Die nordischen Götter streiten - sie können sich nicht einigen, wer heute das Wetter bestimmen darf. Thor, Herr über Donner, Wolken und Wind schiebt fette, pechschwarze Wolken durch den engen Funningsfjørður. Eine hohe Gischt tanzt auf dem grauen Meerwasser, Regen prasselt, nein, peitscht von heftigen Böen getrieben fast schon waagerecht in die Wellen. Kaum eine Minute später reißt Odin, Chef aller Götter, den Wolkenvorhang auf. Schlagartig wird es hell, dann spannen sich zwei Regenbögen über den Fjord. Am anderen Ufer duckt sich der kleine Ort Funningur in eine grüne, baumlose Senke vor den höchsten Bergen der Färöer-Inseln. Aber kaum hat die Sonne die bunten Häuser erreicht, ist Thor wieder am Zug, wälzt den nächsten schweren Regenguß durch den Fjord. Innerhalb von zwei Stunden zählen Andreas, Birgit und ich mehr als zehn Regenbögen und genauso viele Schauer. Götterzauber.Langsam, aber sicher geht Thor die Puste aus, und er muß sich dem Willen Odins beugen. Immer öfter wagt sich die Sonne raus. Wir nutzen die Gelegenheit und fahren nach Elduvik, einem der schönsten Dörfer auf dem Archipel. In einer kleinen Bucht schmiegt sich die Siedlung in quietschgrüne Wiesen. Dicht drängen sich die schwarzen und roten Holzhäuser mit ihren oft grasgedeckten Dächern aneinander, lassen gerade mal genug Platz für Fußgänger, und die Nachbarn haben ein paar Fische zum Trocknen auf die Leine gehängt. Im Norden verliert sich der Funningsfjørður in der Weite des Atlantiks. So idyllisch Elduvik auch wirkt, es stirbt, wie viele Orte auf den Inseln, langsam aus. Vor 50 Jahren lebten hier noch über 80 Menschen, heute sind es nur noch 28, und besonders die Jüngeren sind längst dorthin gezogen, wo es mehr zu verdienen und mehr Abwechslung gibt - aufs Festland.Am nächsten Morgen hat sich Thor prächtig erholt. Windböen schütteln das Zelt, die Aluminiumstangen biegen sich bedrohlich. Schwerer Regen prasselt auf die die dünne Nylonwand. Rein in die feuchten Klamotten, dann nichts wie weg. In Skalafjørður soll´s eine gute Cafeteria geben, wo wir das Frühstück nachholen wollen. Doch die Fahrt dorthin ist mühsam. Wasser und Wind von allen Seiten, die Sichtweite gleich Null, und die schwer beladenen Motorräder lassen sich nur ungern gegen die kräftigen Böen manövrieren.Beim vierten Kaffee gesellt sich ein triefnasser Radfahrer zu uns. Er erzählt von blauem Himmel und Sonne im nächsten Fjord, kaum zehn Kilometer entfernt. Wieder rein in die Regensachen, raus in den Regen. Bald verschwindet die Straße in einem langen Tunnel, der die Bergkette zum Nachbarfjord durchbohrt. Und tatsächlich, als wir den Tunnel verlassen, blendet uns gleißend helles Licht. Hier also wohnt Odin. Schnell die Regenkombis verstauen, die Karte rausholen und neue Pläne schmieden. Wer weiß, wann Thor zu Besuch kommt.Wir biegen ab nach Saksun, fahren durch ein baumloses, hügeliges Tal. Nach ein paar Kilometern endet die Straße über dem Saksunarvatn. Eine kleine Holzkirche und zwei große Höfe verteilen sich auf der Wiese. Kaum 25 Menschen leben heute in Saksun. Ein paar Einwohner mehr hat Tjørnuvik, das zwei Bergrücken weiter im Norden liegt. Am Ende einer schmalen Bucht ducken sich die wenigen Häuser vor dem düsteren Halbrund der Berge. Der Atlantik schiebt sanfte Wellen auf den schwarzen Sandstrand. Die Felsnadeln Risin und Kellingin, der Riese und sein Weib, ragen 75 Meter hoch aus dem Meer.Wir wechseln wieder hinüber auf die Insel Eysturoy und kurven hinter Eiði in die Berge. Fahrspaß pur, wir lassen die Endorus einfach rollen - die geschwungene Straße führt von einem Ausichtspunkt zum nächsten. Die Abendsonne taucht die eindrucksvolle Steilküste in warmes Licht, dann finden wir auf der Paßhöhe von Eiðisskarð einen wunderschönen Platz zum Zelten. Über den Funningsfjørður blicken wir von hier aus bei bestem Wetter auf die Nachbarinseln Kalsoy und Kunoy - ein grandioses und vielfarbiges Panorama: Um Mitternacht verfärbt sich der Himmel rosa, dann orange und und nach einer Weile violett. Ganz dunkel wird die Sommernacht in diesen Breitengraden nicht mehr.Zum Frühstück hat sich Thor etwas Nettes ausgedacht. Nieselregen fliegt durch die kalte Luft, gleichzeitig scheint die Sonne. Graue Wolken haben es eilig, die Färöer zu überqueren. In Sekunden ändern sich die Lichtstimmungen. Hier ein Sonnenspot, dort ein heftiger Schauer und dazwischen kräftige Regenbögen. Nebelfetzen fließen über die scharfen Grate der Berge. Wettertheater. Die Sturmböen nehmen zu, und schon beim zweiten Kaffee bekomme ich ernsthafte Trinkprobleme. Schwerer Seegang in der Tasse, Wellen schwappen über den Rand und spritzen mir ins Gesicht. Die Salami fliegt vom Brot, sie ist offensichtlich nicht Färöer-tauglich. Dann ist schlagartig Ruhe. Absolute Windstille. »Der wird doch wohl nicht Luft holen?« Kaum hat Andreas den Satz ausgesprochen, fegt ein Windstoß aus den Bergen heran, beutelt das Zelt und reißt drei Abspannungen mitsamt den Heringen aus dem Boden. Auch die Dominator geht schwer getroffen zu Boden. Hektisch versuchen wir Herr der Lage zu werden und alles wieder einzufangen. Eine Minute später ist der Spuk vorbei. Weiter frühstücken. Vorsichtshalber ersetzen wir die Salami auf dem Brot durch Marmelade. Wenn die wegfliegt, ist sowieso alles zu spät.Aber es bleibt ruhig. Dafür zieht Nebel auf. Aber nicht irgendein Nebel, die Färinger machen da feine Unterschiede. Der Skaðða zum Beispiel kommt häufig vor. Er verhüllt nur die Spitzen der Berge. Beruhigend zu wissen, daß dies kein ordinärer Nebel ist. Aber der Skaðða ist zäh. Erst kurz bevor wir in Gjógv das Meer erreichen, lichtet sich der graue Vorhang. Dabei sollte der Skaðða doch nur die Bergspitzen verstecken. Vielleicht war es doch Mjørki, der gewöhnliche Nebel. Wer weiß.Auf der Rückfahrt zum Paß verschluckt uns Mjørki - oder etwa doch Skaðða? Es hat sich eingeregnet. Zu allem Überfluß erreichen wir in Leirvik die Fähre nach Klaksvik gerade rechtzeitig, um deren Ablegemanöver zu bewundern. Das nächste Schiff fährt in fünf Stunden. Bis dahin studieren wir hundertmal den Wetterbericht in den beiden Tageszeitungen. Morgen soll es tatsächlich besser werden. Hoffnung. Endlich kommt die kleine Fähre, die uns zur Nachbarinsel Borðoy bringt. Zwei Tunnel durchstechen die Berge, und wir landen auf der Ostseite der Insel am Hvannasund, einem schmalen Meeresarm, über den ein Damm zur Nachbarinsel Viðoy führt. Dann die bunten Häuser von Norðdepil, dahinter die schroffen Berge und im Hafenbecken hölzerne Fischerboote - färingisches StillebenVon Norðdepil schlängelt sich eine neue Straße zum winzigen Dorf Muli und weiter zum nördlichsten Ort der Färöer, nach Viðareiði. Hier endet die färingische Welt höchst spektakulär. Kein anderer Ort kann mit dieser Lage und Aussicht konkurrieren. Die vier Inseln Viðoy, Barðoy, Kunoy und Kalsoy strecken ihre Nordkaps fast gleich weit in den Atlantik. Die schroffen, fast senkrechten Klippen gehören mit über 800 Meter zu den höchsten der Welt. In den felsigen Bergkaren schmelzen die Schneereste des Winters. Tausende von Seevögeln finden hier perfekte Nistbedingungen.Eine Regenpause kommt nach dem Abendessen gerade recht, um den Papageitauchern einen Besuch abzustatten. Am obersten Rand der senkrechten Klippen haben die kleinen Seevögel ihre Bruthöhlen ins Erdreich gebuddelt. So wendig und schnell die bunten Clowns in der Luft auch sind, ihre Landung gleicht viel eher einem gerade noch verhinderten Absturz. Zur Brutzeit haben die Vögel ihr bestes Kleid angelegt. Schwarzweißes Gefieder, ein grauroter, dreieckiger Schnabel, lustiges Makeup um die Augen und zwei riesige, leuchtend orange Füße. Ein paar Papageitaucher haben sich noch einen Mitternachtssnack vom Meer mitgebracht. Kleine, silbrig glänzende Sandaale hängen quer in ihren Schnäbeln.Am Morgen ist die Wetterbesserung nicht zu übersehen. Der Regen fällt nicht mehr waagerecht, sondern senkrecht. Immerhin ist das Barometer ein wenig gestiegen. Aber dann geht alles ganz schnell. Von Norden wächst ein blaues Loch heran, wird ständig größer. Wir werden nervös, packen eilig zusammen und haben tausend spontane Ziele im Kopf. Die Wolken lösen sich auf. Wir entdecken Inseln, die wir bislang nicht gesehen hatten. Wie schnell sich diese Landschaft verändern kann! Je weiter wir nach Süden fahren, desto undramatischer und runder werden die Berge. Was bleibt, sind die endlosen Wiesen, die die Inseln wie ein Teppich überziehen. Die breite Straße verläuft am Ufer des Sundinifjords bis zur Hauptstadt Tórshavn, was nichts anders als Thors Hafen bedeutet. Da kann der Wettergott mit seinen schlechten Manieren nicht weit sein. Also biegen wir lieber noch mal nach Westen zur Insel Vagar ab. Eine kleine Fähre bringt uns über den Vestmannasund, und in Bøur erreichen wir das westlichste Ende aller Straßen. Mächtige Wellen rollen über den Atlantik und zerplatzen an der Steilküste zu haushohen Gischtwolken. Wie die zerfranste, überdimensionale Rückenflosse eines Hais ragt der 262 Meter hohe Tindholmur aus der Brandung. Noch weiter draußen sind die Umrisse der Vogelinsel Mykines zu erkennen.Zurück auf der Hauptinsel Streymoy, trennt uns nur noch eine Stunde von Tórshavn, das mit seinen 15000 Einwohnern zu den kleinsten Hauptstädten der Welt zählt. Unten am Hafen hat sich die Stadt ihren alten Charme bewahren können. Zwischen den bunten Holzhäusern schlängeln sich schmale Gassen durch die malerische Altstadt bis zum Hafen, wo bereits unsere Fähre wartet. Zum Abschied arrangieren die Götter noch einmal eine kleine Show. Thor jagt regenschwarze Wolken über die Stadt. Zwischendurch aber findet Odin genug Zeit, um den einen oder anderen Regenbogen zu spannen. Götterzauber à la Färöer.
Infos
Die Färöer, oft Zwischenstopp für Islandreisende, wären längst überlaufen, lägen sie nicht mitten im Atlantik. Doch die einzigartige Landschaft begeistert trotz des unbeständigen Wetters.
Anreise: Jeden Samstag von Ende Mai bis Ende August legt die Fähre Norröna der Smyril Line im dänischen Hanstholm ab und erreicht 37 Stunden später Tórshavn, die Haupstadt der Färöer. Für eine einfache Passage sind für eine Person ab 243 Mark und für das Motorrad ab 77 Mark zu zahlen. Die Rückfahrt nach Dänemark erfolgt jeweils freitags. Infos und Buchungen im Reisebüro oder direkt bei der Smyril Line, Telefon 040/3233300, Fax 040/32333060.Reisezeit: Eine Motorradtour kommt auf den Färöer-Inseln nur im Sommer in Frage. Allerdings liegen die Inseln oft im Würgegriff atlantischer Tiefdruckgebiete, und das Wetter kann innerhalb von Minuten von einem Extrem ins andere wechseln. Die Tagestemperaturen betragen im Durchschnitt 15 Grad, und zwischen Juni und Juli wird es nachts kaum dunkel.Übernachten: Auf den Färöer spielt der Tourismus keine große Rolle, und selbst die kleine Auswahl an Hotels, Privatunterkünften, Bed&Breakfast und Jugendherbergen reicht aus, um in der Hochsaison jedermann ein Dach über dem Kopf zu bieten. Freies Zelten ist erlaubt - absolut tabu sind aber Privatgrundstücke und alle landwirtschaftlich genutzten Wiesen.Literatur: Nur ein Reiseführer befaßt sich ausschließlich mit der Inselgruppe: der DuMont Landschaftsführer »Die Färöer« für XXXX Mark bietet neben ausführlichen Beschreibungen über Land und Leute viele nützliche Reisetips. In vielen Island-Führern ist den Färöer ein Kapitel gewidmet, zum Beispeil im »Island-Handbuch mit Färöer-Inseln« aus dem Konrad Stein-Verlag für 34,80 Mark. Landkarten: Topographischer Atlas Føroyar, 1:100000. Erhältlich in gut sortierten Buchhandlungen oder direkt vor Ort. Weitere Infos: Aldan Føroyar Tourist Information, Gongin, P.O. Box 118, FR-100 Tórshavn.Zeitaufwand: zehn Tagegefahrene Kilometer: 800