MOTORRAD-Redakteur beim Endurolehrgang
Im Dreck geerdet

Richtig Gelände fahren - das soll man im Offroad-Camp im französischen Villars-sous-Écot lernen können. Angeleitet von motorsportlichen Hochkarätern und dem MOTORRAD action team, sollen Anfänger und Experten sich dort selbst erproben. Unter ihnen: ein bisheriger Autodidakt, der sich endlich mal prüfen lassen wollte.

Im Dreck geerdet
Foto: Jahn

Gelände fahre ich seit jeher. Gelernt habe ich es nie. Jedenfalls nie richtig. Schlug mich als bekennender Universaldilettant bisher durch. Logisch, es ging ja immer auch irgendwie, aber dieses Rumgemurkse sollte endlich ein Ende finden. Nun also: Endurolehrgang. Startknopf drücken, ersten Gang einlegen, kurzer Gasstoß (klingt chefmäßig), abfahren, zweiter Gang, die Rampe kommt - und meine Körperspannung geht. Wie ein nasser Sandsack gurke ich über die Stufenkante, ach ja, Gasgeben hilft. Doch zu spät: Erbärmlich quäle ich mich den Rest der Auffahrt hoch. Noch mal probieren. Jetzt aber ... so ... nun ... sch ... schade - wieder nur schlappes Rumgeeier.

Kompletten Artikel kaufen
MOTORRAD-Redakteur beim Endurolehrgang
Im Dreck geerdet
Sie erhalten den kompletten Artikel (4 Seiten) als PDF
2,00 € | Jetzt kaufen

Didi Lacher, sechsfacher deutscher Motocross-Meister, kommt auf mich zu. Und bei Lehrer Lacher gibt es nichts zu lachen: „Hey du, nicht so lätschig! “ Mein Stolz ist verletzt, aber leider sagt er die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Der Mann hat als Offroad-Trainer Motorsport-Autoritäten wie Michael Schumacher oder Jutta Kleinschmidt im Fach „perfektes Geländefahren“ unterrichtet. An ihm kann es nicht liegen, und die Theorie habe ich ja auch verstanden, doch auch weitere Versuche, die vermaledeite Steilrampe in Lehrbuchstil zu meistern, scheitern. Bin ich ein hoffnungsloser Fall? Ein fehlgeleiteter Autodidakt? Versaut durch jahrelange Stümperei? Selbstzweifel ziehen in mir auf wie dunkle Gewitterwolken. Besonders bitter: Meister Lacher führt gerade vor, wie es geht. Wie mit Kleber ans Moped geheftet, scheint der Mann wie aus einem einzigen Muskel gemacht.

Es folgt ein Crescendo von ohrenbetäubenden Viertaktlauten

Jahn
Abgehoben: Der Redakteur verliert langsam den Bodenkontakt. Lehrer und Enduroprofi Markus Kehr nimmt´s wohlwollend zur Kenntnis.

Der Profi gibt Stoff und hämmert einfach den Hang hoch, springt meterweit über die Stufe, um danach erst richtig Fahrt aufzunehmen. Beeindruckend. Didi reicht mich weiter zu Steffi Laier: Grundlagentraining, meine Fahrhaltung verbessern. Na gut. Steffi, „The Rock Bitch“ (Eigenbetitelung), ist eine der schnellsten Offroad-Frauen der Welt (vierfache MX-Weltmeisterin).

Die 27-jährige Deutsche scheint weder das Lächeln noch großes Redenschwingen erfunden zu haben. Nüchtern gibt sie den Männern in der Gruppe knappe Anweisungen zur Kurvenfahrt. Die tuscheln wie die Schulburschen, harhar, das bisschen Kurve kriegen wir wohl gerade noch hin, oder? Steffi sagt, sie fahre die Übung einmal vor. Es folgt ein Crescendo von ohrenbetäubenden Viertaktlauten, man sieht die „Rock Bitch“ über den Sprunghügel fliegen, die Maschine quer, das Vorderrad cool eingeschlagen, saubere Landung, im Anschluss noch ein 15-Meter-Satz, und dann fräst und zirkelt sie wie auf Schienen um die Ecke. Wir sehen uns bedröppelt an: Boah, was war das denn? Ähem, so soll das also bei uns auch aussehen?

Im Moment fühle ich mich wie Evel Knievel und Superman zusammen

Jahn
Der Star und der Stümper: Mehrfach-XM-Weltmeister Joel Smets (rechts im Bild) treibt MOTORRAD-Redakteur Thorsten Dentges bei der Baumstumpf-Probe an.

Tut es aber nicht, obwohl wir uns immerhin in der Fortgeschrittenengruppe befinden: Gerolle, Gestakse, Gerumpel. Ein paar Radiusfahrten später bessert sich das Bild. Der Bremspunkt sitzt, die Sitzhaltung passt, der Rhythmus stimmt.

Ich resümiere: schnell viel dazugelernt. Zeit, sich nun in den dunklen Endurowald zu wagen. Es geht steil aufwärts über Baumstümpfe, nasse Steinbrocken und Wurzeln, steilabwärts durchs Unterholz über glitschiges Laub. Bis uns Joel Smets, die belgische Motocross-Legende, auf einer furchterregenden Steilabfahrt mitten in der Rutschpartie anhalten lässt. Mutig wirft er seinen Körper als bewegliches Stoppschild vor die Vorderräder. Was er prüfen will? Totale Fahrzeugkontrolle.

Und seine Begeisterungsfähigkeit steckt an, die Teilnehmer beginnen, eigene Grenzen zu verschieben. Im Moment fühle ich mich so kraftstrotzend und vorwärtsstrebend wie Evel Knievel und Superman zusammen. Yeah, ich steige, ich klettere unaufhaltsam - ich fliege fast ... Und dann flieg ich hin. Denn plötzlich schmeißt sich dieses widerliche Wurzelwerk in den Weg, bringt mich aus dem Takt, ich gerate zu weit in Rücklage, ziehe in Panik zu hektisch am Gas und schwupps - weg. Die Maschine fliegt auch, nämlich ohne mich durch den Wald, Äste krachen, und die KTM klinkt sich zwischen zwei Bäumen ein. F***!!! Was nun? Ich hocke im Hang wie ein begossener Pudel und mache mich an die Bergung.

Jahn
Profis zum Anfassen; Könner wie der deutsche Endurochampion Marcus Kehr (ohne Helm) haben immer ein paar wertvolle Tipps parat.

Bei mir ist zum Glück noch alles dran, bei der Maschine das Heck aber etwas verbogen. Grrr, ich Volltrottel! Kleinlaut sortiere ich mich wieder bei den Anfängern ein.

Zurück ins Glied. Sprungtraining steht auf dem Stundenplan und Endurochampion Markus Kehr turnt vor: Es sieht dermaßen entspannt aus, wie der Profi mit ein paar Metern Anlauf und einem beherzten Gasstoß einen Zehn-Meter-Table mal eben wegschnupft, Mannomann! Kann das nicht jeder? Doch, aber Vorsicht! Bloß nicht selbst überschätzen. Denn Hochmut kommt vor dem Fall, und Fallen tut in diesem Fall ganz sicher weh - so meine letzten Gedanken, als ich auf den Sprungtisch zufahre.

Es fühlt sich super an, wie als Kind im Karussell

Erster Gang, auffi und hopp, juhu - immerhin: beide Räder in der Luft. Ein nettes, kleines Hüpferchen. Kehr macht mir Mut: „Nimm einen höheren Gang und etwas mehr Speed!“ Okay, wenn der das sagt, muss erster Gang - das - zweiter Gang - sti-mmm-eeen!!! Hurra, ich bin hoch in der Luft, ich fliege, ich gleite, es fühlt sich super an, wie als Kind im Karussell, wie das erste Mal auf einem Motorrad. Und es dauert eine gefühlte Ewigkeit. Die Landung sauber, geschafft!

Ich steige ab und renne zum Lehrer: „Wie weit, wie weit?“ Der Champ: „Nicht schlecht, so etwa fünfeinhalb Meter.“ Na ja, das schaffen andere auch ohne Motorrad. Aber was soll’s? Meinem Selbstvertrauen hat diese Übung enorm gutgetan. Den Rest des Tages verbringe ich im Wald. Die Maschine wird mein bester Freund. Steine, Stämme und Wurzeln lächeln mich nett an. Jeder noch so enge Pfad öffnet sich mit einem „Herzlich willkommen“. Nächstes Jahr komme ich wieder. Mal schauen, was die Expertengruppe so drauf hat...

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023