triebstau auf. 15 fluffige Kurven breiten sich willig vor unseren Gummis aus, locken mit schönsten Rundungen, fordern allerdings das Fahrwerk voll heraus. Wir haben Nachholbedarf: Drei Mal geht die Nummer heftig auf und ab, 45-mal ein Klick am Handzähler. Holla, die Waldfee, jetzt geht‘s los!

Kurz darauf erreichen wir Marxzell mit einem hutzeligen Fahrzeugmuseum und einigen Motorradschätzen. Wäre nett, dort anzuhalten, doch trotz aller touristischen Highlights der Gegend wollen wir uns heute nur auf diese Höhepunkte beschränken: Kurven - und davon die volle Dröhnung. Die gibt es zwischen Bad Liebenzell und Neuhausen, allerdings der anderen Art. Auf dem Asphaltband tummeln sich wie fiese Würmer glitschige Bitumenstreifen. Schweinerei! Die Jungs und Mädels von der Straßenbaubehörde dürfen diesen Streckenabschnitt gerne mal vom Soziussitz aus "genießen". Doch Ärger beiseite, und nachdem beim Ortsschild "Siehdichfür" der Name Programm ist, nehmen wir das Gas raus und tuckern weiter nach Bad Wildbad.
Irgendwie haben wir uns verirrt. Auf dem Sommerberg endet die Straße auf einem großen Parkplatz. Bunt gekleidete Fahrradfahrer mit noch bunteren Mountainbikes und Vollvisier-Helmen auf dem Kopf kommen uns entgegen. "Hey Jungs, wo finden wir die besten Kurven?", fragen wir. "Kommt mit!", fordern sie uns auf, und kurze Zeit später sitzen wir auf stollenbereiften Leihrädern mit rund 200 Millimetern Federweg und lassen uns von einem Schlepplift den Hang hinaufziehen. "Das hier ist ein Bikepark. Die Cross-Strecke hat rund 20 Kurven, ihr werdet eure Freude haben", grinsen die Downhiller. Wir sagen uns: Ist zwar ohne Motor, aber Kurve ist Kurve und Zweirad ist Zweirad, oder? Bewegungstalent Karsten fährt vor. Zwei Abfahrten später steht fest: Wahnsinn! Und die Jungens hatten Recht mit dem Fun-Faktor. Nur leider kostet jede Abfahrt mindestens einen Liter (Angst-)Schweiß wegen der riskanten Sprungmanöver und Bretterwand-Steilkurven. Wie war das noch mal? Kurven, bis der Arzt kommt...

Besser Bitumen und Bikepark hinter uns lassen und weiterfahren. Kurvenstand: 387. Es geht voran, und die Sonne steht hoch am Horizont. Nur wenige Kilometer weiter passieren wir Enzklösterle. Noch eine touristische Schwarzwald-Perle mit tollen Wandermöglichkeiten. Was uns allerdings nicht die Bohne interessiert, denn wir sind froh, Beinschmalz wieder gegen Pferdestärken eingetauscht zu haben. Bei Poppeltal unterliegen wir dennoch dem Reiz eines weiteren Exkurses: Süddeutschlands längste Riesenrutschbahn. Insgesamt 1500 Meter schlängelt sich die Edelstahl-Schütte gen Tal, abwärts geht‘s mit Sommerrodeln. Das klingt lustig und birgt keine Gefahren. No risk - more fun! Juchhei! Nach einer Fahrt ist allerdings klar, dass das Bergpanorama zwar atemberaubend, der Speedrausch hingegen eher eine Luftnummer ist. Nein, dann lieber wieder im Sattel Meter machen. Schließlich haben wir einen Auftrag.
Auf der Bundesstraße 462 surfen wir entspannt nach Forbach. Ein Schild: "Rote Lache." Schon mal im Zusammenhang mit Motorrad gehört, also abbiegen. Wow, jetzt tickert der Kurvenzähler, bis er fast glüht. Noch ein Schild: "7000 m Kurven." Hah, hier sind wir richtig. Der Naturpark Schwarzwald Nord/Mitte ist ein Top-Revier für Kurvenfresser. Bei einem Gasthof ist Wildschwein im Angebot, doch wir schmeißen uns lieber wie die Wildsauen von Schräglage zu Schräglage. Skilady Maria Riesch könnte beim Slalomrennen nicht mehr herausholen, 100-mal links und rechts und wieder links - alles binnen weniger Minuten. Geil, geil, geil!
Nach Mittag. Im Komfortmodus düsen wir mit locker geschwungenen Bögen in mittleren und weiten Radien über die B 500, die legendäre Schwarzwaldhochstraße. Klick, klick, jetzt schon 700 Kurven, klick, klick. Tolle Aussichten, prima Wetter, das Leben ist schön. Und von Kurvenmüdigkeit bisher keine Spur, nur der Hintern ist schon ein wenig plattgesessen. Die Straße klettert gemächlich nach Kniebis hoch, im Winter ein Zentrum für Langlaufski. Jetzt, mitten im Sommer, ziehen wir mit der KTM und der Triumph auf kleinsten Landstraßen unsere eigenen Loipen. Vollrausch! Entlang von Bachläufen durchstöbern wir die Schwarzwald-Jagdgründe, passieren Mineralwasser-Abfüller, und im Kopf beginnt es vom vielen Hin und Her langsam auch zu sprudeln.

Kurve Nummer 800, klick, die Hitze macht zu schaffen, klick, klick, vielleicht mal Pause machen, klick, oder doch lieber voll durchziehen, klick, bergfremde Holländer mit Tourendampfern bummeln vor uns, versperren den Weg, klick, die haben Warnwesten an, klick, eignen sich also hervorragend als fahrende Pylonen, klick, klick, klick. 850, 887, 953. Der Kurvenzähler hat zwischen Freudenstadt und Schapbach gut zu tun, und wir kommen dem Ziel immer näher. Endspurt! Doofe Idee, denn bei Kurve 983 verziehe ich komplett die Linie, das Hinterrad rutscht, ich sehe schon die Leitplanke auf mich zukommen, schaffe es aber gerade noch, ein großes Malheur abzuwenden und fange die Fuhre wieder ein. Puh, Glück gehabt. Und ihr, liebe Kinder da draußen am Bildschirm, kommt bitte nicht auf die Idee, diesen Teil der Wette nachzuspielen!
Die restlichen paar Kurven bis zur runden Tausend rollen wir locker weiter, und dann wird erstmal Rast gemacht. 1000 Kurven in rund sieben Stunden. Das wäre geschafft. Zufrieden trinken wir wie die Kamele literweise Wasser und stopfen uns Fleischkäse-Brötchen rein. Irgendwelche Überdosis-Erscheinungen? Nicht wirklich, also Beweis erbracht: Von Kurven kann man eigentlich nicht genug bekommen. Oder doch? Wir haben ja noch ein paar Stunden Zeit bis die Sonne untergeht. Und auf der Karte entdecken wir den Europapark Rust. Dort soll die größte Achterbahn Europas stehen, und noch eine, die von 0 auf 100 in 2,5 Sekunden beschleunigt. Das hört sich wild an. Und würde gut zu diesem wilden Ausflug passen. Nichts wie hin!
Der Park ist riesig und pickepacke voll mit vergnügungssüchtigen Menschen. Genau unsere Liga. Immer noch fast 30 Grad draußen. Aus Ledereinteiler und Textilkombi rinnt der Schweiß. Und vor uns türmt sich die über 70 Meter hohe Silver-Star-Achterbahn auf. Ein Monster. Über 130 km/h schnell. Am höchsten Punkt heißt es: Hintern zusammenkneifen, fast Freifall, brutal! Noch besser: Der neue Blue-Fire-Megacoaster schickt einen mit Karacho und unglaublichen 4 g Fliehkräften durch Steilkurven, 360-Grad-Wirbel und Loopings. So was im eigenen Garten - das wäre ein erfüllter Kindheitstraum.
Doch ein paar Fahrten später ist es ein Albtraum. Nach diesem im wahrsten Sinne schrägen Tag hat uns das Ding endgültig platt gemacht. Alles dreht sich, der Magen ist umgekrempelt und die Luft komplett raus. Wir schleppen uns zu den Motorrädern. Karsten schält sich aus der Lederkombi, legt sich nur mit Unterhose bekleidet zur Abkühlung auf den Parkplatz, streckt die Viere von sich. Ich tanke zwei Liter Wasser nach und mache mir Gedanken über den Rückweg. Über kurvenreiche Landstraßen zurück nach Stuttgart? - Nein, danke, ich hatte schon. - Eine öde Autobahnstunde später, komplett nüchtern, sehnen wir uns allerdings schon wieder nach einer Abfahrt. Vor dem inneren Auge: Anbremsen, Scheitelpunkt anvisieren, Knie abwinkeln, Gewicht nach innen, einlenken. Uuund: endlich wieder Schräglage!
Infos

Fitte, schwindelfreie Motorradfahrer mit viel Sitzfleisch können die vorgestellte Tour inklusive Exkursionen im Eiltempo an einem (sehr) langen Tag hinter sich bringen. Deutlich entspannter und deshalb empfehlenswerter: den Kurvenspaß auf zwei Reisetage zu verteilen.
Region:
Im und rund um den Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord, dem mit 3750 km² größtem Naturpark Deutschlands, liegen mehr als 100 Gemeinden. Das Gebiet erstreckt sich zwischen Pforzheim, Baden-Baden, Lahr/Schwarzwald und Rottweil. Reizvoll ist der Wechsel zwischen Natur- und Kulturlandschaft. Dichte Wälder, tief eingekerbte Täler, zerklüf-tete Felsenanordnungen und romantische Bachläufe changieren mit Weinhängen und Landwirtschaftsflächen. Die Region grenzt an den touristisch weitaus populäreren, dafür jedoch auch etwas überlaufenen Hochschwarzwald (inklusive Feldberg und Titisee) und bietet viele preisgünstige Unterkunft- und Freizeitmöglichkeiten (Wellness, Wandern, Sport etc.) Gute Ausgangspunkte sind Freudenstadt (www.freudenstadt.de), Bad Herrenalb (www.badherrenalb.de) oder Gengenbach (www.gengenbach.info).
Strecken:
Hochspannend ist alles im Dreieck Baden-Baden, Bad Herrenalb und Forbach inklusive des Klassikers Rote Lache. Weitere tolle Kurvendorados liegen zwischen Freudenstadt, Bad Peterstal und Wolfach sowie entlang der Grenzlinie zum Südschwarzwald (Villingen-Schwenningen, Triberg und bis zum Kaiserstuhl im nördlichen Breisgau). Doch Vorsicht! Die sich häufig durch schattige Mittelgebirgswälder schlängelnden Sträßchen bieten ab und zu böse Überraschungen (verschmutzte Fahrbahn, Wildwechsel, Forst- und Landwirtschaftsverkehr). Auf der quer durch den Schwarzwald verlaufenden Hochstraße B 500 gibt es Fallen der ganz anderen Art: viele Geschwindigkeitsbeschränkungen und -kontrollen. Wer jedoch gemütlich cruist, wird sich dort wegen des in Teilen grandiosen Panoramas trotzdem sehr wohl fühlen.
Exkursionen:
Fahrzeugmuseum in Marxzell: neben Autos rund 150 Motorräder (u.a. Münch, Maico, Böhmerland). Eintritt: fünf Euro. Telefon 07248/ 6262, www.fahrzeugmuseum-marxzell.deBikepark Bad Wildbad: Strampeln? Nein danke! Am Sommerberg geht es nämlich nur abwärts - und mittels Bahn und Lift (Halbtageskarte: 16 Euro) wieder hinauf. Für Anfänger sind die Freeride-Strecken und für Mutige auch der Biker-Cross geeignet. Taugliche Mieträder vom Hersteller Solid Bikes gibt es zu fairen Preisen (halber Tag ab 10 Euro). Telefon 07081/380120 bzw. 07441/952450 (Wochenende bzw. werktags), www.bikepark-bad-wildbad.de.Riesenrutsche Enzklösterle: Heidenspaß für überschaubare drei Euro pro Fahrt. Telefon 07085/7812, www.riesenrutschbahn.de.Europapark Rust: Deutschlands größter Freizeitpark (Eintritt: 35 Euro) mit rekordverdächtigen Achterbahnen, Karussells und vielseitiger Gastronomie. Möglichkeit, im Wellness-Spa-Ressort zu übernachten und zu relaxen. Telefon 01805/776688 (14 c/min), www.europapark.de.