Das Licht, das durch die Lamellen der grünen Fensterläden fällt, ist kalt und klar. Unten nageln die ersten Diesel vor der Kneipe, ein Hund wechselt im trägen Sonntagmorgentrab die Straßenseite. Könnte ich die entfernten Berggipfel der knapp zweieinhalbtausend Meter hohen Sierra de Guadarrama erkennen, sie wären weiß verschneit. April im Herzen Spaniens, in Kastilien, diesem stillen spröden Landstrich im Nordosten von Madrid. Neun Monate Winter und drei Monate sengende Hölle, sagt man. Jetzt ist definitiv noch Winter. Ich ziehe fröstelnd meinen Fleece-Pulli über und mache einen ersten Rundgang. Gegenüber, in der Bar Ortongo, ist schon Gelächter und Stimmengewirr zu hören, sonst liegt Stille über dem Ort. Nur ein Geländewagen undefinierbaren Typs dieselt davor im Leerlauf vor sich hin, ein paar kalkgraue Landrover der ersten Stunde verwittern rechts und links daneben. Nahtloser Übergang zur Traktorenwerkstatt ein paar Häuser weiter. Ein Kaffee wäre jetzt gut. Doch nicht hier. Eine spanische Bar ist immer noch Männerrevier. Zumindest am Sonntag Morgen vor dem Kirchgang. Die letzten Reservate. Zwei Stunden später ist der Dorfplatz von Priego endgültig wach. Ein gutes Dutzend Geländemotorräder bollern sich auf der Standgasdüse ein, Roadbooks werden aufgespult, eine kleine Gruppe Off Roader sammelt sich zum Aufbruch. Deutsche, die hier in der einsamen La Mancha fast vergessenes Schottervergnügen suchen. Meine DR 350 ist das zweitkleinste Motorrad in dem Pulk, und wenn ich die hochambitionierten Männer und die drei Frauen so sehe, bin ich froh darum: Niemand erwartet Großes von mir. In westliche Richtung brechen wir auf. Gefahren wird in Teams und nach Roadbook, der nächste klar definierte Treffpunkt ist erst wieder das Nachtquartier in Cuenca. Direkt hinter dem kleinen Ort durchqueren wir ein karstiges Felsengebiet, Höhlen und schroffe Abstürze gähnen neben dem Weg, dann tauchen wir in die Mancha ein. La Mancha, das bedeutet Weite und Endlosigkeit, oder auch ewiges Nichts mit staubigen Feldwegen und braunen Feldern soweit das Auge reicht. Dazwischen grauweiße Felsen, Gehöfte und Ort mit mittelalterlichen Befestigungsmauern tarnfarbig in die Landschaft integriert. Über allem das dürre Wintergrün der Vegetation. Nicht gerade karibisch, die Mancha. Der tiefblaue spanische Himmel gibt sein bestes, doch die Region wirkt angestrengt, scheint den Winter noch in den Knochen zu spüren.Ein Bauer kommt auf einer windschiefen Gilera entgegen, winkt freundlich. Ola, Touristen sind selten, und Enduristen erst recht. Und entsprechend eine willkommene Abwechslung in dieser Ecke Spaniens, in der sich seit der spanischen Conquista kurz nach der vorigen Jahrtausendwende (?) wohl kaum mehr als die Hausnummern geändert zu haben scheint. Wir geben wieder Gas, fegen Stunden auf diesen topfebenen Wegen entlang, eine gewaltige Staubfahne im Rücken.Wir fahren zu dritt. Frauke, Günter und ich. Sie Sozialarbeiterin, Ende Dreissig, er Computerfachmann, Ende Vierzig und beide aus dem hohen Norden. Verbindend auch, dass beide haben ihre Ehepartner zu Hause gelassen. Frauke, weil ihr Mann lieber Straße heizt, Günter, weil seine Frau die Enduro-Lust zum Kotzen findet. Am riesigen Seengebietes Mar de Castilla beginnend, schlängelt sich der schmale Höhenzug der Sierra de Altomira gen Süden. Die erste Herausforderung - ein paar Schotterkehren, und schon sind wir drin, in der knapp 1200 Meter hohen, von duftenden Pinien bewachsenen Bergkette. Federnd verschafft ihr Nadelbett am Boden ein schier schwereloses Fahrgefühl. Leicht fliegen die Enduros zwischen den Bäumen hindurch. Der Duft von Salbei und ätherischen Ölen liegt in der Luft, gelber Ginster wuchert am Wegesrand, ein Gänsegeier kreist am Himmel, und die Sonne sammelt allmählich mediterrane Kräfte, lässt die dicken Klamotten in die Rucksäcke wandern. Als die Bäume schließlich auf einem Hochplateau zurücktreten, ist die Aussicht überwältigend: Wie am Colorado breiten sich vor uns Tafelberge und Schichtengebirge in einer ganzen Farbpalette von Rot bis Kalkweiß aus. Als wir unser Quartier bei Quenca erreichen, ist die Kälte bereits wieder da, und ich krieche bald darauf müde, aber glücklich im Fleece-Pulli unter die Bettdecke. Die alte Stadt Quenca scheint in den Felsen des Rio Júcar geradezu eingewachsen. Bevor wir am nächsten Morgen auf die Piste gehen, tasten wir uns mit den Enduros vom oberen Stadttor vorsichtig in die ständig schmaler werdenden Gässchen zwischen den hohen Häusern hinab. An der gewaltigen Kathedrale vorbei, durch ein Fahnen-geschmücktes Stadttor hindurch, immer tiefer hinein, auf immer schmaler und dunkler werdenden Kopfsteinpflasterpfaden. Hinter den offenen Kneipentüren ist Geschirrgeklapper zu hören, Obsthändler stellen Früchte- und Gemüsekisten aufs Trottoire, Töpfer ihre Schüsseln. Statt spanischer Strenge und Verschlossenheit verströmt Cuenca Farbe und Lebendigkeit: Die drei- und vierstöckigen, schlanken Häuser leuchten in Gelb, Hellblau und Ocker, wuchernde Pflanzen und zwitschernde Kanarienvögel grüßen von den schmiedeeisernen Balkongittern herab. Immer weiter fädele ich mich in das Labyrinth, wie bei den russischen Puppen wird es enger und enger, folgt Tor auf Tor. Die Hanglage der Stadt ist dramatisch. Immer wieder geben Mauerdurchbrüche und kleine Innenhöfe den Blick auf die tiefer liegenden Straßenzüge frei und dahinter auf die graue Schlucht des Rio Júcar, an die die Stadt sich krallt. Strahlend grün glänzt er aus der Tiefe empor.Doch dann ist´s genug mit Schluchten und Häusern, erlöst stieben wir in die waldige Serrania de Cuenca, die sich ein paar Kilometer östlich von Cuenca zwischen 1200 und knapp 2000 Meter hoch aufschwingt. Man hat die Wahl zwischen winzigen, verschlungen Asphaltdurchquerungen auf der CM 2105 und CV 901 oder wunderschönen Schotterwegen, die sich ewig durch Täler und Bäche schlängeln und über Höhenzüge hinwegklettern. In einem Tal hockt ein Angler am Bach, sein Pferd schlafend neben ihm am Boden. Kurz hebt es den Kopf, als die Motorräder vorbei röhren, dann sinkt es entspannt wieder zurück. Kurz darauf ein Schlammloch, in dem der Modder sich zäh an den Stollen festsaugt, den Vortrieb schlagartig gegen Null reduziert. Lehm wabert um die Stiefel, als wir die Fuhren wieder ´rausmanöverieren.In xxx stehen am Dorfplatz zwei Tische vor einem Café. Einer ist von den einheimischen Rentnern besetzt, am anderen lassen wir uns in die Stühle fallen. Ein paar Jungs balancieren auf BMX-Rädern um uns herum, vom Dorfplatz gegenüber starrt der Rest der Dorf-Oldies herüber. Der Wirt kramt ein paar deutsche Worte für uns hervor »Sechs Jahre Schweiz« krächzt er mühsam, aber einschlägig, doch er verlerne die Sprache mehr und mehr, erzählt er. Deutschsprachige sind selten, hier im touristischen Nirgendwo zwischen Madrid, Zaragoza und dem Mittelmeer. Lächelnd schiebt er gratis einen Teller Kekse über den Tisch. Die übrigen Motociclista (?) seien übrigens da am Marktbrunnen links abgebogen. Ah, sehr netter Tipp, denn das Roadbook ist hier nicht allzu ausführlich. Als wir hinterm Ort wenig später erfolglos den Einstieg in die nächste Gebirgskette suchen, hilft noch ein alter Schäfer weiter, der mit ein paar kläffenden Mischlingshunden seine wollige Truppe beaufsichtigt. Da oben im Berg gehe es lang, gestikuliert er. Tatsächlich, in steilen Kehren fädelt sich ein winziger, von unten kaum sichtbarer Pfad hinauf. Ginster streift an Gabel und Stiefelschäften, mitunter hat der Reifen rechts und links gerade noch eine Handbreit Luft. Noch ein paar steile, wüste Geröllanstiege, dann sind wir oben. Wir folgen eine Zeitlang einer Überlandleitung, die nun die Strecke durch den Pinienwald begleitet. Und dann passiert es. Der Weg neigt sich schon wieder ins Tal hinab und führt in ein paar ausgetrockneten Lehmrinnen die letzten Meter zur Teerstraße - da rutscht plötzlich das Vorderrad weg und ich gehe stumpf mit dem Motorrad zu Boden, bringe vor lauter Verblüffung keinerlei Ausweichbewegung mehr zustande und die Maschine begräbt meinen verdrehten rechten Fuß unter sich in der Erde. Mir wird schwarz vor Schmerz. Als ich wieder aufstehen und halbwegs klar denken kann, entscheiden wir uns, die restlichen 70 Kilometer über eine Verbindungsstraße ins Etappenziel nach Frias zu fahren. Frauke kickt mir die Maschine an, und vorsichtig schnecken wir los. Abends diagnostiziert Axel eine Bänderüberdehnung und diverse Quetschungen im Knöchel - sehr schmerzhaft, aber nix ab oder durch. Gut! Axel ist ein KTM-bewehrter Mitfahrer, im wirklichen Leben aber Arzt und Opernfreund. Eine Mischung, die mitunter zu Tannhäuser-Einlagen beim Luftfilterputzen oder Don Carlos-Erinnerungen in der Mancha führt. Und zu perfekter Hilfe für mich. Mit Spritzen, Tapeverband und dem Rosenkavalier hilft er mir die nächsten Tage übers Schlimmste hinweg. Auch Frauke, zu Hause als Außendienstlerin des Sozialamtes unterwegs »da erschüttert dich so schnell nichts mehr« - offenbart echte Qualitäten. So versteht sie sich blendend aufs vertretungsweise Ankicken meiner Maschine, dem Organisieren von Schmerzmitteln und - vor allem mentaler Wiederherstellung. Bereits nach einem Tag Schonzeit kann ich wieder ins Team einsteigen. Doch jetzt ist Günter schlecht drauf. Er hat ebenfalls einen Sturz hinter sich und dummerweise seiner Frau am Telefon davon erzählt. Die drohte prompt mit restriktiven Maßnahmen, falls er nun nicht endgültig den Enduro-Kram an den Nagel hänge. Lustlos hockt er auf seiner KTM. Als wir aufbrechen, fegt ein rauher Wind über die karge Hochebene, Schneereste vom letzten Winter tauen hier oben in 1500 Metern Höhe auch im April noch ungerührt vor sich hin. Frias scheint quasi der Westerwald Spaniens zu sein. Viele Häuser unbewohnt, die Läden verschlossen, einige bereits seit langem zu Ruinen verfallen. Zentralspanien ist Abwanderungsgebiet. Außer Schafherden, streunenden Hunden und gelegentlichen Traktoren bewegt sich hier oben kaum mehr was. Die Jungen, die mehr vom Leben wollen, ziehen in die Großstädte oder die Touristenzentren an der Küste. Zurück bleiben die Alten. An der gewaltigen Stadtmauer des mittelalterlich befestigten Albarracine vorbei, die in kühner Konstruktion den halben angrenzenden Felsengipfel mit einbezieht, geht es in die Montes Universales. Wieder umgeben uns das feurige Rot und das tafelartige Schichtgestein. Verwitterte Blechschilder verwehren mitunter Eselskarren mit Holzrädern den Weg, da sie auf den steilen Schotterwegen außer Kontrolle geraten könnten. In Ademuz ist Sammelpunkt in einer der Dorfkneipen. Hinter dem klassischen Perlenvorhang empfängt uns rauchgeschwängerte Finsternis, ein paar Spielautomaten düdeln im Leerlauf vor sich hin, der unvermeidliche Fernseher unter der Decke brüllt die Sportergebnisse, nur gelegentlich von der Espresso-Maschine übertönt. Draußen sitzen kann man nicht - im Winter ist es zu kalt, im Sommer zu heiß. Übergangslos. Drinnen dafür ein paar Resopaltische und Stühle mit verschlissenem Plastikpolsterüberzug, darunter zerknüllte Zigarettenschachteln auf dem Kachelboden verstreut. Spanische Behaglichkeit. Günter kippt seinen Kaffee runter, denkt an zu Hause und bietet uns schon Teile seiner Ausrüstung an. »Brauch` ich ja nun nicht mehr.«Am nächsten Tag liegt die letzte große Geländeetappe vor uns. Ich bin skeptisch wegen des lädierten Fußes, aber egal. Über herrliche Geröllwege geht es wieder ins Gebirge, es bleibt kaum Zeit für Schmerz und Zaudern. Dennoch ist manchmal schlagartig der Sturz wieder da. Und mit ihm auch die Angst. Jetzt hilft die Team-Therapie. Ich klemme mich, so gut es geht, an Fraukes und Günters stiebende Hinterräder, gebe Gas, wenn sie wüste Steilauffahrten raufbrennen und sich drüben wieder zu Tal stürzen, halte mit, wenn sie über schmale Eselspfade balancieren oder durch Bäche gischten - was sie schaffen, schaffe ich auch. Basta! Denn wenn die Angst jetzt oberhand gewänne, wäre sie immer da. Hügelauf, Hügelab geht es wieder gen Westen, allmählich zurück nach Priego. Ich klebe an den beiden dran, lasse mich durch alpine Landschaften tragen, die ich bei dem Höllentempo nurmehr im Augenwinkel mitkriege. Doch es muss sein. Und dann breitet sich wieder die Mancha mit ihrem graubraunen Nichts vor uns aus. Noch ein paar Feldwege und wir laufen in Priego ein. Die Männer in der Bar Ortongo knallen immer noch die Gläser auf den Tisch, und vor der Kneipentür nagelt immer noch irgendein Diesel im Leerlauf. Aber diesmal gibt es keinen Reservatschutz. Als wir hineingehen und vier Bier bestellen, bin ich restlos erfüllt und kuriert zugleich. Frauke steckt mir ihre letzte Tablette zu, Günter beginnt schon wieder selbssicher zu grinsen und Axel denkt bereits an Wagner. Wenn das Flugzeug pünktlich in München lande, käme er gerade noch rechtzeitig zum zweiten Satz der Nibelungen.
Infos
Im dünnbesiedelten Landesinnern bietet Spanien Enduristen einen traumhaften Aktionsraum. Wer die weite Anreise nicht scheut, findet echtes Abenteuergebiet.
Anreise:Der Weg per Achse nach Kastilien ist lang und weit. Die schnellste Verbindung führt über Lyon und die Mittelmeer-Autobahn bis Barcelona. Von dort biegt man westlich ins Landesinnere nach Zaragoza und Madrid ab. Insgesamt rund 1600 Kilometer und zwei Reisetage müssen ab Mulhouse mindestens einkalkuliert werden. Nordwesteutsche können die Variante Paris, Bordeaux, San Sebastian in Erwägung ziehen. Einen deutlichen Entspannungsfaktor bietet der Autoreisezug, der ganzjährig von mehreren deutschen Bahnhöfen über Nacht ins südfranzösische Narbonne schnauft und einer Person mit Motorrad für xxx bis xxx Mark zumindest schon mal zwei Drittel der Strecke abnimmt. Enduro: Die Bedingungen für Off Roader sind im spanischen Inland ideal. Dünne Besiedelung und viele unasphaltierte Verbindungswege bieten eine gute Grundlage. Wer allerdings anspruchsvolleres Terrain sucht, stellt leider fest, dass kaum detaillierte Karten für das Land zu kriegen sind. Mit etwas Glück findet man vor Ort in Zeitschriften- oder Buchläden die Blätter der »Mapa Provincial« vom Instituto Geografico National, die im Maßstab 1:200 000 schon recht gute Dienste leisten (siehe auch Literatur). Andernfalls ist das Versuch-und-Irrtum-Prinzip angesagt oder die Hilfe eines ortskundigen Führers, zum Beispiel vom MOTORRAD ACTION TEAM (siehe Kasten).Reisezeit: Im spanischen Inland herrscht fast kontinentales Klima: Während die Winter kalt und rau sind, brennt in den Hochsommermonaten Juli und August die Sonne gnadenlos vom Himmel. Für Aktivitäten jeder Art eignen sich daher die Monate April bis Juni sowie September und Oktober am besten. Warme Kleidung und Regenschutz sollte vor allem in der Übergangszeit mit dabei sein. Übernachtung: Wie immer in untouristischen Regionen, sind auch in Kastilien Übernachtungsplätze nicht gerade dick gesäht. In den größeren Orten wie Priego, Albarracine, Frias, Landete oder Teruel gibt es aber einige Gasthöfe mit Restaurants, wo man ab etwa 50 Mark gut übernachten kann. Zeltplätze sind ebenso spärlich und auf der beschrieben Route nur in Cuenca und Albarracine zu finden. Ausführliche Vorschläge zum Übernachten in Hotel oder Zelt enthält der erwähnte Reiseführer vom Michael Müller Verlag (siehe Literatur).Literatur: Das recht untouristische Kastilien wird leider nur als Unterkapitel in Gesamtspanien-Reiseführern abgehandelt, einen eigenen Führer gibt es nicht. Sehr viele Informationen (auch Übernachtungstipps) enthält der umfangreiche Spanien-Band aus dem Michael Müller-Verlag von Thomas Schröder für 42 Mark. Wer sich über Kastilien hinaus für das Land interessiert, findet im Spanien-Band der Edition Unterwegs sieben Schotter- und Asphalt-Streckenvorschläge zwischen den Pyrenäen und Südportugal. Gibts für 29,80 Mark im Buchhandel oder beim MOTORRAD-Sonderverkauf unter Telefon 0711/182-1229. Für Straßenbedürfnisse eignet sich die Michelin-Karte »Zentralspanien« im Maßstab 1:400 000 sehr gut (siehe auch Enduro).