Sahara Endstation Sandsucht

Libyen ist der letzte Zugang zu den großen Dünen Nordafrikas. Sie birgt die meisten Schwierigkeiten, aber auch die größte Faszination: die libysche Sahara. Wer da war, kommt wieder.

Irgendwann sind wir durch, ist das Schlangestehen an den verschiedenen Schaltern des Zolls in Tunesien und später in Libyen vorüber. Neben Tanger in Marokko ist jetzt Libyen das zweite große Tor nach Afrika, der letzte Brückenkopf in die Sahara, seit Algerien dicht ist. Es war das Tibestigebirge, das meine Freunde und mich reizte. Knapp hinter der Grenze des Tschad und mit bis zu 3415 Meter hohen, zerklüfteten Vulkanfelsen. Aufgrund des Kriegs zwischen dem Tschad und Libyen ist dort seit Jahrzehnten sicher kein ausländisches Motorrad mehr gewesen. Jetzt soll es möglich sein. Und so spukt nun das Tibestigebirge in den Köpfen der Wüstenfreaks wie einst das Hoggar-Gebirge bei Tamanrasset, wo sich seit den politischen Unruhen kaum noch jemand hinwagt. Auf Anhängern hatten wir die Sport-Enduros zur Fähre nach Marseille gebracht, nur die BMW- und Africa Twin-Fahrer waren per Achse angereist. Mit dem Nötigsten beladen ging es nach Tunis. Afrika ist in einem Tag und einer Nacht erreichbar. Bis zum Sand der größten Wüste der Welt zieht es sich allerdings noch ein paar Tage. Bei Ghadames endet die Teerstraße, die Piste beginnt. Und mit ihr unsere erste versorgungslose Etappe. Rund 800 Kilometer sind es bis Ghat, davon knapp die Hälfte Sand. Aber richtig. Dünen.Da wir in den Sandgebirgen mit den vollbeladenen Motorrädern keine Chance hätten, engagieren wir in Ghadames ein paar Libyer mit einem österreichischen »Steyer Puch Pinzgauer«. Eigentlich ein alpines Militärfahrzeug, aber auch wüstentauglich, da es für extrem trialmäßiges Gebirgs-Klettern konzipiert ist. Der Pinzgauer ist allerdings schon etwas angeschlagen und überdies mit unseren Vorräten noch vollbeladen. Doch für die fünf Tage, mit denen wir für die Piste bis Ghat rechnen, wird er wohl halten. Außerdem ist ein Tuareg-Führer mit von der Partie. Wegen der nahen algerischen Grenze schreibt die örtliche Polizeikommandantur seine Begleitung vor.Rund 200 Kilometer geht es zunächst durch relativ freies, weitläufiges Gelände. Dann türmen sich skurrile Tuffkegel vor den ersten Dünenausläufern des Erg Bouareth (Idhan Awbari) auf. Der Sand ist weich, die BMW- und Africa Twin-Treiber unserer Gruppe müssen hart arbeiten. Mit den Husqvarna und KTM ist es dagegen ein Vergnügen, die 90-Grad-Kanten steiler Dünenkämme zu erklimmen. Gestürzte Maschinen rutschen bei dem extremen Gefälle von selbst zu Tal.Die Nacht verbringen wir an versteckten, von Palmen umgebenen Wasserlöchern mitten im Sand. Das Zelt stellen wir schon in der zweiten Wüstennacht nicht mehr auf. Zu schön ist dieser unglaubliche Sahara-Himmel, der jeden Stern der Milchstraße ans Firmament zu zaubern scheint. Nur der Wind ist mitunter lästig, der Sand in Augen und Ohren fegt.Die flachen Pisten und harten Sandfelder, die die Dünen immer wieder unterbrechen, und sich fast bis zum Horizont zu dehnen scheinen, verführen zu hohen Geschwindigkeiten. Manchmal fahren wir, was die Dinger hergeben. Rallye-Feeling. Als ich mit der KTM LC4 eines Partners kollidiere, komme ich zur Vernunft. Die Wüste verzeiht normalerweise keine Fehler. Diesen gottlob doch, er bleibt ohne Folgen. Der Erg Bouareth macht uns zu schaffen. Fahren wie navigieren ist in dem ausgedehnten Dünengebiet nicht einfach, da die Strecke nicht der Dünenlaufrichtung folgt, sondern quer zu den Kämmen verläuft. Also müssen wir drüber. Immer wieder und möglichst an der richtigen Stelle. Über das Radio im Pinzgauer erfahren wir vom Ausbruch regierungsfeindlicher Häftlinge aus einem Gefängnis in Tripolis, die sich nun in der Wüste versteckt halten sollen. Daher beschlagnahme die Militärregierung kurzfristig alle Geländewagen, um zu vermeiden, daß sie den Ausbrechern in die Hände fallen. Bei solchen Maßnahmen sei man hier nicht gerade pingelig, erklärt uns die höchst beunruhigte Allrad-Truppe. Wir befänden uns eben nicht in einem Rechtsstaat, sondern Libyen sei ein totalitäres Regime, in dem Willkür an der Tagesordnung sei. Wer »der Gruppe«, wie die inoffizielle Bezeichnung für den Regierungsclan um Oberst Gadhafi lautet, widerspräche, verschwände in diesem Land unter Umständen schnell von der Bildfläche. Die Guides schlagen daher vor, den Kurs zu ändern und statt Ghat den kleinen Ort Al Awaynat anzusteuern. Hier gäbe es keine Polizeistation. Tatsächlich - der über Nacht in einer Palmenpflanzung versteckte Pinzgauer bleibt unentdeckt.Von Al Awaynat ist es nicht mehr weit zum Akakus-Gebirge. Tiefsandige Wadis machen erneut das Fahren schwer, die leichten Einzylinder sind wieder im Vorteil. Ganze Landschaften von Felsentürmen und -toren bauen sich vor uns auf, halb zugeweht vom Sand der wandernden Dünen. Bei näherem Hinsehen entdecken wir die prähistorischen Malereien und Gravuren, die dieses Gebirge weltberühmt gemacht haben. Vor allem markante Felsformationen und Überhänge sind damit verziert. Der Höhepunkt ist das Wadi Mathendous (Wadi Aberho), das sogar die Unesco unter ihren Schutz gestellt hat: ein ganzer Park mit Hunderten von Felsen und Höhlen voll phantastischer Gravuren und Malereien. Büffel, Giraffen, Krokodile, Strauße. Ich klettere auf einen Felskegel, betrachte den Sand und stelle mir saftige Steppenlandschaften mit Tierherden vor. So muß es hier vor 10000 Jahren ausgesehen haben. An einem Felstor liegt ein umgekippten Pajero. Beim Zurückrollen von einer Düne, die mit zu wenig Schwung angefahren wurde, ist der Geländewagen gekippt. Der libysche Begleiter der jungen deutschen Fahrerin ist schon unterwegs, um Hilfe zu organisieren. Mit ein paar kräftig zupackenden Händen steht das Auto wieder, und nach einer halben Stunde haben wir auch den Turbodiesel flott. Ich fahre den Fußspuren des Guides nach, die sich allerdings bald im Geröll verlieren. Irgendwann finde ich ihn völlig hilflos in unwegsamen Gelände. Er hat sich verlaufen. Auf der Werkzeugtasche am Heck meiner Enduro fahre ich ihn wieder zu seiner Auftraggeberin.Wir kehren zurück nach Al Awaynat und nehmen dort Kurs auf Germa. Hier ist der Einstieg zu den Mandara-Seen, die mitten in einem schwer zugänglichen Dünengebiet liegen. Den größten See erreichen wir nach knapp zwei Stunden anstrengender Fahrt. Dort treffen wir ein paar andere Motorradfahrer, die sich völlig entnervt durch den Sand quälen. Sie haben sich übernommen, zuviel Gepäck, ungeeigente Maschinen, falsche Fahrtechnik. Zum Glück ist die Asphaltstraße nur 40 Kilometer entfernt.Unmittelbar an dem See liegt der verlassene kleine Ort Gabron, wo sich angeblich nach der Machtergreifung »der Gruppe« Widerständler versteckt hatten. Um das Nest auszuhebeln, siedelte Gadhafi die Bewohner Ende der 70er Jahre um. Die Lage von Gabron ist traumhaft. Die Moschee wird von unbekannten Händen weiter gepflegt. Etwas abseits schlagen wir das Camp auf. Nachts sind die vielen Mücken, die der See anlockt, zwar lästig, aber zum Baden ist er ein Hochgenuß. Wir überqueren die steilen Dünengebirge ins Nachbartal, um weitere Seen zu finden, die aber fast alle ausgetrocknet sind.Auf dem Rückweg passiert es. Der Vergaser meiner TT 600 bleibt ständig in Vollgasstellung hängen, und die Maschine wirft mich beim haltlosen Losbrennen immer wieder ab. Da die Dunkelheit hereinbricht, lasse ich sie auf einem Dünenkamm zurück. Wir speichern die Position im GPS, um sie in dem Irrgarten der Dünen wiederzufinden. Tags darauf zerlege ich den Vergaser auf dem fast 200 Meter hohen Sandberg. Nach einer guten Stunde ist der Defekt behoben. In Richtung Südwesten geht es auf einer schmalen Straße über Murzuq nach Timsah, wo die Piste nach Waw el Kebir und Waw en Namus beginnt. Statt der netten Pinzgauer-Truppe, die wieder zurückkehren mußte, haben wir nun einen uralten Mercedes-Lkw samt Fahrer angeheurt, der unsere Vorräte, Reifen, Ersatzteile, Sprit und Wasser aufnimmt. Auch ein neuer Guide mit einem Geländewagen ist dabei. Vor uns liegen fast 1000 Kilometer Off Road. Dann streikt die TT 600 erneut. Doch diesmal ist es ernster. Kolbenfresser. Ende der Reise, hier in Afrika ist da nichts mehr zu machen. Traurig quartiere ich mich und die Maschine auf dem Laster ein.Am Waw en Namus treffen wir auf einen mehrere Kilometer durchmessenden Vulkankegel. Rot erhebt er sich aus einer aschschwarzen Lavalandschaft. Faszinierend. Halbmondförmige, von Palmen eingesäumte Seen liegen drum herum, in allen Farben in der abendlichen Sonne schimmernd.Am nächsten Tag macht sich unser Führer aus dem Staub, wegen einem angeblichen Defekt an seinem Geländewagen, meint er. Mit Hilfe der Satellitennavigation fahren wir nun allein mit dem Lkw weiter zur Oase Tazurbo. Zügig geht es Hunderte von Kilometer über schnell befahrbare, vegetationslose Ebenen querfeldein.Boris hat plötzlich Fieberanfälle, muß auf den Lkw. Ich übernehme seine Husky, eine 610 TE. Ein ziemlich radikales Sportgerät, sehr unbequem auf Langstecke, aber mit hoher Spitzenleistung und gutem, leichtem Fahrwerk. Herrlich zum Dünenfahren, allerdings auch reichlich reparaturintensiv bei scharfer Beanspruchung. Abends bin ich nun mit Schrauben beschäftigt. An der großen Oase Al Kofra ganz im Osten des Landes erreichen wir schließlich wieder die Zivilisation. Zum Tschad und ins Tibestigebirge ist es nicht mehr weit. Dennoch überlege ich, angesichts der defekten TT zurück nach Hause zu fahren. Doch per Bus und Anhalter komme ich bis ins 2000 Kilometer entfernte Tripolis überschlägig auf eine Reisedauer von fast einer Woche. Außerdem starten wegen des Embargos dort keine Flugzeuge ins westliche Ausland. Und überdies ist die Yamaha in meinem Paß eingetragen, was ziemliche Ausreiseschwierigkeiten erwarten läßt. Nein, ich ich verwerfe die Idee wieder. Nach mühsamen Verhandlungen erhalten wir von den örtlichen Behörden tatsächlich die Genehmigung, durch das militärische Sperrgebiet südlich von Kofra nach Ouinanga Kebir im Tschad fahren zu dürfen. Aber die Zeit wird knapp, unser Urlaub ist fast zu Ende. Trotzdem. Wir engagieren einen Tuareg, der früher fürs Militär gearbeitet hat und uns durch die Minenfelder an der Grenze lotsen soll. Frühmorgens geht es auf den einsamen Weg. Die Strecke wird nur von einigen überladenen Lastwagen aus Schwarzafrika befahren, sonst ist hier niemand unterwegs. Der Tuareg erzählt uns, daß er als Sechzehnjähriger im Krieg zwischen Libyen und dem Tschad zum Minenlegen eingesetzt worden sei. Tausende dieser Dinger lägen hier noch rum, zum Teil in Wadis weggeschwemmt, so daß das vollständige Auffinden und Beseitigen wohl unmöglich sei.Am zweiten Tag fällt mir im GPS-Display der Husky die merkwürdige Route auf, die unserer Führer fährt. Nachdem ein Kreis zu Dreivierteln vollendet ist, kommt es zu einer Diskussion. Der Mann erklärt verzweifelt, alles sehe ganz anders aus als damals, das ganze Tal sei zwischenzeitlich von Dünen zugeweht. Uns wird etwas unbehaglich. Als wir schließlich wieder am Übernachtungspunkt vom Vortag ankommen, ist klar, daß das Tibesti nun endgültig gestorben ist. Schade. Aber so sind die Gesetze der Wüste. Zeitpläne sind relativ. Wir kehren um, finden eine kleine Entschädigung in dem Erg Rabianah, der ganz aus weißem Sand besteht und sägezahnartige Dünenkämme hat. Eine reine GPS-Etappe ohne jede Pistenorientierung. In Rabianah und Besimah dann der völlig Kontrast: wunderschöne verlassene Oasen mit Palmengärten an einem See vor einem schwarzen Bergkegel - die Vielfalt der Wüste. Eigentlich bin ich gar nicht unfroh, daß ich noch einmal wiederkommen muß, um den Traum vom Tibesti-Gebirge endlich Wirklichkeit werden zu lassen.

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