Fast muß ich lachen, als ich dieses Motörchen zum Leben erwecke. So zart, so weich, so leicht ist es anzukicken, wie Großmutters Nähmaschine. Und es beginnt auch gleich so zu rattern, fährt - ich bin fast verwundert - surrend einfach mit mir los. Aber bella Italia, du hast deine eigenen Gesetzmäßigkeiten: Die hintere Bremse greift ins Leere, die vordere dagegen beißt zu, als gehörte sie ins Radwerk eines Sportwagens. Einen Helm gibt es beim Rollervermieter nur auf gutes Zureden, und Spiegel oder funktionierende Blinker und Bremslichter scheinen auf Lipari, der Hauptinsel des gleichnamigen Archipels, nicht unbedingt zum Standard zu gehören. Doch das stört hier niemanden.Es duftet nach Cappuccino und Zweitakter-Abgasen, als ich an den Straßencafés vorbei meine Inselumrundung beginne. Dann plötzlich der Geruch von Salbei und Ginster, als ich nach den letzten bunten Häuser auf die kurvige Küstenstraße abbiege.
Die Hänge der Vulkaninsel Lipari sind überzogen mit gelben Tupfern der blühenden Ginsterbüsche, und mich überkommt ein herrliches Gefühl der Leichtigkeit, als ich auf dem kleinen Sträßchen zum Nordteil des Eilands fahre. Nein, es muß nicht immer ein großes Motorrad sein. Zu diesen handlichen, kleinen Inseln paßt die Vespa, läßt Zeit zum Schauen und zum Riechen, etwa als ich in Canneto am Panificio vorbeikomme und durch eine Duftwolke frisch gebackenen Brotes fahren. Bedauernswerte Autofahrer, denen hinter ihren Scheiben solche Gerüche verborgen bleiben. Für uns Zweiradfahrer sind sie die Würze des Lebens.Ich erreiche die Strände des Campo Bianco und fühle mich unvermittelt in die Karibik versetzt. Weißer Sand vor türkisfarbenem Meer und dahinter die Silhouette der Insel Stromboli, die mit ihrer Rauchfahne wie ein riesiges Dampfschiff über dem Meer zu schweben scheint. Doch hier ist es kein Korallensand, der die tropisch anmutende Postkartenidylle zaubert, sondern weißer Bimsstein. Bims sieht aus wie ein versteinerter Schwamm, entstanden aus gasreichem Magma, das in riesigen Explosionen hoch in die Luft geschleudert wurde, sich aufblähte und beim Abkühlen die zahllosen Gasporen verschloß. So ist Bims kurioserweise auch das einzige Gestein, das schwimmt.Während auf Lipari die vulkanische Tätigkeit heute erloschen ist, kann man auf der Nachbarinsel Vulcano schon etwas deutlichere Ausdrucksformen des heißen Magmas in der Tiefe finden. Da gibt es einen dampfenden Krater, der an eine Mondlandschaft ohne jegliches Leben erinnert, und da gibt es knallgelbe Schwefelausblühungen, ätzende Dämpfe und heiße Quellen. Zwar war der letzte richtige Ausbruch des Gran Cratere 1888, und man könnte meinen, die Sache sei damit für den Vulkan erledigt. Aber auf sicherem Grund stehen die zahlreichen Wochenendhäuser und Hotels keineswegs, die man in den 60er Jahren hier gebaut hat. Vulcanus, der Gott des Feuers in der Tiefe, macht nur ein Päuschen. Die Häuserbesitzer hätten besser die Wissenschaftler gefragt als die geldgierigen Grundstücksmakler, ob ein Gebäude auf dem Pulverfaß eine sichere Sache ist. Denn die Insel Vulcano gleicht einem Dampftopf mit verstopftem Ventil, der irgendwann in die Luft fliegen kann. Nur weiß keiner, wann es soweit ist.Auf Lipari bin ich dagegen weit entfernt von solchen Spekulationen.
Hinter Acquacalda heißt es jetzt erst mal Schwerarbeit für die Vespa. Es geht 300 Meter hoch bis auf den Rand der Steilküste, und während oben das erschöpfte Motörchen auskühlt, staune ich über einen Paradeausblick auf die gegenüberliegende Insel Salina. Schemenhaft zeichnen sich auch Filicudi und Alicudi zur einen Seite ab, Panarea und Stromboli zu anderen. Fast der gesamte Archipel präsentiert sich hier an klaren Tagen. Eine Stelle für Maler und Träumer, ein Ort, an dem man meint zu schweben.Doch ein anderer Aussichtspunkt der Insel bietet noch mehr: Weiter im Süden liegt Quattrocchi, »Vier Augen«. Und die, so meinte ein Dichter, bräuchte man, um die gesamte Schönheit dieses Blickes fassen zu können. Der Mann hat nicht übertrieben. Die Vespa bleibt ganz einfach am Straßenrand stehen, denn bei dem wenigen Verkehr stört das niemanden. Und ich schaue und schaue, auf die steilen Klippen im Süden Liparis, auf die bizarren Felsen, die wie versunkene Schlösser aus dem Meer aufragen, auf den Krater der Insel Vulcano, der sich mit seinen unwirklichen blassen Farben dahinter erhebt. Eines muß man Vulcanus lassen: Er weiß, wie man aus Feuer und Lava eine faszinierende Landschaft gestaltet. Antonio Buongiorno hat seinen Namen zu Recht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß einem jemand fröhlicher einen »Buon Giorno«, einen Guten Tag wünschen kann, als er es tut. Drei Tage später und eine Fährschiff-Passage weiter betreten ich sein kleines Büro auf der Insel Salina. Antonio ist gerade dabei, seine 50 Jahre alte Vespa zu putzen, die Galionsfigur seiner Zweitakt-Flotte. Aber der zweirädige Methusalem ist nur noch Liebhaberstück und nicht wie die anderen Roller zu mieten. Antonio erzählt, wie er das zerschundene Stück von der »Grande Isola«, der Hauptinsel Sizilien, herübergebracht hat und über die Jahre liebevoll instandsetzte. Damals hatte er begonnen, zwei Vespas an Touristen zu vermieten. Heute ist daraus ein Mietstall mit einer Flotte von fast zwanzig Rollern geworden. Doch die sind auf der abgelegenen Insel Salina nur an wenigen Tagen im Sommer ausgebucht, wenn hauptsächlich Italiener hier ihre Sommerferien verbringen.
Jetzt in der Vorsaison hat Antonio Buongiorno wenig Geschäft und viel Zeit. Und so erzählt er gerne - als Dreingabe zum Mietvertrag für eine seiner Vespas - nette Geschichten über die Insel. Da muß man zwangsweise den Oscar-prämierten Film »Der Postmann« erwähnen, der hier auf Salina gedreht wurde. Und Antonio Buongiorno kennt natürlich jeden Schritt, den die Filmleute gemacht haben, war doch sein Sohn in einer kleinen Nebenrolle engagiert. Wir trinken noch in einer kleinen Bar einen Cappuccino, ich kaufe eine Landkarte, und Antonio gibt mir die letzten Tips für unsere Entdeckertour auf der Insel. »Que buon giorno - Was für ein guter Tag!«
Die Sonne scheint, als wir Santa Marina Salina verlassen und uns auf einem kleinen Sträßchen hinaufschrauben auf die Flanke des Doppelvulkans, der diese zweitgrößte Insel des Archipels beherrscht.Und da ist es wieder, das Vespa-Gefühl von Leichtigkeit und Langsamkeit, von einem Zeit-Rhythmus, der wie der kleine Zweitaktmotor unter mir gemächlich ist. Urlaub ohne hohe Drehzahlen, dafür mit viel Zeit zum Schauen. Ich fahre hinüber nach Rinella, einem winzigen Hafennest, da bei meiner Ankunft sehr verschlafen wirkt. Doch mehrmals in der Woche erwacht der Ort zu quirligem Leben, wenn das große Fährschiff anlegt oder eines der pfeilschnellen Tragflügelboote. Pollara, an der Westseite der Insel gelegen, hat derartige Sensationen nicht zu bieten. Hier trifft man noch das ursprüngliche Salina, wie es von der Zeit vergessen scheint und wie es der Film über den Postmann auf so gefühlvolle Weise nahebringt. Salina ist die grüne, die beschauliche Insel. Ihre beiden Vulkane erinnern nur durch ihre ebenmäßige Kegelform an ihre Identität als Feuerspucker. Über die Folgen ihrer Ausbrüche ist im wahrsten Sinne Gras gewachsen - und ein dichter Kiefernwald, den man als Wasserspeicher und Erosionsschutz sorgsam hegt. Doch was wäre ein Besuch auf den Liparischen Inseln, würde man sich nur an beschaulichem Grün und sanften Formen erfreuen. Uns ist es danach, den wahren Feuerspeier des Archipels zu besuchen, den man den Leuchtturm des Mittelmeeres taufte: den Stromboli.» Da, eine neue Eruption, direkt vom Berg her. Fast gleichzeitig ein fürchterliches Prasseln und Rutschen. Der Berg oben ist dicht umwölkt, und das Prasseln kommt mit rasender Geschwindigkeit näher. Und nun geht ein Trommelfeuer los: Rechts und links, vor mir und hinter mir schlagen Geschosse ein, Steine bis zur Größe eines Rucksackes.« Das berichtete 1930 ein deutscher Tourist, der unfreiwillig Zeuge eines der größten Ausbrüche des Stromboli wurde. Mit einer Explosion, deren Donner über 60 Kilometer weit zu hören war, hatte der Vulkan über 30 Tonnen schwere Gesteinsblöcke hoch in die Luft geschleudert und in den eng an seine Flanken geschmiegten Siedlungen 14 Häuser zerstört. Eine Wolke glühender Asche und Schlacken fiel als nächstes nieder; dann kam eine Glutlawine mit mindestens 700 Grad heißen Gasen, die den Berg hinunter ins Meer raste, das daraufhin zu kochen begann. Nach dem Ausbruch verließen viele Bewohner für immer ihre Insel, viele davon wanderten nach Australien aus.
Wer heute hierher kommt, merkt davon nichts mehr. Stromboli ist verlockendes Ziel eines regelrechten Vulkan-Tourismus; die vormals verlassenen Häuser sind begehrte Objekte einer internationalen Aussteiger- und Künstlergemeinde. Solange der 924 Meter hohe Stromboli mit seiner zwar spektakulären, aber relativ ungefährlichen Dauertätigkeit fotogen Dampf abläßt, bleibt der Tanz auf dem Vulkan ein kalkulierbar geringes Risiko. Nur per Boot können die Menschen von der einen Seite der Insel zur anderen gelangen - daran hat sich auch heute nichts geändert. Und rechnet man die fahrbaren Wege auf der gesamten Insel zusammen, so werden kaum mehr als fünf Kilometer dabei herauskommen. Um so erstaunlicher ist es, daß ich eine nagelneue Honda Shadow entdecke, deren stolzer Besitzer sie demonstrativ vor dem Café auf der Piazza von San Bartolo, dem Szenetreff der gerade mal 400 Einwohner zählenden Insel, abgestellt hat. Aber Paolo will nichts davon wissen, daß - wie ich ironisch meine - hier nicht gerade ein ideales Motorradrevier sei. Ihm gefällt es, mit seinem Bike durch die winzigen und engen Gassen zu brausen - und Rollerfahrer zu ärgern. Doch die sind hier selten.
Wer nach Stromboli kommt, hat in der Regel anderes vor. Keine Maschine hilft beim Aufstieg auf den Vulkan, die eigene Pumpe ist gefragt. Kein sonores Brummen des Motors, nur der eigene Herzschlag, das Pochen des Pulses in den Schläfen, der eigene Atem, der gleichmäßige Tritt der Füße. Die Muskelkraft ist gefordert, dort, an den steilen Aschehängen des Stromboli. Das Beobachten der nächtlichen Ausbrüche des Vulkans ist ein kleines Abenteuer, das immer mehr Vulkan-Jünger anzieht. Man hat ihn den fleißigsten Vulkan der Erde genannt, den Stromboli. Fast schon programmiert, kommen seine Eruptionen im Abständen zwischen zehn Minuten und einer Stunde. Auch seine eigene Besuchertribüne hat sich der Vulkan geschaffen. Der Rest eines alten Kraterrands liegt hoch über den heute aktiven Ausbruchszentren und läßt ein relativ sicheres Beobachten des Schauspiels vom scheinbaren Weltuntergang zu. Ein Schwappen und Zischen aus den drei Kratern erinnert ständig daran, daß der Vulkan an der Magmasuppe kocht, die er bald zum Überlaufen bringen soll. Und so sitze ich dort oben inmitten eines Szenariums aus einer ganz anderen Welt und beobachte, wie die Sonne glutrot im Meer versinkt.
Dann der Ausbruch, lange und sehnlich erhofft und doch unerwartet plötzlich, knallhart, unbeschreiblich gewaltig. Eine Fontäne aus glühenden Lavabrocken schießt unter metallischem Zischen und Donnern himmelwärts, breitet sich aus wie ein Atompilz, aus dem wie in einem Meteoritenhagel glutrote Steine prasselnd auf den Kraterrand zurückfallen. Ich glaube, einen Blick in die Vorzeit der Erde zu tun, als Kontinente geboren wurden und noch kein Leben auf unserem Planeten existierte. Wäre da nicht das Klatschen, Lachen und Blitzlichtgewitter einer ganzen Schar Schaulustiger um uns herum, fühlte man sich von der Alltagswelt entrückt, versetzt in andere Dimensionen, in denen die gesamte Menschheitsgeschichte nur das Flackern eines Augenblickes ist. Der Stromboli ist eines der ganz großen Naturschauspiele unserer Erde, das allerdings auch seinen Preis hat. Nicht selten haben sich wegen der kalten Winde am Gipfel und wegen des anstrengenden Aufstiegs Touristen durch Erschöpfung und Unterkühlung in eine gefährliche Situation gebracht. Auch der nächtliche Abstieg birgt Gefahren, begibt man sich nicht in die Obhut eines Bergführers. Mindestens an zwei Stellen auf dem stockdunklen Weg kann man leicht eine tiefe Felswand hinunterstürzen. Die örtlichen Behörden haben dennoch keine Absicherung angebracht.
Ich bin sicher wieder zurückgekehrt aus dem scheinbaren Jenseits der Stromboli-Krater in die bunte italienische Alltagswelt Liparis. Eigentlich war ich schon auf der Fähre zurück zum sizilianischen »Festland«. Aber so ist das mit dem Inselspringen. Da nimmt die Fähre vorher noch Kurs auf Lipari, und ich kann einfach nicht widerstehen und steige aus, lasse mich treiben. Und jetzt sitze ich unten am Hafen und rede mit Luciano, dem Kapitän, der zwar ein eigenes Boot besitzt, der aber seine Leute lieber alleine zum Fischen fahren läßt und währenddessen am Hafen auf seiner Vespa sitzt. Luciano scheint mit der Vespa wie mit einer Nabelschnur verbunden, denn er verläßt sie anscheinend nicht einmal zum Essen. Als das Boot mit dem Fang hereinkommt, als die Fische ausgeladen, die Netze geflickt werden, als Freunde ihn begrüßen und er gestenreich mit ihnen palavert, immer bleibt Luciano wie ein ehernes Standbild italienischer Zweiradkultur auf seiner knallroten Vespa sitzen. Ich mache es ihm nach. Einfach dasitzen. Versinken in eine Welt ohne Termine und Hektik. Das Treiben am Hafen beobachten. Der Sonne zusehen, wie sie die Straßencafés und den Hafen in gleißendes Licht taucht. Die Schatten beobachten, die immer länger werdend über die Piazza kriechen, bis es schließlich am Abend auch für Luciano Zeit ist, nach Hause zu fahren und zu schlafen. Und das wird er doch wohl nicht auch noch im Sattel seiner Vespa tun.
Infos
Zwar sind die Liparischen Inseln nicht unbedingt ein typisches Ziel für Motorradfaher, doch ein Trip zu den Vulkanen ist ein sagenhaftes Erlebnis.
Anreise: Wer schon einmal auf Sizilien ist, sollte einen Abstecher auf die Liparischen Inseln unbedingt einplanen. Von Milazzo gehen mehrmals täglich Fährschiffe zu den Inseln. Eine Passage bis nach Lipari kostet pro Person einfach zirka zehn Mark, die Preise zu den anderen Inseln sind ähnlich.Reisezeit: Die schönste Zeit auf den Inseln ist der Frühling, wenn die Pflanzenwelt in voller Blüte steht. Im Juli und August ist es wegen der italienischen Ferien sehr voll, die Preise sind dann rund 30 Prozent höher. Übernachten: Schon beim Verlassen der Fähre bekommt man auf allen Inseln günstige Privatquartiere angeboten. Das Doppelzimmer liegt um 50 Mark. Ansonsten kann man am Hafen in den Bars nach Quartieren fragen. Beim Fremdenverkehrsamt in Lipari-Stadt (Corso Vittorio Emanuele 202) gibt es auch einen Zimmernachweis für alle Inseln. Camping gibt es auf Lipari (in Lipari-Stadt in der Jugendherberge und in Canneto) und auf Salina (in Rinella - Leni). Weiter Infos: Staatliches Italienisches Fremdenverkehrsamt ENIT, Kaiserstraße 65, 60329 Frankfurt/Main, Telefon 0 69/23 74 30, Fax 23 28 94.Aktivitäten: Auf Vulcano unbedingt auf den Rand des Gran Catere steigen. Im Valle dei Mostri gibt es bizarre Lavaformationen. Auf Stromboli lockt eine Wanderung auf den aktiven Vulkan, bei Nacht ein einmaliges Schauspiel. Touren mit Bergführer vermittelt auf Stromboli das Uffizio informationi in der Piazzale San Vicenzo.Motorrad-Vermietung: Eine Vespa kostet pro Tag etwa 35 Mark; die Preise variieren leicht von Insel zu Insel. Die Vermieter erlauben keine Mitnahme auf andere Inseln. Gute Roller hat die Vermietstation Roberto Foti auf Lipari, Telefon 00 39/90/98 12 35 2, Fax 98 11 62 7. Außer in der Hauptreisezeit ist es aber auch vor Ort unproblematisch, einen Roller zu bekommen.Literatur: Sehr gut ist der Reiseführer Liparische Inseln aus der Serie DuMont Reise-Taschenbücher für 19,80 Mark. Eine gute Karte über die Liparischen Inseln gibt es im Maßstab 1:25000 auf allen Inseln zu kaufen (Carta Turistica e Nautica).Zeitaufwand: etwa eine Wochegefahrene Strecke:120 Kilometer