Playa del Inglés an der Südflanke Gran Canarias. Hunderte von Hotels in allen Größen und Kategorien, zig Restaurants und Bars, deutsche Supermärkte, Reiseagenturen und Mietwagenstationen an jeder Ecke. Das negative Bild, das Birgit und ich von der Mega-Urlaubsinsel im Kopf haben, wird bei diesem Empfang sogar noch übertroffen. Wir wollen sofort los, um eine andere Seite dieser Insel kennen zu lernen und sind froh, dass sich die beiden Motorräder – eine Honda Vigor und eine Suzuki DR 350 – bereits von daheim reservieren ließen. Gepäck verzurren, Helm auf und Gas.
Schnell verschwinden die letzten Häuser von Playa del Inglés in den Rückspiegeln, und sofort wird alles anders. In weiten Radien kurvt die Straße nach Norden ins Landesinnere, rechts und links braungraue Halbwüste mit vereinzelten Kakteen und Agaven. Direkt vor uns bauen sich schroffe, bis zu 1000 Meter hohe Berge auf. Nackter Fels in Rot, Gelb oder Braun. Lauwarme Frühlingsluft streichelt um die Nase. Kanarischer Dauersommer. Es fällt schwer zu kapieren, dass dies kein Traum ist. Schließlich haben wir gerade erst den fiesen Kölner Winter hinter uns gelassen. Der Flieger überbrückt Distanzen, schafft aber gleichzeitig neue. So dauert es mindestens einen Tag, bis nicht nur der Körper, sondern auch der Kopf tatsächlich hier angekommen ist.

Die bildschöne Oase Fataga gibt sich erst gar keine Mühe, geistiges Ankommen für Nordeuropäer zu beschleunigen: Die kleinen, weiß gekalkten Häuser der uralten Finca „Molino del Agua“ ducken sich unter unzähligen Palmen. Wasser plätschert ins Tal, und es riecht intensiv nach blühenden Orangenbäumen. Gut, dass wir in diesem paradiesischen Idyll schon vorab ein Zimmer bestellt haben. Als Einzelreisende ist es nicht leicht, im All-inclusive-Dorado Gran Canaria eine Unterkunft zu finden. Den Nachmittag verträumen wir akklimatisierend einfach im Garten. Genug der Träumerei, am nächsten Morgen sind wir reif für handfeste Entdeckungen. Auf der Karte verlockt eine unscheinbare graue Linie, die bei Fataga südwestlich in die Berge abzweigt. Grau bedeutet unbefestigter Fahrweg. Die Piste entpuppt sich als Volltreffer. Wir stauben durch eine archaisch einsame Bergwelt, tauchen hinab in den steilen Canyon Los Vicentes mit seinen bizarr erodierten Felsen, klettern über einen steilen Pass und erreichen schließlich den Stausee von Ayagaures. Zwei Stunden purer Fahrspaß, bei dem wir nicht einen Menschen treffen. Kaum zu glauben, dass die Touristenzentren an der Küste nur einen Steinwurf entfernt liegen.
Die unzugänglichen Berge verhindern eine direkte Verbindung nach Nordwesten. Also bleibt nur der Weg über die Küstenstraße im Süden. Zuerst aber parken wir unsere verstaubten Motorräder vor einer aussichtsreichen Bar direkt am Strand von Arguineguín. Und fassen eine Riesenportion Eis ins Auge. Danach ein Café Cortado, ein kleiner Schwarzer mit etwas Milch. Unzählige Touristen schlendern auf ihrem Weg zum Strand vorbei. Man trägt Badehose und Gummischlappen sowie weiße, rote oder braune Haut, je nachdem, wie lange man schon hier ist. Die Exoten sind allerdings wir, denn buntes Cross-Outfit steht hier nicht auf der Kleiderordnung. Zugegeben, für den Strandspaziergang oder Stadtbummel sind wir denkbar schlecht ausgerüstet. Umso besser jedoch für den nächsten Abstecher ins Herz der Insel.
Gran Canaria (Infos)
Die Topographie Gran Canarias verspricht die perfekte Mischung zwischen grandioser Landschaft und spaßigem Motorrad-Revier. Vom höchsten Punkt der Insel ziehen sich zerklüftete Täler hinunter zum Meer, durch die sich unzählige tolle Straßen winden. Dazu die ewige Frühlingssonne, und schon sind die idealen Bedingungen für die kleine Winterflucht geschaffen.
Anreise
Von fast allen deutschen Flughäfen starten fast täglich Charterflieger direkt nach Gran Canaria. Tickets gibt es ab etwa 300 Euro, als Sonderangebote auch unter 250 Euro. Die Flugzeit beträgt etwa vier Stunden.
Reisezeit
Gran Canaria kann zu jeder Jahreszeit bereist werden. Im Winter ist es an den Küsten tagsüber 20 bis 25 Grad warm, in den Bergen deutlich kühler. Im Sommer steigen die Temperaturen auf 25 bis 30 Grad. Die Niederschläge beschränken sich in der Regel auf den Winter.
Übernachten
Auf Gran Canaria gibt es nur wenige Unterkünfte für Individualreisende. In den Touristenzentren an der Südküste sucht man meist vergeblich, lediglich in den Bergen und an der übrigen Küste kann man außerhalb der Hochsaison spontan Zimmer finden. Als Standort im Norden bietet sich Puerto de las Nieves an, das über ein paar einfache Pensionen verfügt.
Motorräder
Wir machten gute Erfahrungen mit der Ver-mietstation Sun Fun in Playa del Inglés (Dieter Kummer). Eine Suzuki DR 350 kostet pro Woche 286 Euro, Honda Transalp oder Vigor gibt es für 355 Euro und eine MZ Baghira schlägt mit 398 Euro zu Buche. Infos bei Sun Fun, C. C. Gran Chaparral, 35100 Playa del Inglés, Telefon und Fax (0034)928763829, oder im Internet unter www.ci7.net/sun-fun.
Literatur
Handlich und informativ ist das Reisetaschenbuch »Gran Canaria« aus dem DuMont-Verlag für 12 Euro. Noch deutlich mehr Infos liefert der gleichnamige Führer aus dem Michael Müller-Verlag für 15,90 Euro. Im Internet finden sich ausführliche Reiseinfos (Über-nachtung, Mietfahrzeuge et. cetera) unter www. canary-islands.com. Eine gute Landkarte im Maßstab 1:100000 kommt aus dem Reise-Knowhow-Verlag und kostet 7,90 Euro. Weniger detailliert, aber auch brauchbar ist die Marco-Polo-Karte im Maßstab 1:150000.
Gran Canaria (2)

Vorher können wir allerdings noch 20 Kilometer weit über die Geldmaschine Gran Canarias staunen, die Einrichtungen des Schön-Wetter-Tourismus. Die Südwestküste mit ihren jährlich über 300 Sonnentagen zieht die Urlauber magisch an. Hotels, Bungalowsiedlungen und künstliche Badelandschaften, so weit das Auge reicht. Erst hinter Puerto de Mogán, dem Vorzeigeort für den so genannten sanften Tourismus, wird alles anders. Es geht wieder in die Berge. Und wie. Ein schmaler Weg zweigt in El Pie de la Cuesta von der Hauptstraße ab, schlängelt sich zuerst durch Gärten und Palmenhaine und führt dann aberwitzig bergauf. Und das bedeutet Kurven, Kehren und noch mehr Kurven, die in den senkrechten Hang gehauen wurden. Zur Krönung tauscht der Weg seine löchrige Asphaltdecke weiter oben gegen groben Schotter. Wir klettern höher und höher, die Luft wird frischer und klarer, die Aussicht immer spannender. Im Vordergrund einige steile, mit kanarischen Kiefern bewachsene Bergkämme, weit unten das Tal, durch das wir gekommen sind, und am Horizont der silbern glänzende Atlantik.
Aber es kommt noch besser. Viel besser. Denn vor uns liegt das Dach der Insel, das Bergland „Los Cumbres“. Der Schriftsteller Miguel de Unamuno beschrieb es als Gewitter aus Stein. Eine monumentale Landschaft. Felsnadeln ragen wie gigantische Finger in den Himmel, senkrechte gelbe Bergwände leuchten im warmen Licht der Nachmittagssonne. Eine Wunderwelt, die uns völlig begeistert. Mitten hindurch windet sich die GC 60, eine Straße, die maximalen Fahrspaß garantiert. Kurven ohne Ende, bester Asphalt und immer wieder überraschende Aussichten. Es ist längst dunkel, als die Motorräder knisternd vor unserer Finca in Fataga abkühlen.
Am nächsten Morgen müssen wir nicht lange überlegen, wohin es heute gehen soll. Hinauf in die Cumbres. Als Aperitif wählen wir die GC 654, eine winzige Panoramastraße oberhalb von San Bartholomé. Wie eine Mauer ragen die Calderos Altos im Norden auf. Ihr höchster Gipfel ist mit 1949 Metern der Pico de las Nieves. Traumhaft erodierte Felszinnen, Türme und Wände aus gelbbraunem Gestein. Im Schutz dieser gigantischen Mauer kauern weiße Häuser, umgeben von terrassierten Feldern mit Blumen, Palmen und blühenden Mandelbäumen. Alte Männer mit dem obligatorischen Hut auf dem Kopf sitzen vor ihren Häusern in der Morgensonne, nicken uns beim Vorbeifahren zu. Schwarz gekleidete Frauen treiben eine Ziegenherde über die Straße. Gran Canaria im Originalzustand. Lichtjahre von Playa del Inglés entfernt.

Zurück in San Bartholomé, kaufen wir ein paar von den kleinen süßen Bananen und frische Orangen, kippen einen Cortado und nehmen uns dann wieder die GC 60 vor, die sich hinauf zum Cruz de Tejeda windet. Der 1450 Meter hohe Pass markiert die Wetterscheide der Insel. Er stoppt die von Nordosten anströmenden Passatwolken und sorgt damit für viel Regen im Norden und Dauersonne im Süden. Der Unterschied zwischen den Inselseiten könnte kaum krasser sein. Wildwest-Atmosphäre mit trockenen Halbwüsten im Süden, üppige Vegetation dagegen im Norden. Zwei Welten, die lediglich durch diverse Gebirgsstöcke voneinander getrennt sind.
Mächtige, duftende Eukalyptusbäume, rote Äcker und grüne Felder säumen die Straße nach Teror, einer der schönsten Orte auf der Nordhälfte der Insel. Der grob gepflasterte Kirchplatz ist umgeben von alten weißen Häusern, zwei Stockwerke hoch und mit den typischen spanischen Holzbalkonen ausgestattet. Manche sehen arg baufällig aus, andere wiederum strahlen frisch renoviert. Ein sehr stilvolles Ambiente.
Von Teror ist es nur noch ein Katzensprung hinunter zur – allerdings ziemlich langweiligen und öden – Nordküste. Rechts führt die Straße in die Halbmillionenstadt Las Palmas, die uns nicht locken kann. Also biegen wir links ab, peilen Agaete im Westen an und dort den Barranco de Agaete, der uns augenblicklich begeistert. Das enge Tal wirkt wie ein großer botanischer Garten. Üppig grüne Felder, leuchtend violette Bougainvilleen, Bananenstauden und dichtes Schilfrohr. An Wasser scheint es hier wahrlich nicht zu mangeln. Dazu dieser betörende Cocktail unterschiedlichster Gerüche, von Eukalyptusbäumen, Jasmin und frisch gemähtem Gras. Ein subtropisches Paradies. An den Talrändern kleben kleine Dörfer wie San Pedro: Eine Hand voll schneeweißer Häuser vor der imposanten Kulisse gewaltig und steil aufragender Berge.
Im Nordwesten der Insel, dem Küstenabschnitt von Andén Verde, rücken die Berge näher ans Meer als sonst auf Gran Canaria, steigen oftmals über 1000 Meter direkt aus dem Atlantik auf. Die Strecke durch den Fels ins 34 Kilometer entfernte San Nicolás muss für Straßenbauer der Alptraum gewesen sein – uns bietet sie dagegen maximalen Fahrspaß. Ohne gerades Stück kurvt die Straße von Schlucht zu Schlucht, klettert zwischendurch mal eben 600 Meter hoch, um sich gleich darauf in eine kleine Bucht abzuseilen, umrundet jede Felsnase und jeden Vorsprung, von denen es reichlich gibt. Einmal fahren reicht hier nicht aus. Die Straße allein erfordert die volle Konzentration. Die Landschaft auch. Schroffe Berge, unterbrochen von zerklüfteten Canyons und ständig der Blick übers Meer bis zur Nachbarinsel Teneriffa mit dem 3718 Meter hohen Vulkan Pico del Teide, dem höchsten Berg Spaniens. Die spektakuläre Steilküste Andén Verde ist vielleicht das aufregendste Stück Gran Canarias.