Erst ist es kaum hörbar. Dieses leise Brummen. Aber dann schwillt es immer stärker an. Und jetzt schießen sie jede Sekunde an mir vorbei. BrooOOOaaauuuu! Im Luftsog der vorbeieilenden Bikes pendelt das blau-gelbe Grenzschildchen. Der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre wird sich nicht viel anders anhören. Dabei ist es nur der Wiedereintritt in die deutsche Atmosphäre. Aber was heißt da nur?
Fliegender Start an der französisch-deutschen Grenze, dem Kilometer null, zur längsten und schnittigsten Strecke durchs Land. Eine Tour de Deutschland über noch ungeahnte Kilometer. Die ersten Besten werden uns in einem großen Bogen zwischen Luxemburg und Westpfalz, zwischen Hunsrück und Lothringen unter die Räder kommen. Kamera einpacken, aufsitzen, Gang rein, los geht’s!
Schnell verlässt die Landstraße die Grenze. Zwischen Weinhängen, Waldinseln und Windparks wird unser Moto-Trio wiedervereinigt. In den folgenden langen Kurven nehmen wir zum ersten Mal richtig Fahrt auf. Voraus sacken schwere Wolken ins Saartal, tunken die Niederung in ein milchiges Licht. Wir tauchen ein ins schärfste Tal des kleinen Bundeslands, Richtung Saarschleife. Die gelochten Bremsscheiben sirren vor jeder Krümmung der Bergabstrecke, bis uns der Fluss dunkelgrün entgegenglänzt. Als sich die Wolkenbande am Himmel endlich verzogen hat, weitet die 220-Grad-Biegung der Saar Herz und Verstand. Wozu noch zum Colorado fahren, wenn’s das Gleiche hier in Grün gibt?
Vorbei an Mettlach macht die alteingesessene Porzellanindustrie auf sich aufmerksam. Bellevue, schöne Aussicht, tauften die Keramikbrenner ihre neue Luxus-Toilette. Apropos Brenner und schöne Aussicht: Die Freunde offener Drosselklappen kommen ab jetzt auf ihre Kosten. Und Bellevue gibt’s in den Ausläufern des Hunsrücks gleich obendrauf. Zumindest dann, wenn die Landstraße nach Losheim aus dem Wald ans Tageslicht lugt.
Kurzer Kaffeestopp am Losheimer See. Motorräder, wohin man schaut. Mit am auffälligsten ist eine schwarz-orangene Supermoto-GS. Mit einem der Umstehenden kommen wir schnell ins Gespräch: Chris Frei, XT-Pilot mit Saarland- und Trans-Afrika-Erfahrung. Der gebürtige Berliner hat nach einem Zwischenstopp im Ruhrgebiet sein Leben ins Saarland verlegt. Und bereut den Umzug nicht. „Hier ist alles ein bisschen kleiner, übersichtlicher.“ Oder, wie manch Einheimischer sagt: „E bissje besser, aber dafür ach e bissje mehr.“ Chris Tipp beherzigen wir: „Immer hart an der Grenze zu Rheinland-Pfalz entlang!“

No stop signs, speed limit … der AC/DC-Klassiker rempelt mir durch den Kopf. Gut, die üblichen speed limits gibt’s schon, aber keine Ampeln, kein Gegenverkehr und oft noch nicht einmal einen Mittelstreifen. Dem Motorradhimmel auf Deutschlands Erden kommt das Saarland schon nah. Und in den Dörfern scheint das ganze Wochenende über high noon zu sein. Wer vor die Tür geht, befreit die Abwasserrinne vom Moos des Frühjahrs oder fegt den Bürgersteig. Nirgends sonst in der Republik gibt es mehr -Eigenheimbesitzer. Und die müssen eben -fegen. Und das tun wir auch: nach Süden.
Die Straße ist nicht viel breiter als eine Familienpizza, aber der Belag, mamma mia! Der ist wirklich gut gewürzt und windet sich unter dem Schäfchenwolkenhimmel Richtung Horizont. Dazu immer noch kein Verkehr, der den Fahrfluss bremst. Vielleicht kommt hier der Saarland-Effekt zum Tragen: In vielen Statistiken ist das kleine Land ganz vorne. Man hat die meisten Vereine pro Kopf, die effektivsten Bier- und Champagnerkonsumenten und offenbar die am wenigsten befahrenen Strecken. Und dann auch noch das: Das Saarland hatte als Einziges der jetzigen Bundesländer eine eigene Fußballnationalmannschaft. In der WM-Quali von 1954 spielten die Saarkicker gegen Deutschland. Und verloren äußerst unglücklich.

Einlauf in St. Wendel. Mit nachlassendem Fahrtwind beginnen uns die Motoren zu toasten. Wie ein Magnet ziehen uns die Platanen am Schlossplatz an. Kellner surfen mit ihren Tabletts um die Tische.
Vor meinem geistigen Auge baut sich ein Eisbecher mit 15 Kugeln auf, der bei der Bestellung auf einen knackigen Salatteller zusammenschmilzt. „Was für ein Tag!“ Andy und Jochen sind so begeistert wie ich. Und der Tag ist noch nicht zu Ende.
Ohne Eis, aber mit jetzt wieder kühlem Kopf peilen wir das Ostertal an. In einem weiten Bogen, der am Ende aussieht wie ein Fragezeichen, verlassen wir die Wendelin-Stadt. Die Oster ist nicht mehr als ein winziges Bächlein, das vermutlich wenige kennen würden, folgte ihr nicht eine historische Bahnstrecke und für ein überschaubares Stück die B 420. Die Bundesstraße verlässt den Bach schnell wieder, dennoch kann man ihm weiter folgen. Zur Verdauungslethargie passend wiegen wir südlich von Fürth weiter durchs relaxende Ostertal.
In Wiebelskirchen mündet der Bach in die Blies. So weit kommen wir nicht mehr. Nicht, weil wir vor den Toren von Erich Honeckers Geburtsort stehen, sondern weil wir Neunkirchen, die zweitgrößte Stadt des Saarlands, umschiffen. In der Ferne lugen die Überbleibsel der Montanindustrie über den städtischen Horizont. Heimatgefühle für Ruhrgebietsmenschen, doch -danach wird’s wieder richtig chic.

Neunkirchen rechts, Zweibrücken links. In Bierbach, nomen est omen, hätten wir eigentlich auf ein Glas Gerstenbräu stoppen müssen. Aber noch steht die Sonne über den sanften Hügeln des Bliesgaus, und wir nutzen ihr Licht für ein verlockendes Finale. Schon kurz hinter dem smarten Blieskastel tauchen die ersten Wegweiser zum Mandelbachtal auf. Aber wir wollen nicht ins Tal, sondern auf die Höhen. Blinker links, ab nach Rubenbach.
Geschmeidig gleiten wir auf den Buckel zwischen Mandelbachtal und Bliestal. Was für eine endlose Landschaft! Ja, hier atmet man Weite. Tiefenentspannt rollen wir talwärts nach Gersheim und drehen kurz vor der französischen Grenze nach Osten ab. Neualtheim, Altheim, einmal noch schrappen die Reifenflanken über den Asphalt.
Au revoir Saarland, es war schön! Kurz hinter der „Grenze“ nach Rheinland-Pfalz halten wir im ersten Ort. Sein Name passt als Auftakt für die nächste Etappe: Hornbach. Es gibt immer was zu fahren!
Reiseinfos

Warum in die Ferne schweifen? Der Trip durch das Saarland ist fahrerisch ein Erlebnis. Doch auch neben den verkehrsarmen Strecken gibt es viel zu entdecken.
Anreise:
Wer es nicht nur mit der Runde durchs Saarland, sondern mit dem ganzen Deutschland-Marathon genau nimmt, der startet in Perl am Dreiländereck Luxemburg-Frankreich-Deutschland. Perl ist von Köln 230 und von Stuttgart 270 Kilometer entfernt. Die nächstgelegene Autobahn ist die A 8, bevor sie in Frankreich zur A 13 wird.
Die Strecke:
Nur 200 Kilometer? Richtig! Länger ist die Route durchs Saarland nicht. Schließlich ist es, wenn man von den Stadtstaaten absieht, das kleinste aller Bundesländer. Aber dafür kann man sich auf wirklich feine Meter, Kurven am laufenden Band und jede Menge überraschende Momente freuen. Und das auf wenig befahrenen Straßen. Diese durchqueren Teile des Hunsrücks, des Saar-Nahe-Berglands und Ausläufer des Pfälzer Walds. Zu den Top-Spots entlang der Strecke gehören die Saarschleife bei Mettlach, der Nachbau der römischen Villa Borg bei Perl und die barocke Altstadt von Blieskastel.
Übernachten:
Gleich am Schlossplatz in der Innenstadt von St. Wendel bietet sich das Le Journal nicht nur als Café oder Taperia, sondern auch als Herberge an. Bestens geeignet, wenn man die Stadt noch zu Fuß erkunden will. Ab 43 Euro (EZ) bzw. 64 Euro (DZ) wird die Nachtruhe eingeläutet. Die Motorräder stehen in der Tiefgarage. Unweit der französischen Grenze, zum Ende der Route hin ist das Hotel Bliesbrück die Anlaufstelle der Wahl. Die Einzelzimmer starten bei 49 Euro, zu zweit bettet man sich ab 73 Euro. Das Frühstück ist inbegriffen. Weitere Infos: www.bliesbruck.de
Aktivitäten:
Ein wirklich ungewöhnlicher Tierpark ist der Wolfspark von Werner Freund in Merzig. Rund 20 Wölfe sind derzeit bei ihm heimisch, und Freund lebt als Wolf unter den Wölfen. Der Eintritt in den Park ist kostenlos. Mehr bei www.wolfspark-wernerfreund.de. Freunde musealer Eisenbahnen kommen bei der www.museumsbahn-losheim.de oder der www.ostertalbahn.de auf ihre Dampflok-kosten. Jüngste europäische Geschichte präsentiert Schengen, die Gemeinde, in welcher der gleichnamige Vertrag geschlossen wurde. Schengen in Luxemburg ist mit Perl, dem Startpunkt der Route, über die Moselbrücke verbunden. Infos unter www.schengen-tourist.lu
Karten/Adressen:
Marco-Polo-Karte Rheinland-Pfalz, Saarland, 1:200 000, 8,99 Euro, www.touristinfo-saar.de, www.saarland.de, www.tourismus.saarland.de