Die weißen Riesen des Tien-Schan-Gebirges heißen uns im funkelnden Morgenlicht willkommen. Minuten später rumpelt der Jet über die Landebahn, dann befinden Claus und ich uns auch schon im Herzen Almatys, der größten Stadt Kasachstans. Reich wohnt neben Arm, Designer-Geschäfte reihen sich an Wellblechhütten, piekfeine Restaurants an schmutzige Garküchen. Und auf den verstopften Straßen rollen viele teure Autos aus zumeist deutscher Produktion. Lärm und Hektik rund um die Uhr.
Zwei Tage dauert der Stress im Zoll, bis die Beamten endlich unsere GS freigeben. Heilfroh enteilen wir dem Chaos, fliehen in die Weite der kasachischen Steppe in Richtung Taraz, gelangen problemlos an die Grenze zu Usbekistan, wo man uns überraschend zügig passieren lässt. Doch gleich im ersten Dorf folgt eine strenge Kontrolle der „Milizia“. Sie interessiert sich für jeden, der ihnen ungewöhnlich erscheint, und ausländische Motor- radreisende gehören nicht gerade zum Alltagsbild. Leider bleibt dieser nervige und zeitaufreibende Stopp kein Einzelfall. Die usbekische Hauptstadt Taschkent kommt in Sicht – internationale Firmen haben in der Metropole moderne Hochhäuser aus Stahl und Glas errichtet. Als wir in einer Bank im Zentrum 100 Euro umtauschen, händigt man uns eine Schuhschachtel voller Geldscheine aus. In dem Moment wird mir klar, warum sogar die Männer Handtaschen tragen: Es sind Geldbörsen.
Zwei Fahrtage später erreichen wir Samarkand mit seinem riesigen, türkis in der Sonne glänzenden Kuppeln. Obwohl hundemüde, zieht es uns durch diese ehemals legendäre Oase, einst ein zentraler Punkt an diesem Strang der Seidenstraße. Gleich drei überaus prunkvolle Medressen, wie die Koranschulen heißen, markieren das Zentrum der Altstadt. Und wieder begegnet einem auf Schritt und Tritt die wichtigtuerische Milizia. Während Claus recht gelassen reagiert, verderben sie mir schnell die Laune. Erst am Abend wandelt sich das Bild. Der Hauptplatz ist mystisch beleuchtet, ein Sprecher trägt Gedichte vor – und von der Milizia keine Spur mehr. Wir bummeln durch die engen Gassen, tauchen irgendwann in die „Stadt der Toten“ ein, ein langer, mit farbigen Kacheln verkleideter Korridor, in dem sich kunstvolle Mausoleen aneinanderreihen. Irgendwie fühlen wir uns in die Zeiten Timus zurückversetzt – der Enkel des grausamen Dschingis Khan hatte Samarkand 1370 zu seiner Hauptstadt auserkoren.

Ab Karsi führt der Weg durch die gleichnamige Steppe. Heißer Nordwind aus der Kisilkum-Wüste brennt im Gesicht, bis die Oase Buchara inmitten von Dornengestrüpp und Salztümpeln auftaucht. Prompt verfahren wir uns in einem Netz enger Gassen, werden von vielen Kindern umringt, die uns alle ein Zimmer anbieten wollen. Anstatt eine Nacht in einer einfachen Lehmhütte zu verbringen, zieht es uns in ein Hotel. Wir haben eine Dusche und etwas Ruhe dringend nötig. Das Abendessen findet unter knorrigen, uralten Ulmen am Rande eines Wasserbassins statt, mit Blick auf die dunklen Umrisse der überaus prächtigen Kukeldash- und Nadir-Divanbegi-Medressen, die sich geheimnisvoll gegen den Sternenhimmel abheben. Bei einem Spaziergang entdecken wir den kleinen Laden eines Schmieds, voll mit Kostbarkeiten. Claus entscheidet sich sofort für ein Messer mit Dracheninkrustationen sowie für ein kleines Klappmesser, ich für einen wunderschönen Säbel, der gerade noch in einen Alukoffer passt.
Um vier Uhr morgens brechen wir bereits nach Chiwa auf, der kleinsten der prächtigen Städte entlang der Seidenstraße. Strecke machen steht an, um der enormen Hitze während des Tages zu entgehen. Doch schon kurz nach Sonnenaufgang wird es schon wieder glutheiß, und nur der breite Amu-Daria, der irgendwann parallel zur Straße verläuft, spendet ein wenig Kühle – wobei selbst rechts und links des Flusses die Wüste keinen Meter weicht. Später trennt uns eine schmale Eisenbahnlinie von der turkmenischen Grenze; für dieses Land haben wir jedoch keine Einreisegenehmigung erhalten.
Zentralasien (2)

Gegen Mittag ist Chiwa erreicht. Rund 30000 Menschen leben in der Oase, die einen ein weiteres Mal in die Vergangenheit versetzt. Viele der rund 50 Bauwerke aus der Hochzeit des Seidenstraßen-Handels sind erstklassig erhalten, vor allem der Palast Tasch-Hauli ist ein Meisterwerk orientalischer Architektur. Seine Wände sind mit farbenprächtigen Ornamenten verziert, und beim Gang durch die bunten Säulenhallen sind wir endgültig von der Stimmung Chiwas bezaubert. Der weite Abstecher hat sich gelohnt. Nur die Suche nach Benzin holt uns in die Realität zurück. Es dauert recht lange, bis wir den versteckten Hof finden, wo aus Kanistern geschmuggelter Treibstoff aus Turkmenistan verkauft wird.
Auf der Rückfahrt nach Buchara entdeckt Claus während einer Pause, dass aus dem Hinterachsantrieb Öl herausläuft. Am Ziel angelangt, ist vom Hinterradlager nicht mehr viel übrig. Und natürlich haben wir kein passendes Ersatzteil dabei. Auf einem Automarkt im Süden der Stadt werden wir schließlich fündig – bei einem Händler, der sich auf uralte Jawa und Ural spezialisiert hat.
Bei Sonnenaufgang machen wir uns wieder auf den Weg durch eine karge und öde Berglandschaft in Richtung Süden. Nach wie vor zerren Hitze und die leidigen Kontrollen sehr an unseren Nerven. Wir schaffen es bis nach Termiz, das direkt an der Grenze zu Afghanistan liegt. In dem Ort befindet sich ein Luftwaffenstützpunkt der Bundeswehr, die von dort aus die Truppen in Kabul versorgt. Ein Besuch bei den Piloten ist da fast schon Ehrensache, und sie revanchieren sich mit abenteuerlichen Geschichten über ihre Hindukusch-Überflüge in ihren betagten Transall-Transportmaschinen.

Von Termiz ist es noch eine Tagesreise zur Grenze nach Tadschikistan. Zum Glück können wir neben den Visa ein Empfehlungsschreiben sowie eine Einladung vom Minister für Verkehr und Tourismus persönlich präsentieren – der gute Mann betreibt quasi nebenbei eine Reiseagentur in der Hauptstadt Dushanbe, bei der wir vor der Reise telefonisch um Unterstützung gebeten haben. Dennoch nehmen Papierkram und Gepäckkontrolle einige Stunden in Anspruch. In der nahen Hauptstadt lernen wir schließlich unseren Helfer persönlich kennen. Gafarov Khassim erweist sich als völlig motorsportbesessen und fragt uns, ob wir nicht – ganz im Stil der Dakar – eine Rallye im Pamir-Gebirge organisieren wollten, dem wohl entlegensten und unberührtesten Winkel ganz Zentralasiens. Es fällt schwer, dem guten Mann klar zu machen, dass wir die falschen Personen für so einen Job sind.
Weiter in Richtung Penjikent. Das heißt den 3372 Meter hohen Anzob-Pass überqueren, der durch eine wild gezackte Berglandschaft führt und uns gleich mehrere Reifenpannen einbrockt. Erst spät in der Nacht erreichen wir unser Ziel, müssen uns allerdings noch einmal gedulden, weil drei betrunkene Polizisten, die am Stadtrand unsere Pässe kontrollieren, völlig unfähig sind, die riesigen, eingeklebten Visa zu finden. Wir wollen nur noch schlafen.
Von Penjikent führt eine winzige Stichstraße weiter hoch ins Gebirge zu den so genannten „Seven Lakes“, sieben fantastisch gelegene Bergseen. Am letzten findet sich direkt neben einem Wasserfall ein traumhafter Platz für das Zelt. Die Ruhe hier oben tut gut. Endlich für eine kurze Zeit keine Polizisten und keine Kontrollen. Erst später erfahren wir, dass die Gegend während des Bürgerkriegs, der bis 1998 andauerte, aus der Luft mit Streuminen übersät wurde.
Bei perfektem Wetter geht’s zurück, bis ein Abzweig kurz vor dem Anzob-Pass zum Iskanderkul-See lockt. Die hochalpine Landschaft raubt einem schlicht den Atem. Ein Schotterweg führt um den türkisfarbenen See an der Datscha des Präsidenten vorbei, schlängelt sich in Ufernähe durch den Wald und endet in einer Bucht, die lieblich zwischen den Felsen liegt und neben einem Gletscherbach sogar über einen Strand verfügt.
Zentralasien (Infos)
Ein Trip durch Zentralasien ist ein Abenteuer der Extraklasse: Die historischen Städte und einzigartige Landschaften faszinieren ungemein dafür muss man allerdings eine beschwerliche Reise in Kauf nehmen.
Anreise
Das Motorrad gelangte mit Hilfe der Ulmer Spedition »TLO GmbH« (Herr Leukert, Telefon 0731/159960) nach Almaty in Kasachstan. Der Hin- und Rücktransport durch das auf die zentralasiatischen, russischen und kaukasischen Staaten spezialisierte Unternehmen erfolgte per Lastwagen; pro Strecke werden drei Wochen für den Transfer veranschlagt. Preis je Transport: ab etwa 900 Euro. Almaty wird von fünf Fluggesellschaften angeflogen, und Tickets sind ab etwa 750 Euro zu haben (British Airways).
Dokumente
Die Einreisebestimmungen sind komplex, und die Visa-Beschaffung gestaltet sich als langwierig und ist zudem sehr teuer. Ohne eine Visum-Beschaffungsagentur wie zum Beispiel die Berliner »Visum Centrale« (Telefon 030/230959110; www.visum-centrale.de) geht kaum etwas. In Tadschikistan ist praktisch für jeden Ort und jede Route eine Sondererlaubnis von Regierungsseite sowie eine Einladung erforderlich. Deutlich vereinfacht wird das Ganze, wenn man – wie in diesem Fall – zufällig an eine örtliche Reiseagentur (»Sayoh«) gelangt, deren Direktor zugleich ein hohes Regierungsamt bekleidet. Insgesamt haben sämtliche Gebühren für Visa und »Einladungen« pro Person etwa 750 Euro verschlungen – mehr als die reinen Reisekosten. Für das Motorrad reicht ein internationaler Fahrzeugschein. Ein internationaler Führerschein und reichlich Fotokopien sämtlicher Dokumente sind zu empfehlen.
Reisezeit
Für das gebirgige Zentralasien kommt nur der Zeitraum von Mai bis Ende September in Frage. Zwar herrschen im Sommer im Westen Usbekistans Temperaturen von bis zu 45 Grad, in den höheren Regionen und besonders im Pamir-Gebirge bewegen sich die Maximaltemperaturen dagegen tagsüber nur zwischen zehn bis 20 Grad. Nachts ist es jedoch selten wärmer als minus zehn Grad. Mit Regen muss man sehr selten rechnen.
Übernachten
Die Hauptstädte bieten Hotels in allen Preisklassen, die alle ausnahmslos überteuert, heruntergekommen und schmutzig sind. Vereinzelt findet man in den kleineren Orten privat geführte Hotels und Pensionen in akzeptablem Zustand. In den abgelegenen Regionen und im Pamir-Gebirge sind ein gutes Zelt und warme Schlafsäcke unerlässlich.
Sicherheit
Die größte Gefahr geht besonders in den Städten von dem chaotischen Verkehr aus – kaum jemand hat einen Führerschein. Problematisch ist auch der starke Alkoholkonsum, sogar unter Muslimen. Uniformierte sind oft derart betrunken, dass sie mit ihren Waffen, ihrer Selbstüberschätzung und Geldgier eine erhebliche Gefahr für Fremde darstellen. Kontrollstationen, Grenzen und Posten sollte man ab dem Nachmittag möglichst meiden. Das Pamir-Plateau ist auf den befahrenen Nebenrouten öfters so einsam, dass man nicht mit Hilfe rechnen kann. Teile der beschriebenen Strecke sind zudem vermint, so dass es lebensgefährlich ist, die Spuren zu verlassen! Die Infrastruktur ist generell gut (Ausnahme: der Pamir), und Tankstellen verschiedenster Kategorie finden sich nahezu überall entlang den Hauptrouten. Ohne großen Tank sollte dennoch niemand unterwegs sein.
Literatur
Reiseführer über Zentralasien sind Mangelware. Von Lonely Planet kommt das englischsprachige »Central Asia«, das 2004 aktualisiert wurde und als Standard-werk gilt. Der Trescher-Verlag hat sich ganz auf Osteuropa, Russland, Sibirien und Zentralasien spezialisiert und eine Reihe hervorragender Reiseführer herausgebracht. In diesem Fall »Usbekistan« (17,95 Euro), »Kirgisistan” (14,95 Euro) und »Kasachstan« (18,95 Euro). Weitere Infos unter www.trescherverlag.de (mit sehr guten Länderinformationen). Eine sehr gute Übersichtskarte kommt von Nelles Maps: »Central Asia« im Maßstab von 1:1750000. Preis 9,90 Euro. Detaillierter sind die TPC-Karten (amerikanische Fliegerkarten) im Maßstab von 1:500000, die beispielsweise beim Münchner Därr-Expeditionsservice pro Blatt 18,80 Euro kosten (Telefon 089/282032; www.daerr.de).