Münsterland

Münsterland Sommer, Sonne, Müßiggang

Münsterland, letzte Juliwoche und 37 Grad im Schatten. Tage, an denen es für alles zu heiß ist und eigentlich nur drei Dinge funktionieren: Faulenzen, Eisessen und Cruisen.

Sommer, Sonne, Müßiggang jkuenstle.de

Als der V2 sich mit einem letzten Beben ausschüttelt, wird es schlagartig unerträglich. Vom Motorblock der Harley Davidson steigt ein Lüftchen empor, das die Höchststufe eines Haartrockners zur Klimaanlage degradiert und den Schädel unterm Helm wie im Schnellkochtopf zum Siedepunkt treibt. Vom T-Shirt unter meiner Lederjacke wollen wir gar nicht erst reden.Sunny, lazy afternoon im Münsterland. Ein Tag der drei großen »S«: Sommer, Sonne, Schweiß. Eher geschaffen fürs Schwimmbad als zum Biken. Im Fahrtwind läßt es sich aushalten. Aber wehe, du hältst an. In Affentempo muß der ganze Schutzkram vom Leib. Geschafft. Ich liege im Schatten ein riesigen Pappel, deren Blätter im Wind rascheln, blinzele in den blauen Himmel und lasse den Tag Revue passieren. Schön war«s - trotz der Hitze. Zwischen Osnabrück und Kohlenpott sind Klaus und ich über kleine, geschwungene Landstraßen von Dorf zu Dorf gerauscht und haben uns den Streß von Büro und Alltag aus dem Kopf blasen lassen. Eine Gegend, von der viele behaupten, sie sei einfach bloß platt und langweilig. Die Dichterin Annette von Droste Hülshoff brachte es diplomatisch auf den Punkt, als sie über ihre münsterländische Heimat folgende Zeilen schrieb: »... in einer Gegend, die so anmutig ist, wie der gänzliche Mangel an Gebirgen, Felsen und belebten Strömen dies nur immer gestattet.« Das Fräulein mit dem Lockenkopf ist eigentlich jedem bekannt - auch wenn der Name vielleicht nicht allen auf Anhieb etwas sagt. Denn die berühmte Dichterin ziert in sanftem Grün eine Seite unseres Zwanzigmarkscheins. In der Burg Hülshoff im Westen von Münster stößt man sofort auf das vertraute Gesicht. Diesmal nur dreidimensional. Im kleinen Park des Schlosses steht zwischen sauber gezirkelten Rasenflächen die Büste des Freifräuleins. Die Löckchen tragen zwar inzwischen etwas Kupferspan und die Schultern respektlose weiße Flecken von Vogeldreck, aber sonst hat sich die Dame genauso gut gehalten wie ihre Wasserburg jenseits des Parks. In ausgetretenen Filzpantoffeln schlurfen wir zur Schonung des polierten Holzboden durch ihren einstigen Wohnsitz, in dem sie Anfang des vorigen Jahrhunderts ihr kurzes Leben verbrachte, starren über die mächtigen Fenstersimse in die Burggräben und versuchen uns in das schwerblütige Leben und Dichten der jungen Frau zu versetzen, deren Seelenleben zeitweise ziemlich aus den Fugen geraten war. Vielleicht war das Münsterländer Nichts irgendwann doch zu wenig. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie jedenfalls am Bodensee.Als wir die angenehm kühlen Mauern verlassen, packt uns die Hitze wieder wie weiche Watte ein. Scheppernd und schüttelnd nehmen Buell und Harley ihre Arbeit auf, holen uns endgültig zurück ins sommerliche Leben. Vorsicht scharfe Kurven warnt kurz vor der kleinen Ortschaft Nottuln ein riesiges Schild. Was dann folgt, ist zwar nicht gerade von der Schärfe einer Chili-Bohne aber immerhin ein paar gefällige Rechts-Links-Kombinationen durch das verträumte Stevertal Richtung Longinusturm.Der nach einem Heimatforscher benannte Aussichts- und Fernsehturm liegt in den Baumbergen und ist einer der ganz wenigen Stellen im Münsterland, die ihre Besucher über das Höhenniveau einer Tischkante führt. Völlig klar, daß dies unter den einheimischen Motorradfahrern das einschlägige Terrain ist, um ihrem Serpentinen-Defizit allabendlich Abhilfe zu verschaffen. Als wir auf den kleinen Parkplatz vor dem Turm einbiegen, ruhen rund zwei Dutzend Augenpaare auf unseren Motorrädern. Kaum sind die Seitenständer ausgeklappt, sammeln sich die Interessenten um die stahlblaue Buell des Fotografen. Während er mit technischen Auskünften beschäftigt ist, komme ich mit einem Trike-Fahrer ins Gespräch. »Vorn am »Route 67« kann dein Kollege das alles noch mal erzählen«, meint er mit einem breiten Grinsen. »Route 672 ist einer der bekanntesten Motorradtreffs des Münsterlandes. Wie der Name ahnen läßt, liegt er an der Bundesstraße 67, in der Höhe der Autobahn A 31 bei Gescher-Coesfeld. Das weißgetünchte Haus mit der großen Veranda soll Assoziationen an Amerika und die »Route 66« wecken erinnern und tut es tatsächlich ein wenig. Wie auf einem Laufsteg flaniert ein bunte Mischung von Zweirad-Moden und -Modellen davor entlang: die Sportlichen in knappem Neon-Karbon-Look, die Romantiker in üppigen Nostalgie-Kostümen, die Rebellen im Chromrausch und schließlich die gemütlichen Tourer inmitten von Koffern und Windabweisern. Gelegentlich reißt ein Wheelie auf der B 67 die Blicke auf sich, dann versinkt die Szene wieder in ihr warmes Sommertag-Pläuschchen.Allein auf dem Hinterrad balancierend wird man die schönen Seiten dieser unspektakulären Landschaft allerdings niemals kennenlernen. Hier ist eher der Müßiggang im Getriebe angesagt, um die reizvollen Seiten der Stille zu erfahren. Dann formt sich das Puzzle der Momentaufnahmen, die für Sekunden am Helmvisier vorbeifliegen, gestaltet das eigentliche Bild des Münsterlands: wiegende Weizenfelder, tanzende Mücken über kleinen Bachläufen, der Duft von Kamilleblüten und Heu auf den Pferdekoppeln, Kirchturmgeläut, fernes Hundegebell, schattige Alleen, gelbe Butterblumen, eine Bäuerinnen mit Kopftuch und Schürze, Schäfchenwolken über den langen Pappelreihen, das Grunzen von Schweinen aus offenen Stalltoren, der Gestank nach Mist, das Knirschen von Schotter, Raben auf einen Holzzaun, roter Klatschmohn, eine Hofkatze, die irgendwo in der Sonne döst. Momente eines herrlichen Sommertages im Münsterland. Der aus nichts anderem besteht außer Muse und Fahren. In Steinfurt ist es bereits wieder Zeit, sich ein schattiges Plätzchen zu suchen. Im Café »Schloßmühle« in Burgsteinfurt finden wir eine Oase unter einem breiten Sonnenschirm. Uns gegenüber liegt die besagte Burg, deren dicke Mauern und breiter Wassergürtel einem schon beim Anblick Kühlung verschaffen. Ein paar Enten dösen unter einer Trauerweide. Nur am Nachbartisch ist eine lebendige Diskussion im Gange, bei der offenbar gerade ein Münsterländer seinem italienischen Begleiter begreiflich zu machen versucht, was »Panhas« ist - gebratene Blutwurst, eine hiesige Spezialität, deren Erklärung den ganzen Nachmittag zu füllen scheint. Ungewöhnlich, da die Bewohner des Münsterlands allgemein nicht gerade als übertrieben mitteilsam gelten. Der Designer Luigi Colani, der mal einige Jahre auf einem Wasserschloß im Münsterland lebte, schätzte »die etwas überreservierte Art« seiner Nachbarn. »Da wird einem wenigstens nicht sofort in den Hintern gekniffen«. Wenige Kilometer später treffen wir dann wirklich auf ein zutreffendes münsterländer Klischee: die Radfahrer. »Pättkes« heißen die schmalen Feld-, Wald- und Wiesenwege, die im Rahmen des kommunalen Aufschwungs in den fünfziger Jahren nahezu alle eine fahrradfreundliche Asphaltdecke erhielten. Netterweise ist der größte Teil dieser verträumten Pättkeswege für den normalen Verkehr freigegeben und bieten sich somit für kleine Abstecher mit dem Motorrad geradezu an. Endlose Wege ins Nichts, die kilometerlang Torfdamm, Moorstraße oder Heideweg heißen. Stunden sind wir auf diesen einsamen, kleinen Asphaltpfaden unterwegs, gelegentlich kommt mal ein Trecker vorbei, ab und an kreuzt eine größere Verbindungsstraßen unsere Route, dann verschwindet der Weg wieder im Wald oder zwischen Weideflächen. Schließlich treffen wir sogar auch eine Gruppe der eigentlichen Adressaten dieser Wege, die Pättkesfahrer. Mit ihren Rädern haben sie es sich im Schatten unter einer weit ausladenden alten Kastanie bequem gemacht. Ein paar Ehepaare aus Warendorf, die schon den ganzen Tag unterwegs sind und mit denen wir nun gemeinsam Kühlungspause machen. »Wußten Sie übrigens«, erzählt uns einer der dieser Pättkesfahrer beim Plausch, »daß der Münsterländer Baumeister Otto Sarazin den Begriff Fahrrad erfunden hat?« Wußten wir natürlich nicht, weil wir nicht dachten, daß man so einen Begriff erfinden muß. Dann gibt es sicherlich auch jemanden, der den Begriff Motorrad erfunden hat. Charakteristisch für das Münsterland scheinen jedenfalls langsame Fortbewegungsmittel zu sein. Denn mindestens ebenso populär wie der Drahtesel ist zwischen Lippe und Emsland das Reiten oder Ballon fahren. In Telgte, so verraten uns die Pättkesfahrer noch zum Abschied, steigen im Sommer fast jeden Abend ein paar Heißluftballons in den Himmel. Doch diesen Abend warten wir vergeblich an der Festwiese auf die bunten Giganten. Heute sei es selbst für Heißluftballone, erklärt uns ein vorbeikommenden Telgter, es fehle die besondere Thermik, die die Ballone in die Höhe treibe. Also wechseln wir das Programm und unternehmen noch einen kleinen Bummel durchs benachbarte Warendorf zu unternehmen. Das schmucke Städtchen, dessen alte Hausgiebel mit bunten Drachenköpfen verziert sind, setzt nicht auf Ballone, sondern auf Pferde. Das Nordrhein-Westfälische Landesgestüt, die Deutsche Reitschule sowie das Deutsche Komitee für Reiterei konkurrieren hier um die Herzen der Pferdenarren.Auf dem Rückweg entdecken wir an einer Kreuzung einen kleinen Wegweiser zur Fahrrad-Rundtour 100-Schlösser-Route. Schlösser gehören zum Münsterland wie Grachten nach Amsterdam oder der Canale Grande nach Venedig. Wobei das Wasser strenggenommen aber auch zum Münsterland und seinen Schlössern gehört. Da sie nämlich fast alle davon umgeben sind. Eines der besonders populären Exemplare ist das Wasserschloß Nordkirchen im Süden von Münster. Es gilt als das Westfälische Versailles und rangiert bei der UNESCO als Gesamtkunstwerk von internationalem Rang. Im Volksmund wird es gern als Raubritter-Burg tituliert. Denn seit den fünfziger Jahren gehört das Schloß der Landesregierung, die das einsturzgefährdete Gebäude gründlich renovieren ließ und seitdem als Ausbildungsstätte für Finanzbeamte nutzt. Ein geradezu optimaler Ort zum fortgeschrittenen Üben des hochsommerlichen Müßiggangs. Wir setzen uns auf eine Treppe mit Blick auf die prachtvolle Parkanlage und stellen dabei genüßlich fest, daß wir es seit unserer Ankunft im Münsterland im Nichtstun inzwischen zu einer ganz erstaunlichen Fertigkeit gebracht haben. Eine Stadtrunde durch Münster lockt uns aber dennoch, wenn es auch bei den Temperaturen sicherlich ein zweischneidiges Vergnügen zu werden verspricht. Doch während ganz Norddeutschland in der Hitze döst, ist in Münster richtig was los. Der Prinzipalmarkt, die sogenannte gute Stube der Stadt, empfängt uns fahnengeschmückt, mit Gauklern, Musik und dem Bimmeln unzähliger Fahrradklingeln. Auf dem Prinzipalmarkt schlägt das Herz der Stadt. Rundum ziehen sich romantisch die Arkadengänge der historischen Häuser, reich verziert ragen die Giebel hoch über den Platz. Ein Verdienst umsichtiger Nachkriegs-Stadtväter. Denn nach der fast vollständigen Zerstörung der Münsterer Innenstadt durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs veranlaßten diese den behutsamen und originalgetreuen Wiederaufbau der Ruinen. Wer andere deutsche Städte kennt, weiß, welches Geschenk hier der Bevölkerung gemacht wurde. Wir wandern ein wenig unter den kühlen Arkaden entlang, lassen uns schließlich im sogenannten Kuhviertel vor der kleinen Brauerei Pinkus Müller nieder. Nebenbei erfahren wir dort die wahre und fast schon ein bißchen unappettitliche Geschichte, wie Braumeister Müller zu diesem komischen Vornamen kam. Danach hatte Carl Müller, der die Brauerei zu Anfang dieses Jahrhunderts gründete, einst mit zwei Freunden heftig dem Altbier zugesprochen. Nach ungezählten Schoppen, die dabei durch die Kehlen gespült worden waren, meldeten sich irgendwann auch die Blasen der Brauer. Auf dem Weg nach Hause konnten Carl und seine Zechkumpanen jedoch keine Toilette mehr finden und machten mannhaft aus ihrer Not einen sportlichen Wettbewerb: Wer mit einem gezielten Strahl die Laterne auf der Promenade auslöschen könnte, sollte Sieger sein! Carl landete zischend einen Volltreffer und hatte fortan seinen Spitznamen weg und das Bier seinen Namen. Nach dieser Story schieben wir kurzerhand die Bikes in den Hof, quartieren uns im nächsten Gasthof ein und lassen uns die nächste Runde bringen. Wie war das doch gleich? Sommer, Sonne, Müßiggang, genau.

Infos

Das Münsterland liegt eingebettet zwischen der Lippe im Süden, den Niederlanden im Westen, dem Emsland im Norden und den Ausläufern des Teutoburger Waldes im Osten. Die einzigen Erhebungen dieser ansonsten recht flachen Landschaft sind die Baumberge im Westen von Münster sowie die Ausläufer des Tecklenburger Landes im Norden.

Anreise: Wenn`s schnell gehen soll, ist das Münsterland aus allen vier Himmelsrichtungen bequem über die Autobahnen A 1, A 2, A 30 und A 43 zu erreichen.Gastronomie: Das kulinarische Trio aus Westfälischem Schinken, Wacholderschnaps und dem dunklen Schwarzbrot namens Pumpernickel gehört als schmackhaftes Aushängeschild zum Münsterland wie die Weißwurst zu Bayern. Weitere regionale Spezialitäten sind »Panhas«, gebratene Blutwurst, sowie »Pannekuken mit Pillewürmern«, Pfannkuchen mit Schinkenstreifen. Gut essen kann man in Münster im Drübbelken in der Budenstraße, im Lortzingsaal in der Artzkarrengasse, beim Stuhlmacher am Prinzipalmarkt und in der Brauerei Pinkus Müller in der Kreuzstraße.Übernachten: Münster: Hotel Überwasserhof**, Überwasserstraße 3, Telefon 0251/41770, Fax 4177100, DZ 140 bis 190 Mark. Dülmen: Hotel Merfelder Hof **, Borkener Straße 60, Telefon 02594/1055, Fax 80904, DZ 120 bis 170 Mark.Billerbeck: Hotel Domschenke ***, Ecke Markt/ Lange Straße, Telefon 02543/4424, Fax 4128, DZ 130 bis 150 Mark.Warendorf: Landhaus Wiesenhof ***, Lange Wieske 52, Telefon 02581/9230, Fax 923200, DZ 160 Mark. Wer sich für Ferien oder Übernachtungen auf dem Bauernhof interessiert, kann bei der Arbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof, Schorlemer Straße 26, 48143 Münster, Telefon 0251/599327, die Broschüre »Komm aufs Land - Zu Gast auf Bauernhöfen in Westfalen-Lippe« anfordern. Campingplätze sind in der empfohlenen Generalkarte eingezeichnet.Informationen: Münsterland Touristik »Grünes Band«, Hohe Schule 13, 48565 Steinfurt, Telefon 02551/939291 sowie der Stadtwerbung und Touristik Münster, Klemensstraße 10, Telefon 0251/4922710.Aktivitäten: Äußerst sehenswert sind die Wasserschlösser des Münsterlands. Da sich allerdings viele der Anwesen in Privatbesitz befinden, ist eine Besichtigung oft nur eingeschränkt oder nach vorheriger Anmeldung möglich. Nähere Informationen geben die Touristikbüros (siehe »Informationen«).Eine besondere Möglichkeit die Region kennenzulernen, ist eine Rundfahrt per Heißluftballon. Leider ist sie mit gut 350 Mark Flugpreis nicht ganz billig. Informationen und Buchungsmöglichkeiten: Freiballon-Sportverein Münster, Telefon 0251/614330, sowie der 1. Deutschen Montgolfieren Club Telgte, Telefon 0251/247866. Liehaber alter Motorräder sollten dem Motorradmuseum von Ibbenbüren westlich von Osnabrück ihre Aufmerksamkeit schenken. Literatur: Ein umfangreicher Reiseführer mit zahlreichen Hotel- und Restauranttips sowie Kartenmaterial ist »Neue Horizonte Münsterland« vom Kartographischen Verlag Busche für 19,80 (?) Mark. Eine gute Einstimmung gibt außerdem der HB-Bildatlas für 14,80 Mark. Die beste Orientierung ermöglicht das Generalkartenblatt Nr. 8 von Mairs für 8,80 Mark.

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