Nordkalifornien

Nordkalifornien Jenseits vonHollywood

Kalifornien hat tausend Gesichter. Jenseits der Glitzerwelt von Hollywood, den Models und der Bay Watch locken Wüste, wilde Pazifikklippen, prächtige Viertausender und Bären in den Wäldern.

Ich glaube, daß ich Los Angeles allein an seinem Licht erkennen könnte. Dieser immer gleiche, von der Smogglocke trübgefilterte Sonnenschein, der morgens um acht Uhr genauso aussieht wie nachmittags um vier und so viel Sonnengefühl aufkommen läßt wie winterliche Treibhaustomaten. Müde und zerschlagen von elf Stunden Flug, versuche ich unter unablässig kreisenden Hotel-Shuttlebussen auf dem Flughafenzubringer den richtigen herauszufinden und möglichst schnell diese Stadt hinter mich zu bringen. Centurie Boulevard, Karls Hamburger, Marriot-Hotel, Hilton... Als ich am nächsten Tag den Lenker der Triumph in den Händen halte, wird es besser. Packsack aufladen, Sprit reinleeren, sich wieder an die amerikanische Tanksitte erinnern, daß erst Stoff kommt, wenn man vorher ein paar Dollar abgedrückt und dazu noch den autogerechten Dunstrüssel überlistet hat - und versuchen, mit einem nahezu unlesbar kleingedruckten Stadtplan aus dem Neun- Millionen-Moloch rauszufinden. Die Freeways helfen. Irgendwie auf den Zehner kommen, dort abbiegen auf die Nummer 405 in nördlicher Richtung und schließlich auf die Interstate 5 nach San Francisco. Es klappt.Hinter der Stadt beginnt die Hitze. Gnadenlos und mörderisch. Der asymmetrisch vorstehende Zylinderkopf der Triumph brät das rechte Knie, den Rest die Sonne und der glühend abstrahlende Asphalt sowie endlose Quadratkilometer Fels und Geröll. Hier schützen weder Dunstglocke noch Pazifikbrise - hier beginnt die Wüste, die Los Angeles von drei Seiten einrahmt. Während die mit Reifenfetzen übersähte Interstate direkten Kurs auf San Francisco nimmt, zweige ich nach Osten ab in Richtung Fresno. Eine Kleinstadt inmitten der Desert, planquadratisch aufgeteilt, Motel 6, Burger King, Seven Eleven, breite Wohnstraßen und noch breitere Chevies - Fresno war die Geburtsstätte des Kultfilms »American Graffity«, in dem Jugendliche der Kleinstadt-Ödnis durch Privatrennen und endlose Cruising-Runden in ihren aufgemachten Autos zu entfliehen suchen. Irgendwie nachvollziehbar. Mich dagegen stoppen die Bullen schon an der Ortseinfahrt, weil ich unerlaubt an einer Motelzufahrt gewendet habe.«Cruising forbidden« steht an jedem Laternenmast, mit Strafandrohung von 250 Dollar. Fresno scheint mit seiner Filmvergangenheit defintiv gebrochen zu haben. Okay, sorry, i´ll never do it again. Von Fresno sind es noch knapp 50 Meilen zur Sierra Nevada, dem mächtigen Gebirgszug im Osten Kaliforniens. Der Highway steigt bald stetig an, Wald ersetzt das Geröll und senkt die Temperaturen wieder auf erträgliches Niveau. Mit fast viereinhalbtausend Metern locker alpine Maße erreichend, gibt sich die Sierra auf weiten Strecken undurchdringlich. Die Landkarte verzeichnet im Südabschnitt rund um den 4418 Meter hohen Mont Whitney - der außerhalb Alaskas übrigens den US-amerikanischen Höhenrekord hält - keine Überquerungsmöglichkeit. Lediglich Stichwege und kleine Wandertrails zu den steilen Gebirgskämmen sind zu entdecken. Mit dem Motorrad muß ich bis zum Tioga-Paß im Yosemite Nationalpark, diesem kleinen, wie verwunschen wirkenden grünen Tal inmitten hunderte von Meter senkrecht aufsteigender Granitfelsen. Wasserfälle stürzen sich spektakulär über die grauen Wände hinab, von Bächen und Seen unten still gespiegelt. Hirsche luken zwischen den Bäumen Waldrändern, ein Koyote trabt über die Straße, vor Bären wird eindringlich auf Schildern gewarnt. Ich halte es so lange für Quatsch, bis mir ein Reisender erzählt, daß Schwarzbären hier in diesem Park seine Lebensmitteltüte vor dem Zelt weggeputzt hätten. Gottlob seien sie dann wieder abgezogen. Kaum zu fassen, denn Yosemite ist alles andere als ein stilles Fleckchen und nicht weniger populär wie Yellowstone oder der Grand Canyon. Zeltcamps und Lodges fassen locker 1500 Übernachtungsgäste, im Village ist geradezu Partystimmung angesagt. Vor einem kleinen Laden hoch oben am Paß, der Gaststätte, Minisupermark, Postamt und Outdoor-Ausrüster in einem ist, parkt die ganze Phalanx amerikanischer Naturerlebnis-Fahrzeuge. Motorräder, Wohnmobile, Pickups und Allradfahrzeuge aller Art, auf Ladeflächen und Gepäckträgern Mountain Bikes, Kletterausrüstungen, Angelrouten und Campingkram verzurrt. Drinnen werden letzte Lebensmittel eingekauft, Kaffee wird aus Styroporbechern getrunken und schnell noch eine Ladung Hamburger bestellt. Outdoor-Leben sollte in Amerika immer irgendwie mit Action und Bewegung zu tun haben, nicht zu unkomfortabel sein und vor allem Spaß machen. Ein paar Wanderer füllen ihre Wasserflaschen, eine Gruppe Harley-Fahrer streckt einfach nur die Knochen und macht Komplimente über die Triumph: »What the hell is that? A new Triumph?« Die Erklärung zieht sich, denn die letzte Triumph, die die Jungs gesehen haben, war offenbar eine Bonneville von 1975. Ab und an nimmt draußen wummernd ein V8 die Arbeit auf, eine alte 1000er Suzuki, mit Seesack auf dem Soziussitz und ziemlich selfcustomized aussehend, schraddelt in die Einfahrt. Amerikanische Touristen atmen das Abenteuer geradezu aus. Vermutlich finden das auch die Bären cool.In gut ausgebauten Kurven fädelt sich der Highway 120 schier endlos auf der Ostflanke hinab. Immer wieder zweigen Wege zu Seen und Campgrounds ab, doch es ist zu kalt und unwirtlich hier oben, in sonnenlosen Einschnitten taut gar noch letzter Schnee. Unten am Mono Lake stoße ich auf die Schotterpiste nach Bodie, einem verlassenen Dorf, in dem 1932 buchstäblich die Zeit stehen geblieben ist. Rund um die Überreste einer Gold- und Silbermine modern zusammen mit etwa 50 Wohn- und Geschäftshäusern alle nur denkbaren Bestandteile einer Dorfgemeinschaft der Jahrhundertwende vor sich hin. Eine Thin Lizzy, die schon fast ins Erdreich übergegangen ist, ein paar Pferdewagen, Aspirinschalten und Rasierwasser im Fenster der alten Apotheke, daneben ein Blecheimer der Dynamitfabrik Union Carbide. In der Schule steht gar noch die letzte Rechenaufgabe an der Tafel, 3+3 = 6. Kalifornien und seine legendären Goldvorkommen - der letzte Hoffnungsträger der Besiedler der neuen Welt. Wer bis hierher mit Pferden und Planwagen vorgedrungen war, hatte den Kontinent hinter und nur noch die mörderische Sierra Nevada vor sich. Rund 200 000 Menschen hatten sich Mitte des vorigen Jahrhunderts während des großen Goldrauschs auf den Weg nach Kalifornien gemacht. Und insgesamt Edelmetalle im damaligen Wert von 200 Millionen Dollar aus dem Boden geholt. Wilde, hoffnungsvolle Jahre, in denen Orte wie Bodie ebenso schnell aus dem Boden schossen, wie sie später wieder verfielen. Da der nördliche Teil des Gebirges durch Waldbrände unpassierbar ist, biege ich südlich des Lake Tahoe wieder nach Westen ins Central Valley ab, das fruchtbare Tal, das sich zwischen Sierra Nevada und Küstengebirge längs durch Kalifornien zieht. Weite Mais- und Gemüsefelder, weidende Rinderherden und lange Briefkastenreihen abgelegener Farmen an der Straße bestimmen das Bild, die Orte erinnern mit ihren alte Holzhäuser an Wildwestfilme. In einem Eisenwarenladen in Placerville liegen neben Nägeln und Türscharnieren noch komplette Goldwäscherausrüstungen im Regal. Man kann nie wissen. Weinstöcke und feine Gutshöfe lösen nördlich von San Francisco das profane Farmland ab, Winecountry ist erreicht. Eingewanderte Winzer aus Südeuropa und Baden-Württemberg haben Mitte des vorigen Jahrhunderts die Gunst der milden Hänge erkannt und keltern inzwischen mit ihrem Zinfandel, Chardonnay oder Cabernet Sauvignon dort Weine von Weltklasse. In Napa Valley parken teure deutsche Limousinen in den Kiesauffahren von Beringer, Kenwood und Sutter Home Wine - kalifornische Weine liegen hoch im Kurs. Die Hügel allmählich höher, die Coast Ranges kündigen sich an. Mit ihren großen alten Bäumen und gepflegten Wiesen erinnern sie ein wenig an britische Parklandschaften, bilden aber gleichzeitig einen schützenden Wall vor dem nahen Ozean. Bald quellen erste Wolken schwer und kalt über die Baumwipfel, der Meeressaum ist nicht mehr weit. Ein paar Sonnenstrahlen mogeln sich gerade noch durch, als ich nördlich von Bodega Bay den Highway one erreiche, die legendäre Panamericana, die von Alaska bis Feuerland den ganzen Kontinent zusammenhält. Weiß schäumt der Pazifik zu ihren Füßen an die hohe Steilküste, Seelöwen dösen auf kleinen Felseninseln, Pelikane wiegen sich im Wind. In der offenen Tür eines alten Camaro spielt ein Typ Gitarre, irgendeinen von der Brandung halbverschluckten Song, bestimmt von Dylan oder Cohen, was anderes kann einem hier gar nicht einfallen. Ich fahre weiter nach Norden, eingefangen vom Rhythmus des Pazifik, dem ständigen Wechsel von Sonne und Wolken, von sommerlichem Strandleben und klammer, grauer Feuchtigkeit, von dramatischen Felsabstürzen und sanften Buchten, von der kargen Einsamkeit Westports, diesem nur aus einer Tankstelle und einem Dutzend Häusern bestehenden Dorf und dem quirligen und ganz im Historic-Look aufgehenden Mendocino, das seine Touristen geradezu mit Netzen einzutreiben scheint. Der kühle Norden kündigt sich an, das aircondition-kontrollierte Südkalifornien scheint ewig weit weg, Straßencafés bekunden die Lust an Wärme und Sonne, bis Kanada sind es gerade mal noch zwei Bundesstaaten. Nicht gerade ums Eck, aber es scheint sich mit allen Sinnen anzukündigen. Kurz vor der Grenze zu Oregon zweigt die Avenue of the Giants ab, eine Straße durch einen Wald riesiger Redwoods, diese geradezu mutiert erscheinenden Kiefernverwandte, die mit bis zu drei- und vierfachem Umfang und Ausmaß üblicher Bäume dunkelrot in den Himmel ragen. Intensiv umgibt mich der Duft ätherischer Öle, wie ihn in Südeuropa Pinien und Kiefern verströmen. Ich parke die Triumph, wandere zwischen roten Riesen umher, atme und erlebe Wald in seiner wohl schönsten Form. Oregon ist fast erreicht, und ich muß an den Rückweg denken. Auf kleinen Highways arbeite ich mich durch die Berge im Hinterland nach Süden zurück. Doch das Wetter schlägt um, Regen und Sturm bestimmen die Tage. Der aus allen Spalten dampfende Vulkan Lassen Peak empfängt mich trotz hitzigen Innenlebens in über 3000 Metern Höhe mit unwirtlicher Kälte, am von Tannen umgeben Bergsee Lake Tahoe rechnet man mit erstem Schnee, die Kälte der ständig auf über 2000 Höhenmetern verlaufenden Strecke beißt sich durch alle Kleidungsschichten. Ich beschließe, alle verlockenden Gebirgssträßchen zu streichen und direkt auf Südkurs zu gehen. Erst jenseits des Mount Whitney fällt die Strecke unter die 5000-Fuß-Marke und damit endlich in deutlich wärmere Klimazonen. Stunden brumme ich auf dem schnurgeraden Highway 395 dahin, rechts die hohe Gipfelkette der Sierra Nevada, links rosa und violett schimmernde Salzseen, die Ausläufer der Wüste von Nevada. Dann zweigt die Straße zum Death Valley ab und es wird heiß, und zwar richtig. An einer verschlafenen Tankstelle zeigt das Thermometer um die 35 Grad. Die Mojave Desert beginnt, der tote Winkel Kaliforniens quasi, der nur noch aus Hitze, Stein und einsamen Truckstopps zu bestehen scheint. Die wenigen Touristen, die hier noch unterwegs sind, haben die Scheiben hochgedreht und rauschen vorbei. Eine Entfernungstabelle kündigt 176 Meilen nach Glendale in L.A. an. Bald ist es geschafft. Als die Dämmerung hereinbricht, wandelt sich das helle Blau des Himmels zu einem intensiven Indigo, an den Rändern in leuchtendes Orange und Violett übergehend und eine monumentale Panoramafläche für die zurückbleibende Sierra Nevada bietend. Farben, wie sie nur die Wüste hinbringt. An der Kramer Junction, einer trostlosen Highway-Kreuzung mitten im Nichts, rüsten sich riesige Trucks für die Nachtetappe. Bald beginnt die Interstate, schwingt sich in langen Zügen über die San Bernardino Mountains. Dann weht er hinter einer Kurve plötzlich hervor, der feuchtwarme Atem des Pazifik, der die riesige der Stadt der Engel ankündigt. Und plötzlich wird der Himmel hell von den irrwitzigen Lux ungezählter Lampen und Neonreklamen, die Nacht buchstäblich zum Tage. Ich bin wieder drin in dem Moloch von Stadt, in dem jede Kalifornienreise beginnt. Und ich würde ihn vermissen, wenn er jetzt nicht gekommen wäre.

Infos

Kalifornien bietet Vergnügen pur: Leicht zu bereisen, gute Mietmotorräder, tolle Landschaft und sogar Strände. Ohne den hohen Dollarkurs wäre es perfekt. Die Preise für Flüge und in Deutschland gebuchte Mietmotorräder sind aber kaum gestiegen.

Anreise: Los Angeles oder San Francisco werden von fast allen Fluggesellschaften mit Nordamerikakontakt angeflogen. Die Auswahl ist entsprechend groß, Lastminute-Schnäppchen sind häufig zu finden. Im Schnitt sind etwa 1300 Mark für ein reguläres Rückflugticket einzukalkuliieren rechnen, Angebote unter tausend Mark aber nicht selten. Die Strecke: Die oben abgebildete Route weicht geringfügig von der in der Reportage beschriebenen ab. Schlechtes Wetter vereitelte die optimale Streckenwahl, eine Querverbindung vom Lake Tahoe nach Napa mußte eingebaut werden. Abgebildet ist dennoch der beste Reisevorschlag für eine Nordkalifornientour. Sie umfaßt alle wesentlichen Aspekte und landschaftlichen Highlights des Landes. Übernachten: Quartiersuche ist in Kalifornien kein Problem, Motels kosten zwischen 30 und 60 Dollar und finden sich überall an der Strecke. Der Preis gilt immer für ein Doppelzimmer, gleichgültig, mit wieviel Personen man letztendlich darin nächtigt, für das Frühstück muß allerdings in der Regel selbst gesorgt werden. Von Juni bis September ist die Buchungssituation oft etwas knapp, aber wer sich bereits am frühen Nachmittag umsieht, findet auch in touristischen Hochburgen immer noch etwas. Motelketten bieten die Möglichkeit der Vorbuchung für das nächste Etappenziel. Eine besonders gemütliche Art der Übernachtung bieten die Cabins, kleine, mit dem nötigsten ausgestattete Holzhütten, die meist in oder im Umkreis der Nationalparks zu finden sind. Preise ab 50 Dollar. Mietmotorräder und organisierte Touren: Los Angeles und San Francisco bieten gleich mehrere Möglichkeiten. Die Preise beginnen bei einer Mittelklassemaschine (meist Suzuki VS 800) ab etwa 90 Mark pro Tag und enden bei einer Harley oder Gold Wing zwischen 140 und 200 Mark. Die wichtigsten Anbieter und Agenturen in Deutschland (auch organisierte Touren): MOTORRAD ACTION TEAM (siehe Kasten), GS Sportreisen, Telefon 089/27818484; Dubbelju, Telefon 040/5257887; ADAC (Geschäftsstellen oder 089/7676-0), Bike and Adventure, 07031/760795; Marlboro Reisen/LTU Touristik, Reisebüro oder Telefon 0211/90 78. Eine Übersicht über Mietmtorräder und Reiseanbieter in den USA wird demnächst in Unterwegs erscheinen.Literatur: Sehr fundierte Hintergrundinformationen über das Land bietet der Apa Guide »Nordkalifornien« für 44 Mark, motorradspezifische Informationen über USA allgemein finden sich dagegen eher in dem Amerika-Band der Edition Unterwegs für 29 Mark (erhältlich im Shop oder Buchhandel). Die informativsten Kalifornien-Karten stammen aus den USA selbst, von H.M.Gousha oder Rand McNally, gibt´s vor Ort für zwei Dollar an Tankstellen oder in gut sortierten Kartenhandlungen in Deutschland. Gefahrene Strecke: 1300 KilometerZeitaufwand: Zwei Wochen

Zur Startseite