Motorradfahren im Bayerischen Wald
Taugt gerade im Winter

Motorrad fahren in der düsteren Jahreszeit? Und ob! Josef Seitz beweist, dass der Bayerische Wald gerade im Winter besondere Reize bietet.

Taugt gerade im Winter
Foto: Foto: Seitz

Die Athener wären sicher neidisch. Aber die werden nichts wissen von dem mächtigen Tempel, der wie ein Fremdkörper hoch über der Donau zwischen den Wäldern thront. Dabei sieht er aus wie die Akropolis. Nur besser beieinander. Kronprinz Ludwig von Bayern und sein Meisterarchitekt Klenze hatten sich das Anfang des 19. Jahrhunderts ausgedacht. Ein Ehrentempel für die „rühmlich ausgezeichneten Teutschen“ sollte es werden, erweitert um das Attribut „wer teutscher Zunge sey“. Und diese „Teutschzüngigen“ stehen als weiße Büsten im Innern jener Walhalla verewigt. Ein interessantes Gemisch aus Kriegsherren, Malern, Komponisten und Denkern, von Barbarossa bis Rubens und von Beethoven bis Kant. Sogar eine Dame ist inzwischen darunter – Sophie Scholl. So interessant wie die Büsten-Schar ist der Blick von der Walhalla übers Land. Direkt unter dem steil abfallenden Hügel leuchtet die Donau im milden Novemberlicht. Auf der anderen Uferseite wird Niederbayern platt wie Preußen. Doch hinter mir, da ist es schön bucklig. Genau das richtige Terrain zum Motorradfahren.

Ungünstig nur, dass sich der Bayerische Wald gerade unter einer dicken Nebelschicht versteckt. Bei zwanzig Meter Sicht tauchen Bauernhöfe, kleine Weiler und Wälder ebenso geisterhaft aus der weißen Suppe auf, wie sie wieder verschwinden. Willmansberg, Sulzbach, Siegenstein, der Nebel wird immer dichter, die Orientierung immer schwieriger. Schloss Falkenstein – endlich ein Fixpunkt! Dessen Park bietet Bayerwaldlandschaft im Kleinformat und kann gefahrlos zu Fuß erkundet werden. Wie Watte fühlt sich der dicke Blätterteppich unter den Füßen an. Über grobe Felsstufen keuche ich Richtung Burg nach oben, bis mächtige, graugrüne Felswände den Weg versperren.

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Bayerischer Wald
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Foto: Seitz
Urbaner Abstecher nach Österreich: Schärding am Inn.

Lediglich durch einen Spalt in einem gewaltigen, zerborstenen Findling geht es weiter. Bauch einziehen und durch. Oben thront die Burg, uneinnehmbar. Nicht mal die im 17. Jahrhundert marodierend durchs Land ziehenden Schweden konnten ihr etwas anhaben. Was Kriegshorden nicht vermochten, hätte jedoch fast die Zeit geschafft. Erst nachdem die Fürsten von Thurn und Taxis die heruntergekommene Anlage einfach den Falkensteinern geschenkt hatten, wurde sie vor 30 Jahren renoviert. Hinter dem Schloss verbirgt sich eine biologische Seltenheit: Leuchtmoos. Unter einem niedrigen Felsüberhang wachsen Reste davon, die das Licht fluoreszierend reflektieren.

Richtung Südosten lichtet sich der Nebel etwas. Schwungvolle Hügel zeichnen sich ab, und die Straße trocknet gerade rechtzeitig, um die Kurven von Schwarzbach hinauf nach Bernried so richtig zu genießen, bevor im Klosterhof von Metten der Motor knisternd wieder abkühlt. Metten besitzt eine der schönsten Klosterbibliotheken überhaupt. In den barocken Räumen wird der Buchbestand beinahe zur Nebensache, kaum ein Quadratzentimeter blieb von Verzierung oder Gestaltung verschont. Noch vor kurzem beherbergte Metten das kleinste gedruckte Gebetbuch der Welt. Bis ein paar Japaner zu Besuch waren, wie ein Benediktinermönch frustriert erzählt, die anschließend zu Hause prompt ein noch kleineres fertigten.

Ich fahre weiter nach Norden, um den Butzen herum und auf engen Kurvensträßchen Richtung Eging. Plötzlich scheint es auf ein paar Quadratkilometern tatsächlich mal „Teutschen Geistes“ zu mangeln. Eine Westernstadt, Pullman-City! Komplett mit Saloon, Fort und Indianertippies. Ich komme mir vor wie im Fasching. Der Wilde Westen in voller Größe. Sogar mit echter Bisonherde. Eher irritiert als fasziniert schwinge ich mich in den Sattel der Honda, um schleunigst weiter gen Süden zu galoppieren und für einen kleinen Abstecher die Donau zu überqueren – nach Schärding, einer wunderschön erhaltenen österreichischen Grenzstadt am Inn. Schwungvoll reihen sich die Barockgiebel der alten Häuser aneinander und zeichnen ein gleichmäßiges Wellenmuster in den verhangenen Himmel. Prompt schüttet es so lange, bis ich wieder bayrischen Boden erreiche. Und das urheimatliche Tittling ansteuere. Wo sich all das findet, was im Bayerischen Wald noch nicht allzu lange Vergangenheit ist. Sorgsam demontierte alte Bauernhöfe und Handwerksstätten wurden im Museumsdorf wieder aufgebaut. Ein Blick in die Bauernstuben lässt erahnen, dass das Leben hier kein Zuckerschlecken war. Die Bedingungen auf den bergigen Äckern waren schwer und arbeitserleichternde Geräte wie Dampf- oder Dreschmaschine unbezahlbar.

Bayerischer Wald (Infos)

Der am Dreiländereck zu Österreich und Tschechien liegende Bayerische Wald ist mit seinem teilweise hundert Jahre alten Nationalpark eines der ursprünglichsten Gebiete Deutschlands. Gerade recht für winterliche Vergnügungen.

Anreise
Aus Nordwesten per A 3 bis Regensburg, aus Südwesten über die A 8 bis München und dann auf der A 92 weiter nach Deggendorf. Von Nordosten A 9 und A 93 wählen.

Übernachtung
Vor allem in der Nähe des Nationalparks gibt es viele Privatzimmer. Inklusive Frühstück liegen die Preise um 25 Euro pro Person. Wer Wandern und Motorradfahren kombinieren will, sucht sich am besten in der Gegend um Zwiesel eine Ferienwohnung, die meist nur geringfügig mehr als ein Zimmer kostet. Gute Hausmannskost und vor allem ausgezeichnete Wildspezialitäten werden dies- und jenseits der Grenze sehr günstig angeboten.

Sehenswert
In der Gegend von Zwiesel, Spiegelau und Bodenmais haben sich die für den Bayerischen Wald typischen Glashütten angesiedelt. Zu den größten gehören die Eischhütte und Joska Crystal. Dort wird für Besucher mehrmals täglich der Weg vom Rohstoff zum fertigen Glas vorgeführt. In den Dörfern der Umgebung gibt es auch kleinere Betriebe, in denen sich die Glasbläser bei der Arbeit gerne über die Schulter schauen lassen. Das Glasmuseum Frauenau dokumentiert die Jahrtausende alte Geschichte des Glases. Interessante Werke zur Glaskunst bietet außerdem die Gläserne Scheune bei Viechtach/Schönau. Dort können in den »Ägayrischen Gewölben« neben den Glasbildern des Betreibers eine sehenswerte Mischung aus Funden der griechischen, römischen und ägyptischen Antike betrachtet werden. Eine kurzweilige Führung bietet das weltbekannte Graphitwerk in Kropfmühl (nahe Wegscheid) sowie die Silberstollen bei Bodenmais, die über die Anfänge des Bergbaus informieren. Informationen zum Nationalpark Bayerischer Wald erhält man im Hans-Eisenmann-Haus bei Neuschönau. Zu den spannendsten Ecken im Urwaldgebiet des Nationalparks gehört das Höllbachgspreng beim Großen Falkenstein sowie der Urwald Mittelsteighütte direkt hinter dem Zwieslerwaldhaus. Auch für Wandermuffel ideal, da Letzterer direkt neben dem Parkplatz beginnt. Sehenswert ist zudem die Bibliothek im Kloster Metten und in Tschechien die mittelalterliche Stadt Ceský Krumlov.

Literatur
Das Angebot an Reiseführern über den Bayerischen Wald ist recht umfangreich. Im kompakten Tankrucksackformat gibt es von Marco Polo und Merian live jeweils »Bayerischer Wald« für je knapp acht Euro. Gute Informationen vermittelt der gleichnamige Bildband der Reihe sehen & erleben von Raimund Kutter und Gabriele Greindl für 12,80 Euro. Das tschechische Gebiet des Nationalparks wird in den Reiseführern meist nur gestreift. Einen ersten Überblick vermittelt der Polyglott »Tschechische Republik« für 7,80 Euro. Beste Orientierung bietet Mairs für den deutschen Teil mit der Generalkarte Blatt 17, »Regensburg, Weiden, Passau« sowie für Tschechien mit dem Blatt »West- und Mittelböhmen«.

Bayerischer Wald (2)

Foto: Seitz
Eine Akropolis für alle "rühmlich ausgezeichneten Teutschen".

Richtung Finsterau hebt sich die Straße allmählich aus den engen Hügeln und führt über weitläufige Hänge. In die farbigen Herbstwälder mischen sich zunehmend dunkle, fast schwarze Fichtenhänge, und schneidende Kälte lässt die zunehmende Düsternis regelrecht fühlbar werden. Ein Stück fahre ich die tschechische Grenze entlang und schließlich über Heidmühle zum Dreisessel hinauf. Dort oben – nahe des Dreiländerecks Österreich-Tschechien-Deutschland – steht ein Felsklotz mit drei Sitzmulden. Auf denen der Sage nach einst die Herrscher der drei Länder gesessen und den Grenzverlauf ausgehandelt hätten. Vermutlich bei besseren Sichtverhältnissen, denn in dem dichten Nebel finde ich die Sessel nur mit Mühe, geschweige denn später in der zunehmenden Dämmerung die Honda.

Kaum liegt die Dreisesselstraße hinter mir, ist der Nebel wie weggeblasen. Entlang der österreichischen Grenze schlängelt sich die Route über Kropfmühl mit seinen berühmten Graphitvorkommen nach Hauzenberg, der Heimat des Bärwurz. Einer Pflanze beziehungsweise deren Wurzel, von der aufmerksame Bauern einst beobachteten, dass Kühe sie bei Unwohlsein aus dem Boden scharrten und fraßen. Was für eine Kuh gut ist, kann für einen Menschen nicht schlecht sein, dachten die findigen Nordostbayern und destillierten flugs einen Schnaps aus dem Wurzelwerk. Selbstverständlich geht es dabei nicht um den Alkohol, im Gegenteil, jeder Bayerwäldler wird Stein und Bein schwören, dass der Bärwurz eine Medizin sei. Und das, weil’s wahr ist. Eine rezeptfreie obendrein! Das einzig Apothekarische an dem Wundermittel ist der Preis. Doch weil man an der Gesundheit nicht sparen soll, lasse ich mir ein kleines Fläschchen einpacken.

Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählt meine Pensionswirtin, dass heute am Arber der erste Schnee gefallen sei. Als ich wenig später hinauf Richtung Neuschönau fahre, glaube ich das gern. Winterliche Kälte hat Einzug gehalten. Vermutlich gerade recht für die scheuen Gesellen, die am Südrand des Nationalparks Bayerischer Wald ihren alten Lebensraum zurückerhalten haben. In weiten Gehegen streifen neben Luchsen unter anderem ein Wolfsrudel und eine Braunbärenfamilie durch den Wald. Der Nationalpark insgesamt bildet ein völlig sich selbst überlassenes Naturreservat ohne menschliche Eingriffe. Was abstirbt, bleibt und dient als Lebensgrundlage für die nächste Pflanzengeneration. So hat sich in einigen Gebieten bereits ein wilder Bergurwald gebildet aus kreuz und quer liegenden Baumstämmen.

Zeitaufwand: drei bis vier Tage, gefahrene Strecke: zirka 850 Kilometer.

Im Zwieslerwaldhaus befindet sich eines der ältesten Kerngebiete des Parks, das bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts unter Schutz gestellt wurde. Es ist wie ein Fenster in die Vergangenheit bayerischer Wald-Urzeiten. Moose glänzen wassertrunken auf den Resten zerfallender Baumstämme. Altes Holz wird inzwischen von Pilzen, Farnen und jungen Bäumchen erobert. Einzig ein winziges Tier verursachte mit Schreckensszenarien auf den Gipfeln von Rachel und Lusen, wo kahle Fichtenstämme wie Skelette emporragen, ernste Konflikte: der Borkenkäfer. Durch die feuchtwarmen Sommer der neunziger Jahre ungehemmt vermehrt, schädigte er selbst den gesunden Bergwald. Die Nationalparkverwaltung stand vor dem Dilemma, riesige Waldgebiete zu verlieren oder in die Selbstregulierung der Natur einzugreifen und die befallenen Bäume frühzeitig zu fällen. Und damit den restlichen Wald eventuell zu retten. Schweren Herzens besann man sich auf den eigentlichen Sinn des Parks und ließ den Käfer gewähren.

Zum Aufwärmen geht’s hinunter nach Riedlhütte zu den Glasbläsern. Die Bleikristallhütte Nachtmann ist eine der vielen Glashütten im nordöstlichen Teil der Region, in der aus Quarzsand, Pottasche und allerlei geheimen Zutaten das Rohmaterial für Glas gewonnen wird. In wohliger Ofenwärme formen schwitzende Männer mit der Glasmacherpfeife für das Publikum Vasen und Trinkgläser.

Es gibt richtig was zu sehen in dieser Ecke des Bayerischen Waldes. Nur ein Katzensprung ist es bis Bodenmais und zum benachbarten Silberberg. Zwar fand sich in dem Bergwerksstollen nie wirklich viel Silber, aber hier wurde schon gebuddelt, bevor Kolumbus Amerika entdeckte. Bereits Anfang des 14. Jahrhunderts war man auf der Suche nach edlem Metall und Gestein. Bei der Führung durch den Stollen erfahre ich Genaueres. Schwefel- und Magnetkies bauten die Bergleute ab. Daraus entstanden mit Vitriol und Polierrot wichtige Mittel für die Glasverarbeitung. Die Arbeit im Stollen muss grauenhaft gewesen sein. Zur Sprengung wurde das Gestein zunächst durch Holzfeuer im Stollen erhitzt und anschließend mit kaltem Wasser „abgeschreckt“. Entsprechend umgaben die Arbeiter ständig beißender Staub, Rauch und Dampf.

Draußen hat sich der Herbst endlich entschlossen, etwas Sonne zu zeigen. Die Straßen sind abgetrocknet, und die Reifen krallen sich in jeder Kurve in den Teer, wie es sich gehört. Vorbei an abgelegenen Bauernhöfen führt die Strecke nach Arnbruck. Auf meinem Weg begleiten mich immer wieder so genannte Totenbretter. Zunächst als Totenbahre verwendet, wurden sie später mit einem kurzen Spruch über das Leben des Verstorbenen verziert und neben einem Kreuz oder einer Kapelle am Straßenrand drapiert. Dieser Spruch wurde offenbar nicht immer ganz ernst genommen und verleitet mitunter eher zum Schmunzeln als zum Beileid.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023