Konstanz am Bodensee. Zweiter Weih-
nachtsfeiertag. Noch ist es nicht einmal hell, als Gerry Mayr gegen sieben Uhr ein 250er-Kymko-Quad auf den Hof vor seinem Motorradgeschäft schiebt. Ab sofort gelten keine Ausreden mehr: Rund um
Europa solls gehen. In Rekordzeit durch 23 Länder. Macht grob geschätzt 13000 Kilometer, die der Zweiradmechaniker
so schnell wie irgend möglich abspulen möchte der vierte Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde soll her.
Allerdings stimmt das Timing beim
Beladen der kleinen Fuhre noch lange nicht mit dem engen Zeitfenster einer
Rekordfahrt überein. Acht Stunden gehen drauf, um vorn und hinten je eine Mega-Alubox zu montieren, drum herum diverse Pack- und Tragetaschen sowie einen
Tankrucksack und Unmengen von Kleinkram zu fixieren. Bis Gerry bei zwei Grad und leichtem Schneefall endlich das
20 PS starke Triebwerk(chen) startet, ist
es fast schon wieder dunkel.
Tempo 70, Kurs Süd. Aus leichtem Schneefall wird Schneetreiben. Am
Reschenpass meistert die Fuhre einen
ersten Höhepunkt, 330 Kilometer später das erste Etappenziel: Am Mendelpass
in Südtirol will der Konstanzer Rekord-
fahrer unbedingt sein neues Snowboard ausprobieren so viel Zeit muss sein.
Gerry visiert Rom an, steht früh auf, kommt aber wieder erst gegen 14 Uhr in die Hufe (Gerry, du hast definitiv zu viel Gepäck dabei!). Und bleibt prompt liegen, weil das derart vollgepackte, 300 Kilogramm schwere Quad bei Vollgas und Gegenwind auf der Bahn deutlich mehr Benzin abfackelt als gedacht. Schnell Sprit besorgen und weiter. In die Nacht hinein, bis die Augen zufallen. Etwa 100 Kilometer vor der italienischen Metropole das erste von vielen Camps auf einem Parkplatz. Gerry gefällts. Für Hotels
würde das Budget ohnehin nicht reichen.
Ein kurzer Blick auf den Petersplatz, dann pfeilt das Quad über die Autostrada in Richtung Bari an der Küste. Erneut
eine Nacht in den Büschen, eine Trekking-Mahlzeit zum Frühstück: »Kleines Packmaß, großer Brennwert und sehr bekömmlich.« Gerry, der Sportler. Auf der Fähre bis ins griechische Patras Zeit zum Entspannen. Silvester wird in Athen gefeiert.
Schon am 1. Januar ist Thessaloniki erreicht. Dann die erste 1000-Kilometer-Etappe. Rauf nach Zagreb. Gerry klemmt sich am Abend für den Schluss-Spurt hinter einen Lkw. Das Quad gibt alles, macht im Windschatten sagenhafte 85 Sachen. 330 Kilometer vorm Ziel plötzlich ein Schlag, ein letztes Aufheulen des Motors, Stillstand. Zum Glück 50 Meter vor einem Parkplatz weiter hätte Gerry die Fuhre nicht schieben können. Im Schein seiner Stirnlampe entdeckt er einen gerissenen Antriebsriemen. »Doch ohne elektrischen Schlagschrauber konnte ich das Ersatz-
teil nicht montieren.« Ein Abschleppwagen schafft Quad und Fahrer nach Belgrad, setzt seine Fracht vor einer schmuddeligen Werkstatt ab, deren Mechaniker, wie sich schnell herausstellt, keine Ahnung vom Schrauben haben. Aber vom Schnaps. Zum Glück weiß Gerry, was zu tun ist;
gegen 23 Uhr braust er schon wieder davon. Bis er am Lenker fast einpennt. Trotzdem findet er kaum Schlaf, als er sich irgendwo am Straßenrand in sein kleines Zelt verkriecht. Es regnet und ist bitterkalt. Ein erster Tiefpunkt.
Zagreb, Ljubljana, Graz. Ein Tag Sightseeing: »Weil ich bei meinen vielen Reisen gelernt habe, die Dinge auch mal laufen
zu lassen.« Tut er auch weiterhin: Wien, noch eine Nacht im Graben, Prag, Berlin. Gerry hat seinen Rhythmus gefunden, frisst Kilometer um Kilometer. Und legt sich mit einem Ordnungshüter an, der ihn daran hindern will, sich und das Quad vor dem Reichstag abzulichten: »So etwas habe
ich nirgendwo sonst in Europa erlebt!«
Inzwischen wäre der erste Satz Vorderreifen fällig wenn es denn welche geben würde. In Richtung Warschau rumpelt
das Quad über die bisher schlechtesten Straßen, ist auf dem ausgefahrenen Belag kaum in der Spur zu halten. Zwischen
der polnischen Hauptstadt und Vilnius
im benachbarten Litauen zerfetzt es ärgerlicherweise ein weiteres Mal den Antriebs-
riemen. Inzwischen gelingt es Gerry, sein »blaues Kamel« in anderthalb Stunden
zu beladen.
Ruck, zuck düst der Rekordjäger ins estländische Riga, rasch ein Foto, dann nach Tallinn. Gut 600 Kilometer sind
pro Tag im Schnitt machbar. Irgendwo an
der Straße eine Einladung zum Kaffee.
Von einem Tankwart. Gerry schätzt solche
Momente sehr, »allerdings lassen mir
meine Rekordfahrten leider viel zu wenig Zeit für längere Gespräche«. Eine Fähre bringt Quad und Fahrer in knapp einer Stunde ins finnländische Helsinki.
Kurs Nord. Und endlich Schnee! Der erfordert eine neue Kurventechnik: Auf den teilweise vereisten Straßen gehts nur mit viel Körpereinsatz ums Eck.
Über Vaasa weiter in den eiskalten Norden Finnlands es herrschen minus
20 Grad. Gegen 22 Uhr hat er bei Simojoki den nördlichsten Punkt seiner Route
erreicht, könnte sich zur Feier des Tages
ein Hotel plus Sauna gönnen. Macht er aber nicht. Gerry zieht selbst im dicksten Winter sein Zelt am Straßenrand vor.
Stockholm, schließlich Oslo. Der Antriebsriemen reißt schon wieder. Trotzdem liegt der Rekordjäger gut in der Zeit. Der Blick auf die Europakarte sorgt dennoch für ein verschärftes Tempo. Kopenhagen, Hamburg, Amsterdam, ein Abstecher
nach London. Erste Überlegungen reifen, ob man wirklich bis in die portugiesische
Hauptstadt Lissabon fahren muss.
Muss man nicht Gerry entscheidet sich, pünktlich zur Motorradmesse in
Friedrichshafen zu erscheinen und Werbung für seine Mission zu machen (siehe Kasten). Paris, Bordeaux, Barcelona, dann in einem Rutsch nach Bern, die mit knapp 900 Kilometern längste Tagesetappe.
Am Sonntag, den 30. Januar 2005 stehen Quad und Fahrer tatsächlich am Ufer des Bodensees. Nach 13500 Kilometern in
34 Tagen. Der Eintrag ins Guinness-Buch dürfte reine Formsache sein: So schnell hat noch kein Mensch Europa im Winter auf einem Quad umrundet.
"Wir müssen etwas tun!"
Zu drei Einträgen ins Guinness-Buch hat es Gerry Mayr bereits gebracht. Der Inhaber einer Zweiradwerkstatt in Konstanz prügelte 1998 einen Allrad-Pkw in 50 Tagen im Alleingang 23000 Kilometer weit über die Panamerikana,
im Jahr darauf eine Eigenbau-Enduro in nur 58 Tagen von Südafrika nach Ägypten. 2000 sorgte eine 41-tägige Rekordfahrt in einem Kleinlaster bis Israel für einen weiteren Eintrag. Nicht anerkannt wurden sein Sprint auf einem Roller rund ums Mittelmeer (siehe MOTORRAD 18/2002) und 2004 seine Hatz rund um Australien. Für die knapp 13000 Kilometer lange Strecke benötigte der Zweiradmechaniker im Sattel einer 125er-Derbi-Enduro lediglich 18 Tage!
Warum macht Gerry so was? »Um etwas
durchzusetzen!« Dabei geht es dem 39-Jähri-
gen bei der aktuellen
Rekordjagd weniger um den Beweis seiner Leidensfähigkeit, sondern darum, dass
er auf einen seiner
Meinung nach großen Missstand hinweisen will: Der Motorradführerschein ist zu teuer! Und schränkt dadurch Jugendliche zwischen 15 und 20
in ihrer Freiheit stark ein. »Freiheit setzt Mobilität voraus, und die ist
für die meisten fast schon unbezahlbar gewor-
den.« Die aktuelle Führerscheinpolitik bedürfe
einer umfassenden Reform, ansonsten drohe Motorradfahren zu einem Privileg der Wohl-
habenden zu werden. Für Gerry ein untragbarer Zustand in einem modernen Europa, das zwar seine Grenzen abbaut, es aber besonders jungen Deutschen immer schwerer gemacht wird, es zu bereisen so wie er es ab dem 16. Lebensjahr auf einer Achtziger und diversen Motorrädern gemacht hat. Aus diesem Grund hat der Rekordfahrer die Aktion »Pro Freiheit pro Mobilität« ins Leben gerufen, einen Brief an den Bundeskanzler geschrieben und alle Motorradfahrer
am 14. Oktober 2005 zu einer Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude in Berlin eingeladen. »Wir müssen unbedingt etwas für unsere Freiheit tun!« Mehr zu Gerrys Mission steht auf seiner Internetseite: www.gerry.as.