Das gelbe Monster schüttelt sich, brüllt immer wieder heiser auf und stößt dabei mächtige Rauchwolken aus. Wenn »Hauly« seine 860 Pferdestärken mobilisiert und sich seine über zweieinhalb Meter hohen Räder ruckartig in Bewegung setzen, degradiert er zweirädrige Schwergewichte wie eine Harley-Davidson Heritage Classic zum Spielzeug-Bike und treibt deren Fahrer die Schweißperlen auf die Stirn. Wäre der Reifen aufgeschnitten, so könnten Mann und Maschine wie ein Hamster im Laufrad durch das Kautschuk-Rund rotieren.Hauly ist ein Schwerlastkraftwagen, von denen derzeit 20 am Steirischen Eisenberg abgesprengtes Erz zu Tal schaffen - 210 Tonnen pro Stunde. Die Schwerarbeit hat Hauly allerdings längst hinter sich. Mit seinen acht Jahren ist er einfach schon zu alt dafür. Doch anstatt auf dem Schrottplatz zu verrosten, transportiert er - frisch lackiert - helm- und plastikmantelbewehrte Touristen über die zahlreichen Stufen des Erzberges. Seine Lademulde ist mit überdachten Sitzreihen bestückt, die auf einer langen Leiter erklommen werden müssen - eine gelungene, weltweit wohl einzigartige Touristenattraktion.Touren finden allerdings nur zwischen zehn Uhr morgens und fünf Uhr nachmittags statt, denn vorher und nachher wird gesprengt. In der Altstadt von Eisenerz weisen Schilder auf die Gefahren hin: »Der Aufenthalt im Freien während der Schußzeiten ist verboten. Bei Signal Häuser/Deckung aufsuchen.« Die Eisenerzer sind schon lange an diese Tagesabläufe gewöhnt, in ihrem Ort wird seit Hunderten von Jahren das wertvolle Erz gewonnen, das unter anderem zur Harley-Herstellung verwendet wird- was dazu führte, mit den Eisenhaufen dem Verlauf der Österreichischen Eisenstraße zu folgen.Der Startpunkt lag weiter im Norden, im oberösterreichischen Steyr. Seit die sehr hübsche Stadt Residenz der Markgrafen der Steiermark war, ist sie ein Zentrum des Eisenhandels und der Eisenverarbeitung. Hier lebten und arbeiteten berühmte Messerschmiede, von denen einige später die Solinger Stahlindustrie mitbegründeten. Durch Vergabe von Sonderrechten wurde 1287 verfügt, daß alles Eisen, das vom steirischen Erzberg nach Norden transportiert wurde, über Steyr laufen mußte. Die Eisenhändler des bald als »Eisenstadt« bezeichneten Ortes kassierten entsprechend ab. Etliche prächtige Häuser rund um den Marktplatz zeugen noch heute vom einstigen Reichtum.Die beiden Stahlrösser erregen nicht unbeträchtliches Aufsehen, Mütter lassen ihre Sprößlinge probesitzen, ältere Herren erzählen Geschichten aus ihrer bewegten Zweiradvergangenheit, wildfremde Leute empfehlen Hotels, Restaurants oder fragen, ob sich die Biker verfahren haben. Beim Stichwort Eisenstraße hellen sich die Gesichter noch mehr auf. Eine gute Wahl, bestätigen die Insider. Tirolerfahrene Motorradfahrer werden von der freundlichen Offenheit der in dieser Region der Alpenrepublik lebenden Menschen überrascht sein. Sie sind ganz offensichtlich noch nicht so »piefke«-geschädigt (Piefke: Tirolerisch für Tourist aus Deutschland) wie ihre westlichen Nachbarn. Die Generalkarte verzeichnet gleich zwei Eisenstraßen. Eine schlängelt sich an der Enns, die andere an der Steyr entlang. Beide sind rot, aber die Steyr-Variante ist grüngerändert, was intensivere landschaftliche Genüsse verspricht. Bleibt die andere für den Rückweg.Grüne Hügel beherrschen das Landschaftsbild entlang der breit ausgebauten Schnellstraße. Doch am noch fernen Horizont kündigen weißgepuderte Berggipfel einen alpinen Tagesausklang an. Hinter Grünberg wird es endlich enger und kurvenreicher. Was Autolenker schreckt - Schilder mit Schlangenlinien und der Aufschrift »Ende der Ausbaustrecke« -, läßt bei Bikern erst richtig Fahrfreude aufkommen.Am Flußufer stehen immer wieder Ruinen der Radwerke, wie die wasserradbetriebenen Hochöfen genannt wurden. Ihre Besitzer, die Radmeister, wohnten in den schmucken Herrenhäusern nebenan. Heute sind nur noch wenige dieser Radwerke in Betrieb. Kurz vor Molln ist in der Generalkarte ein graues Bändchen über die Steyr eingezeichnet. Auf dem kaum autobreiten Fahrweg geht es im Bummeltempo an Bauernhöfen vorbei, durch Wiesen und Wäldchen. Gerüche wechseln sich ab, vermischen sich. Frisch gemähtes Gras, eine Prise Kuhmist, dazu etwas Nadelwald und feuchtkühle Luft aus der schattig-moosigen Flußniederung: Aromatherapie für Biker.Nach dem Steyrdurchbruch, der allerdings nur von der Schnellstraße aus zu sehen ist, setzt sich die offizielle Eisenstrecke fort, die jetzt noch zwei weitere Namen trägt: Barock- und Römerstraße. Da hat es das Tourismusamt wohl etwas zu gut gemeint.Hinter der Steyrbrücke lockt das Stodertal mit einer winzigen, werktags kaum befahrenen Straße, die, wie ein Schild anzeigt, der Einfachheit halber ebenfalls als Eisenstraße tituliert wird. Das scheint hier in der Gegend am besten zu ziehen. Das letzte Wegstück ist geschottert und trotzdem legal befahrbar. In den österreichischen Alpen eher eine Seltenheit.Am Gasthof Baumschlagerreith vor der hochalpinen Kulisse des Toten Gebirges ist dann Schluß. Der kredenzte Kaiserschmarrn, so erzählt die heisere Kellnerin, die ihn sichtlich selbst bevorzugt, stammt nicht aus Wien, wie viele Süßspeisen-Enthusiasten annehmen, sondern ist irgendwo hier in einer oberösterreichischen Holzhütte erfunden worden. Kaiser Franz Joseph pflegte bei seinen Jagdausflügen in solch primitiven Behausungen zu nächtigen, der deftige Holzfällerschmarrn soll ihm allerdings auf den Magen geschlagen haben, so daß für ihn eine feinere Art mit Milch, Mehl und Eiern erfunden worden sei, die später als Kaiserschmarrn Weltruhm erlangte.In Windischgarsten ignorieren die Harley-Treiber das erste Eisenstraßenschild, das den Weg nach Liezen weist und folgen dem anderen Richtung Hengstpaß. Eine gute Wahl. Auf der kurvenreichen Strecke verkehren fast ausschließlich Motorradfahrer. Hinter dem Paß ist die Straße spektakulär in die Felsen gesprengt.Altenmarkt gehört dann schon zur Steiermark. In St. Gallen, bei der weithin sichtbaren Burgruine Gallenstein, zweigt ein Sträßchen nach Großreifling ab. Die Burg hat auch eine eiserne Tradition, sie gehörte einst einem Hammerherrn, dem Besitzer eines wasserradgetriebenen Hammerwerkes zur Bearbeitung von Eisen. Seit 1831 steht das Gebäude leer und hält damit den traurigen Rekord, die jüngste Ruine der Steiermark zu sein.Eine weiteres, kleines Motorradsträßchen mit vergangener, eiserner Hoch-Zeit empfiehlt der Bahnwärter am Blockposten Eisenerz, wo heute noch täglich die mit Erz beladenen Züge vorbeirattern. Und er gibt auch die Geschichte vom Wassermann zum besten, der der Sage nach im Jahre 712 Eisenerzer Bürgern den Erzberg gezeigt haben soll. Ein gotischer Bildstock auf dem Weg ins Radmertal markiert die Stelle. Die Eisenerzer hatten den Wassermann in einem Sack gefangen, und dieser versprach ihnen Reichtum als Gegenleistung für seine Freilassung: »Gold für ein Jahr, Silber für zehn Jahr oder Eisen für immerdar.« Die Eisenerzer wählten das Eisen und fuhren gut damit. Da der Erzberg so vielen Menschen ein regelmäßiges Einkommen bescherte, nannten sie ihn ihren steirischen Brotlaib.Doch die Rohstoffreserven haben mit den Jahren beträchtlich abgenommen. Geologen rechnen damit, daß die Eisenerzvorkommen bis 1998 erschöpft sein werden.Der Berg wird dann allerdings immer noch stehen, erklärt die nette Führerin, die die Fahrt mit dem gelben Monster auf den Erzberg kommentiert. Denn das Erz kommt nur in Adern vor, die durch Sprengungen freigelegt werden, während ein Großteil des Erzberges, unter anderem seine Spitze, aus tauben Gestein besteht, das kein Eisen enthält. Der Berg wurde also jahrhundertelang von einer Flanke her abgetragen, der Abraum auf den Sturzhalden der anderen Seite wieder aufgeschüttet. Die Zuhörer sind begeistert, und die grinsende Eisenerzerin setzt ihre Pointe: »Wir Steirer sind damit die einzigen Menschen, die Berge versetzen können.«An Wochenenden und Feiertagen widerfährt dem Erzberg seit einiger Zeit Ungewöhnliches. Auf seinen Serpentinenstrecken kämpfen dann Mountainbiker, Enduro- und Rallyefahrer um Pokale. Eigentlich erstaunlich, daß der berühmteste Sohn der Steiermark den Erzberg noch nicht als Kulisse für einen neuen Action-Reißer entdeckt hat. Arnold »die steirische Eiche« Schwarzenegger, die ofenrohrdicken Arme um das Lenkrad des Haulys geklammert auf Gangsterjagd am Erzberg, das gäbe bestimmt gute Publicity für die Nach-Eisenzeit.Am höchsten Punkt der Truck-Tour fällt der Blick auf die umliegenden Berge. Das Erstaunliche dabei: Obwohl die Gegend so lange intensiv von Menschen ausgebeutet wurde, sieht man dem Umland nichts an. Unversehrte, idyllische Berge ringsherum, kleine Sträßchen, Kühe auf saftigen Weiden. Mittendrin, quasi als Kulturdenkmal, die größte von Menschen geschaffene Pyramide der Welt, der rote Erzberg. An dessen tiefstem Punkt, im fast unwirklich türkisfarbenen See, könnte sogar gebadet werden, so sauber ist das Wasser. Aus Haftungsgründen erlaubt das die Bergwerksgesellschaft noch nicht offiziell, aber während der hier stattfindenden sommerlichen Wochenend-Freiluftkonzerte springt der eine oder andere schon mal ins kühlende Naß.Die einst atemberaubend steile Straße über den 1232 Meter hohen Präbichl verbindet auch heute noch die beiden wichtigsten Zentren der österreichischen Eisenindustrie, Steyr und Leoben. Allerdings ist sie mittlerweile eine beliebte Trasse für sportliche Big Biker geworden, die sich in der Nähe der Paßhöhe an einem Kiosk mit Panoramblick auf den Erzberg treffen.Kurvenreich geht es weiter nach Vordernberg, wo Eisenfans noch einmal richtig auf ihre Kosten kommen. Der Ort war einst, bevor die Erzbergbahn von Leoben nach Hieflau gebaut wurde, das Zentrum der österreichischen Eisenverhüttung. Bereits im 17. Jahrhundert waren hier vierzehn Radwerke in Betrieb. Die letzten Hochöfen wurden um die Jahrhundertwende ausgeblasen. Ein Hauptdarsteller der Schwerindustrie, das Radwerk IV, ist ein Meisterwerk früher Industrie-Architektur und nach erfolgreicher Restaurierung der Öffentlichkeit zugänglich. Die mächtige Holztüre ist verschlossen, aber ein alter Mann spürt das Interesse der Heavy Metal-Fans und sperrt auf, um kurz das Innere des Gebäudes zu zeigen. Im Zentrum steht der mächtige Hochofen, der von einem wasserradgetriebenen Gebläse angeheizt wurde. »Hier trafen alle vier Elemente aufeinander: Wasser aus dem Bach, das die Luft für das Feuer lieferte, um die Erde zu schmelzen, die das Eisen enthielt.«Vordernberg ist Umkehrpunkt, die Eisenstraße geht zwar noch bis Leoben, aber auf einer langweiligen, stark befahrenen Bundesstraße. Das muß nicht sein.Erst in Großreifling zweigen die beiden Maschinen nach rechts ab, um die östliche Variante der Eisenstraße zurück nach Steyr zu befahren. Großreifling deshalb, weil dort eine Superstrecke am Mendlingbach entlangführt.Im späten Nachmittagslicht wirken die grünen Berg- und Hügelketten im Nationalpark Eisenwurzen wie Scherenschnitte. Am Flüßchen Ybbs halten die beiden Schwergewichte noch einmal andächtig inne. Erst als es schon fast dunkel ist, können sich ihre Fahrer los-eisen.
Infos
Österreichs Fremdenverkehrsämter sind recht innovativ bei der Erfindung neuer Straßen-Themen. Da gibt es a bisserl was für jeden: Römer-, Romantik-, Barock-, Seen- und Moststraße. Die Eisenstraße durch die Steiermark, Ober- und Niederöstereich führt Motorradfahrer »back to the roots« und durch wunderschöne Landschaften.
Anreise: Von München über die A8 in Richtung Salzburg, dann über die A1 bis nach Linz und die Ausfahrt Enns in Richtung Steyr nehmen.Übernachten: In Steyr gefiel das historische »Hotel Mader« direkt am Marktplatz: Stadtplatz 36, A - 4400 Steyr, Telefon 00 43/72 52/53 35 80, Fax 00 43/7252/53 35 06. Auf halber Tourstrecke liegt der »Gasthof Schnabl«, der in einer renovierten Mühle untergebracht ist: Erb 16, A - 8931 Großreifling, Telefon 00 43/36 33/22 15, Fax 00 43/36 13/23 12 46. Etwas abseits der Tourstrecke, auf der »24« Richtung Mariazell, empfiehlt sich das ruhig gelegene »Jagdschloß Gleißnerhof«, das drei schöne, geräumige Zimmer mit Aussicht vermietet: A - 8632 Gußwerk, Telefon 00 43/38 82/32 69. Aktivitäten: Fahrt mit dem 860 PS starken Schwerlastkraftwagen »Hauly« auf den Erzberg und Besichtigung des Schaubergwerks in Eisenerz. Geöffnet von 1. Mai bis 31. Oktober. Tägliche Führungen um 10, 12.30 und 15 Uhr. Hauly-Fahrten nach Bedarf, Voranmeldungen erwünscht. Informationen: VA-Erzberg Gesellschaft, Erzberg 1, A - 8790 Eisenerz, Telefon 00 43/38 48/45 31 47 0, Fax: 00 43/38 48/45 31 58 0. Durch das Radwerk IV in Vordernberg (9794 Vordernberg, Telefon 00 43/38 49/283 oder 206) gibt es Mittwoch bis Sonntag um 9.30 Uhr und Dienstag bis Freitag um 14.30 Uhr eine Führung. Die Roheisengewinnung wird am eindrucksvollen Original-Hochofen erklärt. In Styr befindet sich im Heimathaus am historischen Marktplatz das Eisenmuseum. Jedes der drei Bundesländer, durch die die Eisenstraße verläuft, unterhält seinen eigenen Verein zum Thema: Verein Steirische Eisenstraße, Freiheitsplatz 1, 8790 Eisenerz, Telefon 00 43/38 48/36 00. Verein Niederösterreichische Eisenstraße, Eisenstraße 13, 3341 Ybbsitz, Telefon 00 43/74 43/60 0. Verein Eisenstraße Oberösterreich, Pachergasse 2/3, 4400 Steyr, Telefon 00 43/72 52/46 01 20Literatur: Die Buchhandlung am Marktplatz von Steyr verkauft den handlichen Kulturführer »Österreichische Eisenstraße« (ISBN 3 85068 351 6). Enthalten sind alle wichtigen Orte an der Eisenstraße und sehr viel Hintergrundwissen zum Thema. Der Merian live-Band »Steiermark«, Renate Wagner-Wittula, Gräfe und Unzer-Verlag, für 12,80 Mark beschreibt den steirischen Part der Österreichischen Eisenstraße. Die beiden Blätter 3 und 4 der Generalkarte Österreich zeigen, wo es langgeht (je 8,80 Mark).Streckenlänge: etwa 600 kmZeitbedarf: drei Tage