Nord-Norwegen
Lofoten

„Grüne Alpen im Meer“ nennen die Norweger die aus dem Nordmeer ragende Inselgruppe der Lofoten. Ein zwingender Abstecher für alle, die den Polarkreis schon hinter sich haben.

Lofoten
Foto: Daams

Nachmittags, Ende Juni in der Hafenstadt Bodø, 80 Kilometer jenseits des Polarkreises. Norwegische Westküste. Ein ungemütlich grauer Himmel, die düsteren Wolkengebirge bauen sich vor Frank und mir hoch und schwarz auf wie die Eigernordwand. Wir sollten verschwinden. Am besten raus auf die Lofoten, weit draußen im Meer gelegen und vermutlich jenseits der grauen Tiefdruckfront, die sich aufbaut. Um 18.30 Uhr geht die nächste Fähre nach Moskenes – wir werden an Bord sein.

Vorher schnell noch ein Süppchen aus der gut sortierten Bordküche köcheln. Koffer auf, Kocher raus, her mit den Tüten und dem Wassersack. Motorradfahrer auf Nordlandtour sind autark. Und hoffentlich magenstark. Denn wer auf die der Westküste vorgelagerten Inseln will, muss mitunter harten Seegang abkönnen. Dort, zwischen den Inseln Moskenesøy und Mosken, verläuft der Mahlstrom, die stärkste Meeresströmung der Welt. Besonders tückisch wird’s, wenn stürmischer Wind gegen auflaufende Flut drückt. Was manchem Schiff schon zum strudelnden Verhängnis wurde. Heute ist es gottlob harmlos, und manche Passagiere halten sogar ein Schläfchen, als wollten sie die schaukelnde Welt ausblenden.

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Daams
Dank Jedermannsrecht: zelten an den schönsten Orten.

Pech für sie, denn wer über die gischtende Bugwelle weit nach vorne blickt, ist hin und weg. Vor allem, als der düstere Himmel endlich aufreißt und erste Sonnenstrahlen durch die Wolkenfetzen blinzeln. Was da am Horizont schroff aus dem Meer herausragt, minütlich größer wird und aussieht wie eine Mischung aus Dolomitenhauptkamm und Teil II von „The day after tomorrow“, ist unser Reiseziel: Die 120 Kilometer lange Lofotenmauer des Südarchipels, bestehend aus unzähligen gebirgigen Einzelinseln.

Gegen 22 Uhr legen wir in Moskenes an, einem echten Kleinod aus Kirche, bunten Holzhäuschen und Fischkuttern, eingefasst von Felswänden wie von einem Maulschlüssel. Gerade früh genug, um noch ein paar Kilometer auf den Großenduros BMW R 1200 GS und Kawasaki KLV 1000 abzuspulen. Denn hier oben, nördlich des Polarkreises, sorgt die Mitternachtssonne vom 27. Mai bis zum 17. Juli für Helligkeit rund um die Uhr. Noch weiter nördlich, am Nordkap, reicht der Zeitraum gar
vom 13. Mai bis zum 29. Juli. Wer kann und will da an Schlaf denken? Bei unserer Ankunft ziehen jedoch Wolken auf und lassen das Licht ein wenig fahl wirken. Etwas Bewegung in die gespenstische Szenerie bringen die tief hängenden weißen Wolkenbäusche, die wie überkochende Milchsuppe die Bergrücken von Westen überziehen. Und sich dann in einer Art Superslowmotion in die nächste Senke fallen lassen – oder auf wundersame Weise wieder zurückweichen.

Nord-Norwegen (3)

Karte: Maucher
Die Lofoten liegen zwischen Bodö und Tromsö vor der norwegischen Westküste, im Norden gibt es eine Brücke zum Festland.

Wir suchen sicherheitshalber lieber eine trockene Unterkunft und stoßen dabei auf das ockergelbe „Vandrerhjem“ in Stamsund. Es besticht mit zivilen Preisen und ist „surrounded by natural beauty“, wie der Prospekt durchaus treffend verkündet. Und hier lebt Roar. Einer der 5000 Einwohner, die nach der Landflucht in den 80er Jahren auf den Lofoten und Vesterålen geblieben sind. Abgesehen von knapp drei Millionen Touristen pro Jahr. Früher wäre Roar, der stämmige Bart- und Pulliträger, vielleicht Seeräuber, noch früher Wikinger gewesen; heute ist er Chef des Heims und der Jugendherberge im Rorbuer-Stil und hat sogar noch ein kleines Zimmer mit Meerblick für uns. Spitze!

Wir laden schnell ab und fahren noch mal los, auf die Insel Gimsøya, wo wir bei Kleivan der Sonne beim Nichtuntergehen zusehen wollen. Der Platz ist schön gewählt. Um uns herum Wiesen, mit filigranen Pusteblumen übersät, aus dem Wasser wie Maulwurfhügel ragende Felsbrocken und der Leuchtturm von Kleivan. Die zerklüfteten Bergketten der Nachbarinseln bilden den Horizont im Westen und Osten. Und über allem der mit einem weißgrauen Wolkengemälde geschmückte, hellblaue Himmel, der sich durch rasche Veränderung einer präzisen Beschreibung entzieht. Alles wird stroboskopisch von der Sonne angeblitzt, die, völlig unberechenbar, mal hier-, mal dorthin ein paar Millionen Lux wirft.

Zurück in der Jugendherberge, gibt’s mal wieder das inzwischen schon vertraute Mitternachtssüppchen, das eigentlich mit Blick auf Bucht und Felsen auf der Terrasse verspeist werden sollte – wären da nicht die lästigen Mücken. Egal. Das Schicksal des Nordens. Vor uns türmen sich die Felsen. Einst soll Göttervater Thor sie im Nordmeer zerschlagen und so die Lofoten geschaffen haben, erzählt die Legende. Und anschließend schichtete er die Brocken auf, um einen besseren Blick auf die Fischschwärme zu ergattern. Keine Frage, Fisch ist auf den Inseln das tragende Thema.

Karte: Maucher
Zeitaufwand: drei bis vier Tage; Streckenlänge: 650 Kilometer.

Insbesondere der zwischen Januar und April von der Barentssee zum Laichen in den bis zu 90 Kilometer breiten Vestjord ziehende Kabeljau brachte bis in die 50er Jahre den Fischern beste Fänge, bevor gnadenlose Überfischung das Ende zu bedeuten schien. Erst strenge Fangquoten ließen die Bestände und damit auch die Zahl der Beschäftigten wieder wachsen. Heute werden pro Jahr 20 Millionen Tonnen Kabeljau von 2000 Fischern aus dem bis zu 400 Meter tiefen Meer gezogen. Die Tiefe ist zusammen mit dem warmen Golfstrom einer der Gründe, warum sich hier sogar Wale tummeln.

Ein letztes Sit-in bei Nescafé und Müsli auf den hölzernen Planken der Jugendherberge, und schon katapultieren sich die Kolben von einem Totpunkt zum nächsten und uns in den neuen Tag hinaus.

Nord-Norwegen (2)

Daams
Fisch, Fischer, Fischkutter: neben dem Tourismus das Lofotenthema Nummer eins.

Wir inspizieren zunächst den südlichsten anfahrbaren Ort der Lofoten, der einfach kurz und prägnant Å heißt. Einer Herde Schafe gleich duckt sich dort eine weiße Wohnmobilkolonie zusammen. Sie haben Recht, auch wir sollten allmählich nach einem Zeltplatz Ausschau halten. Eigentlich ist aufgrund des Jedermannrechts die Suche nach einem Schlafplatz in Skandinavien genial einfach: Jeder darf zelten, wo es gefällt. Doch uns machen die vielen feinen Fleckchen offenbar zu wählerisch.

Dem Festlandwetter glücklich entkommen, muss für die erste Nacht auf den Lofoten natürlich ein Logenplätzchen her, mit 1a-Aussicht auf Meer, Mitternachtssonne und so. Doch je später die Nacht, desto bescheidener die Ansprüche – und leider auch das Wetter. Irgendwann sind wir froh, als sich bei Sakrisøy wenigstens eine passable Wiese findet, bevor es zu tröpfeln beginnt. Etwas abfallend zwar, aber immerhin mit Fjordblick.

Tief und lange genug im Schlafsack vergraben, lässt sich auch eine Regenfront ausliegen – alte deutsche Campingregel. Und tatsächlich. Um zehn Uhr früh ist die Welt wieder in Ordnung. Unter uns liegt der Kirkefjord, wie wir inzwischen ermittelt haben, der ein bisschen an den Königssee bei Berchtesgaden erinnert. Allerdings ohne Bartholomäus-Kapelle, dafür mit Fischkutter und Lofoten-Hochgebirge statt Watzmann. Wir werfen den Kocher an, und schon bald strömt Kaffeearoma durch die klare Luft. Auf der anderen Straßenseite duftet es dagegen deutlich herber. Auf hölzernen Gestellen trocknen lange Reihen von Fischköpfen und bizarr mumifizierte Reste von Dorsch und Kabeljau, die in Norwegen traditionell zu Stockfisch verarbeitet werden.

Daams
Imposant von allen Seiten: die so genannte Lofotenmauer.

Wir laden auf und fahren Richtung Norden. Und landen im Unesco-Kulturdenkmal Nusfjord, dem Rothenburg ob der Lofoten quasi und entsprechend von Reisenbussen umzingelt. Wegen autofreier Zone müssen wir ebenfalls einen kleinen Fußmarsch unternehmen. Und stoßen auf ein hübsch hergerichtetes Dorf. Der Clou: An dem kleinen Binnenhafen stehen einige Dutzend pittoresker Rorbuer, auf Stelzen balancierende alte Fischerhütten, die inzwischen als noble Ferienwohnungen vermietet werden. Nun, kein Fall für unsere Börsen, und so hangeln wir uns stattdessen weiter über die zerklüftete Inselgruppe.

Durch den Vestfjord vom norwegischen Festland getrennt, bilden die Lofoten (übersetzt bedeutet das übrigens „Luchsfuß“) zusammen mit den nördlich anschließenden Vesterålen („Streifen im Wasser“) eine 300 Kilometer lange, mit Brücken und Tunnels untereinander verbundene Inselkette. Höchster Gipfel ist der 1266 Meter hohe Møysalen. Schroff und steil ragen die Klötze aus der See empor und haben deshalb trotz relativ geringer Höhe ein Ausstrahlung wie die Walliser Alpen. Bäume gibt es fast keine mehr, sie fielen dem Bau von Booten und Häusern zum Opfer. Dank des Golfstroms kann das Thermometer im Sommer auf über 30 Grad klettern und an den vielen Badestränden die Wassertemperatur angenehme 20 Grad erreichen. Momentan scheinen die Temperaturen allerdings weit davon entfernt, und wir mummeln uns in die Motorradklamotten, als wieder ein Schauer hereinbricht.

Genau 312 Kilometer sind es auf der kurvigen Inselverbindungsstraße E 10 von Å im Süden bis Tjeldsund bru am Nordzipfel, wo eine Brücke den Festlandskontakt hält. E steht nicht nur für Europastraße, sondern auch für Extraklasse, für Ehrfurcht gebietend, für einmal ist keinmal, elysisch, erhaben, exzellent. Bei Valberg am Vestfjord biegen wir schließlich ab und potenzieren das Vergnügen für unsere Enduros noch mit einer Offroad-Einlage. Dabei stoßen wir auf eine kleine Herde Schafe, die auf einer winzigen Sandbank in „Seenot“ geraten ist. Dicht gedrängt stehen die Tiere auf einem winzigen, von Meer umwogten Eiland. Glück für die Rasenmäher, dass sie sich auf der zahmen Südostseite der Lofoten befinden und die Flut schon wieder zurückgeht. So dürften sie mit nassen Füssen davonkommen.

Nord-Norwegen (Infos)

Auch wenn die Lofoten nur einen winzigen Teil Norwegens ausmachen, bilden sie einen Extrakt jener Highend-Landschaft, die sonst eher dem Süden des Landes vorbehalten ist. Und einen Mikrokosmos norwegischer Lebensart.

Allgemeines
Die Inselgruppe der Lofoten und der nördlich anschließenden Vesterålen liegt zwischen Bodø und Tromsø vor der norwegischen Westküste. Von dort ist die 300 Kilometer lange Inselkette im Norden per Brücke und im Süden mittels diverser Fährverbindungen zu erreichen. Die schroffen Lofotengipfel messen zwar nur runde 1200 Höhenmeter, wirken aber – direkt aus dem Meer aufsteigend – extrem alpin. Neben dem traditionellen Fischfang spielt der Tourismus eine zunehmend bedeutendere Rolle. So werden in Andenes beispielsweise Walsafaries angeboten und in Kabelvåg und Henningsvær Ausflüge zu den schwarzweißen Orkas (Killerwalen).

Anreise/Fähren
Die beiden meistgenutzten Verbindungen nach Norwegen führen von Kiel nach Oslo und vom dänischen Hirtshals ins südnorwegische Kristiansand. Von Oslo bis Bodø, wo die Fähren zu den Lofoten ablegen, sind es dann knapp 1400 Kilometer. Näheres zu den Überfahrten auf unserer Skandinavien-Fährenübersicht auf Seite 136ff. Oder direkt bei Color Line in Kiel, Telefon 0431/7300300, www.color-line.de sowie dem Verband der Fährschifffahrt & Fährtouristik e.V. (für ganz Europa) in Hamburg, Telefon 040/3601215, www.faehre-vff.de.

Reisezeit
Die besten Monate für Motorradfahrer sind Juni bis August, eventuell auch September, allerdings haben dann einige touristische Einrichtungen bereits geschlossen. Im Mai sind in Norwegen etliche Strecken oft noch wegen Schnee gesperrt. Dank des wärmenden Golfstroms können die Temperaturen auf den Lofoten im Sommer bis auf 30 Grad klettern. Dennoch sollte angesichts der extremen Wetterumschwünge in Skandinavien unbedingt auch warme und regenfeste Ausrüstung an Bord sein.

Motorrad fahren
Während sich die Hauptstraßen auf den Lofoten durchweg asphaltiert präsentieren, bestehen viele Zufahrten zu abgelegenen Orten und Buchten aus Schotter oder festgewalztem Sandboden.

Übernachten
Am unabhängigsten ist man in Norwegen mit dem Zelt unterwegs, besonders während der oft zu später Quartiersuche animierenden Zeit der Mitternachtssonne. Gecampt werden darf wegen des so genannten Jedermannsrechts nahezu überall. Alternativen mit festem Dach sind die landesweit verbreiteten Hytter (Holzhütten für zwei bis sechs Personen) beziehungsweise – äußerst reizvoll – auf den Lofoten die Rorbuer, zu Ferienwohnungen umfunktionierte Fischerhütten. Günstiger als im Hotel schläft man im Vandrerhjem, der norwegischen Version der allen Altersgruppen offen stehenden Jugendherberge. Auf den Lofoten und Vesterålen gibt es insgesamt sechs solcher Häuser.

Preise
Zahlungsmittel ist die norwegische Krone. Ein Euro entspricht etwa acht NOK. Der Liter bleifreies Eurosuper kostet gut zehn NOK. Billig ist in Norwegen grundsätzlich nichts; es gilt als das teuerste Land Europas.

Mitternachtssonne
Im Sommer verschwindet nördlich des Polarkreises die Sonne selbst um Mitternacht nicht hinter dem Horizont; Tag und Nacht bleibt es dann hell. Je weiter man nach Norden vordringt, desto mehr Tage sind es, an denen die Sonne nicht untergeht. In Bodø reicht dieses Zeitfenster vom 8. Juni bis zum 8. Juli, am Nordkap vom 13. Mai bis zum 29. Juli. Kehrseite für die Einheimischen: Dunkelheit im Winter rund um die Uhr.

Literatur
Kapitel über die Lofoten und Vesterålen finden sich in den Reiseführern »Norwegen« aus dem Michael Müller Verlag für 21,90 Euro und »Südnorwegen mit Lofoten« von Reise Know-How für 19,90 Euro. Ganz im Mittelpunkt steht die Inselgruppe in den Bänden »Lofoten« aus der Edition Elch für 18,90 Euro sowie »Lofoten, Nordmeerküsten« aus dem DSV-Verlag für 28 Euro. Als Straßenkarte empfiehlt sich von Kümmerly+Frey Blatt 4 »Mittel-Norwegen« in 1:400000 für 11,90 Euro plus Übersichtskarte für die Anreise.

Informationen
Norwegisches Fremdenverkehrsamt, Neuer Wall 41, 20354 Hamburg, Telefon 040/229415-18, www.visitnorway.com.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023