Motorradreise auf La Gomera
Wohlfühlklima, Mietmopeds und spannende Straßen

Wovon träumt der wintermüde Motorradfahrer im Januar? Wohlfühlklima, tolle Landschaft, spannende Straßen, gute Mietmopeds. Das klingt absolut entspannt, aber wo gibt'’s denn so was? Auf La Gomera.

Wohlfühlklima, Mietmopeds und spannende Straßen
Foto: Deleker
Deleker
Das Leben ist mehr als eine Kurve: Allein auf La Gomera sind es Tausende.

Brigitte Soyka, unsere Motorrad-Vermieterin auf La Palma, hat eine schlechte und eine gute Nachricht: „Die reservierte Honda XR 400 ist leider unpässlich, dafür bekommt ihr eine nagelneue 300er-Enduro, eine Lanvertti.“ Lanvertti, Lambrusco, Lametta, Lan- was? Wir hoffen auf eine spanische Marke, befürchten aber eine chinesische. Nicht mal Nico, beinahe allwissender MOTORRAD-Katalog-Macher, hat jemals von diesem Bike gehört. Es ist tatsächlich ein China-Kracher, knallorange, lange Federwege, ultrahandlich und mit einem gepimpten Suzuki DR 250-Einzylinder versehen. Der Aufkleber am Tank zeigt einen Feuer speienden Drachen. Und wer darf den nun bändigen? Die Reise nach Jerusalem verliert bekanntlich der Langsamste, ehe ich mich versehe, sind die drei Transalps besetzt. Feiglinge!

Wir schnallen die Ortlieb-Säcke auf und flitzen über den Berg nach Santa Cruz, wo schon die Fähre nach La Gomera wartet. Der kleine Drache gibt alles, plärrt mit 5000 Umdrehungen bei Tempo 70 berghoch und hat doch nicht den Hauch einer Chance, mit den zweizylindrigen Hondas in Sichtkontakt zu bleiben. Na wartet, auf den winzigen Bergstraßen von Gomera wird der Drache Feuer spucken, wird er beweisen, dass Leichtigkeit über Leistung siegt.

Die riesige Schnellfähre rast mit 65 Sachen übers Meer, spült uns im Morgengrauen in Gomeras Hauptstadt San Sebastian an Land. Wir pöttern zur Plaza und schlürfen dort die ersten Cafés cortados. Die Sonne poppt aus dem Meer, schickt ihre Strahlen direkt an die Bar. Kann ein Tag besser anfangen?

Eigentlich ist der Blick auf die Landkarte überflüssig, es gibt nur zwei Möglichkeiten, San Sebastian zu verlassen. Aber dieses Kartenbild lässt den Adrenalinpegel steigen: Kurven über Kurven. Gomera ist fast kreisrund, 24 Kilometer im Durchmesser, doch 1500 Meter hoch und von tiefen Schluchten zerfurcht. Beste Voraussetzungen für unsere Fünf-Tage-Tour. Zu viel? Es wird keine Sekunde Langeweile geben.

Gentlemen, start your engines. Unter blitzblauem Himmel rollen wir aus der Stadt, 500 Meter geradeaus und schon beginnt der Tanz. In perfekten Radien schraubt sich das Asphaltband in die kahlen Berge. Aber nach kaum fünf Minuten klappen wir die Seitenständer schon wieder aus. Was für eine Aussicht! Weit unten leuchten die bunten kubischen Häuser von San Sebastian, dahinter der Atlantik, und am Horizont wächst der gigantische Vulkan Pico del Teide auf der Nachbarinsel Teneriffa in den Himmel. 3718 Meter hoch und mit Schnee verziert. Selbst die Einwohner von Teneriffa, die Tinerfeños, fahren nach Gomera, wenn sie Spaniens höchsten Berg in seiner ganzen Pracht sehen wollen. Große Berge brauchen Abstand, von Nahem betrachtet wirken sie oft belanglos.

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Deleker
Von wegen Badestrand: Gomeras Küsten sind meist rau, die Brandung ist nur was für hartgesottene Schwimmer.

Schon auf den ersten Kilometern erscheint uns La Gomera wie ein kleines Paradies. Terrassierte, leuchtend grüne Felder, garniert mit malerischen Palmenhainen, hier und da weiße oder bunte, würfelförmige Steinhäuser, faltige grüne Berghänge, die sich steil in die tief eingeschnittenen Barrancos, trockene Flusstäler, stürzen. Die Eindrücke wechseln im Halbminutentakt, Fotomotive ohne Ende.

Passatwolken branden von Nordosten gegen die Berge. Sie sind der Grund für die völlig unterschiedlichen Küsten: im Norden rau, zerklüftet, grün und oft bewölkt, im Süden dagegen - im Windschatten der Insel - trocken, karg, beinahe halbwüstig mit Kakteen und Palmen. Den Wolken verdankt auch der berühmte Lorbeerwald seine Existenz. Der von der UNESCO zum Welterbe geadelte Urwald besetzt das Dach der Insel, seine uralten Bäume melken die Wolken. Dichte Nebelschwaden wabern durch den Märchenwald, üppige, triefnasse Farne und Moose wuchern auf beindicken Ästen, irgendwo gurgelt leise ein Bach. Motoren aus und staunen. Es ist kalt.

Macht aber nichts, wenn die Wärme so schnell erreichbar ist. Eine kleine und feine Straße hangelt sich runter an die Südküste nach Santiago. Bergab und Kurven, das ist die Chance für die Lanvertti, die dicken Transalps endlich mal abzuledern. Bis die sich zwischen zwei engen Kurven sortiert haben, hat der Drache schon die nächste im Visier. Na also, geht doch. Mit heißen Bremsen werfe ich vor der Heladeria an der Strandpromenade Anker. Im Schatten sitzen, Eis schlürfen und übers Meer blinzeln, so schön können Wintertage sein.

Es ist schon Mittag, und wir sind erst 50 Kilometer gefahren. Na und? Dafür reichen die vielen Eindrücke schon jetzt für zwei Tage. Unglaublich, wie vielfältig diese Insel ist. Wir klettern wieder hinauf zum bewaldeten Garajonay, mit 1487 Meter höchster Inselgipfel, und folgen einer feuchten Winzstraße durch den Wald nordwärts. Das lange Tal zieht sich hinunter bis zum Meer nach Hermigua. Stolz verkündet das Ortsschild: „Hermigua, wir haben das beste Klima der Welt.“ Da müssen wir doch bleiben. Am Ortsrand finden wir die stilvolle Pension „El Casino“, zwei Apartments für je 25 Euro sind noch frei, die Sicht aufs Meer und den Pico del Teide könnte kaum besser sein. Perfekt. Das Rauschen der Brandung und das Konzert der Frösche gibt es gratis dazu.

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Motoren aus und die Stille des Urwalds hören - La Gomera bietet eine traumhafte Kulisse.

Früh am nächsten Morgen hängen tiefe Wolken in den steilen Bergen. Die wilde Küste erinnert bei dieser Stimmung eher an Neuseeland oder Patagonien, nicht aber an die sonnenverwöhnten Kanaren. Die Nordküste ist so steil und unzugänglich, dass die Straßenbauer hier mächtige Klimmzüge machen mussten, um überhaupt einen Weg über die vielen Berggrate und durch die Barrancos zu finden. Sie haben einen gefunden, und was für einen! Die Carretera del Norte zählt garantiert zu den spannendsten Motorradstraßen Europas.

In unzähligen Kurven, ausgelegt mit feinem, EU-gesponsertem Teer, klettern wir von Hermigua über einen 600 Meter hohen Pass ins Tal von Vallehermoso, das seinem Namen „schönes Tal“ alle Ehre macht. Bunte Häuser, Palmen, steile Felszacken, üppige Gärten und Terrassenfelder. Die übliche Vielfalt Gomeras eben, und doch immer wieder faszinierend, weil bilderbuchschön. Wie viele kleine Paradiese gibt es hier eigentlich? Sehen wir nach und schwingen wieder bergwärts zu der kahlen Hochfläche von Arure jenseits der 1000-Meter-Marke. Hier wachsen nur noch niedrige Büsche. Pflanzen, die hart im Nehmen sind, denen der ständige Passatwind nichts ausmacht.

Wieder so eine hammerharte Aussicht: Weit unten leuchtet das Meer am Ende des Valle Gran Rey, am Horizont tauchen die Nachbarinseln La Palma und El Hierro aus dem Atlantik auf, weiße Passatwolken segeln unter uns an La Gomera vorbei. Fernsehen vom Allerfeinsten. Und schon geht es wieder abwärts ins Valle Gran Rey. War das nicht das legendäre Aussteiger-Paradies der 70er- und 80er-Jahre? Mit durchgeknallten Vollmondpartys, unerschöpflichen Haschisch-Reservoires und freier Liebe? Das war einmal. Heute haben sich viele der Ex-Hippies etabliert, betreiben deutsche Bäckereien mit Schwarzwälder Kirschtorte, Metzgereien mit Bio-Fleisch, geben die deutschsprachige Zeitung „Der Valle-Bote“ heraus oder verkaufen esoterisch angehauchten Tinnef auf dem Touristen-Flohmarkt. Die verruchte Hippie-Atmosphäre ist Schnee von gestern. Geblieben sind ein nettes Dorf am schwarzen Strand und die bunten Holzboote im kleinen Hafen unterhalb einer mächtigen roten Steilwand.

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Auf dem Weg ins grüne Tal von Alojera: Hier seilt sich eine wunderschöne kleine Straße ab.

Und wie schlägt sich der kleine Drache? Prima, schnurrt angestrengt vor sich hin und freut sich über möglichst schlechte Wege wie die rumpelige Piste von Alojera nach Argamul. Doof nur, dass er seinen mit Leichtigkeit herausgefahrenen Vorsprung leichtfertig einbüßt. Plötzlich mag er nicht mehr bremsen. Schreck lass nach. Der hintere Bremssattel baumelt an seinem Schlauch, beide Schrauben sind weg. So ist er halt, der Chinese. Sieht nicht ein, wozu er solche Schrauben vernünftig sichern soll. Zum Glück passen die Inbusschrauben der hinteren Fußrasten in den Bremssattel, sind zwar etwas zu lang, aber besser Schleifgeräusche als Bremsversagen. Ab sofort bekommt der China-Kracher jeden Morgen eine kleine Inspektion, ich überprüfe alle wichtigen Schrauben. So viel Fürsorge gefällt dem Drachen offenbar, er bringt mich zuverlässig zurück nach La Palma.

Aber noch bleiben uns drei Tage auf La Gomera, in denen wir fast jede Straße mindestens einmal fahren und uns über diese vielen kleinen Paradiese immer aufs Neue freuen. Es war der beste Entschluss seit Langem, dieses Eiland mal als Winterflucht auszuprobieren, denn jetzt wissen wir aus eigener Erfahrung: Gomera ist die vielfältigste der Kanarischen Inseln - bergig, zerklüftet, rau, sanft, neblig, sonnig. Kakteen im trockenen Süden, triefender Regenwald nur ein paar Kilometer weiter entfernt, spektakuläre Steilküsten, Ortschaften wie aus dem Bilderbuch, Straßen mit maximalem Suchtfaktor, geniale Aussichten und kaum Touristen. Mit einem Wort: perfekt!

Infos über La Gomera

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Kartenansicht von La Gomera.

Keine Lust auf Schnee, Regen, Kälte und Dunkelheit? Dann bietet sich die kleine Winterflucht auf die Kanaren an. La Gomera, die zweitkleinste Kanarische Insel, hat alles, was der Biker in der Saisonpause vermisst.

Reisedauer: 5 Tage
Gefahrene Strecke: 600 Kilometer

La Gomera
Hauptstadt: San Sebastian
Fläche: 370 km2
Einwohner: 23000
Höchster Berg: Garajonay (1487 m)
Währung: Euro

Anreise:
Von den größeren deutschen Flughäfen düsen diverse Charterflieger fast täglich direkt nach La Palma oder Teneriffa Süd. Tickets gibt es ab zirka 300 Euro. Die Flugzeit beträgt etwa vier Stunden.

Reisezeit:
La Gomera zählt zu den regenreichsten Inseln der Kanaren. Die hohen Berge bilden für die von Nordosten anrückenden Passatwolken eine unüberwindliche Barriere. Kurze und kräftige Schauer sind deshalb vor allem an der Nord- und Ostküste im Winter möglich. Entlang der Küste wird es im Winter etwa 20 bis 22 Grad warm, im Sommer bis zu 30 Grad. Die fast kreisrunde Insel hat - bedingt durch die Berge und die Passatwolken - erstaunlich viele Klimazonen.

Übernachten:
In den meisten Orten finden sich einfache Zimmer ab etwa 20 Euro. Daneben gibt es zahlreiche Apartments, die über Reisebüros wochenweise gebucht werden können. Aber auch die spontane Zimmersuche ist außerhalb der sommerlichen Hochsaison unproblematisch. Ein Reiseführer hilft beim Finden der Unterkünfte.

Motorräder:
Auf La Gomera selbst gibt es keine Motorräder zu mieten. Aber auf den Nachbarinseln, die per Fähre mit La Gomera verbunden sind. Gute Erfahrungen machten wir bei Auto Soyka in Los Llanos auf La Palma. Hier gibt es Honda XL 125 und Transalp 700. Fünf Tage kosten 255 bzw. 340 Euro. Zudem gibt es die im Text beschriebene Lanvertti Motard 300 für nur 25 Euro pro Tag. Infos bei Brigitte Soyka unter www.autosoyka.de oder Telefon 00 34/6 09 35 54 29 (Mobiltelefon) und 00 34/9 22 46 33 90.
Alternativ kann man auch auf Teneriffa Motorräder mieten. Die Auswahl ist dort größer. Vermieter sind www.teneriffa-on-bike.de (z. B. BMW F 650: 5 Tage 425 Euro, BMW R 1200 GS: 5 Tage 620 Euro), www.moto-sol.de (z. B. BMW F 650 oder Suzuki V-Strom, fünf Tage ab 400 Euro) und www.canarymoto.de (z. B. Kawasaki Versys für 5 Tage 395 Euro oder BMW F 800 GS für 495 Euro).

Aktivitäten:
La Gomera gilt als Eldorado für Trekkingfreunde. -Eine Vielzahl spannender Wege durchzieht die Insel, vor allem im Nationalpark Garajonay mit seinem einzigartigen Lorbeerwald. Im Sommer 2011 vernichtete ein Feuer viele Oasen im oberen Valle Gran Rey sowie einen Teil des Garajonay-Nationalparks.

Literatur:
Gutes Material kommt vom Reise Know-How Verlag. Der La Gomera-Führer für 14,90 Euro liefert detaillierte Infos und beschreibt sogar die Wanderungen. Die Karte „La Palma, Gomera, El Hierro“ aus dem gleichen Verlag im großen Maßstab 1:50 000 bietet eine übersichtliche Darstellung.

Internet:
Hilfreiche Seiten sind www.lagomera.de, www.gomera.de, www.lagomera.travel/de/ sowie www.turis-modecanarias.com. Unbedingt ansehen: die Internetseite www.valle-bote.com der Zeitung „Der Valle-Bote“.

Alternativen:
Wer sogar zehn bis 14 Tage Zeit hat, kann die La Gomera-Tour prima mit einer auf die Nachbarinseln La Palma oder Teneriffa kombinieren. Die Motorradvermieter vermitteln übrigens auch Unterkünfte auf diesen Inseln.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023