Einmal per Motorrad rund um den Globus, und das in der Rekordzeit von 99 Tagen. Zwei MDR-Fernsehjournalisten haben es gewagt und gewonnen.
Einmal per Motorrad rund um den Globus, und das in der Rekordzeit von 99 Tagen. Zwei MDR-Fernsehjournalisten haben es gewagt und gewonnen.
Was für eine gewaltige Vorstellung, was für ein Traum. Einmal um die Welt. Von Dresden aus immer ostwärts. Zuerst nach Moskau, dann durch Sibirien nach Wladiwostok, der erste Kontinentalsprung hinüber nach Anchorage und über den Alaska Highway durch Kanada, schließlich hinunter nach Florida. Dann von Venezuela durch den Amazonas-Regenwald nach Rio de Janeiro und zum Finale Marokko, Spanien und Frankreich. Wir wollen versuchen, die Umrundung des Erdballs in 99 Tagen zu schaffen. Für den Mitteldeutschen Rundfunk und für die ARD sollen Steffen Müller und ich die ganze Aktion auch noch filmen und Woche für Woche per Satellit einen Beitrag nach Deutschland überspielen.Start ist am 30. August 1996 im Rahmen einer Abendsendung des MDR. Wir sind drei Stunden zu früh da. Gott sei Dank, so bleibt wenigstens jetzt Zeit, zum ersten Mal die Ausrüstung zu checken. In den letzten Tagen war das nicht möglich, ein Termin jagte den anderen, das Visum für Rußland mußte noch abgeholt, letzte notwendige Dinge organisiert werden. Eine sechsseitige Gedächtnisstütze, vor Wochen angefertigt, erwiest sich als vorteilhaft. Unsere beiden BMW R 1100 GS sind vollständig beladen. Will heißen, neben der Expeditionsausrüstung (Zelt und Schlafsäcke), diversen Ersatzteilen (vor allem Verschleißteile), einigen Kleidungsstücken (pro Person je zwei Unterhosen, T-Shirts, zwei Paar Strümpfe, je eine Jeans, Pullover und ein Hemd), einer Notration Essen müssen die beiden Motorräder auch noch die insgesamt 30 Kilogramm schwere Film- und Fotoausrüstung schleppen.Um 20.45 Uhr fällt der Startschuß. Ministerpräsident Höppner aus Sachsen-Anhalt entläßt uns in die sprichwörtlich weite Welt. Wir rollen noch in dieser Nacht runde 300 Kilometer. Hinter uns liegen zwei Jahre Vorbereitung. Polen ist in zwei Tagen durchquert, wir wählen den Grenzübergang bei Grodno. Ausgestattet mit Visa und Drehgenehmigung, sind alle Papiere komplett. Weißrußland erledigt gottlob die Zollformalitäten für Rußland mit. Die Beamten sind nett, nach knapp drei Stunden ist alles vorbei. Auf geht es nach Minsk. Auf dem Weg dorthin dürfen wir erst mal zahlen. Die Polizei besitzt reichlich Radarpistolen. Zweimal blechen auf den ersten Kilometern im großen russischen Reich, und wir sind gewarnt. Über die M 5 erreichen wir Moskau, schneiden den ersten Fernsehbeitrag im Studio der örtlichen ARD-Korrespondenten. Die Zeit drängt ein erstes Mal. Moskau ist höchst interessant, doch wir sollten schleunigst Sibirien erreichen und durchqueren. Spätestens Ende September hält dort der Winter Einzug. Also bleibt keine Zeit für Sightseeing. Über die ehemals verbotene Stadt Niznij Novgorod erreichen wir das Uralgebirge. Sibirien empfängt uns verregnet, die Wolken hängen tief. Ohne großen Spaß fahren wir tagelang geradeaus durch die riesige sibirische Tiefebene. Interessant wird es immer dann, wenn wir nach etlichen Stunden in den Wäldern in kleine Dörfer kommen. Die Menschen sind total freundlich und interessiert. Viele waren in ihrem Leben noch nie in Omsk oder gar in Moskau, können unser Vorhaben kaum begreifen. »Ihr zwei Verrückten, laßt uns darauf ein Gläschen Wodka trinken.« Die Abende sind fröhlich, ein Platz zum Schlafen findet sich immer.Sogar die GAI, die Straßenpolizisten, sind freundlich. Viele ehemalige Kontrollstellen sind längst nicht mehr besetzt. Dort, wo noch kontrolliert wird, interessiert man sich mehr für unsere Motorräder als für unsere Papiere. Hinter Omsk wechseln auf der M 51 Schotter und Teer ab, vor Tulun erleben wir dann Sibirien pur. Das Thermometer zeigt gerade noch zwei Grad an, es ist naß und die Piste verschlammt. Wir und die Motorräder sind total verdreckt. Als wir am Abend Irkutsk erreichen, wollen wir im Intourist-Hotel übernachten. Insidern zufolge soll es die brauchbarste Herberge sein. Aber außer teuer ist sie eigentlich nichts. Man will uns ob der nicht gerade sauberen Kleidung nicht reinlassen, erst nach einer ausgiebigen Bürstaktion öffnen sich die Türen. Dann müssen wir pro Nacht 100 Mark »Sicherheitsgebühren« für unsere Motorräder bezahlen. Als wir schließlich dem Portier nicht die geforderten 15 Mark Trinkgeld geben wollen, zerrt der mich zu unseren BMW und deutet mir bei weiterer Unwilligkeit meinerseits das Verschwinden der beiden Motorräder an. Wir lernen daraus, meiden auf unserem weiteren Weg die Großstädte. Auf dem Land sind die Leute offenbar zu stolz für Schmiergeld.In Tschita ist der Straßenweg gen Osten zu Ende, müssen wir auf die Transsibirische Eisenbahn umsteigen. Gar nicht so einfach. Beim Abklappern aller möglichen Schalter am Bahnhof erhalten wir nirgends ein vernünftige Auskuft. Wieso auch, es ist doch nicht ihr Problem. Waren wir bis jetzt planmäßig unterwegs, droht nun das Unternehmen »99 Tage« in Verzug zu geraten.Der Tag in Tschita endet schließlich nicht im Zug, sondern entnervt in einem Hotel. Doch hier lernen wir Lena kennen. Sie ist Dolmetscherin für eine große deutsche Firma und will uns helfen. Und tut es auch. Mit Erfolg. Sie zeigt uns den Weg: Zuerst heißt es am Ausländerschalter die Personenfahrkarten für den Rossia (Zug Nummer 2) nach Chabarowsk zu kaufen. Anschließend müssen die Motorräder zum Frachtbahnhof. Der liegt rund 200 Meter neben der eigentlichen Bahnstation in einem Hinterhof und ist daran zu erkennen, daß er nur über einen Schotterweg und an einer Schranke (Schmiergeld!) vorbei zu erreichen ist. Auf dem Bahnsteig läßt man die Motorräder wiegen und für den Transport mit dem Zug 904 anmelden. Mit einer Art Frachtrechnung geht man durch den Hintereingang zur Kasse im gleichen Gebäude. Schließlich noch mit den Frachtarbeitern reden, denn leider darf nicht mehr selber verladen werden. Die Männer sollten geschmiert werden, damit die Motorräder auch tatsächlich im richtigen Zug landen. Wer es nicht tut, muß vermutlich lange Wartezeiten am Zielort einkalkulieren. Es ist auch kein Fehler, den Arbeitern ein paar Spanngurte zu geben, denn im Zweifelsfall haben sie bestimmt keine. Wir danken Lena und sind noch in der gleichen Nacht weg.Wenige Tage später liegt Rußland, die erste ganz große Etappe, hinter uns. In Wladiwostok stehen wir am Pazifischen Ozean, senden zum vierten Mal einen Bericht nach Deutschland. Und können es kaum fassen, es tatsächlich in vier Wochen geschafft zu haben. Den Flug nach Alaska haben wir vorab mit Hilfe der Spedition Fritz Companies organisiert. Es klappt alles wie am Schnürchen. Planmäßig landen wir am 30. September um zwei Uhr morgens in Anchorage. Erleichtert machen wir ein erstes Kreuz und feiern eine kleine Party.Doch die Freude ist schnell vorbei. Ein einheimischer Freund formuliert es diplomatisch: »The window ist closed for this year!« Was frei übersetzt bedeutet, daß in Alaska bereits der Winter Einzug gehalten und das Land fest im weißen Griff hat. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Rat des Freundes anzunehmen: »Verladet die Motorräder für die ersten zwei Pässe auf ein Allrad-Pick up.« Wir sind frustiert, aber was soll«s? Es dauert keinen halben Tag, und unsere Gesichter hellen sich auf. Draußen eine gigantische Schneewüste, die Temperaturen fallen auf unter minus 25 Grad Celsius. Wir wissen die Gastfreundschaft des Pick up-Fahrers Bill zu schätzen.Kurz hinter der kanadischen Grenze müssen die Gummikühe wieder ins Geschirr. Der Alaska Highway beginnt. Die Landschaft ist atemberaubend. Zuerst das fast 6000 Meter hohe Massiv des Mount Logan, dann die ausgedehnten Wälder, von der Sonne ins schönste Licht gesetzt. In Watson Lake schließlich Schilder, nichts als Schilder. Aus aller Welt und in allen Größen angenagelt an hohe Holzpfähle. Wir sind am Sign Forest, dem Schilderwald. Als 1942 Soldaten den Highway bauten, übermannte einige von ihnen das Heimweh. Einer nahm deshalb ein Stück Holz, schrieb seinen Heimatort samt der Entfernung drauf und rammte es hier in den Boden. Inzwischen sind es über 15 000 Schilder, die die Entfernungen zu allen nur denkbaren Ecken der Welt nennen. Wir fügen eins hinzu. »Dresden xxxx Km«.Kurz vor Edmonton eine Schrecksekunde. Als wir für die wöchentliche MDR-Sendung gerade den Text aufs Band in der Alu-Kiste sprechen, kracht eine Autofahrerin in das parkende Motorrad am Straßenrand. Zum Glück erwischt sie nur den Seitenkoffer. Das Resultat reicht dennoch. Die Alukiste ist aus allen Nähten geplatzt, der Heckrahmen verzogen. Der liebe Gott erweist sich in diesem Augenblick als Motorradfan, läßt uns schnell eine Werkstatt finden. In ihr arbeitet Wally. Er ist ein Handwerker vom alten Schlag, dengelt in mühevoller Kleinarbeit den Koffer wieder aus. Nietet alle Kanten neu und versiegelt sie mit Silikon. Die Fahrt kann weitergehen, die Sendung auch.Die USA nehmen wir auf der Route Fargo- Minneapolis-Rockfort-Nashville-Atlanta-Miami sozusagen im Laufschritt unter die Räder. Das tägliche Programm heißt bei Dunkelheit aufstehen, bei Sonnenaufgang losfahren, nach Sonnenuntergang und zumeist 800 Kilometern im erstbesten Motel ins Bett fallen.In Daytona gönnen wir uns jedoch eine kleine Auszeit. Im Mekka aller Harley-Fans steigt gerade eine Fete. Biketoberfest nennt sich der Spaß - ein Oktoberfest nur für Biker. Drei Tage lang gleicht die Main Street einem gigantischen, lebenden Museum. Auf der Straße rund 50 000 amerikanische Legenden, auf den Bürgersteigen Bikertypen aus dem Bilderbuch und in fast allen Häusern Kneipen mit Livebands aller Stilrichtungen. Wie gut, daß dieses Fest nicht länger dauert. Unser Zeitplan würde wohl heftig ins Wanken kommen.In Miami wartet bereits ein Flieger auf uns, bringt uns nach Caracas, Venezuela. Neues Land, neues Spiel mit den Behörden. Aber nur halb so schlimm wie befürchtet. Die langfristige Vorbereitung macht sich bezahlt. Reist man mit allen Dokumenten an und bringt auch noch eine gewisse Portion Gelassenheit mit, sind viele Hürden in wenigen Stunden zu schaffen. Nicht nur hier in Caracas. Wohl wissend, daß die Regenzeit naht, verabschieden wir uns in Richtung Amazonas-Urwald. Auf der venezuelanischen Seite gibt es in Richtung Süden nur eine Straße. Nur ein paar kleine Orte säumen den Weg. Meist Siedlungen von Gold- und Diamantengräbern. Je näher wir Brasilien kommen, um so heißer wird es. 35 Grad, dazu fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Schwitzen von morgens bis abends, nachts von Moskitos geplagt. Ein wenig Abkühlung verheißt die Grand Sabana - ein Hochplateau in 1000 Metern Höhe verheißt ein wenig Abkühlung und Augenschmaus. Tafelberge garnieren sanfte Urwaldtäler und steppenartige Anhöhen. Das Fahren wird zum paradiesischen Erlebnis. Doch kaum sind wir auf brasilianischem Boden, geht die Straße in eine Schotterpiste über und kurz hinter Boa Vista ist es auch damit vorbei. Den Äquator erreichen wir nur mehr über eine Erdpiste mit tiefen Fahrspuren. Bei Regen hätten wir keine Chance. Insgesamt 400 Kilometer mehr Qual als Spaß. Und dann der Kontrast: Nach tagelanger Fahrt durch den menschenleeren Amazonas-Urwald reißt dich unvermittelt hinter einer Bergkuppe die Millionenstadt Manaus aus all der Abgeschiedenheit. Hupkonzert statt Vogelgezwitscher. Manaus ist das Zentrum des Amazonasbeckens. Hier wird mit allem gehandelt. Es scheint, daß nichts unmöglich ist. Nur die Weiterfahrt für uns ist ausgeschlossen. Zwar ist auf den aktuellen Karten eine Straßenverbindung von Manaus über Humanitá nach Belem eingezeichnet, die sogenannte Transamazonica, doch die ist seit Anfang der 90er Jahre auf weiten Strecken nicht mehr passierbar, wie wir erfahren. Der Urwald hat sich zurückgeholt, was ihm in den Jahrzehnten davor abgejagt worden ist. Als Transportweg dient der Amazonas. Wir beugen uns den Verhältnissen und genießen die gemächliche Fahrt auf einem kleinen Amazonasdampfer, nutzen die Zwangs-Fahrpause zum Ausschlafen.Ein Konglomerat von Eindrücken wartet auf der Strecke von Belem nach Rio de Janeiro auf uns. Graue Brandrodungsflächen folgen auf tiefgrüne Wälder, perfekte Teerstraßen wechseln sich mit miesen Schlaglochpisten ab, die kaum 30 km/h erlauben, feudale Herrschaftshäuser kontrastieren mit den heruntergekommenen Hütten der Landarbeiter.Schließlich Rio. Es ist der 75. Tag unserer Reise, und wir haben zum ersten Mal das Gefühl, daß wir wirklich in 99 Tagen die Weltumrundung schaffen könnten. Auch hier ist bereits alles für den Flug über den Atlantik vorbereitet. Nach sechs Stunden Behördenkrieg haben wir alle notwendigen Stempel, können die Motorräder am Frachtflughafen abgeben. So bleibt sogar noch genügend Zeit, um Zuckerhut, Christusstatue und Copacabana zu bestaunen.Der Flug nach Lissabon - Auftakt zum großen Finale. Eigentlich wollten wir direkt nach Marokko fliegen, aber das ist zur Zeit nicht möglich. Macht nichts, nach zwei Fahrtagen sind wir bereits in Rabatt, genießen die Medina mit all ihren orientalischen Farben und Düften. Über Marakesch geht es hinauf in den Hohen Atlas. Und da ist sie, die Sahara. Jetzt, Ende November sind die Temperaturen mit 25 Grad sehr angenehm. Doch leider ist die geplante Route durch Algerien derzeit aufgrund der Unruhen im Land zu riskant. So bleibt uns nichts anderes übrig, als über Atlas- und Riffgebirge endgültig nach Europa zurückzukehren. In der Sierra Nevada wollen wir mit dem 3398 Meter hohen Pico Valetta noch das Tüpfelchen der Reise setzen, doch 800 Meter unter dem Gipfel bremst uns Petrus aus. Wintereinzug nun auch hier. So genießen wir in Malaga die letzten warmen Sonnenstrahlen.Und obwohl die letzten Kilometer durch Frankreich und Deutschland naßkalt und gelegentlich sogar verschneit sind, freuen wir uns unbändig auf zu Hause. Am 99. Tag der Reise, dem 6. Dezember, um 17.00 Uhr ist es dann geschafft. Auf dem Dresdner Weihnachtsmarkt werden wir von vielen Freunden mit einem Motorradkorso empfangen. Der MDR überträgt live. Es ist überwältigend. Doch so richtig begreifen können Steffen und ich nicht, was um uns herum passiert. In unseren Herzen und Gedanken sind wir noch draußen bei unserem Traum, auch wenn der jetzt Realität geworden ist.