Es ist immer das gleiche Szenario: In der Redaktion wird eine Ausfahrt geplant – eine neue Testrunde, eine Reisereportage, ein Pressetermin, ganz egal. Wo liegt es, wie kommt man hin, und welche Strecke ist die beste? Die Fragen sind dieselben, die Rechercheverfahren jedoch höchst verschieden. In den technikorientierten Ressorts wird sofort ein Routenplaner angeklickt, und man lässt sich per Bildschirm lotsen. Im Unterwegs-Ressort wird dagegen maximal die Groborientierung kurz am Rechner abgefragt, dann liegen die Karten auf dem Tisch. Die sich in allen erforderlichen Übersichts- und Detail-Maßstäben für die halbe Welt stets in nächster Schreibtisch-Nähe stapeln. Ein Leben ohne Karten? Undenkbar.
Es scheint kein Einzelschicksal. Vor jedem schönen Wochenende melden die Kartenabteilungen der Reisebuchhandlungen Land unter und die Kartenverlage trotz GPS und Pipapo stabile Ertragslagen. Das Erfreuliche: Die Blätter werden nicht knapper oder schlechter, sondern besser. So haben zwei der Champions in der 1:200000er-Straßen-Königsklasse – Mairs mit dem Fusionspartner Falk sowie Michelin – ihre Paradedisziplin vor wenigen Jahren nochmals verfeinert und für ihre Kerngebiete Deutschland und Frankreich zusätzliche 1:175000er-Serien herausgebracht. Mit dem Ergebnis besserer Detailansicht bei gleicher Informationsdichte und einem deutlich erleichterten Ablesen der fadendünnen Kleinststraßen.
Für die Britischen Inseln bietet seit kurzem der Ordnance Survey Verlag mehrere ausgezeichnete Serien in unterschiedlichen Maßstäben an. Von der Wanderkarte bis zu acht 1:250000er-Straßenblättern. Der Clou: komplett mit topographischer Höhenlinien-Struktur, ein bislang bei Straßenkarten ungewöhnliches Feature. Für das griechische Festland plus Peloponnes und Kreta liefert Road Editions Vergleichbares.
Die sechs Topo-Blätter in 1:250000 versprechen, endlich Licht ins Dunkel der hellenischen Wegfindung zu bringen. Auf den Inseln ist man dagegen nach wie vor den Fingermalübungen der ersten Stunde des Kartenzeichnens ausgeliefert. Vor allem bei spannenden Details wie der Streckenklassifizierung (Asphalt oder Schotter) oder Wegverzweigungen geht es da schon mal wild durcheinander. Billige Import-Blätter hinter dem Hochglanz-Cover etablierter Verlage.
Auf dem Balkan und dem Terrain des ehemaligen Jugoslawiens leistet Freytag & Berndt gute Dienste und hat beispielsweise prima 1:250000er-Karten von Slowenien und der Adriaküste im Programm.
Grundsätzlich muss eine präzise Optik nicht gleichbedeutend mit Präzision bei der Wegfindung sein. So schwächelt beispielsweise die in Deutschland äußerst zuverlässige Generalkarte (Mairs) gelegentlich bei den Italien-Blättern. Da scheinen die Angaben der italienischen Zulieferer offenbar großzügiger als die der deutschen Vermesser.
Eine gute Karte bietet dem Motorradreisenden die Möglichkeit, stets die kleinste Verbindung aufzuspüren. Theoretisch wie praktisch. Das Kartenbild muss exakt zeigen, wo der gesuchte Weg abzweigt. In der Ortsmitte, vor der Kirche, hinter der Brücke oder am westlichen Ortsausgang? Und es sollte ersichtlich sein, was vermutlich auf dem Wegweiser als Orientierungspunkt stehen wird. Denn genau diese Detailfreude ist nötig, um die allerschönsten Strecken zu finden, die legendären weißen oder gar durchsichtigen Linien auf der Karte. Sie sind es, die meist höchstes fahrerisches wie landschaftliches Niveau bieten, die sich in den Alpen zu senkrecht aufsteigenden Kehrenfolgen versteigen und mitunter zu einer Gratwanderung zwischen letztem Asphalt und beginnendem Geröll werden können, ohne Netz und doppelte Leitplanke, aber „näher dran“ als alle anderen. Straßen in ihrer ursprünglichsten Form, im freien Übergang zur Landschaft. Die Basis, sie zu finden, liefern Mairs/Falk, Michelin, Kümmerly & Frey und in einigen Fällen Freytag & Berndt mit ihren 1:200000er-Reihen. Mit völlig unterschiedlichen Kartenbildern, aber identischem Ergebnis.
Nach ihnen kommt nur noch die Wanderkarte. Die zeigt logischerweise noch mehr Details und wirklich jeden Feldweg, lohnt durch den immensen Kosten- und Papieraufwand jedoch nur für Schotterfreaks. In Frankreich bietet die grüne topografische IGN-Serie in 1:100000 eine interessante Zwischenform. Nur selten hat man allerdings die Wahl, da Kartenverlage offenbar Revierschutz respektieren. So wickelt Michelin bis auf wenige Ausnahmen alle Navigationsfragen in und um Frankreich ab, beschränkt sich aber im Übrigen Europa auf Übersichtkarten und eine ebenfalls sehr empfehlenswerte 1:400000er-Serie (besonders für Spanien und Großbritannien interessant). In Osteuropa hat Mairs schon bald nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Fühler ausgestreckt und einige gute Reihen herausgebracht.
Lediglich in Italien stehen gleich zwei Top-Serien zur Alternative: Hier decken sowohl Mairs wie Kümmerly & Frey den Stiefel samt Inseln mit je 15 ihrer 1:200000er-Flaggschiffe ab. Wer ganz durch will, sollte überlegen, sich seine Route Platz sparend am Farbkopierer zusammenzustellen.
In Norwegen und Schweden führt Kümmerly & Frey mit insgesamt 13 Blättern in 1:325000 und 250000 in Präzisionsfragen das Wort. Generell ist es ratsam, nur die wirklich nötigen Detailkarten mit einer guten Übersichtskarte zu kombinieren. Im weitläufigen, dünnbesiedelten Norden Europas leistet das Doppelblatt „Skandinavien“ vom RV-Verlag in 1:800000 gute Dienste. Ein Maßstab, der in der Regel für Motorradbedürfnisse allerdings ungeeignet ist, da er in dichter vernetzten Regionen selten mehr als Autobahnen und Bundesstraßen bietet.
Wer beispielsweise eine Alpentour plant, findet bei Freytag & Bernd ein Doppelblatt im ungewöhnlichen 1:600000er-Maßstab, das ungleich viel mehr gute Strecken zeigt als die üblichen, etwas günstigeren 1:750000er-Alpengroßblätter. Übrigens: Ein Exemplar liegt im Unterwegs-Büro. Dreimal gerissen, fünfmal geklebt, 17-mal voll geschrieben. Und trotzdem unersetzbar. Denn Karten enthalten nicht nur Informationen, sondern auch Erinnerungen, Gefühle und Fernweh. Ein Leben ohne Karten? Undenkbar!
Buchtipp
Wer Freude an Karten hat oder sie besser nutzen möchte, ist mit »Richtig Karten lesen« aus der Praxis-Reihe von Reise Know-How bestens bedient. Darin wird von der kartographischen Rohdatenermittlung über Geländedarstellungen bis zur Maßstab- und Legendenerklärung das Thema umfassend erklärt. Für 8,90 Euro eine Top-Informationsquelle. ISBN-Nr. 3-89416-753-X
Kompass
Mit der Verbreitung der GPS-Navigation verliert der Kompass zwar an Bedeutung, aber bei schwieriger Orientierung oder bewölktem Himmel hilft er noch immer zuverlässig, die Wegrichtung einzuschätzen.
Wohin mit der Karte?
Besitzer eines gewöhnlichen Tankrucksacks oder eines Magnet-Kartentaschentauglichen Motorrads mit Stahlblechtank sind fein raus. Deren zugehörige Kartenfächer fassen in der Regel die Papierware ohne große Würgeaktionen. Vor allem Enduro-Tankrucksäcke gestalten sich aber mitunter so minimalistisch, dass ins Kartenfach gerade noch ein Roadbook-Zettel passt. Für diese Klientel hat der Offroad-Ausrüster Touratech (www.touratech.de) einiges entwickelt. Zum Beispiel eine per Klettverschluss am Lenker anklickbare, wasserdichte Kartenhülle. Gibt’s ab 16 Euro in mehreren Größen (auch für Radler).
Eher für Roadbook-Piloten ist die Klettband-Armtasche gedacht, die immerhin eine Minimal-Übersicht liefert, 16 Euro. Ebenfalls von Touratech stammt eine pfiffige Kartentaschenbeleuchtung für 59 Euro. Von der Bordsteckdose gespeist, sorgt eine ins Kartenfach geschobene Leuchtdiodenplatte nachts für Erhellung. Wer die Navigationsarbeit an den Sozius abtreten möchte, findet bei mobikart, www.mobikart.com eine Kartentasche, die der Fahrer wie einen Rucksack auf dem Rücken trägt, 19,90 Euro. Nur die Übermittlung nach vorn muss selbst entwickelt werden.