Was is jetzt?« Es ist schon drei Minuten nach zwei, und Jórgos, der Kapitän, wird langsam ungeduldig. Über den Lautsprecher auf der Brücke der kleinen Autofähre schnauzt er den Busfahrer am Kai an, daß er sich gefälligst beeilen soll. Doch der muß seinen alten Magirus erst mit dem Hammer anwerfen - der Anlasser hängt. Endlich steht auch der grüne Überlandbus an Deck, und mit zehn Minuten Verspätung tuckert das Schiff über die Meerenge in Richtung Euböa.Ich bin seit einer Woche in Griechenland. Aber seit mich der 1500-Personen-Dampfer aus Italien in Igumenítsa aus seinem blauen Stahlbauch gespuckt hat, habe ich keine Salzluft mehr geschmeckt. Und das in einem Land, wo kein Ort mehr als eineinhalb, höchstens zwei Motorrad-Stunden vom Meer entfernt ist. Das Píndos-Gebirge im Nordosten Ioánninas hatte mich ins Landesinnere gelockt. Wie aquarelliert staffeln sich dort bis zu 2500 Meter hohe Bergketten in Richtung albanische Grenze. Und wie hypnotisiert habe ich mit der Drag Star auf dieses Bild im Gegenlicht zugehalten. Habe zugelassen, daß die Straßen immer schmaler, die Dörfer immer kleiner und die Ortsschilder einsprachig wurden. Und der Asphalt in Koukoúli schließlich ganz zu Ende war.Das kleine Dorf mit seinen Natursteinhäusern und Kopfstein-Gassen liegt in der Zagóri, einem dünn besiedelten Nationalpark im Gebirge. Eine Gegend, in der alle Straßen irgendwo als Sackgassen enden. In Koukoúli habe ich Roy getroffen, ein Engländer, der hier hängen geblieben ist. Vier Jahre lang hat er das alte Haus am Dorfrand renoviert, hat Schieferplatten für das steingedeckte Dach geschleppt. Gebrannte Dachziegel oder gar Wellblech sind von der griechischen Regierung verboten, die gesamte Region ist unter eine Art Denkmalschutz gestellt. Parallel dazu hat der griechische Fremdenverkehrsverband eine Reihe kleiner Pensionen gegründet, um neues Leben in die fast ausgestorbenen Bergdörfer zu bringen. Mit Erfolg. Die Zagóri zu einer Art Bayerischem Wald mitten in Griechenland geworden.In dicken Knoten hängt Moos von der Platane auf der Platía. Es ist schon dunkel, als Jánnis anfängt, auf dem Dorfplatz Souvláki zu bruzeln. Ihm gehört das Xenónas, die einzige Pension von Koukoúli. »Mach einen Ausflug nach Pápigo, das wird dir gefallen«, meint er, als er den Teller mit Schafskäse auf den Tisch stellt. Am Morgen befolge ich seinen Tip und lasse die Fußrasten gutgelaunt durch die Kurven schraddeln. Smaragdeidechsen sonnen sich waghalsig mitten auf der Straße, die sich in Haarnadelkurven immer höher windet. Schließlich liegt Pápigo vor mir, das Bergdorf, von dem Jánnis gesprochen hatte. Wie eine Ziegenherde im Sturm, so ducken sich die wenigen Häuser an den Fuß des mächtigen Tímphi-Massivs. Die letzten dreckigen Schneefelder ganz oben lassen noch im Juni erahnen, daß die ganze Gegend im Winter eine Starre in dickem Weiß einnimmt. Dann sind die Dörfer fast menschenleer, die meisten Bewohner in Ióannina oder Athen. Nur ein paar Hirten lassen sich jedes Jahr einschneien, als Schutz gegen Plünderer. Unter der Platane am Abend erzähle ich Jánnis von meiner Tour. Er sagt, daß er mir noch viele solcher Tips geben kann, aber ich will am nächsten Tag weiter.In Kónitsa komme ich mit Panajótis ins Gespräch. In seinem Café verkauft er Bougátses, leckere Blätterteigtaschen, gefüllt mit Griesbrei und Zimt. Als er das Bike sieht, kramt er ein Foto hinter der Theke hervor, das ihn mit seinen beiden BMW zeigt. »Die sind von meinem Vater«, sagt er stolz und zeigt auf die R 25 und R 26. Die neuere sei voll fahrfähig, die andere müsse er noch restaurieren.So wie Panajótis begeistern sich die meisten Griechen für Motorräder. Was ich deutlich demonstriert bekomme, als ich drei Fahrstunden weiter nördlich in einem Café in Kastoriá sitze. Als Zentrum der Pelzindustrie hat sich die idyllisch an einem See gelegene Stadt einigen Wohlstand erarbeitet. Stolz und ohne Helm tragen ihn vor allem die Zwanzigjährigen mit ihren blankgeputzen XT 600, Shadow 600 oder ZXR 750 gern zur Schau. Und auch mit der Drag Star bin ich hier plötzlich nicht mehr allein. Am Nachmittag wird das Geknattere immer dünner, werden die Mopeds weniger. Die Siesta beginnt, in der das ganze Land täglich ab halb drei in eine totenähnliche Starre fällt. Würde jemand in dieser Zeit die Akropolis klauen, bis nachmittags um fünf würden es höchstens dumme Touristen wie ich merken. Trotz der Mittagshitze beschließe ich weiterzufahren. Bis ich den kleinen Rucksack auf der Gepäckrolle verzurrt habe, bin ich patschnaß.Als die wuchtigen Gesteinsformationen vor mir auftauchen, legt das letzte Sonnenlicht gerade noch einen seidigen Glanz über die Klöster von Meteóra. Wie einsame Vogelnester thronen sie hoch oben auf den Felsnadeln. Die träge segelnden Krähen sind die einzige Bewegung in diesem Anblick. Kein Zweifel, daß man sich den Göttern da oben ein Stück näher fühlen muß. Ich halte es eher mit weltlichen Dingen und gönne mir den Luxus einer Pension mit Swimmingpool direkt unterhalb der 400 Meter aufragenden Sandsteinfelsen im Dörfchen Kastráki.Frisch wie Retsína liegt der kühle, harzige Duft der Nacht noch in der Luft. Es ist kurz nach Sonnenaufgang, als ich die Yamaha hoch zu den knapp 700 Jahre alten Klöstern treibe. Die friedliche Stimmung macht das frühe Aufstehen hundertmal wett. Als die tägliche Karawane der Wohnmobile und Mietautos zwei Stunden später in die Stille einbricht, bin ich längst schon in Thessalien. Von den Klöstern aus bilden die bunt über die thessalische Ebene nach Osten gewürfelten Felder ein faszinierendes Schachbrettmuster. Doch beim Durchfahren hat die Kornkammer Griechenlands für mich nur Langeweile parat, die immer geradeaus führt. Bloß die knatternden Bewässerungspumpen auf den Felden unterbrechen die Monotonie der Landschaft - wenigstens akustisch.Erst die Pílion-Halbinsel, auf der die Zentauren, die Mensch-Pferd-Zwitter der Antike gelebt haben sollen, bringt wieder Abwechslung. Fast 1000 meter hoch schlängeln sich die Serpentinen durch das dicke, wuchernde Grün der Pílion-Wälder. Im Winter kann man hier skifahren. Doch jetzt riecht die ganze Halbinsel nach honigsüßem Pfefferkuchen. Es ist der Geruch des Tsípouro. Fast überall in Griechenland wird dieser Tresterschnaps selbstgebrannt. Geschmack und Qualität sind von Gegend zu Gegend unterschiedlich, oft sogar von Dorf zu Dorf.Auf Euböa, wo die kleine Autofähre gleich anlegt, ist das jedenfalls so. Über die nach Kreta zweitgrößte der knapp 3000 griechischen Inseln wissen die meisten Reiseführer kaum mehr zu berichten als »im Norden grün und bewaldet«. Auch hier sind die Ortsschilder, die von der Hauptstraße in die Pinienwälder des bergigen Landesinneren weisen, meist einsprachig. Fremde erwartet in den winzigen Bergdöfern ohnehin niemand. Noch heute führt hier nicht in jedes Dorf eine Asphaltstraße, gibt es das einzige Telefon des Ortes oft nur im Kafeníon.Davon gibt es im Dörfchen Tsapouriná immerhin zwei. Doch seit er denken kann, geht der alte Bábis immer nur in die am oberen Dorfende. Außer von 1972 bis 1976, meint er. Da hat er in Wuppertal Heizungen montiert. Vier Jahre lang, ohne je richtig deutsch zu können, bis ihn das Heimweh nach seinem Bergdorf fast aufgefressen hat. Gedankenverloren schweigt der Alte und blickt über den Dorfplatz mit der einsamen Palme. Vor der Kirche übt ein Junge mit seinem Moped Wheelies. Ein-, zweimal die Woche kommen Pick-ups, von deren Ladefläche fliegende Händler verkaufen, was die Dörfler hier so brauchen: frischen Fisch, Gemüse, Haargummis oder Plastikstühle. Strukturschwache Region, hier auf Euböa fällt mir die amtsdeutsche bezeichnung ein.Auch Evritanía könnte man so nennen, die am dünnsten besiedelte Gegend inmitten des nördlichen Festlands. Verschlungen windet sich die Straße steil bergab. Es ist die einzige, die durch die schwarzen Tannenwälder von Evritanía führt. Und wohl eine der kurvigsten und schlaglochreichsten dieses Landes überhaupt. Der Belag, oder das, was davon übrig ist, zwingt mich, mein Reisetempo drastisch zu reduzieren. Er wellt sich, buckelt, wirft beinahe Blasen und zwingt die Yamaha zu störrischen Kapriolen. Als ich am Abend wieder das Meer erreiche, haben Staub und Sand die Drag Star endgültig zum Dreckstar gemacht.Träge dämmert Préveza am Ambrakischen Golf vor sich hin. Die Fassaden der venezianischen Herrenhäuser an der Hafenzeile sind genauso zerbröckelt wie die Sitzbänke der in der Sonne parkenden Mopeds. Fensterläden hängen schief in den Angeln. Von hier sind es noch 80 Kilometer bis Igumenítsa. Aber es ist weder der morbide Charme dieser Stadt noch der Schluck Tsípouro vom Abend zuvor. Es ist der Gedanke an die Rückfahrt und an den 1500-Personen-Dampfer morgen früh nach Venedig, der mich dieses undeutliche Ziehen im Bauch spüren läßt.
Infos - Nordgriechenland
Im Landesinneren ist Nordgriechenland bisher vom Massentourismus noch weitgehend verschont. Griechische Gastfreundschaft und althergebrachte Traditionen kann man besonders in den Bergen finden.
Anreise: Der Autoput durch Ex-Jugoslawien ist seit 1996 wieder befahrbar. Transitvisa, Grenzformalitäten und Maut machen den den Landweg aber unattraktiv. Empfehlenswert sind die Schiffsverbindungen von Italien. In der Hauptreisezeit verkehren von Ancona und Venedig täglich, von Triest an den Wochenenden Fähren nach Igumenítsa (24 Stunden) und Pátras (32 Stunden). Prospekte mit den genauen Abfahrtsdaten hat jedes Reisebüro und der ADAC. Je nach Saison schwanken die Fährpreise zwischen 90 und 110 Mark fürs Motorrad und 150 bis 200 Mark für eine Person, Deckpassage, jeweils hin und zurück. Ein Bett in einer Viererkabine kostet knapp das doppelte. Wer die Rückfahrt gleich mitbucht, bekommt darauf 30 Prozent Ermäßigung, der Termin kann offen gelassen werden. Deckpassagen sind noch am Hafen zu bekommen.Reisezeit: Vor Mai und nach September kann es auf den bis zu 1700 Meter hohen Pässen Zentralgriechenlands schneien. In den Bergen ist die hochsommerliche Hitze zwar auch im August ganz erträglich, wers lieber kühler mag, sollte diesen Monat dennoch meiden.Übernachten: Zimmer findet man in Küstengegenden immer und im Landesinneren fast immer. Die Übernachtungspreise liegen für ein Doppelzimmer zwischen 35 und 70 Mark (fast immer ohne Frühstück). Alleinfahrer zahlen rund zehn Prozent weniger. Campingplätze gibt es im Landesinneren nur in der Nähe von Sehenswürdigkeiten.Sehenswert: Kípi in der Zagóri gilt als das schönste Dorf der Bergregion. Empfehlenswert ist der Abstieg in die Víkos-Schlucht von Monodéndri (etwa 1,5 Stunden). Südlich von Ioánnina liegt die antike Orakelstätte Dodóna mit seinem in eine herrliche Berglandschaft eingebetteten Amphitheater. Auf jeden Fall lohnt sich der Besuch der Meteóra-Klöster. Auch das Innere der sechs noch bewohnten Klöster kann besichtigt werden. Auf dem Pílion empfielt sich ein Abstecher nach Makrinítsa. Das Dörfchen in den Bergen oberhalb von Vólos gilt wegen seiner schönen Platía und der zahlreichen gut erhaltenen Herrenhäuser als die Perle des Pílion.Literatur: Liebevoll geschrieben ist die »Gebrauchsanweisung für Griechenland« von Martin Pristl (Piper Verlag, 28 Mark). Gute Tips und ein fürs Motorradgepäck ideales Format bietet der Band Griechenland/Festland aus der Marco Polo Reihe (Mairs Geographischer Verlag, 14,80 Mark). Verläßlich und sehr detailliert ist der Straßenatlas Griechenland (RV Reise- und Verkehrsverlag, Maßstab 1:300 000).Zeitaufwand: zehn TageGefahrene Strecke: 2500 Kilometer
Unterwegs mit einem Chopper
Es liegt in der Natur der Sache und am fehlenden Platz fürs Gepäck, daß Chopper oder Cruiser nicht gerade ideale Reisemotorräder sind. Nirgendwohin. Doch mit Hilfe eines um das untere Lenkkopflager gezogenen Spanngurts läßt sich ein Tankrucksack auch auf dem dicksten Spritfaß sicher verzurren. Der Zubehörhandel bietet für fast alle Modelle Satteltaschen an (für die XVS 650 kosten die originalen Yamaha Bags 750 Mark). Aber auch damit wird kaum jemand um eine mit Spanngummis auf dem Soziuspolster festgestrapste Gepäckrolle herumkommen. Wegen der Sitzhaltung, der kurzen Federwege und der in Griechenland meist schlechten Straßen sollte man nach einem Chopper-Urlaub seine Bandscheiben sicherheitshalber zur Kur schicken.