Motor aus. Beine strecken. Muskeln ausschütteln. Wir fahren nach der Mautstelle Sterzing runter von der Autobahn auf einen Kaffee. Und zum Nachdenken. Mein Kumpel Kurt und ich wollen ein kurvenreiches Wochenende durch die Dolomiten mit möglichst
allen Pässen auf der Tour fahren und
dabei auf Strecken-Doppler verzichten. Generalstabsmäßig hatten wir das vorher geplant. Diskussionen entbrannten über den Einstieg in die Dolomiten-Runde. Sollten wir eine beliebte Route über Brixen, Klausen und das Grödnertal nehmen? Oder noch weiter südlich bei Bozen einsteigen? Oder könnte man schon vor Brixen über das Pustertal nach Osten ausweichen und dann zielgenau südwärts auf die Dolomiten stoßen? Und wie würden wir dann die einzelnen Gebirgsstöcke mit den dazwischenliegenden Pässen abkurven? Die Sella-Runde im Uhrzeigersinn oder dagegen? Und
in welcher Reihenfolge lassen sich
die Pässe Falzarego, Giau und Fedaia
integrieren? Und später weiter
südlich dann Karerpass oder Passo Staulanza oder Passo di Rolle?
Kurt setzte auf digitale Planung und erstellte in stundenlanger
Arbeit ein Dutzend verschiedene Varianten. Für meine Methode hatte er nur ein Kopfschütteln: im Kopierladen eine Schwarz-Weiß-Karte zum Malen erstellen und dann mit Bleistift und Radiergummi alle möglichen Varianten einzeichnen und wieder verwerfen. So lange, bis die kopierte Karte so verschmiert war, dass ich wieder zum Kopierladen rennen musste.
Letztlich sitzen wir jetzt mit drei Favoriten unserer Tourenplanung im Café in Sterzing - und müssen zu einer Entscheidung kommen. Sollen wir den verlockenden Einstieg über das Penser Joch nehmen, dessen Kehren schon bald hinter Sterzing beginnen? Sicher die Lösung für alle, die nach stundenlanger Anreise sich möglichst schnell in geile Kurven hängen wollen. Kurt ist so einer. Aber soll man eine Dolomiten-Tour damit beginnen, dass man
erst wegfährt von den Dolomiten, anstatt sich ihnen zu nähern? Denn das Penser Joch führt durch die Sarntaler Alpen in einem westlichen Bogen nach Bozen, die Dolomiten sind östlich davon.
Also direkt Richtung Dolomiten. Ich kann Kurt mit dem Einsteig für Kenner
locken: das Würzjoch. Nicht das viel zu überlaufene, kurvenarme Pustertal, nicht das in jedem guten Heimatfilm vorkommende Grödnertal. Nein, dieser kleine
Abzweig südlich von Brixen soll es sein. Murrend steigt Kurt wieder auf seine
BMW und fährt mit mir im Eisacktal noch die 30 Kilometer weiter, quält sich hinter
mir durch die Stadt und kommt zum
verheißungsvollen Abzweig: Würzjoch!
Und schon beginnt der Kurvenreigen, denn aus dem tief eingeschnittenen Eisacktal geht es gleich steil und gewunden hoch, bereits eine halbe Stunde später stehen wir oben auf knapp über 2000 Metern auf dem Scheitelpunkt des Würzjochs. Ein Blick mit Würze tut sich auf, denn fast auf Augenhöhe steht der zackige Peitlerkofel gegenüber. Ja, das sind die Dolomiten-Gefühle! Kurt ist zufrieden. Denn kurvig geht es nun das Würzjoch Richtung St. Martin hinunter, dann eine Talfahrt
mit gutem Flow, anschließend lästige Geschwindigkeitsbeschränkungen zwischen St. Leonhard und St. Kassian, und schnell ist der Valparolapass erreicht, der bis
auf 2200 Meter hochführt. Kurz danach
der Falzarego 100 Meter tiefer. Jetzt sind wir mitten im Herzen der Dolomiten -
und entsprechend euphorisiert. Klotzig mächtig erhebt sich der Lagazuoi über dem Falzaregopass, dahinter die noch
gigantischeren Felsblöcke
der Tofanen, die sich Richtung Cortina dAmpezzo ziehen.
Doch halt, Cortina ist noch nicht dran. Dort im Osten läuft die Außenbahn der geplan-
ten Tour. Wir bleiben noch im
inneren Orbit nahe an Sella und Marmolada. Verlassen
den Falzarego in westlicher Richtung nach Corvara und erleben erneut einen sagenhaften Kurventanz, denn die Südwestrampe des Falzarego ist genial. Übernachten wollen wir im Grödnertal und genießen zum Abschluss die Anfahrt über das Grödner Joch.
Am nächsten Morgen brütet Kurt schon über seinen Tourenzetteln und schmettert mir noch vor dem Frühstück
auf leeren Magen den Schwachpunkt meiner Runde entgegen: "Bei deiner Streckenführung fehlt das Sellajoch!" Richtig. Zwei Seiten des Sella-Vierecks haben wir schon abgefahren, den Osten mit Passo Campolongo und den Norden mit dem Grödner Joch. Den Süden mit dem Pordoipass werden wir heute noch erreichen. Der Westen mit dem Sellajoch fehlt. Ein wunder Punkt auf dieser Route, zugegeben. Aber die
Lösung wäre, die Sella-Runde zum größten Teil doppelt zu fahren. "Warum nicht nach dem Frühstück schnell ohne Gepäck vom Grödnertal hoch zum Sellajoch, einen
Kaffee trinken und wieder runter?", locke ich Kurt. Sicher ein Strecken-Doppler,
aber man muss Kompromisse machen.
Nicht der schlechteste Kompromiss,
findet Kumpel Kurt zwölf Kilometer und 800 Höhenmeter später oben am Joch.
Der mächtige Block der Sella steht wie ein
Fantasy-Schloss über unseren Kaffeetassen. Gegenüber erstrahlt der Langkofel im Licht des noch jungen Tages und reckt seine drei zackigen Zinnen in den stahlblauen Himmel - was für Berge! Entlang der Langkofel-Flanke fahren wir auf selber Strecke wieder ins Grödnertal zurück - aber was heißt selbe Strecke? "Einen Weg gehen und einen Weg zurückgehen sind zwei verschiedene Wege", sagte einmal ein weiser Mann. Ob ihm der Spruch auf einer kurvigen Motorradstrecke einfiel, ist nicht bekannt. Zutreffend ist er allemal, und es ist erstaunlich, wie stark man eine Straße speziell in den Bergen als komplett neu empfindet, wenn man sie in der Gegenrichtung befährt. Als wir im Grödnertal das Gepäck vom Hotel abholen, ist uns noch schwindelig von
der Kurvenhatz. Langeweile wegen eines Strecken-Dopplers kommt hier nicht auf.
Nun folgt eine beschaulichere Phase der Tour. Wir nähern uns der Seiser Alm, unverwechselbar flankiert vom Schlern, dem klotzigen Berg mit dem Reißzahn
auf der Seite. Kastelruth fliegt vorbei, aber irgendwelche Spatzen sind nicht zu sehen. Dafür aber bald schon die Auffahrt zum Niger- und Karerpass mit dem Felsmassiv des Rosengartens als steinernem Wächter über unserem Kehrenslalom. Der uns in steilen Windungen wieder hinunterführt ins Fassatal. 1200 Meter rauf und 500
Meter runter, und die Kehren sind wie Treppenstufen in diesem irren Auf und
Ab. Der Weg ist das Glück, das Ziel gerät zur Nebensache.
Als wir im Fassatal nach Süden abbiegen und uns zum Pellegrinopass hoch-
arbeiten, wird die Tour erneut ruhiger. Der Pass verläuft zwar wenig kurvig in einem schnurgeraden Hochtal, kommt aber immerhin schon wieder auf über 1900 Meter Höhe. Über Falcalde und Cencenighe bauen wir davon dann wieder über 1000 Meter ab ins Tal des Torrente Cordevole, um nun auf der gut ausgebauten SS 203 Strecke zu machen. Kurz nach dem Lago del Alleghe muss anschließend eine wichtige Entscheidung fallen: rechts Richtung Falzarego, Passo Giau und Cortina oder links Richtung Fedaiasee und -pass. Kurt zieht es nach rechts, zu verlockend ist Cortina. Aber er wird mir garantiert vorwerfen, dass wichtige Strecken fehlen, wenn wir jetzt nicht links fahren und noch den inneren Orbit weiter abkurven.
Der führt mit genialen
Ausblicken auf die Marmolada über den Fedaiasee Richtung Arabba. Vor Arabba erreichen
wir die Südseite der Sella-Runde und machen kurz Pause. "Aber wo bleibt dieses sagenhafte
Streckenstück von der Südseite hoch zum Sellajoch in deiner Tour?" Die Stimme von Kurt hat
etwas Schneidendes. Zugegeben, da ist noch ein Schwachpunkt
in meiner Runde. Sechs Kilometer Kurven und 400 Höhenmeter
fehlen, um das Sellajoch nun auch noch von Süden anzufahren. Die sind nur mit Rauf und Runter in meine Tour zu integrieren. Wieder so ein Doppler. Na und? Ich wiederhole mich sonst ungern, aber auf dieser Strecke fast mit Wonne.
Nach der Rein-raus-Fahrt auf die Höhen des Sellajochs erreichen wir hochgradig euphorisiert Arabba und bald darauf den nächsten kurzen Strecken-Doppler, den gestern schon in Gegenrichtung gefahrenen Abschnitt hoch zum Falzarego. Wieder so ein alter Weg, der jetzt in Gegenrichtung doch in anderem Licht erscheint. Und mit seinen tollen Kurven einer, den jeder gerne zweimal macht. Nicht einmal Kumpel Kurt findet etwas zu motzen an meiner Tourenplanung. Dann wieder neues Gelände hinunter nach Cortina - und damit die Einfädelspur zum äußeren Orbit der Runde. Ein prall gefüllter Kurventag geht zur Neige. Eigentlich wollten wir noch Passo Tre Croci, Dreizinnenblick und Misurina-
see nördlich von Cortina in die Runde integrieren, aber wir sind zu müde. Glück kann anstrengend sein. Und
morgen muss ich Kurt nur noch vom Rest meiner so genial geplanten Tour überzeugen.
www.motorradonline.de/unterwegs
Reisedauer: drei Tage
Gefahrene Strecke: 600 Kilometer
Anreise: Über A 8 und A 93 von München über Kufstein und in Österreich gebührenpflichtig durchs Inntal und über den Brenner bis Brixen. Alternativ ohne Mautkosten von München über Garmisch, Mittenwald und Seefeld nach Innsbruck. Die Anfahrt über die alte
Brennerstraße nach Italien wird oft durch viel Verkehr und auch Radarkontrollen erschwert.Reisezeit: Auf den hohen Pässen liegt der Schnee neben der Straße bis in den Juni, doch befahrbar sind sie schon im Mai. Gerade im Frühjahr und Herbst ist die beste Zeit für entspanntes Touren, denn in den Ferien und an Wochen-
enden sind die Dolomiten-Pässe mitunter heillos überfüllt. Juli und August sind die schlimmsten Monate, besonders um Sella, Marmolada und Falzarego. Touren können meist bis in den
September, manchmal bis Oktober gefahren werden, abhängig davon, wie früh im Jahr
der Schnee kommt.Digitale Tourenplanung: Wer seine eigene Tour digital planen will, findet unter www.motorradonline.de die geeignete Plattform mit GPS-basierten Karten. Unter "Reise" den "Tourenplaner online" anklicken, sich anmelden und eigene Touren einfach per Mausklick anlegen. Man erhält eine Kilometer- und Höhenmeter-Bilanz mit Höhenprofil und kann die Tour auf sein GPS-Gerät laden.Übernachten: Müde nach der Anreise? Am Anfang der Tour übernachtet man gepflegt in Brixen im Vital-Hotel "Goldene Krone" (Stadelgasse 4, Brixen, Telefon 00 39/04 72/83 51 54, www.goldenekrone.com). Im Grödnertal in Wolkenstein ist man im Garni Hotel "La Tambra" gut versorgt (Str. Meisules 309, Wolkenstein in Gröden, Telefon 00 39/04 71/79 50 41, www.la-tambra.com). Entsprechend seinem Namen bietet das "Hotel Bellavista" bei Canazei auf der Strecke zum Pordoi-Joch tolle Ausblicke (Strèda de
Pordoi 12, Canazei, Telefon 00 39/04 62/60 11 65, www.bellavistahotel.it). Zentral in Cortina liegt das "Hotel Montana" (Corso Italia, 94, Cortina dAmpezzo, Telefon 00 39/04 36/86 21 26, www.cortina-hotel.com). Auf dem Passo Duran bietet das urgemütliche "Rifugio San Sebastiano" Unterschlupf und gutes Essen (Passo Duran, Zoldo Alto, Telefon 00 39/04 37/6 23 60, www.passoduran.it).Action Team: Geführte Touren und Individualreisen durch die Dolomiten und angrenzende Regionen bietet das MOTORRAD action team. Infos unter www.motorradonline.de, www.actionteam.de oder Telefon 07 11/1 82/19 77.Informationen: Italienisches
Fremdenverkehrsamt ENIT in Frankfurt, Telefon 0 69/23 74 34, www.enit-italia.de. Infos über
die Befahrbarkeit von Pässen im Internet unter
www.alpenrouten.de oder beim ADAC.
Digitale Planung oder Karte zum Malen?
Kurt setzte auf digitale Planung und erstellte in stundenlanger Arbeit ein Dutzend verschiedene Varianten. Für meine Methode hatte er nur ein Kopfschütteln: im Kopierladen eine Schwarz-Weiß-Karte zum Malen erstellen und dann mit Bleistift und Radiergummi alle möglichen Varianten einzeichnen und wieder verwerfen. So lange, bis die kopierte Karte so verschmiert war, dass ich wieder zum Kopierladen rennen musste.
Letztlich sitzen wir jetzt mit drei Favoriten unserer Tourenplanung im Café in Sterzing - und müssen zu einer Entscheidung kommen. Sollen wir den verlockenden Einstieg über das Penser Joch nehmen, dessen Kehren schon bald hinter Sterzing beginnen? Sicher die Lösung für alle, die nach stundenlanger Anreise sich möglichst schnell in geile Kurven hängen wollen. Kurt ist so einer. Aber soll man eine Dolomiten-Tour damit beginnen, dass man erst wegfährt von den Dolomiten, anstatt sich ihnen zu nähern? Denn das Penser Joch führt durch die Sarntaler Alpen in einem westlichen Bogen nach Bozen, die Dolomiten sind östlich davon.
Also direkt Richtung Dolomiten. Ich kann Kurt mit dem Einsteig für Kenner locken: das Würzjoch. Nicht das viel zu überlaufene, kurvenarme Pustertal, nicht das in jedem guten Heimatfilm vorkommende Grödnertal. Nein, dieser kleine Abzweig südlich von Brixen soll es sein. Murrend steigt Kurt wieder auf seine BMW und fährt mit mir im Eisacktal noch die 30 Kilometer weiter, quält sich hinter mir durch die Stadt und kommt zum verheißungsvollen Abzweig: Würzjoch!
Valparola, Falzarego, Grödner Joch

Und schon beginnt der Kurvenreigen, denn aus dem tief eingeschnittenen Eisacktal geht es gleich steil und gewunden hoch, bereits eine halbe Stunde später stehen wir oben auf knapp über 2000 Metern auf dem Scheitelpunkt des Würzjochs. Ein Blick mit Würze tut sich auf, denn fast auf Augenhöhe steht der zackige Peitlerkofel gegenüber. Ja, das sind die Dolomiten-Gefühle! Kurt ist zufrieden. Denn kurvig geht es nun das Würzjoch Richtung St. Martin hinunter, dann eine Talfahrt mit gutem Flow, anschließend lästige Geschwindigkeitsbeschränkungen zwischen St. Leonhard und St. Kassian, und schnell ist der Valparolapass erreicht, der bis auf 2200 Meter hochführt. Kurz danach der Falzarego 100 Meter tiefer. Jetzt sind wir mitten im Herzen der Dolomiten und entsprechend euphorisiert. Klotzig mächtig erhebt sich der Lagazuoi über dem Falzaregopass, dahinter die noch gigantischeren Felsblöcke der Tofanen, die sich Richtung Cortina d’Ampezzo ziehen.
Doch halt, Cortina ist noch nicht dran. Dort im Osten läuft die Außenbahn der geplanten Tour. Wir bleiben noch im inneren Orbit nahe an Sella und Marmolada. Verlassen den Falzarego in westlicher Richtung nach Corvara und erleben erneut einen sagenhaften Kurventanz, denn die Südwestrampe des Falzarego ist genial. Übernachten wollen wir im Grödnertal und genießen zum Abschluss die Anfahrt über das Grödner Joch.
Am nächsten Morgen brütet Kurt schon über seinen Tourenzetteln und schmettert mir noch vor dem Frühstück auf leeren Magen den Schwachpunkt meiner Runde entgegen: „Bei deiner Streckenführung fehlt das Sellajoch!“ Richtig. Zwei Seiten des Sella-Vierecks haben wir schon abgefahren, den Osten mit Passo Campolongo und den Norden mit dem Grödner Joch. Den Süden mit dem Pordoipass werden wir heute noch erreichen. Der Westen mit dem Sellajoch fehlt. Ein wunder Punkt auf dieser Route, zugegeben. Aber die Lösung wäre, die Sella-Runde zum größten Teil doppelt zu fahren. „Warum nicht nach dem Frühstück schnell ohne Gepäck vom Grödnertal hoch zum Sellajoch, einen Kaffee trinken und wieder runter?“, locke ich Kurt. Sicher ein Strecken-Doppler, aber man muss Kompromisse machen
Fantasy-Schloss über Kaffeetassen
Nicht der schlechteste Kompromiss, findet Kumpel Kurt zwölf Kilometer und 800 Höhenmeter später oben am Joch. Der mächtige Block der Sella steht wie ein Fantasy-Schloss über unseren Kaffeetassen. Gegenüber erstrahlt der Langkofel im Licht des noch jungen Tages und reckt seine drei zackigen Zinnen in den stahlblauen Himmel - was für Berge! Entlang der Langkofel-Flanke fahren wir auf selber Strecke wieder ins Grödnertal zurück - aber was heißt selbe Strecke? „Einen Weg gehen und einen Weg zurückgehen sind zwei verschiedene Wege“, sagte einmal ein weiser Mann. Ob ihm der Spruch auf einer kurvigen Motorradstrecke einfiel, ist nicht bekannt. Zutreffend ist er allemal, und es ist erstaunlich, wie stark man eine Straße speziell in den Bergen als komplett neu empfindet, wenn man sie in der Gegenrichtung befährt. Als wir im Grödnertal das Gepäck vom Hotel abholen, ist uns noch schwindelig von der Kurvenhatz. Langeweile wegen eines Strecken-Dopplers kommt hier nicht auf. Nun folgt eine beschaulichere Phase der Tour. Wir nähern uns der Seiser Alm, unverwechselbar flankiert vom Schlern, dem klotzigen Berg mit dem Reißzahn auf der Seite. Kastelruth fliegt vorbei, aber irgendwelche Spatzen sind nicht zu sehen. Dafür aber bald schon die Auffahrt zum Niger- und Karerpass mit dem Felsmassiv des Rosengartens als steinernem Wächter über unserem Kehrenslalom. Der uns in steilen Windungen wieder hinunterführt ins Fassatal. 1200 Meter rauf und 500 Meter runter, und die Kehren sind wie Treppenstufen in diesem irren Auf und Ab. Der Weg ist das Glück, das Ziel gerät zur Nebensache.
Als wir im Fassatal nach Süden abbiegen und uns zum Pellegrinopass hocharbeiten, wird die Tour erneut ruhiger. Der Pass verläuft zwar wenig kurvig in einem schnurgeraden Hochtal, kommt aber immerhin schon wieder auf über 1900 Meter Höhe. Über Falcalde und Cencenighe bauen wir davon dann wieder über 1000 Meter ab ins Tal des Torrente Cordevole, um nun auf der gut ausgebauten SS 203 Strecke zu machen. Kurz nach dem Lago del Alleghe muss anschließend eine wichtige Entscheidung fallen: rechts Richtung Falzarego, Passo Giau und Cortina oder links Richtung Fedaiasee und -pass. Kurt zieht es nach rechts, zu verlockend ist Cortina. Aber er wird mir garantiert vorwerfen, dass wichtige Strecken fehlen, wenn wir jetzt nicht links fahren und noch den inneren Orbit weiter abkurven.
Über den Fedaiasee Richtung Arabba
Der führt mit genialen Ausblicken auf die Marmolada über den Fedaiasee Richtung Arabba. Vor Arabba erreichen wir die Südseite der Sella-Runde und machen kurz Pause. „Aber wo bleibt dieses sagenhafte Streckenstück von der Südseite hoch zum Sellajoch in deiner Tour?“ Die Stimme von Kurt hat etwas Schneidendes. Zugegeben, da ist noch ein Schwachpunkt in meiner Runde. Sechs Kilometer Kurven und 400 Höhenmeter fehlen, um das Sellajoch nun auch noch von Süden anzufahren. Die sind nur mit Rauf und Runter in meine Tour zu integrieren. Wieder so ein Doppler. Na und? Ich wiederhole mich sonst ungern, aber auf dieser Strecke fast mit Wonne.
Nach der Rein-raus-Fahrt auf die Höhen des Sellajochs erreichen wir hochgradig euphorisiert Arabba und bald darauf den nächsten kurzen Strecken-Doppler, den gestern schon in Gegenrichtung gefahrenen Abschnitt hoch zum Falzarego. Wieder so ein alter Weg, der jetzt in Gegenrichtung doch in anderem Licht erscheint. Und mit seinen tollen Kurven einer, den jeder gerne zweimal macht. Nicht einmal Kumpel Kurt findet etwas zu motzen an meiner Tourenplanung. Dann wieder neues Gelände hinunter nach Cortina - und damit die Einfädelspur zum äußeren Orbit der Runde. Ein prall gefüllter Kurventag geht zur Neige. Eigentlich wollten wir noch Passo Tre Croci, Dreizinnenblick und Misurinasee nördlich von Cortina in die Runde integrieren, aber wir sind zu müde. Glück kann anstrengend sein. Und morgen muss ich Kurt nur noch vom Rest meiner so genial geplanten Tour überzeugen.
Infos

Anreise: Über A 8 und A 93 von München über Kufstein und in Österreich gebührenpflichtig durchs Inntal und über den Brenner bis Brixen. Alternativ ohne Mautkosten von München über Garmisch, Mittenwald und Seefeld nach Innsbruck. Die Anfahrt über die alte Brennerstraße nach Italien wird oft durch viel Verkehr und auch Radarkontrollen erschwert.
Reisezeit: Auf den hohen Pässen liegt der Schnee neben der Straße bis in den Juni, doch befahrbar sind sie schon im Mai. Gerade im Frühjahr und Herbst ist die beste Zeit für entspanntes Touren, denn in den Ferien und an Wochenenden sind die Dolomiten-Pässe mitunter heillos überfüllt. Juli und August sind die schlimmsten Monate, besonders um Sella, Marmolada und Falzarego. Touren können meist bis in den September, manchmal bis Oktober gefahren werden, abhängig davon, wie früh im Jahr der Schnee kommt.
Digitale Tourenplanung: Wer seine eigene Tour digital planen will, findet unter www.motorradonline.de die geeignete Plattform mit GPS-basierten Karten. Unter „Reise“ den „Tourenplaner online“ anklicken, sich anmelden und eigene Touren einfach per Mausklick anlegen. Man erhält eine Kilometer- und Höhenmeter-Bilanz mit Höhenprofil und kann die Tour auf sein GPS-Gerät laden.
Übernachten: Müde nach der Anreise? Am Anfang der Tour übernachtet man gepflegt in Brixen im Vital-Hotel „Goldene Krone“ (Stadelgasse 4, Brixen, Telefon 00 39/04 72/83 51 54, www.goldenekrone.com). Im Grödnertal in Wolkenstein ist man im Garni Hotel „La Tambra“ gut versorgt (Str. Meisules 309, Wolkenstein in Gröden, Telefon 00 39/04 71/79 50 41, www.la-tambra.com). Entsprechend seinem Namen bietet das „Hotel Bellavista“ bei Canazei auf der Strecke zum Pordoi-Joch tolle Ausblicke (Strèda de Pordoi 12, Canazei, Telefon 00 39/04 62/60 11 65, www.bellavistahotel.it). Zentral in Cortina liegt das „Hotel Montana“ (Corso Italia, 94, Cortina d’Ampezzo, Telefon 00 39/04 36/86 21 26, www.cortina-hotel.com). Auf dem Passo Duran bietet das urgemütliche „Rifugio San Sebastiano“ Unterschlupf und gutes Essen (Passo Duran, Zoldo Alto, Telefon 00 39/04 37/6 23 60, www.passoduran.it).
Action Team: Geführte Touren und Individualreisen durch die Dolomiten und angrenzende Regionen bietet das MOTORRAD action team. Infos unter www.motorradonline.de, www.actionteam.de oder Telefon 07 11/1 82/19 77.
Informationen: Italienisches Fremdenverkehrsamt ENIT in Frankfurt, Telefon 0 69/23 74 34, www.enit-italia.de. Infos über die Befahrbarkeit von Pässen im Internet unter www.alpenrouten.de oder beim ADAC.