Extremreisende Doris Wiedemann

Extremreisende Doris Wiedemann Alleinflug

Besser allein als mit irgendjemand, dachte sich die 31-jährige Bayerin Doris Wiedemann. Und durchquerte Afrika lediglich in Begleitung einer fünf Zentner schweren BMW R 100 GS.

Am spannendsten ist das Bücherregal. Zwischen Karl May-Bänden aus Kindertagen und einem völlig zerfledderten Meyers Weltatlas steckt ein Stapel gelber Langenscheid-Wörterbücher, darunter das »Lehrbuch der betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulation, darüber Nelson Mandelas »The long way to freedom«. Davor prangt eine Sammlung verwegener Sonnenbrillen, eine Flasche südafrikanischer Wein und ein Pokal vom Motorradclub Wienerwald mit der Sockelinschrift »Für die netteste Art«. »Von manchem trennt man sich nicht so leicht«, lacht die 31-jährige Besitzerin der Ehrung. Doris Wiedemann, die Frau, mit einer tausender Gelände-BMW bald darauf im Alleinflug ganz Afrika durchquerte. Von der Sahara bis zum Kap. Sechs Monate und xxxxxxx Kilometer weit. Schmal und zartgliedrig, scheint die gelernte Steuerfachgehilfin und Betriebswirtschaftsstudentin aus Schwabmühlhausen bei Augsburg, die nach eigenen Angaben »einfach mal zur Wiege der Menschheit wollte«, kaum ins Bild eine mega-konditionierten, wilden Abenteurerin zu passen. Und so sah sie sich anfangs auch selbst nicht. »Ich dachte damals, ich fahre einfach mal los und schau`, wie weit ich komme«, erzählt sie beim Kaffeekochen, während sie Motiv-Tassen der »Schönen Müllerin« von Café Deistler aus dem Schrank holt und bei der Erinnerung ein Lachen hören läßt, in dem die Gelassenheit ganz Afrikas schwingt: »Dass ich´s tatsächlich bis nach Kapstadt schaffen würde, habe ich selbst nicht geglaubt.«Wie sie´s anpacken mußte, wusste Doris von zwei längeren USA- und Australien-Trips. Als sie für ein Foto ihre Ausrüstung zusammensucht, ist sie nach wenigen Minuten fertig und hat gerade mal ein Badehandtuch kleines Stück Boden damit belegt. Ich bin völlig sprachlos. Vor mir liegt Doris Wiedemanns Erfolgs-Geheimnis: Minimalismus. Was nicht absolut unverzichtbar oder unterwegs käuflich war, blieb zu Hause. »In Australien habe ich unterwegs die Hälfte meiner Sachen verschenkt, so sehr ist mir der ganze Plunder irgendwann auf die Nerven gefallen.« Neben dem, was sie am Leib trug wie Helm, Handschuhe, Cross-Panzer, Stiefel und eine selbstgenähte Protektoren-Jeans - »beim Körperschutz gab´s keine Kompromisse« - war außer Unterkleidung nur noch ein T-Shirt zum Wechseln dabei - »das dreckige wurde jeweils beim Duschen gewaschen«, ein Pullover, eine kurze Hose, ein paar tourentaugliche Tefa-Sandalen sowie eine dünne Seidenhose und eine Bluse im Knitter-Look. Für elegant. »Dass man bei so einer Tour kein Ballkleid dabeihaben kann, ist auch in Afrika jedem klar. Aber ein bisschen Etikette muss sein.« Fürs Essen sorgt der steinalte Endress Baby-Benzinkocher aus der Junggesellenbude ihres Vaters sowie ein Topf, ein Becher und ein Löffel. Fertig. Nudel kann man löffeln, aber Suppe nicht gabeln, lautet die unbezwingbare Reduktions-Logik der Doris W., die letztlich Tankrucksack und Gepäckrollen einsparte und die beiden 40-Liter-Alu-Koffer nur noch zur Hälfte füllte. Und damit ein Reisemotorrad schuf, das vollbeladen kaum über dem Leergewicht lag. An Bord waren neben Wasservorräten außerdem noch Zelt, Iso-Matte, ein dünner Hüttenschlafsack, ein Lonely-Planet-Reiseführer, aus dem die Seiten der bereits abgehandelten Länder immer gewichtssparend rausgerissen wurden, Kamera, Landkarten, Kulturbeutel, ein libyscher Regenschirm, ein Roman und ihr Tagebuch. Für die bis auf den 42 Liter Acerbis-Tank und ein Öhlins-Federbein originalbelassene BMW hatte sie neben Bordwerkzeug und einem Ersatzreifen nur noch ein kleines Elektro-Messgerät, ein paar Vergaserteile, Ventildeckeldichtungen, Schraubnippel, das Handbuch, einen Filter und einen halben Liter Öl dabei. Als Doris die GS aus der Garage schiebt, wird klar, warum: Mit 1,70 Metern Größe und 60 Kilo Gewicht hatte sie als Alleinreisende bei diesem Trumm von Motorrad trotz sportlicher Vergangenheit, aber derzeit allenfalls praktizierende Rasenmäherin und Einkaufs-Radlerin wenig Handlungsspielraum: Sie musste das Motorrad allein beherrschen. In jeder Situation. »Es gab in meinem Umfeld damals niemanden, der Zeit, Geld oder die Möglichkeit gehabt hätte, für ein paar Monate nach Afrika abzuhauen.« Und so beschloss sie, lieber allein als mit irgendeiner Annoncen-Bekanntschaft loszuziehen. Außerdem ist Doris keine Frau großer Schreckensvisionen: »Wenn du einen Menschen brauchst, findest du ihn schon.« Wie John. In Libyen lernte sie den britischen GS-Fahrer kennen, und sie beschlossen, die Sahara-Etappe zusammen zu fahren. Chance und Risiko zugleich, wie sich herausstellte. John half einerseits, das herablassende Frauenbild der islamischen Nordafrikaner erträglicher zu machen, brachte Doris aber fahrerisch in einige Schwierigkeiten. Kurz hinter Tripolis stürzte sie in einer Spurrinne schwer. Sie kam glimpflich davon, doch der Vorderbau der BMW war ziemlich verbogen. John richtet ihn mit ein paar Libyern in einem Ölkamp wieder aus, während Doris keinen Finger rühren darf. Motorräder sind Männersache. »Über meine Verhältnisse gefahren«, resümiert sie den Sturz heute, allein fahre man anders, vorsichtiger. Hinter den Mandaraseen trennen sich die Wege wieder, Doris nimmt Kurs auf Ägypten. Von nun an ist sie tatsächlich auf sich allein gestellt und es wird deutlich einsamer. Der Islam reduziert normale Kontakte gegen Null. Als Frau wird sie oft gar nicht beachtet. Erst als sie klar macht, dass kein Ehemann mehr nachkomme, rückt sie notgedrungen ins Blickfeld. Maximal gibt es Avancen, die sie sich zwar vom Leib halten kann, doch nur zum Preis völliger Abgrenzung. Berührungsängste auf beiden Seiten. Auf dem Sinai lernt sie ein paar sudanesische Gastarbeiter kennen, die sie wieder aufbauen, rege Anteil an ihrer Reise nehmen. In Kairo setzt sie übers Rote Meer nach Eritrea über. Sofort wird es leichter. Eritrea ist zwar bettelarm, aber die Freiheitskämpferinnen haben einen Grundstock an Emanzipation hinterlassen. Doris wird freundlich eingeladen, hat wieder einen Status. Tritt doch mal ein Mann zu nahe, reicht meist schon eine bayrische Verwünschung, ihn wieder auf Distanz zu bringen. Auf herrlichen Schotterpisten durchquert sie das Hochland Athiopiens. Grüne Wälder wechseln mit satten Wiesen und kargen Felsen ab. Zelten darf sie nun wieder mitten im Dorf, oft sogar mit persönlichem Wächter ausgestattet. Immer weiter kämpft sie vor, über die Schlammpisten und durch die Urwälder Kenias und Tansanias, zwischen Elefanten und Giraffen hindurch, immer tiefer hinein ins Herz des Schwarzen Kontinents. In Bahir Dar feiert sie Silvester 1998. Sie lernt, mit den Menschen umzugehen, die sie auf der Piste anfeuern und allabendlich bewundernd um ihr Lager stehen, lernt akzeptieren, dass sie Sesamstraße und Mutter Beimer in einem ist und schlichtweg zuständig für das dörfliche Entertainment. Gefahr habe sie ganz selten empfunden, erinnert sie sich. »Als Frau war ich denen wahrscheinlich oft schlichtweg unheimlich, und zu klauen gab´s wenig.« Entscheidend sei außerdem die eigene Einstellung: »Wenn die Menschen dein Vertrauen spüren, sinkt jede Gefahr rapide. Verstecken geht auf dem Motorrad ohnehin nicht. Es gibt keine Scheibe, die man hochkurbeln kann, kein Knöpfchen zum Verriegeln.«Sie arbeitet sich allmählich ins südliche Afrika hinab, und die Strecken werden wieder einfacher. Am Malawisee geht es vorbei in Richtung Sambia und Simbabwe, zu den Victoria-Fällen. Bald liegt Botswana und die Kalahari-Wüste vor ihr, die letzte große Barriere vor dem Kap. Sie geht auf Westkurs bis Windhoek in Namibia, erlebt auf der mehr oder weniger schnurgeraden Piste noch einmal das grandiose Landschaftschauspiel der Wüste. Und dann ist es nur ein Katzensprung, die südafrikanische Grenze am Oranjeriver liegt vor ihr, sie hat es fast geschafft. »Hätte mir jemand vorher prophezeit, dass ich den ganzen Kontinent durchqueren würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt«, resümiert sie, stellt die Tasse mit der schönen Müllerin ab und lacht wieder dieses Lachen, das wahrscheinlich in Afrika mindestens so hilfreich war, wie bei der Wienerwälder Pokalverleihung.j

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