Lyon ist mehr als nur eine Durchgangsstation zwischen Nord und Süd. Davon ist Ingmar Schmidt überzeugt, der als Journalist in der Stadt lebt und Voxan-Fan ist.
Lyon ist mehr als nur eine Durchgangsstation zwischen Nord und Süd. Davon ist Ingmar Schmidt überzeugt, der als Journalist in der Stadt lebt und Voxan-Fan ist.
Kurz vor Lyon wirds auf einmal zappenduster. Im berühmt-berüchtigten Fourvière-Tunnel, dem letzten Hindernis quasi vor den kühlen Fluten der Côte dAzur, in unzähligen Stau-Stunden unlöschbar eingebrannt in die Hirne hunderttausender Frankreich-Urlauber, die dieses Nadelöhr des Südens auf ihrem Weg zur Sonne seit Jahrzehnten behindert. Doch plötzlich kommt Licht ins Dunkel und reißt mich aus meinen Gedanken: Hinter mir blendet jemand auf. Als ich rechts rüberziehe, schwingt ein Schlipsträger auf einer Gold Wing lässig an mir vorbei und streckt zum Gruß das rechte Bein raus. Dann zieht er mit reichlich Speed davon. Ach ja, Frankreich! Ungestraft auf dem Mittelstreifen zwischen den zäh dahinkriechenden Autos jeden Stau abkürzen, ohne dass sich jemand aufregt, ganz legal. Also: Blinker setzen, Fernlicht an... und ab durch die Mitte.Die Abfahrt hinter dem Tunnel führt mitten hinein in die Innenstadt, denn der damalige Bürgermeister wollte beim Bau der Röhre in den 60er Jahren Touristen nach Lyon locken und erreichte genau das Gegenteil. Es geht ein Stück am Rhône entlang, und die prächtigen Brücken machen deutlich, mit welchem Ort wir es hier zu tun haben: keine beliebige französische Stadt, sondern die ewige Nummer zwei im Land. Zu Zeiten der Römer war sie Hauptstadt Galliens und hieß Lugdunum; Asterix-Lesern bestens bekannt. Später dann spielte sie jahrhundertelang als Europas Seidenmetropole eine bedeutende Rolle, und heute gilt Lyon als die Boom-Region Frankreichs. Die Voxan wuselt zwar ausgesprochen leichtfüßig durch den morgendlichen Verkehr, doch meine schmerzenden Handgelenke (mit besten Grüßen von der Hydraulikkupplung) sehnen sich nach einer Pause bei ner Tasse Grand Crème und Croissants. Klaus und ich nähern uns dem Zentrum, das sich zwischen Rhône und Saône, auf der »PresquIle«, der »Halb-Insel« erstreckt. Kleine Einbahnsträßchen kreuzen Fußgängerzonen, kein einziges Haus jünger als 100 Jahre. Hinter stuckgeschmückten Fassaden lassen es sich die als sehr bürgerlich geltenden Lyoner offenbar gut gehen. Die Stadtreinigung ist mit Schläuchen bewaffnet zur morgendlichen Toilette unterwegs, um alles auf Hochglanz zu bringen. An einem kleinen Platz mit einem Straßencafé halten wir schließlich neben einer uralten, verwarzten Harley. Der Voxan Café Racer schließt auf Anhieb Freundschaft und macht seinem Namen alle Ehre: vor einem Café einen guten Eindruck hinterlassen. Endlich Jacke ausziehen und Helm ab, im Rhône-Tal ist es in den Sommermonaten heiß und stickig, wenn der Mistral keine Kühlung aus den Alpen bringt. Sonnenbrille auf, in den Schatten setzen, bestellen, zurücklehnen, abschalten und einfach nur gucken... Wie jeder Dritte neben der Voxan stehen bleibt, gestikulierend ihre Rundungen beschreibt und seiner Begleitung erklärt, wen er da vor sich hat. »Pas mal, äh?« bemerkt ein Typ mit Ziegenbärtchen am Nebentisch. Seine Lederjacke lässt darauf schließen, dass ihm die Harley gehört. Nee, schlecht sei sie wirklich nicht, antworte ich. Der Typ stellt sich als David vor, und er versteht offensichtlich was von Motorrädern. Vor der Voxan geht er in die Knie, begutachtet jede Schweißnaht. Seine Harley, erzählt er nach einer Weile, sei von 1958 und habe einst der mexikanischen Grenzpolizei gehört.Mit der jungen Französin, die nach dem Druck aufs Starterknöpfchen zufrieden aus ihren beiden Endtöpfen brabbelt, fädeln wir uns in den Innenstadtverkehr ein. Pizzaboten auf Mofas machen uns die Pole an den Ampeln streitig und wollen sich unbedingt messen. Doch unsere Aufmerksamkeit gilt ganz anderen Dingen den hervorragend erhaltenen Fassaden der Häuser, vor allem die des größten der Stadt: des Rathauses. Es steht auf dem riesigen Place des Terreaux, der mit hunderten Stühlen der umliegenden Cafés bestückt ist.Ein paar Meter weiter haben Kinder entdeckt, dass die vielen kleinen Wasserfontänen auf dem Platz an- und wieder abschwellen und verschaffen sich Kühlung, in dem sie sich breitbeinig darüberstellen. Zu Zeiten der Revolution, belehrt uns ein Garçon, habe hier die Guillotine gestanden und an betriebsamen Tagen den ganzen Platz blutrot gefärbt. Besonders, als sich die Lyoner weigerten, den neuen Herren in Paris zu gehorchen. Später wurden die Weber bei ihrem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen niedergeknüppelt, und zu Zeiten der deutschen Besatzer galt Lyon als Hauptstadt der Résistance, des Widerstandes. Direkt hinter dem Terreaux gehts steil bergauf ins Viertel Croix Rousse. Die Voxan wedelt durch das Gewirr von Einbahnstraßen, Spitzkehren und steilen Auffahrten hinauf auf das Plateau. Zahllose Treppenschluchten mit hunderten Stufen geben über mehrere Querstraßen hinweg immer wieder den Blick frei auf den Rhône. Das Croix Rousse war bis vor 100 Jahren Wohn- und Arbeitsviertel tausender Seidenweber, die auf dem Hügel von morgens bis abends im ewig gleichen Rhythmus der hölzernen Ungetüme rackerten. Lyon hatte seit 1536 das Monopol auf die Herstellung der kostbaren Stoffe. Heute ist das Croix Rousse Wahlheimat von Kreativen, Künstlern und Alternativen, die sich in den attraktiven Altbauten mit fast vier Meter hohen Holzdecken ausgesprochen wohl fühlen. Doch einer hier schuftet noch immer auf althergebrachte Weise: Monsieur Mattelon, der letzte Seidenweber der Stadt. Der 87-Jährige hat als einziger seine Webstühle aufbewahrt; sämtliche Nachbarn verheizten ihre nach der Einführung der Kunstfaser nutzlos gewordenen Arbeitsgeräte einfach. Gemeinsam mit einem Designer stellt Monsieur Mattelon kostbare Stoffe her, für die großen Modeschauen von YSL, Lagerfeld und Givenchy. Bei den ganz edlen Stücken schafft er nur wenige Zentimeter am Tag. Bei etwas weniger arbeitsintensiven Stoffen lässt er sich beim Weben gerne von Schulklassen auf die Finger schauen. Aufhören, so sagt Mattelon verschmitzt, werde er erst, wenn die Maschine stehen bleibt.Langsam wirds mit den Lederklamotten in dem Dachatelier stickig, und unten schreit die Voxan nach Auslauf. Kein Problem, schließlich liegen vor den Toren Lyons das Beaujolais und die Monts du Lyonnais, die Lyoner Berge. In einer guten Viertelstunde ist man draußen auf dem Land, endlich kann ich den Zweizylinder ein bisschen drehen. Das beantwortet der ohne jegliche Vibrationen, aber mit einem aggressiven Knurren aus dem Ansaugtrakt. Anfangs lassen wir uns einfach treiben und biegen wahllos auf kleine, gewundene Sträßchen ab. Am langen Band surren wir an jahrhundertealten Bauernhäusern vorbei, die aus den für diese Gegend so typischen Steinen gebaut sind, den »pierres dorées«, die, wenn es Abend wird, im Schein der tief stehenden Sonne fast schon goldfarben leuchten. Schließlich erreichen wir Yzeron, die Woche über ein verschlafenes Dörfchen auf 700 Metern Höhe, am Wochenende dank seines zentralen Platzes mit den beiden Cafés Anlaufpunkt für Biker, Radfahrer, Pilzsammler, Wanderer, Familien mit Kindern. Wieder knurrt der Café Racer grimmig, wieder drehen sich alle Köpfe anerkennend nach ihm um. Und schon flutschen die Gänge, während die enge Ortsausfahrt die grollenden Lebensäußerungen des Zweizylinders reflektiert. Hier fühlt sich die Voxan zu Hause, die Straßen sind schmal, aber in bestem Zustand. Wenig Verkehr und die sanft geschwungenen Hügel tun ein Übriges. In einer weiten Kurve überrascht uns plötzlich ein Breitband-Ausblick: 30 Kilometer entfernt liegt eine riesige Senke, das Rhône-Tal, und darin eingebettet Lyon. Dahinter kann man bei ganz klarer Sicht die Alpen sehen, wie die Perlen an einer Kette reiht sich Gipfel an Gipfel.Zurück in der Metropole. Über den Rhône rüber, durchs Araber-Viertel, schon ist die Avenue de Marechal de Saxe erreicht. Wir parken die Voxan auf einem der zahlreichen Moped-Stellplätze, die es in der ganzen Stadt gibt. Liberté, Egalité, Fraternité brüderlich steht hier der Roller neben der Hayabusa. Und im Café nebenan trifft sich die ganze Bikerszene. Egal, ob Sport- oder Chopperfahrer, eines haben sie alle gemeinsam: das Outfit. Der französische Motorradfahrer trägt Jeans und eine modische Lederjacke. Leder-, Gore-Tex- oder gar Kevlar-Hosen sind völlig out. Und noch etwas ist bemerkenswert: Die meisten Mopeds sind irgendwie umgebaut, und das völlig legal, denn in Frankreich gibt es für Zweiräder keinen TÜV. In den Zubehörläden, von denen es hier einige hat, kann sich jeder auch sein Nummernschild prägen lassen. Es existieren unzählige Varianten. Als ich einen Verkäufer frage, welches Schild denn offiziell erlaubt sei, zeigt er auf die größte Version. Und die anderen, die kleinen? Die könne man sich natürlich auch anfertigen lassen, ganz legal. Und dann damit fahren, ganz illegal. Denn wer mit einem zu kleinen Kennzeichen erwischt wird, dem droht ein Bußgeld von rund 350 Francs. Zumindest auf dem Papier. Die Joghurtbecher jedenfalls fahren trotzdem alle ein nur Zigarettenschachtel-großes Schildchen unterm Rücklicht herum. Glückliches Frankreich. Ein, zwei Wheelies auf der Bikermeile warten wir noch ab, dann verlassen wir den Ort des Geschehens und überqueren erneut den Rhône, an den Hausbooten vorbei, über eine der kunstvoll beleuchteten Brücken. Licht la lumière spielt seit den Brüdern Lumière, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche Neuerungen auf dem Gebiet der Fotografie erfanden, eine wichtige Rolle bei der Selbstinszenierung der Stadt. Nach Einbruch der Dunkelheit ändert sie ihr Gesicht dank eines »Illuminationsplans«, nach dem über 150 Gebäude, Brücken und Denkmäler »erleuchtet« werden. Am eindrucksvollsten erstrahlt die Oper, deren tiefrotes Dach in den nächtlichen Himmel ragt wie ein überdimensionaler Heizstrahler. Auf den klassizistischen Bau setzte Star-Architekt Jean Nouvel kurzerhand eine halbrunde Glaskuppel mit verblüffendem Effekt: Das Rot in der weithin sichtbaren Kuppel schwillt ständig an und wieder ab und verändert seine Intensität sogar je nach Anzahl der Besucher. Von den Lyonern wird die Oper daher »le poumon« die Lunge genannt, weil sie widerspiegelt, wie viel Leben in der Stadt herrscht. Und unter den Arkaden im Erdgeschoss trifft sich die Gegenkultur: Jugendliche Breakdancer üben auf den glatten Steinplatten ihre halsbrecherischen Pirouetten.Der Magen knurrt, die Rösser wittern den heimischen Stall, doch vorher bleibt der Voxan ein letzter öffentlicher Auftritt nicht erspart. Und zwar in der Rue Mercière, der bekanntesten Restaurant-Meile der Stadt, einer kleinen Gasse, an deren Ende sich das »Chez Moss« befindet, berühmt für seine Fisch- und Meeresfrüchtespezialitäten. Die Voxan zieht auch hier alle Aufmerksamkeit auf sich. Ein älterer Herr springt von seinem Tisch auf, redet auf mich ein. Das sei ja »seine« Voxan. Dann zeigt er auf einzelne Schräubchen und die Sitzbankhalterung: »Là...et là...et là aussi...!!! Cest moi qui ai fait ça!« Er sei Fabrikant und habe diese Teile hergestellt. Und wissen Sie was, meint er zum Abschied, ein, zwei Handgriffe und das Motorrad habe 160 PS, kein Witz, ganz einfach ginge das... Wir lassen uns in dem Getümmel nieder. Man sitzt eng beieinander in den »bouchons lyonnais«, wie die kleinen Restaurants bezeichnet werden. Gut, dass Lyon gar nichts hat von den Touristenströmen, die Paris-Besucher kennen. Ein Amerikaner hat einmal gesagt: »Paris ist eine große internationale Stadt, Lyon hingegen eine große französische.« Doch die Schätze ihrer über 2000-jährigen Geschichte sind anderen nicht verborgen geblieben: Der UNESCO gefiel das größte Renaissance-Viertel Frankreichs so gut, dass Lyon zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Und das haben vor ihr nur Venedig, Prag, St. Petersburg, Santiago de Compostella und Porto geschafft. Langsam könnte der Metropole die Beachtung zuteil werden, die sie verdient. Und wenn ich mir meine neue Freundin anschaue, die da in Lauerstellung auf dem Seitenständer lehnt, dann bin ich sicher, dass ich für diese Stadt die richtige Begleitung gefunden habe.
Wer sich während einer Frankreichreise ein oder zwei Tage Zeit für Lyon nimmt, wird eine attraktive Stadt entdecken. Das historische Zentrum
sowie zahlreiche hervorragende Restaurants machen den Besuch zum Genuss.
DAnreiseÜber Dijon und Macon nähert man sich Lyon auf der mautpflichtigen A 76, der Autoroute de Soleil. Hinter Villfranche, etwa 40 Kilometer vor Lyon, gabelt sich die Autobahn. Wer in die Stadt will, muss auf der A 6 in Richtung Lyon bleiben, denn die A 46 (Richtung Lyon und Marseille) führt auf der »Périphérique« um die Stadt herum. Auf der A 6 kommt gleich hinter dem Fourvière-Tunnel die Ausfahrt Richtung Presqu«Ile in die City, die zwischen Saone und Rhône liegt. DReisezeitScheint die Sonne, finden sich das ganze Jahr über Tische und Stühle der unzähligen Cafés draußen auf den Plätzen oder am Straßenrand. Ansonsten gilt: Frühjahr (April bis Juni) und Spätsommer (September) sind nicht so heiß und so schwül wie der Hochsommer, aber durchweg sehr sonnig und warm. In den französischen Ferienmonaten Juli und August ist die Stadt dafür relativ leer halb Frankreich tummelt sich dann am Mittelmeer. DÜbernachtenAuch in der Innenstadt sind Doppelzimmer bereits ab etwa 100 Mark zu haben. Zum Beispiel im Hotel du Théatre, 10, Rue de Savoie am Place des Celestins, Telefon 0033-478/ 423332. Eine kostenpflichtige Tiefgarage befindet sich gleich nebenan. Etwas abgelegener: die Résidenz Villemanzy, ein umgebautes Kloster mit Blick über die Stadt in der Montée St. Sebastian, Telefon 0033-472/001900. Wer es ländlicher mag: In den Monts du Lyonnais gibt es diverse Chambre d«hôte (private Gästezimmer), die sehr schön gelegen sind und meist unter 100 Mark pro Doppelzimmer kosten. Bei Stadtbesuchen für das Motorrad unbedingt einen bewachten Parkplatz suchen. Öffentliche Tiefgaragen verlangen für Zweiräder tagsüber etwa zwei Mark pro Stunde, nachts zwischen 19 und 8 Uhr pauschal etwa drei Mark. Weitere Infos: Office de Tourisme, Place Bellecoure, 69002 Lyon, Telefon 0033-472/776996, oder im Internet unter www.lyon-France.com. DDas MotorradIn Frankreich schon zu haben, sollen die attraktiven wie eigenwillig gestylten Motorräder aus dem Hause Voxan dieses Frühjahr ihren Weg auf Deutschlands Straßen finden. Der Café Racer ist wahrlich ein Hingucker: ein kerniges, 100 PS starkes V2-Triebwerk, wenig Verpackung und viele tolle Details wie die einfach zu verstellende Upside-down-Gabel oder das unter dem Motor platzierte Federbein samt aufwendiger Hebelumlenkung. Eine echte Fahrmaschine für etwa 23000 Mark.DSehenswertDer Besuch der Innen- und Altstadt ist ein absolutes Muss. In den Traboules, kleinen überdachten Gängen, des Vieux Lyon (Altstadt) kann man wie die Seidenweber vor hundert Jahren durchs Halbdunkel schleichen. Abends verwandelt sich die gesamte Innenstadt in ein einziges Openair-Restaurant. Der schönste Platz: Place des Terreaux, wo sich nebenandie Oper befindet.DLiteraturLyon fristet als Reiseziel ein Schattendasein, entsprechend mager ist die Ausbeute an Reiseführern. Sehr gute Infos finden sich in der Broschüre »Auf den Wegen des Weltkulturerbes«, die für zwölf Mark vom Office de Tourisme zugeschickt wird und als Stadtreiseführer völlig ausreicht. Im MOTORRAD-Reiseführer »Frankreich Band 2« aus der Edition Unterwegs gibt es zwar keine Lyon-Geschichte, dafür entführen sechs Reportagen in den Süden des Landes. Für 29,80 Mark (plus Versand) zu bestellen beim Spezialverkauf des Motor-Presse-Verlags, Telefon 0711/182-1229. Frankreichfans schwören auf Michelin-Karten, in diesem Fall auf Blatt 246 im Maßstab 1:200000 für 12,80 Mark.