Provence

Provence Klare Sache

Keine Frage, die Strecken rund um die Schluchten des Verdon und der Ardèche sowie über den Mont Ventoux sind echte Knaller. Aber muss man denn immer wieder dorthin fahren? Unbedingt! Ansichten eines Wiederholungstäters.

Klare Sache Schröder

Keine zwei Meter breit müht sich der zerschundene Asphalt hinauf. Himmelstürmende Kurven und Kehren bis ins 1200 Meter hoch gelegene Ilonse. Nicht mehr als zwei Hand voll geduckter Häuser aus groben Steinen. Keine Tanke, kein Souvenirladen, kein Handynetz. Die Zivilisation muss irgendwo auf halber Höhe kapituliert haben. Sollte die Karte Recht behalten, findet sich geschätzte 32 Ecken weiter bei Pierlas nicht einmal mehr eine Wendemöglichkeit für die schwere Honda CB 1300. „Parcours difficile ou dangereux“ – heißt grob übersetzt so viel wie schwer zu bewältigende oder gar gefährliche Passage. Was für eine Einladung! Auf der Suche nach dem Kick abseits des alpinen Mainstreams? Dann bitte hier entlang. Absurd steile Trassen, die abenteuerlich übereinander gefaltet in der Wand hängen und durch dermaßen enge Kehren verbunden sind, dass der Wendekreis der Honda gerade noch so ausreicht. Freier Fall kommt der Sache am nächsten.

Dort, wo die Provence an die Seealpen stößt, spielt die Topographie verrückt. Wohin man auf der Karte blickt: Straßen wie Girlanden gezwirbelt und unterschiedlicher Kategorien, um den Verkehr gerade noch so über Bergrücken und durch Schluchten zu lenken. Könnte rasch zur Lebensaufgabe werden, wenn man jeden Meter abspulen möchte. Spannend wär’s auf jeden Fall. Doch diesmal keine Experimente. Mir ist nach „Hausstrecke“ zumute, so gut kenne ich inzwischen einen Teil der Wege zwischen den Schluchten von Verdon und Ardèche und dem Gipfel des Mont Ventoux. Bekannte Größen, keine Frage. Aber eben echte Knaller.

Atempause auf der vergleichsweise breiten D 28. Doch was heißt hier schon breit? Mehr als gerade einmal knapp zwei Spuren passen nicht auf den Grund des Gorges du Cians. Auf einmal ist die Welt eine andere. 100, 200, vermutlich sogar 300 Meter hohe und in allen Rottönen leuchtende Schieferwände, die knapp über der Mütze so eng zusammenwachsen, dass das Sonnenlicht bestenfalls um die Mittagszeit bis nach ganz unten reicht.

Schröder
Sympathisch am Tag wie in der Nacht: Castellane.

Die Tankstelle am Ende der Schlucht in Beuil kommt gerade zur rechten Zeit. Draußen eine volle Ladung Super für die Honda, drinnen Kaffee, Mineralwasser und ein belegtes Baguette, das über einen abgegriffenen Tresen gereicht wird. Die Wände voll vergilbter Poster. Rallye-Motive aus den 70er und 80er Jahren. Renault Alpine, Lancia Stratos, Fiat Abarth, Peugeot 205 Turbo. „Vous connaissez Didier Auriol et Michele Mouton?“ „Oui, bien sûr!“ Dem sportbegeisterten Hausherrn gefällt, dass mir die Namen der beiden legendären Piloten gut bekannt sind. Wir einigen uns darauf, dass Walter Röhrl auch nicht gerade eine Schnecke war.

Zurück durch die Cians-Schlucht, schließlich notgedrungen ein paar Kilometer auf der N 202, einer Trasse für die Eiligen hinunter nach Nizza. In gut anderthalb Stunden könnte ich am Grand Canyon du Verdon sein. Fast dreimal so lang dauert es, wenn man bei Entrevaux die winzige D 911 wählt, die sich sofort hochmotiviert in den Fels krallt. Zehn Kilometer bergauf ohne einen einzigen Meter geradeaus. Gegenverkehr? Im Halbstundentakt. Französische Pampa. Die nächsten rund 50 Kilometer durchschneidet eine frost- und unwettergeschädigte Spur lange Zeit dichten Wald, führt schließlich an sattgrünen Almwiesen und wildgezackten Felsformationen vorbei. Traumhaft. Wobei außer Bauern, Jägern, Holzfällern und vermutlich ab und an noch der ein oder andere Motorradfahrer wohl niemand auf die Idee käme, von hier aus über das weltabgeschiedene St. Auban in das im Vergleich fast schon großstädtisch wirkende Castellane zu holpern.

Es ist zwar schon später Nachmittag, aber für den Verdon – pardon: Grand Canyon du Verdon – müsste es noch reichen. Schnell ein Stück am Fluss entlang, ein Schlenker in Richtung Trigance, dann endlich der ersehnte Abzweig zur „Corniche Sublime“. Diesen Namen bitte merken. Unbedingt. Denn wir reden hier über die Königin aller Panoramastraßen: So nah an den Abgrund gelangt man mit seinem Fahrzeug nicht einmal am amerikanischen Grand Canyon (eins zu null für die Alte Welt!). Einzig Balken aus Holz oder kleine Mauern schützen am Rand der Mini-Straße über weite Strecken vor dem Abflug in die Tiefe, die sich plötzlich vor einem auftut. Schlimmstenfalls 700 Meter freier Fall. Die Augen können sich da kaum satt sehen, entdecken nach langer Eingewöhnung an der gegenüberliegenden Felswand bunte Punkte. Freeclimber. Tollkühner geht’s wirklich nicht. Unten schließlich der Verdon, der sich wie eine giftgrüne Schlange windet. Terra incognita bis vor rund 100 Jahren. Erst 1905 wagte man sich auf den Grund der Schlucht, um Frankreichs letzten weißen Flecken auf der Landkarte zu tilgen.

Provence (Infos)

Schröder
Der einmalige Weg von Pierlas hinunter in die Cians-Schlucht sollte zur Pflicht werden.

Motorradfahren in der Provence bedeutet definitiv keinen Meter Langeweile. Besonders der östliche Teil mit seinen vielen Schluchten und Bergstrecken ist eine echte Herausforderung.

Anreise:
Es gibt mehrere Möglichkeiten, zu den Canyons der Provence zu gelangen. Am schnellsten geht’s, wenn man sich bei Mulhouse auf die teure Bahn schwingt und über Lyon bis zur Abfahrt Bollène rauscht. Von dort ist es nur ein Katzensprung bis zu den Gorges de l’Ardèche. Wer lieber zuerst in den Osten der Provence zur Verdon-Schlucht gelangen will (Haute Provence), nimmt die vignettenpflichtige Autobahn durch die Schweiz über Basel und Genf unter die Räder und hält sich ab Grenoble an die kurvenreiche N 75 bis Sisteron, wo die N 85 (Route Napoleon) über Digne nach Castellane (guter Standort) abzweigt.

Schröder
Reisedauer: drei Tage; gefahrene Strecke: 850 Kilometer.

Unterkunft:
Die touristische Infrastruktur in der Provence ist praktisch perfekt. Zwischen Ardèche und Verdon finden sich Campingplätze, Pensionen und Hotels zuhauf, im Ferienmonat August (besser meiden!) kann es allerdings dennoch zu Engpässen kommen. Pro Nacht und Nase muss mit etwa 30 bis 40 Euro gerechnet werden. Folgende Unterkünfte sind besonders empfehlenswert: „Auberge des Crêtes“ in La Palud-sur-Verdon, eine urgemütliche Pension direkt an der Panoramastraße über der Verdon-Schlucht. Telefon 0033/4/9277/3847, Internet: www.provenceweb.fr/04/aubergedescretes/. Die Nacht im Doppelzimmer schlägt mit etwa 60 Euro zu Buche. „Domaine de Fombeton“, Motorradpension von Uta Baier (ehemals Rallyemechanikerin von Andrea Mayer) in einem alten Herrenhaus in Vaumeilh nahe Sisteron, Telefon 0033/4/9262/1266, Internet www.fombeton.de. Ein Doppelzimmer gibt’s ab 70 Euro. „Mas de Vigneredonne“, gemütliche Motorradpension des im Juli verstorbenen Motorrad-Journalisten Heinz G. Specht, die westlich der Ardèche an der D 104 zwischen dem Weiler Les Avelas und St. Paul-le-Jeune gelegen ist. Das alte Landgut wird von Spechts Lebensgefährtin Lilo Ridl weitergeführt. Telefon 0033/4/7539/1704, Internet www.vigneredonne.com. Für ein Doppelzimmer müssen 75 Euro gerechnet werden. „Une autre maison“ in der „Olivenmetropole“ Nyons verfügt über sieben perfekt arrangierte Zimmer in einem alten Haus, das von einem nahezu tropischen Garten umgeben ist. Ein Traum! Telefon 0033/4/7526/4309, Internet: www.uneautremaison.com. Pro Nacht und Person ab 60 Euro.

Literatur:
Sehr gut: „Provence“ vom Reise Know-How-Verlag für 19,90 Euro. Tolle Streckentipps und Exkurse für Wanderer, Mountainbiker oder Kanufans. Im Michael-Müller-Verlag sind zwei ebenfalls überaus lohnende Werke erschienen: „Haute Provence“ und „Provence und Côte d’Azur“, je 15,90 Euro. Die besten Karten für diese Region kommen nach wie vor von Michelin, und zwar die Blätter 340, 341 und 334 jeweils im Maßstab von 1:175000. Preis pro Karte: 7,50 Euro.

Provence (2)

Schröder
Nette Einladung ins Café du Midi in Revest-du-Bion.

Die Dramaturgie lässt erst nach, als am anderen Ende dieses Grabens der Lac de Ste. Croix auftaucht. An der Brücke über den Verdon melden sich vergessen vermutete Erinnerungen an den Sommer vor 26 Jahren zurück. Bis hierhin hatten es Jörg und ich damals geschafft. Zwei langhaarige Teenager im Hippielook, die am Straßenrand tapfer ihre Daumen in Richtung Mittelmeer in die Höhe hielten, ohne wirklich voranzukommen. Machte aber nichts, denn das Leben – oder das, was wir dafür hielten – spielte genau genommen im Schatten dieser Brücke. Ein Baguette, ein Stück Käse, eine Tüte Wein und der Schlafsack ausgerollt im Sand. Möglichst neben dem von Marie-Claire aus Avignon. Spießer, das waren die anderen. Und wenn einer auf der Klampfe sich an Cat Stevens „Morning has broken“ versuchte, war das Glück für einen Moment vollkommen. Zumindest für ein paar Tage.

„Camping sauvage interdit.“ Zurück im Hier und Jetzt. Wildes Campen ist inzwischen verboten. Springen von der Brücke ebenfalls. Geschätzte 20 Meter vom Geländer bis zum Aufschlag. Die, die es damals wagten, waren Helden. Vielleicht hatte es deshalb nicht mit mir und Marie-Claire geklappt. Schwamm drüber. Einen kurzen Augenblick würde ich mir am liebsten mit dem Schlafsack in der Hand am Ufer einen Platz für die Nacht suchen, ziehe letztlich dann aber doch ein Bett im nahen Riez vor.

Allmählich verändert die Provence ihr Gesicht. Die Alpen bleiben zurück, und die Honda fräst in Richtung Forcalquier auf fast schon kerzengeraden Strecken durch weites, leicht hügeliges Land, hält auf der D 950 schließlich Kurs bis Sault. Rechts und links der Straße kilometerweit Lavendelfelder. Obwohl längst geerntet, hängt der intensive Duft noch in der Luft. Wenn der Mont Ventoux kurze Zeit später in Sicht gerät, weiß man, wo jede zweite Postkarte und nahezu jedes Reiseführer-Titelbild geschossen wurden.

Schröder
Essen, trinken, diskutieren, lachen, lästern ...

1909 Meter hoch ist dieser Klotz, der einsam das Land überragt. Kein alpiner Riese, aber immer eine Herausforderung, egal von welcher Seite man nach oben stiebt. Wer auf dem Weg hinauf kurz zögert, um die gebotenen Aussichten zu bestaunen, liegt prompt neben der Ideallinie, die jederzeit von einheimischen Artisten hingebungsvoll in den perfekt ausgelegten Asphalt gebrannt wird. Der Blick vom Gipfel, der aus weißem Kalkschotter besteht und vielmehr einer Mondlandschaft gleicht, raubt gleich darauf das letzte bisschen Verstand. Auf einmal scheinen die Alpen wieder zum Greifen nahe. Und an guten Tagen sieht man in der anderen Richtung bis zu den Pyrenäen. Das bunte Land direkt unter mir – die fantastischen Gorges de la Nesque zum Beispiel – ist dagegen während der letzten Höhenmeter im Dunst der wärmeren Luftschichten verschwunden. Neun Grad herrschen hier oben, 16 weniger als am Fuß des Ventoux.

Malaucène, Vaison-la-Romaine, Nyons. Drei Orte mit urgemütlichen Straßencafés, Platanen gesäumten Plätzen und Männern, die scheinbar nichts anderes zu tun haben, als Boule zu spielen. Der Unterhaltungswert beim Beobachten einer solchen Partie, wenn zwei oder mehr Mannschaften versuchen, ihre jeweils 900 Gramm schweren Eisenkugeln möglichst nahe an eine kleinere aus Buchsbaumholz zu rollen oder zu werfen, ist jedes Mal enorm. Es wird laut geredet und gerufen, jeder Wurf wird diskutiert und analysiert. Rauchen, trinken, lachen, lästern. Alles ist erlaubt, alles gehört zum Spiel. Genau so stellt man sich den Süden Frankreichs vor.

Flaches Weinland auf dem Weg zur Rhône. Erst ein paar Kilometer hinter Pont-St.-Esprit wirft sich die Straße endlich wieder so richtig ins Zeug. Eine alte Bekannte, die ich mir für ein furioses Finale aufgehoben habe: die Schlucht der Ardèche. Einige hundert Meter unterhalb der Straße vergnügen sich die vermutlich letzten Kanuten dieser Saison, deren Boote aus meiner Perspektive wie bunte Spielzeuge erscheinen. Die Hand voll Motorradfahrer, die mir auf dem rund 30 Kilometer langen Panorama-Boulevard entgegenfeilen, drehen vermutlich ebenfalls ihre letzte Runde für dieses Jahr. Auf dieser Strecke erliegt man rasch dem Kurvenrausch. Manchmal tut es gut, auf bekannte Größen zu setzen.

Grand Canyon du Verdon - Die Königin

Der Grand Canyon du Verdon ist die Nummer eins unter den Schluchten in Europa. Der Verdon, ein Nebenfluss der Durance, hat sich zwischen den Ortschaften Rougon und Aiguines auf einer Länge von etwa 21 Kilometern bis zu 700 Meter tief durch das Kalkgestein gefräst. Die Schlucht ist am Grund zwischen sechs und 100 Meter, am oberen Rand 200 bis 1500 Meter breit. Von der bereits 1947 in den Fels gehauenen, 80 Kilometer langen Panorama-Straße »Corniche Sublime« bieten sich herrliche Einblicke in den Canyon. Die genialsten Aussichtspunkte: »Balcons de la Mescla« (Felsenterrassen 250 Meter oberhalb des Flusses); »Tunnels de Fayet« (fantastischer Blick in die Schlucht, siehe Foto Seite 100/101); »Cirque de Vaumale« (höchster Punkt der Straße, 700 Meter über dem Fluss). Die besten Aussichtspunkte vom Nordrand des Canyons finden sich an der D 23 (Route de Crêtes).

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