Stollen-Freaks bekommen bereits beim Lesen des Roadbooks glänzende Augen: Ein Trip durch das Kaokoveld, dieser grandiosen wie unzugänglichen Wüste im Norden Namibias, ist ein Gelände-Abenteuer, das keine Wünsche mehr offenläßt.
Stollen-Freaks bekommen bereits beim Lesen des Roadbooks glänzende Augen: Ein Trip durch das Kaokoveld, dieser grandiosen wie unzugänglichen Wüste im Norden Namibias, ist ein Gelände-Abenteuer, das keine Wünsche mehr offenläßt.
Steine knallen gegen den Ölwannenschutz. Das Vorderrad verschwindet in einem Sandloch, fast reißt es mir den Lenker aus den schmerzenden Händen. Hahn auf, nur nicht stehenbleiben. Das Hinterrad schleudert meterweit den Dreck in die glühend heiße Luft, schiebt mich wieder voran. Eine Antilope kreuzt meinen Weg. Wir sind beide überrascht. Hoppla - eine Kurve. Dahinter ein steiler Absatz. Und wieder Sand. Habe zu lange auf das Roadbook geschaut und lande meterweit neben der Fahrspur im Busch. Dornen greifen nach meiner Jacke. Egal. Einfach fahren. Und den eingerosteten Körper und die noch zähen Reflexe möglichst schnell auf Vordermann bringen. Die ersten 50 Kilometer auf afrikanischem Boden dienen der Gewöhnung.Ein paar Bier und der strenge Unterton in Ralfs Stimme kühlen später die erhitzen Gemüter der siebenköpfigen Gruppe. Zum ersten Mal will der Tourguide abenteuerlustige Enduristen zwei Wochen lang durchs Kaokoveld manövrieren, diese schwer zugängliche Wüste im Norden des Landes. Vom logistischen Aufwand fast schon eine Expedition, die von den Teilnehmern einiges abverlangen wird. Bestenfalls würden wir dort drittklassige Pisten unter unseren Rädern haben. Ansonsten Sand. Gefahren werde streng nach Roadbook und immer zu zweit - die Chancen, jemanden zu finden, der im Kaokoveld den rechten Weg verlassen hätte, seien verschwindend gering. Bei Unklarheiten oder einer Panne einfach auf das Begleitfahrzeug warten. Und, um Himmelswillen, niemals die Elefanten reizen. Noch Fragen?Gleich hinter Windhoek endet der Asphalt. Eine breite »Pad«, wie die relativ festen Pisten in Namibia genannt werden - sozusagen die Autobahnen im Land -, windet sich in weiten Kurven durch das von der Sonne verbrannte Gebiet. Hinterm Boshua-Paß dann nur noch geradeaus in Richtung Norden. Tempo 100. Und zwei Kilometer Mindestabstand zum Vordermann, wenn man nicht dessen Staub schlucken will. Und etwas vom Land sehen möchte: Bis in die trostlose, ehemalige Minenstadt Uis Myn 450 Kilometer rotbraune Einsamkeit aus Sand und Stein. So gut wie kein Gegenverkehr und kaum ein nennenswertes Kaff. 1,7 Millionen Menschen auf einer Fläche, die zweieinhalbmal so groß ist wie die von Deutschland. Es wird vermutlich ein paar Tage dauern, bis ich diese Weite begriffen habe. Die karge Schönheit des Landes begeistert mich jedoch auf Anhieb.Tags darauf 200 Kilometer Off Road-Terrain vom Feinsten. Ralf schickt uns einmal rund um den Brandberg, mit 2574 Meter der höchste Gipfel Namibias. Das Navigieren wird komplizierter. Die kleinen Wege und Pfade sind stellenweise nur schwer zu finden. Und nicht weniger schwer zu befahren. Schließlich geht´s durch ein ausgetrocknetes Flußbett. Tiefer Sand. Fein wie Puderzucker. Die ersten Meter sind verdammt zäh. Die XT schlingert wie verrückt, driftet vom gewollten Kurs ab. Erst ab Tempo 40 stabilisiert sich die Fuhre, bei 60 kommt richtig Freude auf. Zumindest während der ersten Kilometer. Die ungewohnte Anstrengung und die irrsinnige Hitze zehren so gewaltig an der Kondition, daß nach vier, fünf Stunden kaum noch einer in der Lage ist, ohne fremde Hilfe vom Motorrad zu steigen. Ralf verspricht, daß dies erst der Anfang sei.Nach ein paar Stunden Schlaf ist die Welt wieder in Ordnung. In loser Formation geht´s weiter in Richtung Norden. Zum Teil über kaum erkennbare Prospektorenwege ehemaliger Diamantensucher. Die Angaben im Roadbook klingen immer bestimmter: Kilometer 136 rechts, 355 Grad. Genau Fahren!!! Viele Spuren!!! Nicht verpassen!!! Oder bei Kilometer 174: Vorsicht im Flußbett, Elefanten!!! Ich habe alle Hände voll zu tun, im tiefen Sand die XT auf Kurs zu halten, zu navigieren und gleichzeitig nach den Dickhäutern irgendwo im Gebüsch Ausschau zu halten, um in Zweifelsfall rechtzeitig anzuhalten. Oder um den Rückzug anzutreten. Bis Kilometer 259 bleibt allerdings alles ruhig: »Treffpunkt an der Bar« steht im Roadbook. An einen Platz für die Nacht, der die Sinne verzaubert: die Palmwag-Lodge, eine filmreife Inszenierung mitten im Busch. Und die letzte sichere Tankstelle vor dem Kaokoveld.Zu Beginn der Dämmerung stehen wir auf der Terrasse. Dann verstummen die Gespräche. In Afrika scheint die Sonne nicht einfach nur unterzugehen - sie zelebriert in einem grandiosen Schauspiel das Finale des Tages, taucht als gewaltiger Feuerball das Land zuerst in ein sanftes Rot, dann in ein betörendes Feuerrot, das selbst die erdfarbenen Felsen am Horizont zum Glühen bringt, bevor der Himmel einem Flammenmeer gleicht. Lautlos zieht eine Herde Elefanten an unserem Logenplatz vorbei. Die Ruhe, die uns umgibt, ist fast schon unheimlich. Und morgen werden wir im Kaokoveld sein.Hinter Opuwo - der einzige Ort im weiten Umkreis mit einem Mindestmaß an Infrastruktur - biegen wir in Richtung Westen ab. Die Straße wird schmaler. Und schlechter. Gelegentlich passieren wir einfache Hütten - die jeweils kurzzeitig bewohnten Dörfer der Himba, den letzten Halbnomaden Namibias. Aber wir sehen keinen Menschen. Doch sobald wir halten, sind sie da. Himba-Frauen mit ihren Kindern. Ihre Haut, mit einem Gemisch aus tierischem Fett und pulverisierten, eisenhaltigen Gestein eingerieben, glänzt braunrot. Das einzige Kleidungsstück der Frauen, deren Männer tagsüber mit dem Vieh umherziehen, sind um die Hüften geschwungene Lederhäute von Kälbern. An den Armen und Beinen tragen sie große Ringe aus Kupfer oder Messing und am Hals den schweren Hochzeitsschmuck. Stolze, anmutige Menschen, die sich lachend und schwatzend über unseren Auftritt in den bunten Cross-Klamotten amüsieren. Und uns per Zeichensprache ihren Schmuck zum Verkauf anbieten. Unvermittelter können erste und dritte Welt kaum aufeinander prallen.Roadbook-Kilometer 158,00: »Beginn Van Zyl´s Paß. Jetzt geht´s los...!« Beim Anblick der Streckenführung stockt uns der Atem. Eine grob in den Fels gesprengte Trasse und an den steilsten Stellen fußballgroße, haltlose Felsbrocken, die vermutlich zum Teil von Autofahrern herbeigeschleppt wurden, um zumindest die größten Löcher in der Piste zu stopfen. Im Schrittempo balancieren wir die Enduros über die gröbsten Passagen und erreichen einen gewaltigen Aussichtspunkt. Abrupt endet hier das Plateau, auf dem wir seit vielen Kilometern unterwegs sind, und tief unter uns erstreckt sich das breite, grasbewachsene Trockental des Marienflusses. Und dort hinunter führt das letzte Stück des Passes. So steil, daß eine Fahrt hinauf nicht nur verboten ist, sondern auch unmöglich erscheint.Eine kurzen Moment zögert jeder. Dann geht´s einfach nur bergab. Viele hundert Meter weit über losen Schotter und Geröll. Die Reifen finden praktisch keinen Halt. Adrenalin schießt durch den Körper. Alle Muskeln und Nerven sind jetzt bis zum äußersten gespannt. Streß und Faszination in einem. Genau aus diesem Grund bin ich auf einer Enduro in Afrika unterwegs. Wenn es ginge, würde ich die Strecke ein zweites Mal fahren.Im ausgetrockneten Bett des Marienflusses wartet bereits unserer zweites Versorgungsfahrzeug, randvoll beladen mit Benzin und Trinkwasser. Und mit gekühlten Drinks sowie einer kompletten Feldküche, in der saftige Steaks bruzzeln. Auch die Zelte stehen bereits. Kurz nach Sonnenuntergang verlasse ich mit meinem Schlafsack das Camp. Ich will im aufgeheizten Sand und unter einem unfaßbaren Sternenhimmel schlafen.Langsam verändert sich das Land. Das letzte spärliche Grün schwindet bis zum Hartmann´s Valley vollends, dann nur noch Sand und grotesk geformte Felsformationen. Die Namib - die älteste Wüste der Welt - zieht im Norden des Landes sämtliche Register. Nun ist niemand mehr aus der Gruppe zu bremsen. Das Fahren auf dem weichen Grund ist längst zur Kür geworden, und die kaum sichtbare Spur führt über immer verlockender aussehende Dünenfelder, die kurz vor dem traumhaft schön gelegenen Camp Sierra Cafema in einer atemberaubenden Abfahrt von einer etwa 70 Meter hohen Düne ihren Höhepunkt hat. Jetzt nur nicht zögern. Einfach den inneren Schweinehund ignorieren, einfach hart am Gas bleiben - und das Gefühl des freien Falls genießen. Der weiche Sand trägt tatsächlich, und für einen kurzen Moment scheinen sich Fahrer und Motorrad im Schwebezustand zu befinden. Wie Surfen und Skifahren zusammen. Aber irgendwie besser. Und hier eine exklusive Angelegenheit: Für die Piste und das Camp direkt am Kunene, dem Grenzfluß zu Angola, ist eine Sondererlaubnis der Palmwag Lodge erforderlich. Letzter - und ernst gemeinter - Roadbook-Eintrag für heute: »Achtung im Camp - die Krokodile sind extrem gefährlich!!!«Per Geländewagen durchstreifen wir am nächsten Tag das Gebiet. Der Einfallsreichtum der Natur ist überwältigend. Wild gefaltete Berge, weite Täler und abgrundtiefe Schluchten. Ansonsten Sand. Vom Wind zu Hochhaus-hohen Bergen aufgetürmt und modelliert. Mit sichelförmigen Kämmen und steilen Flanken. Ich kann mich nicht satt sehen. Mit einem Mitfahrer stürme ich am späten Nachmittag noch einmal hinaus in die Wüste. Wir lassen die Enduros einfach laufen, in einem ständigen Auf und Ab über die Sandfelder. Daß Handgelenke und Arme schmerzen, daß sich die gesamte Muskulatur vom andauernden Fahren im Stehen völlig verkrampft hat, spüren wir längst nicht mehr. Die Droge Sand hat von uns Besitz ergriffen.Die nächsten drei Tage lassen einem kaum Zeit zum Verschnaufen. Die Angaben im Roadbook dirigieren uns viele hundert Kilometer weit in Richtung Süden via Purros und Palmwag nach Swakopmund durch hauptsächlich ausgetrocknete und tiefsandige Flußläufe inmitten einer gewaltigen wie unzugänglichen Wüsten- und Gebirgslandschaft. Strauße laufen oft minutenlang neben mir her, bevor sie in der Weite des Landes verschwinden. Ich beobachte Oryx-Antilopen mit ihren über einen Meter langen, gedrehten Hörnern und eine Herde Giraffen an einem Wasserloch. Nur an den schwierigsten Wegpunkten oder abgesprochenen Pausenplätzen trifft sich die Gruppe. Ansonsten versucht jeder für sich allein, dieses großartige Land zu begreifen. Afrika ist wie ein Virus, der langsam mich und alle anderen befällt. Den Beginn der Zivilisation markiert am heutigen Etappenziel plötzlich der Asphalt unter den Rädern. Und das Roadbook: Kilometer 448, Swakopmund, rechts ab in die Kaiser-Wilhelm-Straße.
Der Norden Namibias stellt besonders an Motorrad-Reisende extrem hohe Ansprüche. Die beschriebene Strecke ist zudem mit einer beladenen Enduro kaum machbar. Wer sich aber an die Pisten hält, entdeckt eine der schönsten Wüstenlandschaften Afrikas.
Anreise: Air Namibia fliegt dreimal pro Woche von Frankfurt nach Windhoek. Das Ticket kostet je nach Saison ab 1270 Mark. Wer sein Motorrad per Luftfracht nach Namibia transportieren möchte, kann sich an GS-Sportreisen wenden, die in der günstigsten Kategorie (bis 220 Kilogramm) für den Hin- und Rücktransfer 3230 Mark verlangen. Bei mehreren Motorrädern reduziert sich der Preis allerdings deutlich. Infos bei GS-Sportreisen, Telefon 089/27818484, Fax 27818481. Entsprechende Angebote mit gelegentlich günstigeren Tarifen lassen sich auch bei Speditionen erfragen, die sich auf Luftfracht spezialisiert haben: GGG-Gruner Logistik in Frankfurt, Telefon 069/69590128 (Herr Gruner) oder MBS-Air-Cargo in Köln, Telefon 02203/93384143 (Herr Schuster). Neben Flugtransfers bietet der Stuttgarter Expeditionsausrüster Woick eine Verschiffung des Motorrads nach Namibia an. Preise und Infos auf Anfrage unter Telefon 0711/7096710.Dokumente: Deutsche, Österreicher und Schweizer benötigen für einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen kein Visum. Für das Motorrad ist allerdings ein Carnet erforderlich, das gegen eine Kaution vom ADAC ausgestelt wird.Reisezeit: Namibia läßt sich das ganze Jahr über bereisen. Im Sommer (Dezember bis März) herrschen allerdings extrem hohe Temperaturen. Die besten Monate für eine Motorrad-Tour sind April bis Juli sowie September und Oktober.Unterkunft: Entlang der Hauptrouten und in den Städten gibt es zahlreiche Hotels, Gästefarmen, Lodges und Camps. Viele der stilvollen Lodges - wie zum Beispiel die Palmwag Lodge - sind allerdings relativ teuer (ab 150 Mark für ein Doppelzimmer) und in der Regel lange im voraus ausgebucht. Das traumhaft schön gelegene Privatcamp Sierra Cafema im äußersten Norden des Kaokovelds sowie die Piste dorthin dürfen zusätzlich nur mit Genehmigung der Palmwag Lodge angesteuert werden. Wer reservieren möchte, erhält den dafür unentbehrlichen »Beherbergungsführer« beim Namibia Verkehrsbüro in Bad Homburg, Telefon 06172/406650, Fax 406690. Wildes Campen ist außerhalb der Nationalparks in den abgelegenen Regionen fast überall möglich - wenn auch wegen des Tierbestands nicht ganz ohne Risiko.Literatur: Ein aktueller Führer kommt von Elke und Dieter Loßkarn: »Namibia« aus der Reihe »Richtig Reisen« des DuMont Verlags für 39,80 Mark. Zur Übersicht eignet sich die Michelin-Karte 955 »Südliches Afrika« im Maßstab von 1:4000000. Shell gibt eine brauchbare Karte für das Kaokoveld heraus, die in den Buchhandlungen von Windhoek erhältlich ist.Zeitaufwand zwei WochenGefahrene Strecke 3500 Kilometer