Wann ist man reif für einen Oldie? Wie artet eine kleine Flussfahrt zum Selbsterfahrungstrip aus? Und wo liegt eigentlich Langenburg?
Wann ist man reif für einen Oldie? Wie artet eine kleine Flussfahrt zum Selbsterfahrungstrip aus? Und wo liegt eigentlich Langenburg?
Okay, dann bremst die vordere Bremse eben nicht. Ist auch egal. Vermutlich läuft das gute Stück eh nicht schneller als 70 Sachen. Im Übrigen, behauptet mein alter Herr, bremse man mit so einem Motorrad hinten. Na dann er muss es wissen. Entschlossen verpasse ich seiner NSU Lux den ultimativen Kick, entlocke ihr dieses sonore Blubbern, das nicht mal entfernt an den kreischenden Sägesound moderner Zweitakter erinnert, gehe am breiten Lenker in Position und schlingere um Haltung bemüht vom Hof.Gar nicht so einfach, auf einem Schwingsattel eine coole Figur abzugeben. Die Mienen meiner Nichten und Neffen am Küchenfenster lassen jedenfalls keine andere Deutung zu. Mit unverhohlener Belustigung verfolgen sie den zugegeben einigermaßen ungelenken Abgang ihrer Tante. Respektlose Gören. Ist euch eigentlich klar, über wen ihr da lacht? In eurem Alter motorradelte diese Person bereits mehrmals wöchentlich über den Großglockner. Unten im Keller. Mit den Bellas. Ja, die beiden Zündapp wohnten damals im Haus. Wurden erst durch den Einzug dieser albernen Gefriertruhe auf den Dachboden der Zimmerei verbannt. Zwischen Absauganlage, lädierte Fahrräder, Holzbohlen und Leiterwagen, wo später auch die Lux ihr vorläufiges Ende fand. Unter einer grauen, dick mit Sägemehl überzogenen Zeltplane.»Stand aber höchstens drei, vier Jahre da oben. Allenfalls fünf«, versicherte Vattern. »Und lief bis dahin einwandfrei.« Es waren zehn. Wie die gut abgehangene TÜV-Plakette bewies. Die Batterie mausetot, der Vergaser bewusstlos, das Öffnen des Tankdeckels abgründig: Über einer braunen Brühe aus Rostplacken und Mischung waberte der Gestank steinalter Fischkonserven, dessen Intensität mich unvermittelt an den Rand einer Ohnmacht katapultierte. Es vergingen ungezählte Versuchsreihen mit Dampfstrahler, Glasscherben, Splitt und Chemie, ehe eine Neubefüllung mit zehn Litern 1:50 in Frage kam.Einer davon dürfte allein auf den letzten sechs Kilometern verpufft sein: Kreisstraße 2007, Hölzern-Cleversulzbach. Für Poesie-Pilger eine hübsche Mischwaldpassage entlang der Schwäbischen Dichterstraße, für die ansässige PS-Prominenz lokale Bergrennstrecke, für die NSU und mich eine Lehrstunde in Duldsamkeit und Durchhaltevermögen. Stunde, ja. Eine Stunde für sechs Kilometer! Vier Operationen am offenen Vergaser. Weil sich der Bing, Typ 2/22/16, einen Fremdkörper reingezogen hatte. Am Cleversulzbacher Friedhof stirbt der Einzylinder zum fünften Mal ab. Wenigstens ist er hier in guter Gesellschaft. Die Mütter Schiller und Mörike liegen rechts oben. Die Probleme der Lux auf Halbhöhe, links. Der Benzinhahn: Er ist zu. Alles wird gut.Oldie fahren ist anders. Oldie fahren braucht Zeit. Du musst den richtigen Rhythmus finden. Rhythmus. Alles klar. Zwei vor, einer zurück. Warum nicht? Man sieht ja auch viel mehr auf die Art. Historische Kilometersteine, plattgefahrene Kronkorken, die »Blumen zum selber pflücken« am Straßenrand und die schöne Welt dahinter. Durch Unmengen ungesperrter Feldwege erschlossen. Mitten im reglementierten Süddeutschland, direkt an der Hausstrecke und vor lauter Leistung nie registriert. Rasen macht offensichtlich blind. Der nächste Abzweig gehört mir. Führt zu einem klitzekleinen, bilderbuchreifen Bach, über Schotter, Gras, durch Streuobstwiesen, biegt in alte, von maroden Sandsteinmauern zusammengehaltene Weinberge und versteigt sich schließlich ins Unterholz. Steil hinauf.Äste knacken unter den Reifen, zwischen den Speichen klimpern Zweige und Laub, während die Lux beachtliche Enduroqualitäten ausspielt. Doch das Gefühl, etwas schwerst Verbotenes zu tun, hemmt meinen Vorwärtsdrang erheblich. Wenn jetzt einer kommt... ich schwöre, Herr Waldmeister, da war garantiert kein Schild zu sehen. Wandermarkierungen gütiger Himmel, es geht tiefer und tiefer in Gehölz. Das nimmt kein gutes Ende, der Förster bringt mich um. Null Plan, wo wir hier überhaupt sind.Keine zehn Kilometer Luftlinie von zu Hause entfernt, stellt sich später heraus. Die Sonne brennt bereits senkrecht auf die Felder Hohenlohes herab. Langenburg, mein ursprünglich anvisiertes Ziel, scheint ferner denn je. Wenngleich die NSU inzwischen rennt wie der Teufel. Auf der abschüssigen Eingangsgeraden ins tiefgrüne Kurvenreich des Ohrntals zittert die Tachonadel an die 80 heran. Der Zweitakter gibt alles, holt das Letzte aus seinen 198 Kubikzentimetern heraus: 8,6 PS! Hände, Hintern, Füße, alles kribbelt zum Gotterbarmen, während das Fahrwerk ein bemerkenswertes Eigenleben entwickelt. Bis zum Steinbruch noch. Gleich kommt die erste Biegung. Danach diese fiese Bodenwelle. Festhalten. Mal sehen, wie...herrje, was ist das denn? Mit voller Wucht knallt die Fuhre in die Teerwoge und schleudert mich ums Haar aus dem gefederten Sattel. 150 Meter weit hält das Nachwippen an, die lieben Nichten und Neffen würden vor Begeisterung kreischen.Der Schock sitzt bis Sindringen, wo die beiden Neckarzuflüsse Kocher und Jagst nur durch einen zwei Kilometer breiten Bergrücken getrennt sind. Entsprechend ungekünstelt fällt die Straßenverbindung nach Jagsthausen aus. Rauf, runter, fertig. Den hochprozentigen Anstieg schafft die Lux gerade noch im zweiten Gang. Einlassen, du musst dich einlassen. Genieße die Sommerluft, den Blick zurück ins Tal, die letzte nach Bach schmeckende bewaldete Kehre, bevor es hinaus auf die Hochebene geht. Rhythmus, denk an den Rhythmus. Unendlich langsam kriecht mir die Hitze der Weizenfelder entgegen. Bittersüß. Und plötzlich kapiere ich den Reiz dieser Gegend wirklich: Es sind die Gegensätze. Die Weite des Himmels und der sanft geschwungenen Ährenteppiche hier obenin Verbindung mit den verträumten, in allen Grüntönen schimmerneden Flusstälern dort unten.»Willkommen. Welcome. Bienvenue.« Am Jagsthausener Ortseingang werben rot-schwarze Plakate für die Freilichtspiele im Hof der Götzenburg. Gegeben werden »Evita«, »Faust I« und selbstverständlich »Götz von Berlichingen«, der Ritter mit der eisernen Hand, dem Goethe seinerzeit jenes unaussprechliche Zitat in den Mund gedichtet hat. Dass heuer die Regenbogenpresse so regen Anteil an den Burgfestspielen nimmt, hat weniger mit deren Hinwendung zu großen Klassikern als mit einem modernen »Sturm-und-Drang-Stück« zu tun: »Altbundespräsident Roman Herzog heiratet Freiherrin Alexandra von Berlichingen. Die ungewöhnlichste Liebesgeschichte des Jahres.«Nun Jagsthausen ist für manche Überraschung gut. Unten, in der Nähe des alten Bahnhofs zum Beispiel, gibts eine waschechte Furt. »Halt, nein, nicht«, brüllt ein aufgeregt herbeiknatternder Mofapilot. »Da flog erst gestern ein KTM-Fahrer vom Bock. Hat sich mitten im Fluss lang gemacht. Ist ne saugefährliche Sache, sag ich Ihnen. Spiegelglatt.« Die bereits in Zuschauerposition verharrenden Kanufahrer nehmen ihre Reise wieder auf. Der Mann mit dem Mofa verbrachte seine Mittagspause an der Angel. »Wirklich herrliches Fischwasser hier. Karpfen, Forellen, Aal, Hecht. Und Sie ham ne Max gefangen, was? Haha.« »Nee, ne Lux.« Diese Antwort gebe ich heute zum x-ten Mal. »Ganz schön alt, wie?« »Kann man wohl sagen, Baujahr 52.«Die Kirchturmuhr schlägt zwei. Langenburg wird für heute gestrichen. Zu weit. Habe bis jetzt gerade mal 47 Kilometer geschafft. Ein Schlenker noch zum Kloster Schöntal. Rum um die letzte Kurve hinter Berlichingen bumm! Gänsehaut. Wie es plötzlich vor einem steht, in seiner barocken Pracht, das ist Atemraub. Unten am Wehr planschen Kinder, spielen Seeräuber mit alten Autoschläuchen. Zweimal tief Luft holen, dann gehts flussabwärts. In weiten Bögen runter Richtung Neckar. Nach 20 Minuten bin ich mit dem Thema Bundesstraße allerdings durch. Viel zu schnell, viel zu laut und viel, viel zu breit. Dabei gehörten die genialen Asphaltschleifen bis Möckmühl gestern noch zu meinem Lieblingsjagstrevier. Hier verknallte ich mich in die Bimota DB 4, schwor der Honda CBR 900 RR ewige Treue, erlag dem Charme einer Triumph 995i. Ein locker 300 PS starkes Trio, das mir unvergessene Schräglagen bescherte. Und jetzt? Biege ich in Ruchsen auf dieses drittklassige Sträßchen nach Korb ein, um mich unter urwaldigen Gewächsen am Hergstbach entlang treiben zu lassen.»Neudenau 1 Stund, Billigheim ½ Stund.« Meine Reisegeschwindigkeit stimmt mehr und mehr mit den Angaben auf den historischen Sandsteinwegweisern überein. Es geht nicht mehr voran, sondern kreuz und quer. Ziellos streife ich über staubige Feldwege, seile mich in jedes kühle Wiesental hinab, wähne mich fern jeglicher Zivilisation und erschrecke, wenn doch mal ein Auto kommt. Mit dem Gefühl, irgendwo hinter dem Mond gewesen zu sein, erreiche ich Neudenau. Bis Neckarsulm, die Wiege der Lux, sinds noch knapp 20 Kilometer. Beileibe kein Katzensprung, aber machbar. Ich bin reif fürs Museum: drei Stockwerke Zweiräder von 1817 bis heute, und unten im Keller die gesammelten Werke von NSU einstmals größter Zweiradhersteller der Welt. Als die Lux vor dem Deutschordensschloss auf ihren Ständer kracht, sind die Museumspforten jedoch seit vier Stunden geschlossen. Mit Recht. Es ist 21 Uhr. Nach einem Tag Oldtimer fahren bist du verloren für die Welt. Zeit- und Raumgefühl gehören der Vergangenheit an.Die untergehende Sonne im Rückspiegel, ein aufblühendes Klappern im linken Ohr, trete ich den Heimweg an. Und morgen, da fahre ich wieder nach Langenburg. Klapper-klapper. Denn Langenburg ist überall. Ticker-ticker. Auch wenn das Jagsttal dort am schönsten ist. Gänggg-gänggg. Wird doch hoffentlich nichts Ernstes sein. Wo war ich? Ach ja ne, irgendwas stimmt da nicht. Sieht auch so seltsam leer aus da unten. Klar, weil die Luftfilterbirne fehlt. Mist. Die finde ich doch nie mehr. »Gehört das Ihnen?« Triumphierend streckt mir ein mindestens 100 Jahre alter Rixe-Radfahrer die silberne Kugel entgegen. »Hab gesehen, wie Sie das Teil verloren haben. Und Sie sind ja Gott sei Dank nicht so schnell unterwegs. Ist ne Max, gell?« »Ne, ne Lux.« »Und wo geht die Reise hin, wenn man fragen darf?« »Nach Langenburg.« »Hui. Da haben Sie sich aber was vorgenommen.«
Burgenstraße, Limesstraße, Dichterstraße, Weinstraße: An Jagst und Kocher läuft einiges zusammen. Nicht zuletzt ein dichtes Netz genialer Motorradstrecken.
DIE ROUTEMit etwas mehr als 8,6 PS unterm Hintern, gedeiht nebenstehende Strecke zur gemütlichen Wochenendtour. Es sei denn, man versteigt sich auf den teils unglaublich steilen Abwegen, die überall im Raum Heilbronn/Hohenlohe durchs Unterholz, an schwerst idyllische Bachläufe oder hinauf in die Weinberge und Hochebenen locken. Ein paar davon sind freilich bereits in die Route eingearbeitet. Hier ein Mini-Roadbook der einschlägigen Stellen, Kurs West-Ost, Jagst: Billigheim, Waldmühlbach, Reichertshausen, Möckmühl, Sennfeld, Leibenstadt, Korb, Dippach, Ruchsen. Kloster Schöntal, Neuhof, Schleierhof, Sindeldorf, Krautheim, Assamstadt, Laibach, Rengershausen, Dörzbach. Langeburg, Hürden, Leofels, Dörrmenz, Diembot, Eichenau, Kirchberg. Kurs Ost-West, Kocher: Ohrnberg, Unterohrn, Schwöllbronn, Langenbeutingen, Cleversulzbach, Eberstadt, Buchhorn, Gellmersbach, Weinsberg.SEHENSWERTBurgen, Schlösser, mittelalterliche Fachwerkfassaden, Museen Historikfreaks kommen an Jagst und Kocher garantiert auf ihre Kosten. Zu den Highlights zählt das Renaissanceschloss Langenburg mit angedocktem Automuseum. Völlig anderer Natur: die in eine Muschelkalkwand gebaute, 500 Jahre alte Wallfahrtskapelle St. Wendel zum Stein sowie die Höhlen drum herum. Jagsthausen wirbt mit der Götzenburg, Geburtsstädte des Götz von Berlichingen, der jeden Sommer bei den Burgfestspielen in Goethes gleichnamigem Schauspiel aufersteht. Begraben wurde der Ritter mit der eisernen Hand im Kloster Schöntal, einer ehemaligen Zisterzienserabtei mit prächtiger Barockkirche. In Neckarsulm lädt das Deutsche Zweirad- und NSU-Museum zu einer Zeitreise von 1817 bis heute ein.UNTERKUNFTPensionen, Hotels und Ferienwohnungen gibts selbst in den hintersten Winkeln en masse. Besonders schön gelegen: der Gasthof zur Post am Kloster Schöntal, Telefon 07943/2226, Doppelzimmer 110 Mark und die Jagstmühle in Heimhausen bei Mulfingen, Telefon 07938/90300, Doppelzimmer 138 Mark. Campingplätze sind rar und größtenteils gartenzwergverseucht. Unser Tipp: Braunsbach am Kocher. Hier zeltet man naturnah direkt am Fluss.KARTEN/ADRESSENMairs Generalkarte Blatt 16 beschreibt im Maßstab 1:200000 nahezu alle lohnenswerten Straßen der Region. Wers noch genauer wissen will, greift zur Radwanderkarte Blatt 57 »Tauber-Hohenlohe« in 1:100000 vom Landesvermessungsamt Baden-Württemberg. Weitere Informationen: Touristikgemeinschaft Hohenlohe, Telefon 07940/18206, Internet www.hohenlohe-tourismus.de.